BGH-Urteil: Auch bei Pandemie keine pauschale Anwendung von § 313 BGB im Gewerbemietrecht
Seit Beginn der Corona-Krise wurden zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie verschiedene staatliche Anordnungen erlassen. Durch diese wurden zahlreiche Gewerbemieter gezwungen, den Geschäftsbetrieb in ihren Mieträumen temporär einzustellen oder zumindest zu beschränken. Zwischen den Mietvertragsparteien führte dies regelmäßig zu der Frage, ob ein Mieter trotz der regulatorischen Beschränkungen weiterhin zur Zahlung der ungeschmälerten Miete verpflichtet ist oder etwa aufgrund eines vermeintlichen Mietmangels, der Unmöglichkeit der Hauptleistungspflicht oder einer Störung der Geschäftsgrundlage von der Mietzahlungsverpflichtung ganz oder teilweise befreit ist (vgl. Beitrag vom 19. März 2020: „Auswirkungen der Corona-Krise auf die Pflicht zur Mietzahlung“).
Unter Hochdruck verabschiedete der Gesetzgeber zur Beseitigung der bestehenden Rechtsunsicherheiten eine Gesetzesänderung, die jedoch weder zu der angestrebten Klärung der Rechtslage führte noch den Diskussionen zwischen den Mietvertragsparteien ein Ende setzte (vgl. Beitrag vom 15.01.2021: „Neues Gesetz: Störung der Geschäftsgrundlage wegen COVID-19 im Gewerbemietrecht und Auswirkungen auf die Immobilienfinanzierung“). Auch die seit Beginn der COVID-19-Pandemie ergangene Rechtsprechung der Instanzgerichte war uneinheitlich und trug wenig zur Rechtsklarheit bei.
Mit Urteil vom 12.01.2022 entschied nun erstmals der Bundesgerichtshof zu dem Thema. Große Überraschungen enthielt das Urteil nicht: Ob ein Mieter bei pandemiebedingter Schließungsanordnung einen Anspruch auf Anpassung der Miete gemäß § 313 BGB hat, ist und bleibt eine Frage des Einzelfalls. Im Übrigen, so entschied der Bundesgerichtshof, führt eine staatliche Schließungsanordnung grundsätzlich weder zu einem Mangel der Mietsache noch zu einem Ausschluss der Mietzahlungspflicht wegen Unmöglichkeit.
I. Sachverhalt und Prozessverlauf
Das BGH-Urteil betraf einen Textildiscounter in Sachsen, der aufgrund einer landesrechtlichen Allgemeinverfügung zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie sein Ladengeschäft zeitweise schließen musste. Während der Vermieter auch für diesen Zeitraum die Zahlung der Miete in ungeschmälerter Höhe verlangte, wies der Mieter den Zahlungsanspruch vollständig zurück und berief sich auf die Mangelhaftigkeit der Mietsache gemäß § 536 Abs. 1 BGB, Befreiung vom Mietzahlungsanspruch gemäß §§ 326 Abs. 5, 275 BGB wegen Unmöglichkeit sowie auf eine Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB.
In erster Instanz war das Landgericht Chemnitz mit der Sache befasst und verurteilte den Mieter zur Zahlung der gesamten Miete. Im Berufungsverfahren hob das OLG Dresden das Urteil des Landgerichts Chemnitz auf, verurteilte den Mieter lediglich zur Zahlung von 50% der Miete und wies den Mietzahlungsanspruch im Übrigen zurück. Das OLG Dresden stützte sich dabei auf § 313 Abs. 1 BGB, welcher – so das Gericht – eine (pauschale) Herabsetzung der Miete um 50% rechtfertige, da keine der Vertragsparteien die Ursache für die Pandemie gesetzt oder diese vorausgesehen habe. Dem trat der BGH nun entgegen: Eine solche pauschale Anwendung von § 313 Abs. 1 BGB ist rechtsfehlerhaft.
II. Kein Mangel der Mietsache
Der BGH stellt zunächst klar, dass die landesrechtliche Schließungsanordnung nicht zu einem Mietmangel führte und damit auch kein Minderungsrecht des Mieters gemäß § 536 Abs. 1 BGB vorliege. Ein Mietmangel sei nur bei öffentlich-rechtlichen Gebrauchshindernissen denkbar, die an die Beschaffenheit der Mietsache anknüpfen. Im vorliegenden Fall sei dies nicht gegeben. Nach dieser Klarstellung wird es Mietern künftig verwehrt sein, die Mietzahlung während einer Schließungsanordnung unter Berufung auf einen Mietmangel § 536 Abs. 1 BGB zurückzuweisen.
Anders mag die Rechtslage jedoch zu bewerten sein, wenn der Adressat einer öffentlich-rechtlichen Schließungsanordnung nicht der Mieter, sondern der Vermieter ist oder eine Schließungsverfügung an den konkreten Mietgegenstand oder die konkrete Art des Gebäudes anknüpft. Insofern ist auch künftig weiterhin im Einzelfall zu prüfen, ob eine Schließungsanordnung zu einem Mietmangel führt.
III. Kein Ausschluss der Mietzahlungspflicht wegen Unmöglichkeit
Ferner bestätigt der BGH, dass der Anspruch des Vermieters auf Zahlung der Miete nicht gemäß §§ 326 Abs. 5, 275 BGB wegen Unmöglichkeit der Pflicht des Vermieters zur vertragsgemäßen Überlassung der Mietsache ausgeschlossen ist. Denn es sei dem Vermieter auch während des Schließungszeitraums weiterhin möglich gewesen, dem Mieter den vertragsgemäßen Gebrauch zu gewähren. Hierauf wird sich ein Mieter künftig regelmäßig also nicht mehr berufen können.
IV. Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB
Nach Auffassung des BGH kommt allerdings ein Anspruch des Mieters auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht.
Dabei geht der Bundesgerichtshof detailliert auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale ein, welche für eine Störung der Geschäftsgrundlage vorliegen müssen. Zwei der drei maßgeblichen Voraussetzungen (sog. „reales Element“ und „hypothetisches Element“) hält der BGH aufgrund der hoheitlich angeordneten Ladenschließungen für gegeben. Ob darüber hinaus auch das dritte Tatbestandsmerkmal zu bejahen sei, ließ der BGH offen:
Für das sogenannte „normative Element“ ist nach dem Wortlaut von § 313 Abs. 1 BGB erforderlich, dass dem betroffenen Vertragspartner „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“
Das OLG Dresden als zuständiges Berufungsgericht hatte diese Einzelfallbetrachtung nach Auffassung des BGH nicht rechtsfehlerfrei vorgenommen. Eine pauschale Herabsetzung der Miete um 50%, wie sie das Berufungsgericht vorgenommen hat, werde der gebotenen Einzelfallbetrachtung nicht gerecht. Zunächst sei zu überprüfen, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind, wobei auf den Umsatzrückgang im konkreten Mietobjekt während der Zeit der Schließung abzustellen sei (nicht z.B. auf den Konzernumsatz). Ferner sei im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder hätte ergreifen können, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern. Auch seien finanzielle Vorteile zu bedenken, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile oder aus einstandspflichtigen Betriebsversicherungen erlangt hat. Behauptet der Mieter, keine staatlichen Unterstützungsleistungen erhalten zu haben, müsse er darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass er sich um mögliche Hilfeleistungen vergeblich bemüht hat. Eine tatsächliche Gefährdung der Existenz des Mieters sei für die Anwendung von § 313 Abs. 1 BGB hingegen nicht erforderlich.
Auch ist zu beachten, dass es bei der Beurteilung nicht nur auf einen Umsatzrückgang als solchen ankomme. Dieser muss vielmehr derart erheblich sein, dass es dem Mieter unzumutbar ist, die vollständige Miete zu leisten. Hat der Mieter die Mietzahlung zunächst ausgesetzt und leistet er in den Folgemonaten wieder die volle Miete an den Vermieter, müsse sich das Berufungsgericht auch mit der Frage befassen, ob der Umsatzrückgang des Mieters tatsächlich so erheblich war, dass für ihn die ungeschmälerten Mietzahlungen unzumutbar waren. Diese vermieterfreundliche Betrachtungsweise könnte insbesondere vertragstreuen Mietern entgegengehalten werden, die ihren mietvertraglichen Pflichten trotz der erschwerten Bedingungen auch während der Pandemie weitestmöglich nachgekommen sind.
Im Ergebnis lässt der BGH offen, ob das „normative Element“ von § 313 Abs. 1 BGB im zugrunde liegenden Fall tatsächlich vorliegt und damit ein Anspruch des Mieters auf Herabsetzung der Miete gegeben ist. Zur Beurteilung dieser Frage wird die Sache an das OLG Dresden als Berufungsgericht zurückverwiesen.
Auch wenn der BGH also die Möglichkeit einer Anwendung von § 313 Abs. 1 BGB aufgrund pandemiebedingter Schließungsanordnungen ausdrücklich bestätigt, verneint er den Anspruch des Mieters auf einen pauschalen „50%-Abschlag“. Zu der Höhe einer möglicherweise gebotenen Herabsetzung der Miete äußert sich der BGH hingegen nicht.
V. Fazit
Das BGH-Urteil bringt Klarheit darüber, dass eine pandemiebedingte hoheitliche Schließungsanordnung grundsätzlich weder einen Mietmangel begründet noch den Anspruch des Vermieters auf Mietzahlung wegen Unmöglichkeit ausschließt. Ferner stellt der Bundesgerichtshof hohe Anforderungen an die im Rahmen von § 313 Abs. 1 BGB erforderliche Unzumutbarkeit für den Mieter.
Auch wenn der Bundesgerichtshof im Urteil nicht näher auf die Höhe einer angemessenen Herabsetzung der Miete eingeht, lässt die Urteilsbegründung vermuten, dass er auch insoweit den Ausnahmecharakter von § 313 Abs. 1 BGB im Blick behalten wird und Mietern keine exzessiven Mietreduzierungen im Fall von pandemiebedingten hoheitlichen Schließungsanordnungen oder gar geringeren Beschränkungen zusprechen wird.
Im Ergebnis bleibt abzuwarten, wie die vom Bundesgerichtshof geforderte Einzelfallbetrachtung künftig aussehen und nach welchen Kriterien er die Höhe einer angemessenen Herabsetzung der Miete festlegen wird.
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