Neues "Standbein" des Bundeskartellamts in der deutschen Fusionskontrolle
Am 07.11.2023 trat die 11. GWB-Novelle in Kraft (siehe bereits unsere Noerr News). Sie hat die Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamtes im Anschluss an Sektoruntersuchungen gerade mit Blick auf die Fusionskontrolle in Deutschland (siehe dazu bereits unseren Competition Outlook 2023) wesentlich erweitert.
Erweiterte Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamts in der Fusionskontrolle
Seit Juli 2005 hatte das Bundeskartellamt das Recht, einzelne Wirtschaftszweige oder Arten von Vereinbarungen zu untersuchen, wenn entsprechende Umstände vermuten ließen, dass der Wettbewerb eingeschränkt oder verfälscht war (Sektoruntersuchung). Von dieser Möglichkeit machte das Bundeskartellamt regen Gebrauch.
Bisher endete eine Sektoruntersuchung grundsätzlich lediglich mit der Veröffentlichung eines Abschlussberichts. Konkrete Abhilfemaßnahmen konnte das Bundeskartellamt nur dann treffen, wenn – im Rahmen eines separaten Verfahrens – ein individueller Verstoß gegen das Kartell- oder das Missbrauchsverbot festgestellt wurde. Nunmehr gewährt die mit der 11. GWB-Novelle eingeführte Neuregelung in § 32f GWB dem Bundeskartellamt zusätzlich auch das Recht zu präventiven Eingriffen, ohne dass ein konkreter Kartellverstoß vorliegen muss. Diese neuen Eingriffsmittel werden sich auch auf die deutsche Fusionskontrolle auswirken.
Bestehen objektiv nachvollziehbare Anhaltspunkte für eine erhebliche Behinderung wirksamen Wettbewerbs durch zukünftige Zusammenschlüsse, können Unternehmen aus dem untersuchten Sektor verpflichtet werden, zukünftig sämtliche Zusammenschlüsse anzumelden. Die üblichen Umsatzschwellen des deutschen Rechts gelten dann nicht. Ausreichend ist, wenn der Erwerber Umsatzerlöse von mehr als EUR 50 Mio. und die Zielgesellschaft von mehr als EUR 1,0 Mio. in Deutschland erzielt hat. Diese besondere Anmeldeverpflichtung gilt zunächst für drei Jahre, kann aber bis zu dreimal um jeweils drei Jahre verlängert werden.
Das Bundeskartellamt wird nun auch den Verkauf von Unternehmensteilen oder Vermögenswerten anordnen können. Hierfür hat das Bundeskartellamt zunächst festzustellen, dass auf mindestens einem bundesweiten Markt eine erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs besteht und andere Abhilfemaßnahmen nicht in Betracht kommen. Eine solch drastische Anordnung kann jedoch nur gegenüber einem marktbeherrschenden Unternehmen bzw. Unternehmen mit einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb (§ 19a Abs. 1 GWB) erlassen werden.
Gegenüber nicht marktmächtigen Unternehmen, die jedoch durch ihr Verhalten und ihre Bedeutung für die Marktstruktur zur Störung des Wettbewerbs wesentlich beitragen, können nur mildere Maßnahmen angeordnet werden. Diese können verhaltensbezogen oder struktureller Art sein und, sofern zur Beseitigung oder Verringerung der Wettbewerbsstörung erforderlich, bis zum Unbundling – der buchhalterischen oder organisatorischen Trennung von Unternehmens- und Geschäftsbereichen – reichen. Unterhalb dieser Schwelle kann das Bundeskartellamt beispielsweise anordnen, dass Zugang zu Daten, Schnittstellen und Netzen gewährt wird, dass bestimmte Vertragsformen oder -gestaltungen oder sonstige Vorgaben eingehalten oder transparente, diskriminierungsfreie und offene Normen und Standards etabliert werden.
Ausblick
Das Bundeskartellamt soll Verfügungen, in denen es von seinen neuen Eingriffsmöglichkeiten Gebrauch macht, innerhalb von 18 Monaten treffen, nachdem der Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung veröffentlicht wurde. Seit dem Inkrafttreten der Neuregelungen am 07.11.2023 bzw. in den 18 Monaten zuvor, hat das Bundeskartellamt zwei Abschlussberichte veröffentlicht: zur Sektoruntersuchung Erfassung von Siedlungsabfällen und Aufbereitung von Hohlglas (28.12.2023) und zur Sektoruntersuchung Online-Werbung (15.05.2023). Jedenfalls in diesen beiden Wirtschaftsbereichen könnte das Bundeskartellamt versuchen, seine neuen Befugnisse einzusetzen. Erst recht gilt dies für noch laufende Sektoruntersuchungen in den Wirtschaftsbereichen Raffinerien und Kraftstoffgroßhandel sowie für den Bereich Ladesäulen-Infrastruktur.
Dieser Artikel ist Teil des Competition Outlook 2024. Alle Artikel des Competition Outlooks finden Sie hier.