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BGH zum Prämiensparen: ­Lauf der Verjährungsfrist nicht von Rechtskenntnis abhängig

14.08.2024

Mit Urteil vom 09.07.2024 (Az. XI ZR 44/23) hat der BGH erstmals über die Maßgeblichkeit eines konkreten Referenzzinssatzes im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung von Prämiensparverträgen entschieden. Zudem hat der BGH geklärt, dass der Lauf der kenntnisabhängigen Verjährungsfrist (§ 199 Abs. 1 BGB) auch unter Berücksichtigung des Unionsrechts nicht von der (Rechts-)Kenntnis der Unwirksamkeit einer Klausel abhängt.

I. Hintergrund

Seit Längerem wird in der Instanzrechtsprechung darüber gestritten, welche Rechtsfolgen sich aus der Unwirksamkeit von Zinsanpassungsklauseln in Prämiensparverträgen ergeben. Der Streit dreht sich zum einen um die Wahl des richtigen Referenzzinssatzes als Teil der maßgeblichen Zinsanpassungsparameter, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu ermitteln sind. Zum anderen ist spätestens seit dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom 25.01.2024, C-810/21 bis C-813/21 (Caixabank) höchst streitig, ob die vom EuGH im Anwendungsbereich der Klausel-Richtlinie geforderte Rechtskenntnis von der Unwirksamkeit der betreffenden Klausel über den Wortlaut des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hinaus auch im deutschen Recht maßgeblich ist, sodass es vorliegend auf die Kenntnis von der Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklausel und der rechtskräftigen Entscheidung über die Parameter der Zinsanpassung ankäme (vgl. zum EuGH-Urteil bereits Noerr Insights vom 26.01.2024).

II. Entscheidung des BGH

1. Ergänzende Vertragsauslegung und Referenzzinssatz

Der BGH bestätigt vorliegend das vom sachverständig beratenen Berufungsgericht gefundene Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung. Danach ist ohne Rückgriff auf die Methode gleitender Durchschnitte (Rn. 25–27) der Referenzzinssatz der Umlaufrenditen börsennotierter Bundeswertpapiere mit Restlaufzeiten von über 8 bis 15 Jahren (ehemaligen Zinsreihe WU9554) heranzuziehen (Rn. 28–34).

Damit hat der BGH erstmals überhaupt über einen konkreten Referenzzinssatz entschieden. Ausschlaggebend für die Bestätigung der von der beklagten Sparkasse befürworteten Zinsreihe war, dass diese – anders als der vom klagenden Verband befürwortete Zinssatz (ehemalige Kennung WX4260) – keinen Risikoaufschlag enthielt und damit dem Umstand Rechnung trägt, dass der typische Sparer bei dem vorliegenden Sparprodukt keinerlei Risikobereitschaft zeigte. Durchaus überraschend fordert der BGH dabei, als „spätere Erkenntnisquellen“ auch Zinsreihen in Betracht zu ziehen, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht existierten (Rn. 36).

2. Verjährungsfragen

In Bezug auf die aufgeworfenen Verjährungsfragen bestätigt der BGH, dass der Beginn der Verjährungsfrist nur in den bisher bereits anerkannten Fallgruppen (unsichere und zweifelhafte Rechtslage bzw. entgegenstehende höchstrichterliche Rechtsprechung) hinausgeschoben wird. Maßgeblich für den Verjährungsbeginn bleibt damit im Grundsatz Tatsachenkenntnis. Damit kam es vorliegend weder auf die Kenntnis von der Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklausel noch auf die Kenntnis der höchstrichterlich bestimmten Zinsanpassungsparameter an (Rn. 41–42).

Das Unionsrecht und insbesondere die Klausel-Richtlinie stehen diesem Ergebnis nach Ansicht des BGH nicht entgegen. Der BGH sieht § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB im Einklang mit dem Unionsrecht und den EuGH-Vorgaben (Rn. 45). Soweit die 9. Kammer des EuGH in dem oben genannten Urteil vom 25.01.2024 (Caixabank) Rechtskenntnis gefordert hat, stellt der BGH klar, dass eine richtlinienkonforme Auslegung in dem Sinne, dass eine „rechtliche Würdigung“ des Sachverhalts für den Beginn der Verjährung erforderlich ist, ausscheidet (Rn. 46). Dem stehe der eindeutige Wortlaut und Sinn und Zweck von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB entgegen. Ausschlaggebend sei, dass der Gesetzgeber bewusst allein auf die Tatsachenkenntnis abgestellt und den Gläubiger für die Geltendmachung seiner Ansprüche verantwortlich gemacht habe (Rn. 47).

III. Bewertung und Folgen für das deutsche Verjährungsrecht

Der BGH gibt den Instanzgerichten mit der Bestätigung des konkreten Referenzzinssatzes erstmals konkrete Anhaltspunkte für einen zutreffenden Referenzzinssatz an die Hand, wobei der Verweis auf erst nach Vertragsschluss veröffentlichte Zinsreihen für Diskussionsbedarf sorgen dürfte.

Im Ergebnis überzeugend verneint der BGH eine richtlinienkonforme Auslegung von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Damit ist auch für vergleichbare Fälle geklärt, dass die Grundentscheidung des deutschen Gesetzgebers für Tatsachenkenntnis und damit letztlich Rechtsfrieden und Rechtssicherheit nicht über den Umweg der Klausel-Richtlinie ausgehebelt werden kann. Mit Blick auf in der Vergangenheit zu beobachtenden Entwicklungen würde es aber nicht überraschen, wenn die Vereinbarkeit von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB mit der Klausel-Richtlinie zeitnah aus der Instanzrechtsprechung heraus zum Gegenstand einer EuGH-Vorlage gemacht wird. Spannend bleibt in jedem Fall, ob und wie der Gesetzgeber auf das BGH-Urteil reagieren wird.