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EU beschließt zehntes Sanktionspaket gegen Russland

01.03.2023

Am 25. Februar 2023 hat die Europäische Union das zehnte Sanktionspaket gegen Russland aufgrund des Angriffs auf die Ukraine im Amtsblatt der Union veröffentlicht.

Das neue Sanktionspaket bringt zu einem erheblichen Teil eine Erweiterung und Ergänzung der bestehenden Maßnahmen in den beiden zentralen Sanktionsverordnungen: Verordnung (EU) Nr. 833/2014 (Änderungsrechtsakt hier abrufbar) als allgemeine Sanktionsverordnung mit insbesondere sektoralen Handelsmaßnahmen (A.) und Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (Änderungsrechtsakte hier und hier abrufbar) über listenbasierte, personenbezogene Finanzsanktionen (B.).

Neben den Erweiterungen stehen in beiden Verordnungen Maßnahmen zur Durchsetzung der Sanktionen im Fokus. Hierzu wurden insbesondere Informationspflichten für private Akteure eingeführt und in erheblichem Umfang Drittstaatsangehörige sanktioniert. Letzteres betrifft iranische Personen und Einrichtungen die das russische Militär mit unbemannten Flugobjekten (sog. Shahed Drohnen) beliefern (C.).

Schließlich wurden Maßnahmen ergriffen, um europäische kritische Infrastrukturen, insbesondere im Gasbereich, zu schützen (D.).

A. Handelsmaßnahmen der Verordnung (EU) Nr. 833/2014

Das zehnte Sanktionspaket erweitert die Liste der Güter, die einem Exportverbot unterliegen, weil sie zur militärischen und technologischen Stärkung oder zur Entwicklung des Verteidigungs- und Sicherheitssektors Russlands beitragen könnten. Dies umfasst im Wesentlichen einige seltene Erden sowie elektronisch integrierte Schaltungen und Wärmebildkameras (Art. 2a in Verbindung mit Anhang VII n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014.

Das Exportverbot für Güter der Luft- oder Raumfahrtindustrie wurde um Turbo-Strahltriebwerke sowie deren Bauteile erweitert (Art. 3c und Annex XI n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014). Besonders umfassend fällt die Ergänzung der Exportverbote für Güter zur Stärkung der industriellen Kapazität Russlands aus, Art. 3k und Annex XXIII n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014. Dabei erhält Anhang XXIII einen neuen Teil C, der ein sehr breites Spektrum an Gütern der mechanischen und chemischen Industrien erfasst. Darunter befinden sich unter anderem: diverse Walzerzeugnisse aus Eisen oder Stahlvarianten; Konstruktionen, Konstruktionsteile und Behälter aus Eisen, Stahl oder Aluminium; einige Generatorgas- und Wassergaserzeuger; Dampfturbinen und deren Teile; Diesel- oder Halbdieselmotoren sowie deren Bauteile; Bauteile für Wasserturbinen; verschiedene Flüssigkeitspumpen; Vakuumpumpen; diverse Laborausstattungen; bestimmte Zentrifugen und deren Bauteile; motorbetriebene Zugwinden; bestimmte Kräne und Gabelstapler; Industrieroboter; diverse Bagger und Baufahrzeuge; Gießwerkzeuge und -maschinen; Werkzeuge zum Bearbeiten von Metallen und mineralischen Stoffen; Kugellager; Wellen, Kurbeln und Kupplungen; Maschinen und Geräte zur Herstellung von Halbleitern; elektrische Anlasser für Verbrennungsmotoren und diverse elektrische Bauteile; bestimmte Lastwagen; Glasfaserkabel; Ferngläser und Fernrohre; Kompasse und bestimmte andere Navigationswerkzeuge; Maschinen für die Materialbearbeitung; Instrumente für chemische und physische Vorgänge.

Zudem wurden neue Importverbote für Güter, die Russland erhebliche Einnahmen erbringen, eingeführt, Art. 3i und Anhang XXI n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014. Dies betrifft vor allem bituminöse Stoffe und verwandte Mineralöl-Produkte aus dem Kapitel 27 der Kombinierten Nomenklatur („KN“) sowie Kohlenstoffe (Position 2803 KN) und synthetische Kautschuke (Position 4002 KN).

Schließlich wurde die Liste der militärischen Endnutzer, für die Dual-Use-Exporte nicht genehmigt werden dürfen, um 96 Organisationen erweitert (Art. 2 Abs. 7 und Anhang IV n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014).

B. Listenbasierte Finanzsanktionen der Verordnung (EU) Nr. 269/2014

Mit dem zehnten Sanktionspaket wurde die Liste der mit einem „Asset Freeze“ und Bereitstellungsverbot betroffenen Personen, Organisationen und Einrichtungen der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 um 87 Individuen und 34 Unternehmen bzw. Organisationen ergänzt.
Im Wesentlichen handelt es sich um Führungspersönlichkeiten und leitende Beamte in den besetzten Gebieten Cherson, Luhansk, Donezk und Saporischschja und hochrangige Angehörige der Russischen Regierung. Außerdem werden Desinformationsakteure und Verantwortliche für die Verschleppung von ukrainischen Kindern gelistet, zudem Hochtechnologieunternehmen, die in ihrer Tätigkeit zum Krieg beitragen. Aus dem Finanzsektor wurden schließlich drei weitere Banken gelistet: Alfa-Bank, Rosbank und Tinkoff Bank.

Wie in den vorherigen Sanktionspaketen sieht die Erweiterung der restriktiven Maßnahmen auch Genehmigungsmöglichkeiten für eine Übergangszeit vor. Daneben wurde einige Ausnahmen für bestimmte Transaktionen hinzugefügt, etwa mit Blick auf die Jewish Claims Conference oder den Nationalen Zentralverwahrer (National Settlement Depository – NSD), Änderungen in Art. 6b der Verordnung (EU) Nr. 269/2014.

Weitere gezielte Finanzsanktionen wurden gegen neun natürliche und sieben juristische Personen verhängt, die mit Aktivitäten der „Wagner-Gruppe“ in Mali, Libyen und der Zentralafrikanischen Republik affiliiert sind. Die entsprechenden Listungen finden sich in der Verordnung über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Mali (Verordnung (EU) 2017/1770) und der Verordnung über restriktive Maßnahmen gegen schwere Menschenrechtsverstöße (Verordnung (EU) 2020/1998).

C. Durchsetzungsmaßnahmen

Maßnahmen, die sich unter der Überschrift „Sanktionsdurchsetzung“ zusammenfassen lassen, werden in beide zentrale Sanktionsverordnungen eingefügt.

Gemäß dem neuen Art. 3d Abs. 5 und Abs. 6 der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 müssen künftig Nichtlinienflüge zwischen der EU und Russland angemeldet werden. Das Exportverbot für Dual-Use Güter aus Art. 2 und für Feuerwaffen aus Art. 2aa der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 wurde um ein Verbot der Durchfuhr dieser Güter durch Russland ergänzt. Art. 2, 2aa der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F.

Ebenfalls neu eingeführt wurde eine besondere Meldepflicht: Natürliche und juristische Personen, Organisationen und Einrichtungen, darunter insbesondere auch Unternehmen der Finanz- und Versicherungsbrache, müssen spätestens zwei Wochen nach dem 26.02.2023 den zuständigen nationalen Behörden Informationen über die von ihnen gehaltenen (mittelbaren) Vermögenswerte der Russischen Zentralbank offenlegen, Art. 5a Abs. 4a bis 4e der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F.

Auch die Finanzsanktionen der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 werden durch eine erhebliche Ausweitung der Informationspflichten von Privatpersonen gegenüber Behörden ergänzt, sofern die Privatpersonen Kenntnis von Sanktionsverstößen erlangen, Art. 8 Abs. 1a bis 1c der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 n.F. Die Pflicht zur Offenlage umfasst Informationen über die eingefrorenen Gelder und wirtschaftliche Ressourcen wie Art und Betrag, aber auch Informationen zur Identifizierung derjenigen, die diese Gelder und Ressourcen besitzen, halten oder kontrollieren. Zu beachten ist, dass diese Vorschrift abweichend von den übrigen Änderungen erst ab dem 26. April 2023 gilt.

Zudem werden in beiden Verordnungen iranische natürliche und juristische Personen für ihre Beteiligung an der Lieferung von sog. Shahed-Drohnen an Russland sanktioniert: Iranische Unternehmen wurden in die Liste aufgenommen, für die gem. Art. 2 Abs. 7 i.V.m. Anhang VI n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 Dual-Use-Exporte nicht genehmigt werden dürfen. Vier iranische Individuen, die für die am Drohnenprogramm beteiligten Paravar Pars Company und Qods Aviation Industry arbeiten, sind nun in Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 gelistet und damit den Finanzsanktionen dieser Verordnung unterworfen. Damit wird die Listung iranischer Entitäten ausgeweitet, die erstmals am 30. Januar 2023 mit Durchführungsverordnung (EU) 2023/192 begann.

In eine ähnliche Stoßrichtung zielt die Listung eines Schifffahrtsunternehmens in Dubai aufgrund seiner Rolle im Transport von russischem Öl gemäß Verordnung (EU) Nr. 269/2014.

D. Sonstige Maßnahmen

Daneben finden sich insbesondere in den Änderungen der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 Maßnahmen außerhalb des klassischen Instrumentariums des Sanktionsrechts.

Die Liste der Partnerländer, deren Vertretungen und Unternehmen in Russland von Sanktionen ausgenommen sind und mit denen Informationen ausgetauscht werden dürfen, werden um Kanada, Australien, Neuseeland und Norwegen erweitert, Anhang VIII n.F. der Verordnung (EU) Nr. 833/2014.

Die Sendeverbote und die Aussetzung von Rundfunklizenzen nach Art. 2f und Annex VI der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 betreffen nun auch „RT Arabic“ und „Sputnik Arabic“.

Der neue Art. 5o der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. verbietet es, russischen Staatsangehörigen oder in Russland ansässigen Personen die Übernahme von Posten in Leitungsgremien von kritischen Infrastrukturunternehmen innerhalb der EU zu ermöglichen; dies gilt nicht für Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der EU, des EWR oder der Schweiz.

Durch einen ebenfalls neuen Art. 5p der Verordnung (EU) Nr. 833/2014 n.F. dürfen nunmehr Erdgas-Speicheranlagen – mit Ausnahme des zu Speicherzwecken genutzten Teils von Flüssigerdgasanlagen (sog. LNG) – nicht mehr russischen Staatsangehörigen oder in Russland ansässigen Unternehmen und Personen bereitgestellt werden. Abweichungen können zur Sicherstellung der kritischen Energieversorgung durch die Mitgliedsstaaten der Union genehmigt werden.

E. Auswertung

Das neue Sanktionspaket enthält erneut eine erhebliche Ausweitung der sanktionierten Unternehmen und Wirtschaftssektoren. Für europäische Unternehmen ist eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den güterbezogenen Embargomaßnahmen von erheblicher Bedeutung, um Sanktionsverstöße zu vermeiden.

Hinsichtlich der Maßnahmen für die Sanktionsdurchsetzung sind die Ausweitungen der Informationspflichten des Privatsektors wichtig. Auch hier ist Wachsamkeit seitens europäischer Unternehmen geboten, um Compliance-Verstöße zu vermeiden. Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz will zunehmend private Akteure in den Blick nehmen und hat angekündigt, sich für eine strafbewehrte Offenlegungspflicht von Sanktionsverstößen einzusetzen. 

Mit der Listung von iranischen Personen und Unternehmen erweitert die EU schließlich die globale Wirkung ihrer Sanktionsmaßnahmen. Die Sanktionierung von Drittstaatsangehörigen hat Anklänge an die sogenannten Sekundärsanktionen des Sanktionsrechts der USA. Damit geht die EU nach der Aufnahme der Listungsmöglichkeit für solche Personen, die Verstöße gegen das Verbot der Umgehung von Sanktionen erleichtern (Achtes Sanktionspaket, Noerr berichtete), einen weiteren Schritt in diese Richtung. Ob sich derartige Regelungen ausweiten, bleibt zu beobachten.