Neue Erkenntnisse zur Auslegung der Foreign Subsidies Regulation
Europäische Kommission veröffentlicht Arbeitsdokument mit Q&As
Die Europäische Kommission („Kommission“) hat am vergangenen Freitag, den 26. Juli 2024 ein internes Arbeitsdokument mit Fragen und Antworten („Q&As“) zur Auslegung und Anwendung der seit 12. Juli 2023 geltenden EU-Verordnung 2022/2560 zur Kontrolle drittstaatlicher Subventionen (Foreign Subsidies Regulation – „FSR“) veröffentlicht. Die Q&As sind zwar rechtlich nicht verbindlich, enthalten aber erste Klarstellungen, insbesondere bezüglich der unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe im Rahmen von M&A-Transaktionen und öffentlichen Vergabeverfahren sowie der Ermittlung von unbegrenzten drittstaatlichen Garantien. Die Q&As bieten daher eine erste Orientierungshilfe für Unternehmen und deren rechtliche Berater mit Blick auf die notwendige Risikoeinschätzung im Rahmen von M&A-Transaktionen und öffentlichen Vergabeverfahren, welche durch die Entscheidungspraxis der Kommission und die Rechtsprechung weiter konkretisiert werden wird.
Verzerrung des europäischen Binnenmarktes
Die Kommission stellt zunächst die beiden Voraussetzungen klar, die vorliegen müssen, damit eine drittstaatliche Subvention den europäischen Binnenmarkt im Sinne des Art. 4 FSR verzerrt:
- Verbesserung der Wettbewerbsposition: Hierfür ist ein Zusammenhang notwendig zwischen der drittstaatlichen Subvention und der Tätigkeit des Unternehmens im europäischen Binnenmarkt, das von der Subvention profitiert. Dieser Zusammenhang wird bei Unternehmensgruppen beispielsweise prima facie angenommen, soweit ein Drittstaat unmittelbar ein zinsloses Darlehen an eine in der EU tätige Gruppengesellschaft gewährt. Ein solcher offenkundiger Zusammenhang fehlt hingegen, wenn drittstaatliche Subventionen einer nicht in der EU tätigen Gruppengesellschaft zur Unterstützung der Geschäftsaktivitäten außerhalb des europäischen Binnenmarktes gewährt werden. In einem solchen Fall kann laut Kommission jedoch geprüft werden, ob die drittstaatliche Subvention innerhalb der Unternehmensgruppe zur Quersubventionierung von Tätigkeiten im europäischen Binnenmarkt verwendet wird.
- Tatsächliche oder potenzielle Beeinträchtigung des Wettbewerbs: Das Vorliegen einer Binnenmarktverzerrung setzt ferner voraus, dass die drittstaatliche Subvention durch die Verbesserung der Wettbewerbsposition eines in der EU tätigen Unternehmens den Wettbewerb auf dem europäischen Binnenmarkt auch tatsächlich oder potenziell beeinträchtigt. Mit anderen Worten: Vom FSR-Anwendungsbereich sind auch solche drittstaatlichen Subventionen erfasst, die potenziell zu Verzerrungen führen können. Zur Beurteilung der Auswirkungen auf den Wettbewerb können alle aktuellen oder zukünftigen Aktivitäten des begünstigten Unternehmens im europäischen Binnenmarkt in die Betrachtung einbezogen werden (z. B. Investitionen oder die Bereitstellung oder der Erwerb von Waren und Dienstleistungen), sofern diese Aktivitäten des drittstaatlich subventionierten Unternehmens den Wettbewerb (potenziell) beeinträchtigen.
Anders als im europäischen Beihilferecht, in dem eine Binnenmarktverzerrung vermutet wird, wenn ein in der EU tätiges Unternehmen einen finanziellen Vorteil durch einen EU-Mitgliedsstaat erhält, kann eine Binnenmarktverzerrung unter der FSR jedoch nicht allein auf Grundlage einer gewährten drittstaatlichen Subvention vermutet werden. Die Verzerrung auf dem europäischen Binnenmarkt muss vielmehr durch die Kommission ermittelt werden. Wie detailliert die Prüfung der Kommission ausfällt, hängt von der Kategorie drittstaatlicher Subventionen ab, nämlich ob es sich um eine drittstaatliche Subvention handelt, bei der mit größter Wahrscheinlichkeit eine Verzerrung des europäischen Binnenmarktes stattfindet („Art. 5 -Subvention“) oder nicht („Keine Art. 5 -Subvention“).
- Keine Art. 5 -Subvention: Die Kommission muss eine detaillierte Einzelfallprüfung vornehmen und wird dafür, soweit angemessen, die (nicht abschließende) Liste von Indikatoren des Art. 4 Abs. 1 FSR heranziehen, um zu bestimmen, ob eine drittstaatliche Subvention zu einer solchen Binnenmarktverzerrung führt.
- Art. 5 -Subvention: Eine detaillierte Prüfung der Kommission auf Basis der Indikatoren des Art. 4 Abs. 1 FSR ist hingegen bei Art. 5 -Subventionen nicht notwendig, da bei diesen vermutet wird, dass sie besonders wettbewerbsverzerrend sind. Unternehmen können jedoch auch im Fall von Art. 5 -Subventionen im Einzelfall Nachweise erbringen, um zu widerlegen, dass die konkrete drittstaatliche Subvention den europäischen Binnenmarkt unter den bestimmten Umständen des jeweiligen Falls nicht verzerren würde. Ferner besteht für Unternehmen die Möglichkeit nachzuweisen, dass die Binnenmarktverzerrung durch etwaige positive Auswirkungen der drittstaatlichen Subvention ausgeglichen wird, was die Kommission im Rahmen ihrer Abwägungsprüfung (Art. 6 FSR) auf Grundlage der erhaltenen Informationen berücksichtigt.
Die Kommission kündigt in den Q&As an, den zentralen Begriff der Verzerrung des europäischen Binnenmarktes in ihrer weiteren Fallpraxis fortzuentwickeln unter Berücksichtigung des Ziels der FSR, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle im europäischen Binnenmarkt tätigen Unternehmen zu schaffen.
Unterschiedlicher Prüfungsmaßstab bei M&A-Transaktionen und öffentlichen Vergabeverfahren
Die Q&As enthalten ferner konkrete Hinweise zu den unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben bei der Beurteilung von drittstaatlichen Subventionen (1.) im Rahmen von M&A-Transaktionen und (2.) bei öffentlichen Vergabeverfahren.
1. Konkrete Hinweise zu M&A-Transaktionen
Die Kommission stellt klar, dass im Rahmen von M&A-Transaktionen bei der Prüfung nach der FSR und unter der europäischen Fusionskontrollverordnung („FKVO“) unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe gelten, da die beiden Verfahren unterschiedlichen Zwecken dienen. Folglich können die beiden Verfahren auch zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Bei der Prüfung einer M&A-Transaktion unter der FKVO sind die Wettbewerbsverzerrungen maßgeblich, die durch den Zusammenschluss als solchen hervorgerufen werden können. Die Prüfung nach der FSR unterscheidet sich insofern, als hier ermittelt wird, ob der europäische Binnenmarkt (potenziell) im Zusammenhang mit der M&A-Transaktion durch die drittstaatlichen Subventionen verzerrt wird.
Drittstaatliche Subventionen können den europäischen Binnenmarkt im Kontext von M&A-Transaktionen auf unterschiedliche Weise verzerren. Der Fokus der Kommission liegt zum einen besonders auf drittstaatlichen Subventionen, die den Kaufprozess unmittelbar beeinflussen. Hier kann sich insbesondere eine Verzerrung des europäischen Binnenmarktes ergeben, wenn der potenzielle Käufer unmittelbar eine drittstaatliche Subvention erhalten hat, welche es ihm ermöglicht, andere Kaufinteressenten zu überbieten oder abzuschrecken. Zum anderen können drittstaatliche Subventionen auch den Wettbewerb auf den Märkten beeinflussen, auf denen die kombinierte Einheit nach dem Zusammenschluss tätig ist.
Die Kommission nimmt bei der Prüfung von M&A-Transaktionen insbesondere unbegrenzte drittstaatliche Garantien in den Fokus, bei denen eine Verzerrung auf dem europäischen Binnenmarkt nach Art. 5 Abs. 1 lit. (b) FSR vermutet wird. Die Q&As stellen klar, dass unbegrenzte drittstaatliche Garantien in unterschiedlichen Formen gewährt werden können, die über klassische (explizite) Garantieerklärungen hinausgehen. Ein Beispiel hierfür wären konkrete Hinweise darauf, dass ein Unternehmen im Falle der Zahlungsunfähigkeit von einem Drittstaat gerettet werden würde, da es ausnahmsweise nicht dem nationalen Insolvenzrecht unterliegt.
Solche unbegrenzten drittstaatlichen Garantien bergen gerade bei M&A-Transaktionen ein hohes Risiko einer Binnenmarktverzerrung, da sie dem potenziellen Käufer gegebenenfalls ermöglichen, einen Kredit zu günstigeren Konditionen zu erhalten und damit einen höheren Kaufpreis für das Zielunternehmen bieten zu können. Ebenfalls kritisch gesehen wird, wenn sich die unbegrenzte drittstaatliche Garantie des Käufers nach Abschluss der Transaktion auch auf das in der EU tätige Zielunternehmen erstrecken soll. Dadurch kann die Wettbewerbsposition des in der EU tätigen Zielunternehmens verbessert werden, wodurch (potenzielle) negative Auswirkungen auf den Wettbewerb entstehen können. Eine unbegrenzte drittstaatliche Garantie spielt auch in der ersten eingehenden Prüfung einer M&A-Transaktion durch die Kommission unter der FSR eine große Rolle (nämlich beim geplanten Teil-Erwerb des europäischen Telekommunikationsanbieters PPF Telecom Group B.V. durch das aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammende Unternehmen e&, siehe unseren Artikel vom 11. Juni 2024).
2. Konkrete Hinweise zu öffentlichen Vergabeverfahren
Im Rahmen von öffentlichen Vergabeverfahren beschränkt sich die Prüfung der Kommission auf das konkrete öffentliche Vergabeverfahren. Die Kommission prüft nur, ob das jeweilige öffentliche Vergabeverfahren durch die drittstaatlichen Subventionen (potenziell) verzerrt wird. Es sind dabei nur solche drittstaatliche Subventionen relevant, die einen konkreten Wirtschaftsteilnehmer in die Lage versetzen, ein in Bezug auf die ausgeschriebenen Leistungen ungerechtfertigt günstiges Angebot einzureichen. Es wird also im Rahmen der materiellen Prüfung nicht die gesamte Unternehmensgruppe betrachtet.
- Ungerechtfertigt günstiges Angebot: Um festzustellen, ob ein Angebot „günstig“ ist, vergleicht die Kommission das eingereichte drittstaatlich subventionierte Angebot des Wirtschaftsteilnehmers zum einen mit den eingereichten Angeboten anderer Bieter und zum anderen mit den von der Vergabestelle selbst geschätzten Kosten für den auszuführenden Auftrag. Ob das eingereichte Angebot „ungerechtfertigt“ günstig ist, hängt davon ab, ob andere Faktoren den Vorteil rechtfertigen können. Seitens des Wirtschaftsteilnehmers können hierzu rechtfertigende Umstände wie besondere Wirtschaftlichkeit des Produktionsprozesses, Innovationen oder außergewöhnlich günstige Bedingungen vorgebracht werden. Die Kommission kann dazu darüber hinaus auch eigene Untersuchungen anstellen.
- Zusammenhang zwischen der drittstaatlichen Subvention und dem ungerechtfertigt günstigen Angebot: Anschließend muss seitens der Kommission anhand der verfügbaren Informationen nachgewiesen werden, dass ein Zusammenhang zwischen der drittstaatlichen Subvention und dem ungerechtfertigt günstigen Angebot besteht, d. h. dass die drittstaatliche Subvention den Wirtschaftsteilnehmer (wahrscheinlich) in die Lage versetzt hat, ein solch ungerechtfertigt günstiges Angebot in dem konkreten öffentlichen Vergabeverfahren einzureichen. Ein solcher Zusammenhang wird von der Kommission prima facie angenommen, wenn die drittstaatliche Subvention explizit mit dem Ziel gewährt wurde, die Herstellung der ausgeschriebenen Waren oder die Erbringung der ausgeschriebenen Dienstleistungen innerhalb der Europäischen Union zu begünstigen.
Eine Verzerrung des öffentlichen Vergabeverfahrens liegt bspw. nahe, wenn die drittstaatliche Subvention bereits einen wesentlichen Teil des geschätzten Wertes des ausgeschriebenen Auftrags abdeckt. So hat die Kommission die Einleitung der eingehenden Prüfung gegen zwei Bieterkonsortien mit chinesischer Beteiligung im Rahmen des Vergabeverfahrens für den Entwurf, Bau und Betrieb eines Photovoltaik-Parks in Rumänien insbesondere darauf gestützt, dass die gewährten drittstaatlichen Subventionen bereits einen Großteil des geschätzten ausgeschriebenen Auftragsvolumens des öffentlichen Vergabeverfahrens abdeckten (siehe hierzu unseren Artikel vom 11. April 2024).[1]
Abwägungsprüfung
Betreffend die am Ende der Prüfung stehende Abwägungsprüfung der Kommission (Art. 6 FSR), enthalten die Q&As aufgrund bisher fehlender Erfahrungswerte der Kommission keine neuen Erkenntnisse für Unternehmen. Die Kommission verweist hier auf die in Rz. 21 der Erwägungsgründe zur FSR genannten allgemeinen politischen Ziele der Europäischen Union, die bei den positiven Auswirkungen mit geprüft werden sollen.
Fazit
Die Q&As der Kommission bieten zum Teil hilfreiche Klarstellungen betreffend die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe unter der FSR bei M&A-Transaktionen und öffentlichen Vergabeverfahren. Es wird auch noch einmal hervorgehoben, dass die Kommission unbegrenzte drittstaatliche Garantien auch künftig besonders kritisch prüfen wird.
Darüber hinaus enthalten die Q&As vor dem Hintergrund der bisher veröffentlichten Informationen zu den ersten eingehenden Prüfungen der Kommission (siehe unseren Artikel vom 19. Februar 2024, sowie unseren Artikel vom 11. April 2024 und unseren Artikel vom 11. Juni 2024) wenig Überraschendes.
Für Unternehmen ist es daher nach wie vor entscheidend, im Vorfeld von M&A-Transaktionen oder der Teilnahme an öffentlichen Vergabeverfahren frühzeitig eine Risikoanalyse der erhaltenen drittstaatlichen Subventionen aus den letzten drei Geschäftsjahren durchzuführen, um auf dieser Basis eine etwaige Anmeldung nach der FSR umfassend vorbereiten zu können.
Bei weiteren Fragen zur FSR steht Ihnen unser Noerr Kompetenzteam aus erfahrenen Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der FSR, dem EU-Beihilferecht sowie der Fusionskontrolle gerne zur Verfügung. Melden Sie sich auch gerne hier an, um alle unsere News Alerts zur FSR zu erhalten.
[1] Siehe die Kurzmitteilungen (C/2024/2830 bzw. C/2024/2832) der Europäischen Kommission über die Einleitung einer eingehenden Prüfung nach Art. 10 Abs. 3 Buchstabe d der Verordnung (EU) 2022/2560 in der Sache FSP.100151 und FSP.100154 jeweils veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union.