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Hochentwickelte Fahrerassistenz­systeme: ISA ante portas

18.06.2024

Nach einer Übergangszeit von zwei Jahren wird die Ausrüstung von Neufahrzeugen mit dem intelligenten Geschwindigkeitsassistenten (Intelligent Speed Assistance, kurz „ISA“) ab dem 07.07.2024 in der Europäischen Union verpflichtend. Eine Fahrzeugzulassung ohne ein entsprechendes System ist ab diesem Zeitpunkt verboten (siehe unter D8 in Anhang II zur Verordnung 2019/2144).

Hintergrund und normative Grundlage

Hintergrund für die Einführung des ISA ist das mit der Verordnung 2019/2144 verfolgte Ziel, die Straßenverkehrssicherheit durch die verpflichtende Einführung von hochentwickelten Fahrerassistenzsystemen weiter zu verbessern. Der in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung 2019/2144 beschriebene intelligente Geschwindigkeitsassistent stellt ein solches hochentwickeltes Fahrerassistenzsystem im Sinne der Verordnung dar.

Die konkrete Funktionsweise sowie die technischen Anforderungen an den ISA werden in der delegierten Verordnung 2021/1958 und deren Anhängen näher beschrieben. Soweit im Folgenden auf bestimmte Ziffern Bezug genommen wird, sind damit die Bestimmungen in Anhang I der delegierten Verordnung 2021/1958 gemeint.

Ausgestaltung und Funktionsweise des ISA

Fester Bestandteil des ISA-Systems ist gemäß Ziffer 2.1 die Speed Limit Information Function („SLIF“). Entsprechende Informationssysteme sind bereits seit geraumer Zeit im Kfz-Bereich bekannt, wie etwa die Einblendung der vom Fahrzeug erkannten zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Kombiinstrument oder Head-Up Display.

Die weitere Ausgestaltung des ISA ist variabel. So kann die SLIF zum einen mit einer sogenannten Geschwindigkeitsbegrenzungs-Warnfunktion (Speed Limit Warning Function, kurz „SLWF“) kombiniert werden. Wie der Name erahnen lässt, warnt diese Funktion aktiv und für den Fahrer möglichst wahrnehmbar bei Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Nach Ziffer 3.5.2 kann diese Warnung in verschiedenen Formen erfolgen; zum Beispiel visuell und kaskadenartig akustisch oder aber nur haptisch über das Beschleunigungspedal. Zum anderen kann das ISA mit einer Geschwindigkeitsregelungsfunktion (Speed Control Function, kurz „SCF“) ausgestattet werden, die bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit interveniert und die Geschwindigkeit automatisch reduziert.

Technische Vorgaben

Bei bereits mit ISA ausgestatteten und im Feld befindlichen Fahrzeugen gibt es Kundenstimmen, die das System eher als störend empfinden, da etwa akustische Warnhinweise bereits bei marginaler Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgen und das Assistenzsystem nicht dauerhaft deaktivierbar ist. Diese technische Ausgestaltung kann den Herstellern aber nicht „angelastet“ werden, da letztere insoweit an technische Vorgaben gebunden sind. Im Einzelnen:

  • Die Warnung (oder je nach Systemausprägung auch die automatische Reduzierung der Geschwindigkeit) durch den ISA muss bereits bei geringer Überschreitung der vom System erkannten zulässigen Höchstgeschwindigkeit erfolgen. Nach Ziffer 3.2.3 ist in Bezug auf die Geschwindigkeit eine Toleranz von maximal 3,0 % zulässig. Dies bedeutet etwa bei Tempo 50 eine Toleranz von lediglich 1,5 km/h.
  • Nach Ziffer 3.2.1 muss der ISA grundsätzlich deaktivierbar sein. Eine dauerhafte Deaktivierung ist indes nicht erlaubt. Das heißt, dass das System spätestens nach einem Neustart des Fahrzeugs automatisch wieder aktiv ist (vgl. Ziffer 3.2.1.1).
  • Soweit in Internet-Foren teilweise von einer hohen Fehleranfälligkeit des ISA beim Erkennen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit berichtet wird, so dürften diese Erfahrungen eher subjektiver Natur sein. Nach Ziffer 2.2 muss der ISA so konzipiert sein, dass die Fehlerquote im praktischen Fahrbetrieb bei null liegt oder jedenfalls „möglichst niedrig“ ausfällt. Bei Verwendung einer leistungsfähigen Verkehrszeichenerkennung in Kombination mit GPS-Daten sowie digitalem Kartenmaterial sollte sich eine hohe Zuverlässigkeit des Systems darstellen lassen (siehe in diese Richtung auch Erwägungsgrund 14 der delegierten Verordnung 2021/1958).

Automatische Deaktivierung bei Steuerung durch ALKS

Vor dem Hintergrund zunehmender Fahrzeugautomatisierung verbirgt sich ein spannender Aspekt in Ziffer 3.2.2, wonach eine automatische Deaktivierung des ISA zulässig ist, wenn das Fahrzeug von einem Automated Lane Keeping System (kurz „ALKS“) gesteuert wird. Die technischen Anforderungen von ALKS werden in der UN-Regelung Nr. 157 näher beschrieben. Es handelt sich hierbei um eine Level-3-Automatisierung, die so weit ausgereift ist, dass das Fahrzeug auf Autobahnen oder entsprechenden Kraftfahrstraßen unter Beachtung der Verkehrsvorschriften die Spur hält, Hindernisse erkennt und selbstständig einen Spurwechsel vornehmen kann. Das ALKS kann mithin unter bestimmten Umständen die Fahraufgabe anstelle des Fahrzeugführers ausführen.

Bei einer Steuerung durch ALKS macht eine Warnung an den Fahrzeugführer keinen Sinn, da das Fahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit selbstständig erkennen und einhalten muss. Bei entsprechend ausgestalteten (und genehmigten) Fahrfunktionen im Sinne von § 1a Abs. 2 StVG ist es dem Fahrzeugführer in Deutschland gemäß § 1b Abs. 1 StVG auch verhaltensrechtlich erlaubt, sich vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abzuwenden. Er darf sich insoweit (in den Grenzen von § 1b Abs. 2 Nr. 2 StVG, also etwa offensichtliche Fehlfunktionen des Systems) auf das korrekte Funktionieren der automatischen Fahrfunktion und die Einhaltung der Verkehrsvorschriften verlassen.

Fazit und Ausblick

Es wird sich zeigen, ob die verpflichtende Einführung des ISA auf eine breite Kundenakzeptanz stoßen wird. Viele Hersteller sind mittlerweile dazu übergegangen die Deaktivierung des ISA nicht allein in einer (möglicherweise verschachtelten) Menüstruktur der Fahrzeugeinstellungen zu verorten, sondern dem Fahrer eine Deaktivierung des Systems, etwa auch am Lenkrad, durch langes Drücken einer Taste zu ermöglichen. Im Ergebnis haben die Hersteller gewisse Gestaltungsspielräume.

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