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Gerichte kippen Corona-bedingte Beherbergungs­verbote und Sperr­stunden

23.10.2020

*****Update vom 24.10.2020: Auch Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein kippt Beherbergungsverbot *****

Auf Eilanträge mehrerer Hotelbetreiber hat nun auch das Oberverwaltungsgericht Schleswig Holstein das Beherbergungsverbot in dem Bundesland für voraussichtlich rechtswidrig erklärt und außer Vollzug gesetzt (23.10.2020, Az. 3 MR 47/20). Zuvor hatte das OVG noch einen Eilantrag einer außerhalb Schleswig-Holsteins ansässigen Einzelperson gegen das Beherbergungsverbot abgewiesen.

Das OVG erachtete es nun – wie schon zuvor Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer – für maßgeblich, dass es nach den neuesten Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts nicht erkennbar sei, dass Ansteckungen mit dem Corona-Virus in Hotels besonders verbreitet wären. Dies sei aber erforderlich, um den schwerwiegenden Eingriff in die Rechte der Beherbergungsbetriebe und die zu erwartenden schweren wirtschaftlichen Nachteile zu rechtfertigen. Überdies hielt das Gericht die Maßnahme für gleichheitswidrig. 

 
News vom 23. Oktober 2020

Die von Bundesländern angesichts des steigenden Covid-19-Infektionsgeschehens verhängten Beherbergungsverbote sind von Gerichten überwiegend außer Kraft gesetzt worden. Auch Sperrstunden scheiterten teilweise vor Gericht. Es zeichnet sich ab, dass die Rechtsprechung die behördlichen Infektionsschutzmaßnahmen mittlerweile einem strengeren Kontrollmaßstab unterzieht als noch zu Beginn der Pandemie. Die weitere Entwicklung lässt sich jedoch schwer vorhersehen.

Gerichte kippen Beherbergungsverbote überwiegend und Sperrstunden teilweise

In einer Kaskade von Entscheidungen haben der Verwaltungsgerichtshof von Baden-Württemberg (15.10.2020, Az. 1 S 3156/20) und die Oberverwaltungsgerichte von Niedersachsen (15.10.2020, Az. 13 MN 371/20), Brandenburg (16.10.2020, Az. OVG 11 S 87/20 u. 88/20) und Mecklenburg-Vorpommern (20.10.2020, Az. 2 KM 702/20 OVG) die Beherbergungsverbote der jeweiligen Bundesländer in Eilentscheidungen für voraussichtlich rechtswidrig erklärt und gekippt. Maßgebliches rechtliches Argument dabei: Es sei nicht dargelegt, dass im Zusammenhang mit der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko bestehe, dem mit so drastischen Maßnahmen begegnet werden müsste. Denn derzeit seien trotz steigender Fallzahlen in Deutschland keine Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt.

Demgegenüber haben die Oberverwaltungsgerichte in Schleswig-Holstein (15.10.2020, Az. 3 MR 45/20) und Hamburg (16.10., Az. 5 Bs 186/20) die dortigen Beherbergungsverbote aufrechterhalten. Sie erachteten die Rechtslage für offen und maßen in der deshalb erforderlichen Interessenabwägung den Schutzgütern Leben und Gesundheit der Menschen größeres Gewicht zu als dem privaten Interesse der Antragsteller an der Realisierung ihres Erholungsurlaubs. In Schleswig-Holstein war zudem maßgeblich, dass das Beherbergungsverbot durch einen negativen Corona-Test abgewendet werden konnte. Das Bundesverfassungsgericht hat einen dagegen gerichteten Eilantrag mangels hinreichender Begründung als unzulässig abgewiesen (22.10.2020, Az. 1 BvQ 116/20).

Auch die Corona-bedingten Sperrstunden sind Gegenstand gerichtlicher Überprüfung. In mehreren Entscheidungen hat das Verwaltungsgericht Berlin die Sperrstunden für Gastronomen (15.10.2020, Az. VG 14 L 422/20) und Einzelhändler (20.10.2020, Az. VG 14 L 426/20) gekippt. Auch hier stand rechtlich im Vordergrund, dass Gaststätten bzw. Einzelhandelsgeschäfte unter den bislang geltenden Schutz- und Hygienemaßnahmen keinen derart wesentlichen Anteil am Infektionsgeschehen hatten, dass wegen der nunmehr zu verzeichnenden starken Zunahme von Neuinfektionen eine Sperrstunde als weitere Maßnahme erforderlich sei. Demgegenüber erachtete der Hessische Verwaltungsgerichtshof (16.10.2020, Az. 6 B 2515/20) die Sperrstunde der Stadt Frankfurt für Gaststättengewerbe sowie für öffentliche Vergnügungsstätten für voraussichtlich rechtmäßig.

Insgesamt lassen die jüngeren Entscheidungen erkennen, dass die Rechtsprechung behördliche Corona-Infektionsschutzmaßnahmen angesichts einer breiteren Datenlage mittlerweile einem strengeren Kontrollmaßstab unterzieht als noch zu Beginn der Pandemie. Der – auch weiterhin anerkannte – weite behördliche Einschätzungsspielraum in Bezug auf die notwendigen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmen muss mit einer hinreichend belastbaren Prognose darüber unterlegt sein, dass die konkrete Maßnahme gerade mit Blick auf die von ihrem Gegenstand ausgehende Infektionsgefahr gerechtfertigt ist. Dies dürfte auch für weitere Corona-bedingte Beschränkungen fraglich sein.

Zahlreiche Infektionsschutzmaßnahmen weiterhin in Kraft, weitere Entwicklung unklar

Ob diese jüngste Entwicklung in der Rechtsprechung anhält, ist unklar. Zahlreiche weitreichende Corona-bedingte Beschränkungen insbesondere im Kultur- und Veranstaltungssektor sind weiterhin in Kraft, ohne dass Klagen hiergegen bislang überwiegend erfolgreich gewesen wären (vgl. etwa Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 15.09.2020, Az. 20 NE 20.2035). Zudem befindet sich Deutschland am Anfang einer zweiten Corona-Welle, die – gepaart mit Grippesaison und witterungsbedingten Einschränkungen – deutlich schwerer ausfallen könnte als die erste Welle. Im Landkreis Berchtesgadener Land wurde bereits ein Lockdown verhängt. In einer solchen Gemengelage könnten Gerichte gerade bei dynamischem Infektionsgeschehen geneigt sein, den Belangen des Gesundheitsschutzes Vorrang zuzusprechen und aktuell geltende oder sogar verschärfte Beschränkungen aufrechtzuerhalten.

Entschädigungsansprüche bislang vor Gericht nicht erfolgreich

Auch deshalb hält die Diskussion um mögliche Entschädigungsansprüche für Betriebe zahlreicher Branchen infolge Corona-bedingter Betriebsschließungen und Beschränkungen weiter an. Für entsprechende Ansprüche sprechen insbesondere für hart betroffene Branchen rechtlich gesehen gute Gründe (vgl. unsere News vom 09.06.2020). In den wenigen bislang bekannten Fällen wurden Entschädigungsansprüche vor Gericht jedoch abgewiesen, zuletzt vom Landgericht Berlin (13.10.2020, Az. 2 O 247/20). Die weitere Entwicklung bleibt deshalb abzuwarten.