Beschränkung des grenzüberschreitenden Handels als Enforcementpriorität der Kommission? EUR 337,5 Mio. Bußgeld gegen Mondelēz
Kürzlich verhängte die Europäische Kommission („Kommission“) eine Geldbuße iHv EUR 337,5 Mio. gegen Mondelēz International, Inc. („Mondelēz“) – einer der weltweit größten Schokoladen- und Kekshersteller, bekannt für seine Marken wie Côte d‘Or, Milka, Oreo, Ritz, Toblerone und TUC.
Laut Pressemitteilung (Entscheidung noch nicht veröffentlicht) wirft die Kommission Mondelēz einen Verstoß sowohl gegen das EU-Kartellverbot (Art. 101 AEUV) als auch gegen das EU-Missbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) wegen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels in der Europäischen Union bei verschiedenen Produkten vor.
Der freie grenzüberschreitende Handel führt in der Regel zu stärkerem Preiswettbewerb und einer Preissenkung in den Ländern mit höherem Preisniveau. Laut Kommission habe Mondelēz durch ein Netz aus verschiedenen Maßnahmen und Vereinbarungen diesen Handel bei einigen Produkten beschränkt, um in den verschiedenen Mitgliedstaaten ein möglichst hohes Preisniveau sicherzustellen.
I. Beschränkung der Weiterverkaufsmöglichkeiten als Verstoß gegen das EU-Kartellverbot
Für den Zeitraum 2006 bis 2020 hat die Kommission insgesamt 22 Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Mondelēz identifiziert, die nach ihrer Auffassung gegen das EU-Kartellverbot verstießen. Dazu gehören (i) die Beschränkung des Verkaufsgebiets bzw. der zu adressierenden Kunden von sieben Großhändlern; (ii) in einem Fall die Verpflichtung, für Verkäufe außerhalb des eigenen Verkaufsgebiets einen höheren Preis zu verlangen; sowie (iii) die Verpflichtung von zehn Alleinvertriebshändlern, Verkaufsanfragen von Kunden außerhalb des eigenen Vertriebsgebiets nicht ohne vorherige Genehmigung durch Mondelēz zu beantworten.
Das EU-Kartellverbot verbietet grundsätzlich Vereinbarungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken.
Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels sieht die Kommission typischerweise als besonders schädlich für den Wettbewerbsprozess an. Dies insbesondere deshalb, weil diese Beschränkungen zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes entlang nationaler Grenzen führen und damit dem erklärten Unionsziel der Schaffung eines integrierten Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 EUV) diametral entgegenlaufen.
II. Lieferverweigerungen und Lieferstopps als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung
Zudem habe Mondelēz zwischen 2015 und 2019 seine marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für Tafelschokoladen missbraucht, indem Mondelēz (i) sich weigerte, einen Großhändler in Deutschland zu beliefern und (ii) die Lieferung bestimmter Tafelschokoladen in die Niederlande stoppte. Beide Maßnahmen hätten nach Darstellung der Kommission verhindert, dass Produkte aus Mitgliedstaaten mit niedrigerem Preisniveau in Mitgliedstaaten mit höherem Preisniveau gelangen.
Das EU-Missbrauchsverbot verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verhindern oder beschränken kann. Einen Verstoß gegen das Missbrauchsverbot durch Marktaufteilung stellte die Kommission zuletzt 2019 fest. Der weltgrößte Bierbrauer Anheuser-Busch habe Verkäufe der Biermarke Jupiler aus den Niederlanden nach Belgien behindert.
An einen Verstoß bestehen grundsätzlich hohe Anforderungen. Die marktbeherrschende Stellung muss im Einzelfall festgestellt werden. Im Regelfall setzt sie aber hohe Marktanteile voraus (siehe Noerr News Artikel). Die Kommission hält die „künstliche Aufteilung des Binnenmarktes“ in diesem Fall für missbräuchlich, weil sie für Verbraucher negative Auswirkungen auf die Preise und das Produktangebot in der EU habe.
III. Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts als wiederentdeckte Priorität der Kommission – nicht nur im Lebensmittelbereich
Vize-Kommissionspräsidentin Vestager betonte in ihren Anmerkungen zu der Mondelēz-Entscheidung die Bedeutung der Warenverkehrsfreiheit im Binnenmarkt. Gerade im Bereich Lebensmittel sei das Preisniveau in den Mitgliedstaaten unterschiedlich hoch. Der grenzüberschreitende Handel könne zu niedrigeren Preisen und zu einem größeren Produktangebot für die Verbraucher beitragen.
Die Mondelēz-Entscheidung sei nur ein Teil der groß angelegten Bemühungen der Kommission im Lebensmittelbereich für wirksamen Wettbewerb zu sorgen. Aber auch über diesen Bereich hinaus sollten die Unternehmen die Entscheidung laut Vestager als Warnung verstehen: Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels stehen wieder vermehrt im Fokus der Kommission. Bislang lag der Schwerpunkt dabei auf dem Kartellverbot. Die Entscheidung deutet darauf hin, dass die Kommission bei einer entsprechenden Marktposition der Unternehmen auch vermehrt das Missbrauchsverbot heranziehen könnte.
IV. Verstoß gegen bekannte Fallpraxis der Kommission als bußgelderhöhender Faktor?
Wie wichtig ein wirksamer grenzüberschreitender Handel im Binnenmarkt für die Kommission ist, lässt sich nicht zuletzt an der Höhe des gegen Mondelēz verhängten Geldbuße erkennen, die ohne die Kooperation des Unternehmens um 15% höher ausgefallen wäre.
Die Bemessung einer Geldbuße richtet sich nach den Bußgeldleitlinien der Kommission. Zu berücksichtigende Faktoren sind danach insbesondere der Wert der verkauften Waren oder Dienstleistungen, die Schwere und die Dauer des Verstoßes. Die Leitlinien konkretisieren die Bemessung zwar, räumen der Kommission aber dennoch einen recht großen Spielraum ein. In diesem Fall wurde augenscheinlich berücksichtigt, dass aufgrund vergangener Entscheidungen zur Beschränkung des grenzüberschreitenden Handelns eine „klare Entscheidungspraxis“ der Kommission bestehe. Die Kommission verweist auf die Verhängung einer Geldbuße (i) gegen Valve (Inhaber der Gaming-Plattform Steam) und andere Videospielhersteller im Jahr 2021 wegen „Geoblocking“-Maßnahmen, sowie (ii) Anheuser-Busch.
Der Standpunkt bzw. die Warnung der Kommission ist eindeutig. Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels werden auch künftig nicht geduldet und können zu signifikanten Bußgeldern führen.
V. Ausblick und praktische Implikationen
Unternehmen sollten ihre Vertriebspraxis im Binnenmarkt fortlaufend in Hinblick auf mögliche Beschränkungen des grenzüberschreitenden Handels überprüfen. Denn diese Beschränkungen stehen – nicht nur im Bereich Lebensmittel – wieder vermehrt im Fokus der Kommission. Das zeigen beispielsweise auch die – noch nicht offiziell bestätigten – Durchsuchungen mehrerer Betriebsstätten von Red Bull durch die Kommission im März 2023. Dabei leitet die Kommission Untersuchungen nicht nur auf Hinweise Dritter ein, sondern auch auf eigene Initiative.
Nicht jeder Fall wird so klar wie dieser gelagert sein. Sofern ein Unternehmen keine marktbeherrschende Stellung innehat, gibt es sicherlich auch mehr Gestaltungsspielraum in Bezug auf die Vertriebsstrategie. Beispielsweise lässt sich aus der Adalat-Entscheidung des EuGH (6. Januar 2004) durchaus ableiten, dass jedenfalls eine einseitige Kontingentierungspolitik eines Herstellers, die im Einzelfall bei Überschreitung des jeweiligen Kontingentes zu einer teilweisen oder vollständigen Lieferverweigerung führen kann, nicht gegen das Kartellverbot verstoßen muss.
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