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Neues vom EuGH zur umsatzsteuerlichen Organschaft

22.12.2022

Die umsatzsteuerliche Organschaft beschäftigt den Europäischen Gerichtshof bereits seit geraumer Zeit. Zuletzt hatte sich der EuGH (EuGH v. 01.12.2022, Rs. C-141/20 „Norddeutsche Gesellschaft für Diakonie“ und Rs. C‑269/20 „Finanzamt T“) mit mehreren Vorlagefragen des BFH im Hinblick auf die Vereinbarkeit der nationalen Regelungen zur umsatzsteuerlichen Organschaft mit dem unionsrechtlichen Rahmen zu befassen. Im Ergebnis hat er die im nationalen Umsatzsteuerrecht vorgesehene Erhebung des Organträgers als einzigen Steuerpflichtigen im Organkreis bestätigt (siehe Punkt B.), die finanzielle Eingliederung über das bisher von der Finanzverwaltung bestimmte Maß erweitert (siehe Punkt C.) und die (Nicht-)Steuerbarkeit von Innenleistungen hinterfragt (siehe Punkt D.).

A. Hintergrund

Im Rahmen zweier Vorabentscheidungsersuche begehrten sowohl der XI. als auch der V. Senat des BFH (v. 11.12.2019 – XI R 16/18 sowie v. 7.5.2020 – V R 40/19) Auskunft über die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 und 4 und Art. 21 Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17.05.1977 (heute ersetzt durch die MwStSystRL). Konkret war zu entscheiden, ob (i) ein Mitgliedstaat anstelle der Mehrwertsteuergruppe (des Organkreises) ein Mitglied des Organkreises (nach deutschem Steuerrecht: den Organträger) zum Steuerpflichtigen bestimmen darf, (ii) für das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung zusätzlich zu einer Mehrheitsbeteiligung eine Stimmrechtsmehrheit gefordert werden kann und (iii) mit dem Eintritt in die Organschaft ein typisierender Verlust der Selbstständigkeit der Organgesellschaft einhergeht.

B. Alleinige Steuerpflicht des Organträgers ist unionsrechtskonform

In Bezug auf den maßgeblichen Steuerpflichtigen verwies der EuGH auf seine bisherige Rechtsprechung, wonach die Mehrwertsteuergruppe als solche grundsätzlich als Steuerpflichtiger zu betrachten sei (EuGH v. 22.5.2008 – C-162/07 „Ampliscientifica und Amplifin“, und v. 17.9.2014 – C-7/13 „Skandia America [USA], filial Sverige“). Es müsse jedoch im Einklang mit den Schlussanträgen der Generalanwältin bei mehreren rechtlich selbstständigen Organkreismitgliedern einen einzigen Ansprechpartner geben. Die im deutschen Steuerrecht vorgesehene Bestimmung des Organträgers zum einzigen Steuerpflichtigen und Vertreter des Organkreises, der die umsatzsteuerlichen Pflichten gegenüber den Steuerbehörden wahrnimmt, stehe dem Unionsrecht folglich nicht entgegen. Dies setze allerdings voraus, dass der Organträger seinen Willen bei den Organgesellschaften durchsetzen kann und durch die Rolle des Organträgers als einziger Steuerpflichtiger keine Steuerverluste zu befürchten sind. Für Letzteres sei die im nationalen Steuerrecht bestehende Haftungsregel nach § 73 AO ausreichend, wonach gegebenenfalls die Organgesellschaften für die vom gesamten Organkreis einschließlich der vom Organträger geschuldeten Steuern haften, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist.

C. Keine Stimmrechtsmehrheit für finanzielle Eingliederung erforderlich

Die nationalen Anforderungen an eine finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft stünden dagegen mit dem Gemeinschaftsrecht nicht in Einklang. Nach dem bisherigen deutschen Verständnis bedürfe es neben einer Mehrheitsbeteiligung darüber hinaus der Stimmrechtsmehrheit. Dieses Erfordernis sei nicht mit einer restriktiven Auslegung des Unionsrechts zu vereinbaren. Eine finanzielle Eingliederung sei bereits bei einer Mehrheitsbeteiligung gegeben – ungeachtet der tatsächlichen Stimmrechte. Die Stimmrechtsmehrheit sei nicht von vornherein als erforderliche und geeignete Maßnahme für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung anzusehen.

D. Innenumsätze weiterhin nicht steuerbar?

Die von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG statuierte typisierende Einordnung von Organgesellschaften als nicht selbstständige Unternehmen hat der EuGH ebenfalls für unzulässig erklärt. Die Eingliederung in eine Mehrwertsteuergruppe führe entgegen der deutschen Regelung nicht per se zum Wegfall ihrer Selbstständigkeit. Vielmehr sei im Einzelfall zu untersuchen, ob eine betreffende Organgesellschaft einer selbstständigen Wirtschaftstätigkeit nachgeht, d.h. Tätigkeiten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und in eigener Verantwortung ausübt und die damit einhergehenden wirtschaftlichen Risiken selbst trägt.

E. Folgen für die Praxis

Erfreulich ist, dass der Organträger im Einklang mit der bisherigen Praxis weiterhin als einziger Steuerpflichtiger angesehen werden darf und insoweit haben die EuGH-Urteile für mehr Rechtssicherheit gesorgt. Zudem bleiben die aus fiskalischer Perspektive befürchteten Steuerrückforderungen der Organträger in Milliardenhöhe, wie sie noch nach dem Schlussantrag der Generalanwältin Laila Medina angenommen wurden, aus.

Die restriktive Auslegung der finanziellen Eingliederung weitet das Modell der umsatzsteuerlichen Organschaft auf solche Unternehmen aus, denen eine Eingliederung bislang mangels Stimmrechtsmehrheit verwehrt war. Zwar bleibt das Schlussurteil des BFH abzuwarten, es ist aber davon auszugehen, dass das nationale Verständnis an das Vorliegen einer finanziellen Eingliederung entsprechend angepasst wird. Da es sich beim Vorliegen der umsatzsteuerlichen Organschaft nicht um ein Wahlrecht handelt, sollten bestehende Strukturen, die vom Beteiligungsverhältnis abweichende Stimmrechtsverhältnisse vorsehen, auf das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer Organschaft geprüft werden. Insofern die momentane Auffassung der Finanzverwaltung zur umsatzsteuerlichen Organschaft vorteilhaft ist, können sich Unternehmen auch bei einer Rechtsprechungsänderung im Nachgang zum EuGH-Verfahren auf den Vertrauensschutz berufen.

Genau zu beobachten sein wird der Umgang der Folgerechtsprechung mit den bislang als nichtsteuerbar behandelten Umsätzen innerhalb des Organkreises (sog. Innenumsätze). Die Auffassung des EuGH deutet darauf hin, dass auch Organkreismitglieder grundsätzlich weiterhin selbstständig tätig bleiben und damit umsatzsteuerbare Umsätze innerhalb des Organkreises ausführen könnten. In diesem Fall würde die umsatzsteuerliche Organschaft zu einem rein formellen Instrument degradiert, bei dem der Organträger lediglich die Verfahrenspflichten für den gesamten Organkreis übernimmt. Dies hätte weitreichende Praxisfolgen, insb. in Bezug auf die innerkonzernliche Rechnungsstellung, aber auch auf einen etwaigen Vorsteuerabzug.

Bestehende Organkreise tun gut daran, bereits jetzt zu prüfen, ob Handlungsbedarf besteht. Das gilt insbesondere mit Blick auf die künftige Behandlung von Innenumsätzen. Wir verfolgen die weiteren Entwicklungen und stehen Ihnen gerne zur Seite, um entsprechend zu reagieren.