Update Foreign Subsidies Regulation: Allererste eingehende Prüfung der Europäischen Kommission in M&A-Transaktion eingeleitet
Die Europäische Kommission hat am Montag, den 10. Juni 2024, ihre erste eingehende Prüfung (in-depth investigation) einer M&A-Transaktion nach der Foreign Subsidies Regulation („FSR“) eingeleitet. Es ist der allererste Fall in der noch jungen Geschichte der FSR, in dem drittstaatliche Subventionen im Rahmen einer M&A-Transaktion vertieft geprüft werden. Das eingehende M&A-Prüfverfahren betrifft – anders als die bisherigen eingehenden Prüfungen im Kontext von Vergabeverfahren – kein chinesisches Unternehmen. Die Prüfung der M&A-Transaktion wurde im Hinblick auf den (Teil-)Erwerb eines europäischen Targets durch einen staatlich kontrollierten Telekommunikationsanbieter aus den Vereinigten Arabischen Emiraten („VAE“) eröffnet.
(Teil-)Erwerb eines europäischen Telekommunikationsanbieters durch staatlich kontrolliertes Unternehmen aus den VAE
Anlass der Prüfung durch die Europäische Kommission ist der Erwerb der alleinigen Kontrolle an der PPF Telecom Group B.V. („PPF“; mit Ausnahme der tschechischen Geschäfte) durch die Emirates Telecommunications Group Company PJSC („e&“). Der Kaufpreis soll laut öffentlicher Quellen rund EUR 2,2 Mrd. betragen.
Die Erwerberin e& ist ein staatlich kontrollierter Telekommunikationsanbieter aus den VAE, der u.a. Mobilfunk-Dienstleistungen anbietet. PPF ist ein europäischer Telekommunikationsanbieter, der in der Tschechischen Republik, Bulgarien, Ungarn, Serbien und der Slowakei tätig ist. Die Geschäftsbereiche von PPF umfassen Telekommunikationsdienstleistungen und die zugrundeliegende Infrastruktur. PPF verfügt im Telekommunikationssektor über mehr als 10 Mio. Kunden.
Die Europäische Kommission gab bekannt, dass ihre Vorprüfung („Phase 1-Prüfung“) im Rahmen des M&A-Notifizierungsverfahrens genügend Anhaltspunkte für drittstaatliche (d.h. nicht aus der Europäischen Union stammende) Subventionen ergeben hätte, die den EU-Binnenmarkt verzerren könnten.
Bei diesen drittstaatlichen Subventionen soll es sich vor allem um (i) eine unbegrenzte Garantie der VAE und (ii) ein unmittelbar der Transaktion dienendes Darlehen von Banken, die von den VAE kontrolliert werden, zu Gunsten der Erwerberin handeln. Derartige Subventionen führen laut der FSR grundsätzlich mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Verzerrung des EU-Binnenmarktes.
Die Europäische Kommission hat daher vorliegend zum einen die Befürchtung, dass e& den Erwerb aufgrund von Subventionen leichter durchführen konnte. Zum anderen bestehen Bedenken, dass die kombinierte Einheit nach dem Zusammenschluss infolge von Subventionen von einer verbesserten Wettbewerbsposition im EU-Binnenmarkt profitieren könnte, insbesondere durch Vorzugsbedingungen bei der Finanzierung von EU-Tätigkeiten.
Die Europäische Kommission wird daher nun prüfen:
- Ob und inwiefern die Subventionen zu tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen auf den Übernahmeprozess geführt haben. Insbesondere, ob es e& durch die finanzielle Unterstützung ermöglicht wurde, andere Interessenten abzuschrecken oder zu überbieten und ob die finanzielle Unterstützung die Übernahme überhaupt erst möglich gemacht hat.
- Ob und inwiefern die Subventionen zu tatsächlichen oder potenziellen negativen Auswirkungen auf den Binnenmarkt durch die Tätigkeiten der nach Durchführung des Zusammenschlusses kombinierten Einheit führen.
Die Europäische Kommission hat für ihre eingehende Prüfung nun grundsätzlich 90 Arbeitstage Zeit, mithin bis zum 15. Oktober 2024, um einen Beschluss zu erlassen.
Hintergrund: Prüfung von M&A-Transaktionen nach der FSR
Das M&A-Transaktionsinstrument ist eine von drei Handlungsmöglichkeiten der Europäischen Kommission nach der FSR (siehe unsere Übersicht vom 17. Januar 2024). Bei Überschreiten bestimmter Schwellenwerte besteht seit Oktober letzten Jahres eine Anmeldepflicht von M&A-Transaktionen bei der Europäischen Kommission. Nach der Anmeldung hat die Europäische Kommission zunächst 25 Arbeitstage Zeit, um im Rahmen einer Phase 1-Prüfung das Vorliegen drittstaatlicher Subventionen und das Risiko einer Binnenmarktverzerrung zu beurteilen. Wenn nach Einschätzung der Europäischen Kommission hinreichende Anhaltspunkte für eine drittstaatliche, den Binnenmarkt verzerrende Subvention vorliegen, leitet sie eine eingehende Prüfung ein („Phase 2-Prüfung“).
Eine weitergehende Übersicht der Auswirkungen der FSR auf M&A-Transaktionen finden sie in unserem Beitrag vom 20. Januar 2023.
Einordnung und weitere Entwicklung
Bereits nach den ersten 100 Tagen der Anwendung der FSR zeigte sich, dass weit mehr M&A-Anmeldungen als erwartet bei der Europäischen Kommission zu notifizieren waren. Bis Mitte Mai 2024 kam es zu 84 Pränotifizierungsverfahren für M&A-Transaktionen (wovon 55 Fälle formell angemeldet und 40 Verfahren bereits abgeschlossen wurden). Somit war es nur noch eine Frage der Zeit, bis auch unter dem M&A-Transaktionsinstrument eine eingehende Prüfung eingeleitet werden würde.
Hervorzuheben ist zum einen, dass das neue Verfahren unter allen bisher eingeleiteten eingehenden Prüfungen die allererste Prüfung im Rahmen einer M&A-Transaktion ist. Da alle bisherigen eingehenden Prüfungen (im Kontext von Vergabeverfahren) durch den Rückzug des jeweiligen Bieters aus dem Vergabeverfahren vorzeitig beendet wurden, existiert bisher noch keine formelle Entscheidung der Europäischen Kommission unter der FSR, welche detaillierter Aufschluss über den von der Europäischen Kommission angelegten materiellen Prüfungsmaßstab und die Prüfungstiefe geben könnte. Das neue Verfahren bietet nun eine weitere Gelegenheit für eine eingehende Prüfung der Europäischen Kommission, welche mit einer formellen Entscheidung abschließen könnte. Hieraus könnten sich wertvolle Erkenntnisse für die Praxis und künftige Verfahren unter der FSR ergeben.
Zum anderen betrifft die neue eingehende Prüfung, anders als die bisherigen eingehenden Prüfungen im Kontext von Vergabeverfahren, kein chinesisches Unternehmen, sondern ein Unternehmen aus den VAE. Dies könnte möglicherweise die durch die ersten eingehenden Prüfungen entstandenen geopolitischen Spannungen mit China reduzieren, da der Fokus der Europäischen Kommission nunmehr nicht mehr ausschließlich auf China zu liegen scheint. Aufgrund der regen Investitionstätigkeiten einiger Golfstaaten auf dem europäischen Binnenmarkt war es – auch vor dem Hintergrund von deren Wirtschaftskraft und der oft starken Verflechtung von Wirtschaft und Staat – wohl nur eine Frage der Zeit, bis auch Unternehmen der Golfregion von einem Prüfverfahren unter der FSR betroffen sein würden. Es ist durchaus denkbar, dass die Golfregion ein weiterer geographischer Schwerpunkt für Prüfverfahren der Europäischen Kommission unter der FSR sein wird und es bleibt abzuwarten, ob dies möglicherweise zu weiteren geopolitischen Spannungen führen wird.
Ferner scheint sich nunmehr ein Fokus der Europäischen Kommission auf bestimmte Sektoren herauszubilden. Die bisherigen eingehenden Prüfungen zielten auf die Sektoren Infrastruktur, Energie und Sicherheitstechnik; nun kommt als weiterer Sektor der Telekommunikationssektor hinzu. All diese Sektoren sind nicht nur Teil der staatlichen chinesischen Wirtschaftsplanung und wurden von der Europäischen Kommission unter anderem als Bereiche mit erheblichen Marktverzerrungen in China eingeordnet (siehe Bericht der Europäischen Kommission über erhebliche Verzerrungen in der Wirtschaft der Volksrepublik China vom 10. April 2024, SWD(2024)91). Sie spiegeln sich auch in den Politikzielen der Europäischen Union wider, beispielsweise im Ziel der Klimaneutralität, der Krisenfestigkeit der Industrie oder der Digitalstrategie der Europäischen Union. Es ist zu erwarten, dass sich die eingehenden Prüfungen der Europäischen Kommission unter der FSR auch künftig insbesondere auf die für die strategischen Ziele und Politiken der Europäischen Union besonders relevanten Sektoren konzentrieren werden.
Die Einleitung dieser ersten eingehenden Prüfung nach dem M&A-Transaktionsinstrument ist Teil einer dynamischen Entwicklung und reiht sich ein in die bisherigen eingehenden Prüfungen nach dem Vergaberechtsinstrument (siehe unseren Beitrag vom 19. Februar 2024) sowie Ex officio-Prüfungen (siehe unseren Beitrag vom 11. April 2024 und den Beitrag vom 25. April 2024). Es zeigt sich einmal mehr, dass die Europäische Kommission bereit ist, ihr volles Instrumentarium unter der FSR zu nutzen und diese zu einem scharfen Schwert zu machen. Für Unternehmen gilt es, aufmerksam zu bleiben und künftige Entwicklungen genau im Blick zu behalten.
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