EU-Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit: Umsetzungsfrist beginnt
Angefangen mit einem Vorschlag der EU-Kommission Ende 2021 (wir berichteten) sind die langen und intensiven Diskussionen um die „Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit“ mit der Veröffentlichung im Amtsblatt der EU am 11. November 2024 zu einem Ende gekommen. War dies nach der Verabschiedung durch das europäische Parlament im April 2024 auch nur noch Formsache, so ist das Datum der Veröffentlichung nicht unbedeutend, beginnt doch zwanzig Tage später - mit dem Inkrafttreten der Richtlinie - die zweijährige Umsetzungsfrist für den nationalen Gesetzgeber zu laufen.
Widerleglich Vermutung
Eine wesentliche Bestrebung der Richtlinie ist es, den Beschäftigungsstatus von Plattformbeschäftigen korrekt einzustufen, um diesen umfassend Zugang zu Arbeitnehmerschutzrechten zu gewähren. Im Mittelpunkt der Bemühungen zur Umsetzung wird deshalb eine Regelung zur widerleglichen gesetzlichen Vermutung eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Plattform und den Plattformbeschäftigten stehen.
Wir stellten bereits in der Vergangenheit den Katalog aus fünf Kriterien dar, den ein früherer Richtlinienentwurf für die Abgrenzung vorsah. Sobald zwei der Kriterien erfüllt sind, sollte ein Arbeitsverhältnis fingiert werden. Dies hätte eine grundlegende Neuordnung des Geschäftsmodells – wohlmöglich aber auch der generellen Abgrenzung von Arbeitsverhältnissen zu anderen Formen wirtschaftlichen Tätigwerdens – zur Folge gehabt, weshalb viele Mitgliedstaaten die Konstruktion aus Sorge vor den weitreichenden Konsequenzen ablehnten.
Indizien statt starrer Kriterien
Maßgeblich ist nunmehr das Vorliegen von Tatsachen, die auf die Kontrolle und Steuerung des Plattformbeschäftigten durch die Plattform hindeuten. Liegen diese vor, wird ein Arbeitsverhältnis gesetzlich vermutet. Die Tatsachen sollen nach nationalem Recht und Kollektivverträgen festgelegt werden.
Diese Aspekte ähneln den Abgrenzungskriterien im deutschen Recht: Eingliederung, Weisungsgebundenheit, unternehmerisches Risiko. Zur Orientierung wird der Gesetzgeber zudem Entscheidungen des BAG und BSG heranziehen. Insbesondere die Crowdworker-Entscheidung dürfte hier von Interesse sein, in der das BAG statuierte, dass eine Lenkung durch tatsächliche Zwänge für den Beschäftigtenstatus genügt, explizite Weisungen nicht erforderlich sind.
Obwohl die Aufgabe des Katalogs starrer Kriterien zu begrüßen ist, verdient die Etablierung einer Vermutungsregelung Kritik. Eine abhängige Beschäftigung ist ein Typus – es existiert weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium, vielmehr ist stets eine Gesamtbetrachtung vonnöten. Einer solchen verschließt sich eine Vermutungsregelung jedoch zwangsläufig. Nicht grundlos verzichtete der deutsche Gesetzgeber bei der Normierung des Arbeitnehmerbegriffs in § 611a BGB entgegen dem Referentenentwurf auf eine gesetzliche Vermutung. Auch der Versuch einer Vermutungsregelung in § 7 Abs. 4 SGB IV aF führte zu derart vielen Fehlergebnissen, dass sie bald wieder abgeschafft wurde.
Zwar lässt sich die Vermutung grundsätzlich widerlegen. Die Darlegungs- und Beweislast, die den Plattformbetreibern auferlegt werden soll, wiegt jedoch schwer.
Reichweite der Vermutungswirkung
Die Vermutungswirkung gilt in allen einschlägigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren, wenn es um die korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus der Person geht, die Plattformarbeit leistet. In Anbetracht der unionsrechtlichen Gesetzgebungskompetenz umfasst dies nicht das Steuer- und Sozialversicherungsverfahren. Angesichts der aktuellen Formulierung in § 7 SGB IV, der als Paradebeispiel eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses auf das Arbeitsverhältnis verweist, steht zu befürchten, dass der deutsche Gesetzgeber die gesetzliche Vermutung dennoch auf solche Verfahren ausweitet.
Weitere Regelungen der Richtlinie
Daneben enthält die Richtlinie weitere Regelungen zur Stärkung der Rechte der Plattformbeschäftigten.
- Insbesondere findet eine Regulierung des Einsatzes von Algorithmen am Arbeitsplatz statt: So werden neben einer Einschränkung der Verarbeitung personenbezogener Daten mittels automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme (Art. 7) auch Informations- und Aufsichtspflichten bzgl. der Nutzung derartiger Systeme (Art. 9 und 10) normiert sowie eine Pflicht zur Erklärung und ggfs. Begründung einer durch ein automatisches Entscheidungssystem getroffenen oder unterstützten Entscheidung (Art. 11).
- Last, but not least statuiert die Richtlinie ein digitales Zugangsrecht für Gewerkschaften zu den Plattformbetreibern und verpflichtet diese, sichere, nicht kontrollierbare Kommunikationsebenen für die Plattformtätigen einzurichten. Gerade letzteres bedeutet sicherlich einen nicht unerheblichen finanziellen und organisatorischen Aufwand für Plattformbetreiber.
Ausblick
Die Anzahl von mehr als 500 digitalen Arbeitsplattformen und 40 Millionen Plattformbeschäftigten in der EU unterstreicht die enorme Bedeutung der Richtlinie. Es ist die Rede davon, dass etwa 5,5 Millionen Menschen fälschlicherweise als Selbständige eingeordnet werden. Die Abgrenzung von selbständiger und unselbständiger Arbeit ist seit jeher ein Problem, das angesichts der damit verbundenen Risiken umso schwerer wiegt.
Obgleich der Weg bis zum Inkrafttreten des nationalen Umsetzungsgesetzes noch ein weiter sein wird, sollten Plattformbetreiber und ihre Gesellschafter die Diskussionen um die Umsetzung der Richtlinie aufmerksam verfolgen, um etwaige Risiken frühzeitig erkennen und Maßnahmen ergreifen zu können.
Der Fortgang des Prozesses dürfte auch für „normale“ Dienstleister nicht uninteressant sein. Die Richtlinie enthält in Art. 2 für den Begriff der „digitalen Arbeitsplattform“ keine scharf konturierte Definition. Neben den „bekannten“ Plattformbetreibern lassen sich deshalb hierunter grundsätzlich auch weitere moderne Vertriebsstrukturen subsumieren. Es bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber und/oder der EuGH den Anwendungsbereich konkretisieren werden.
***
Unsere Legal-Tech-Lösung "Noerr Contractor Compliance Check" entlastet Unternehmen bei der Beauftragung und dem Einsatz von Fremdpersonal. Das Tool integriert alle dafür notwendigen Prozesse für den effizienten und rechtssicheren Einkauf von Fremdpersonal in einer Plattform. Für weiterführende Informationen besuchen Sie gerne unsere Website.
Weitere Ressourcen zum Thema Fremdpersonaleinsatz
Die neuesten Informationen zum Thema Fremdpersonaleinsatz erhalten Sie
- in unserer vierteljährlich erscheinenden Webinarreihe Quartalsupdate FPE
- und unserem Podcast zu diesem Thema (Noerr_podcast: Arbeitnehmereigenschaft, -datenschutz und Algorithmentransparenz in der Plattformökonomie)