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Wer trägt das Risiko des Lockdowns?

14.10.2021

Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) hat mit einem Urteil vom 13.10.2021 (Az. 5 AZR 211/21) entschieden, dass ein Arbeitgeber, der seinen Betrieb aufgrund eines staatlich angeordneten „Lockdowns“ vorübergehend schließen muss, nicht das wirtschaftliche Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Daher ist der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet, seinen Arbeitnehmern Annahmeverzugslohn zu zahlen.

Worum geht es?

Der beklagte Arbeitgeber musste seinen Betrieb im April 2020 aufgrund der „Allgemeinverfügung über das Verbot von Veranstaltungen, Zusammenkünften und der Öffnung bestimmter Betriebe zur Eindämmung des Coronavirus“ der Freien Hansestadt Bremen schließen. Deshalb konnte die nur geringfügig beschäftigte Klägerin („450-Euro-Basis“) nicht arbeiten und erhielt auch keine Vergütung. Als geringfügig Beschäftigte hatte die Klägerin – mangels Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung – auch keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.

Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin Annahmeverzugslohn für den Monat April 2020 und stützte sich dabei auf das Betriebsrisiko, das der Arbeitgeber gemäß § 615 Satz 3 BGB zu tragen habe. Der Arbeitgeber meinte hingegen, der „Lockdown“ auch seines Betriebs betreffe das allgemeine Lebensrisiko. Dieses sei nicht beherrschbar und von allen gleichermaßen zu tragen – das von ihm zu tragende Betriebsrisiko sei damit nicht betroffen.

Begründung des BAG

Sowohl das zuständige Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht hatten der Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Die Revision des Arbeitgebers vor dem BAG hatte demgegenüber Erfolg: Die Klägerin hat für den Monat April 2020 keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Zur Frage der Risikotragung hat das BAG dabei eine klare Position eingenommen:

  • Der Arbeitgeber trägt nicht das Risiko des Arbeitsausfalls, wenn zum Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus durch behördliche Anordnung nahezu flächendeckend alle nicht für die Versorgung der Bevölkerung notwendigen Einrichtungen geschlossen werden. In einem solchen Fall realisiert sich nicht ein in einem bestimmten Betrieb angelegtes Betriebsrisiko. Die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung ist vielmehr Folge eines hoheitlichen Eingriffs.

  • Daher – so das BAG – ist es Sache des Staates, gegebenenfalls für einen adäquaten Ausgleich der den Arbeitnehmern durch den hoheitlichen Eingriff entstehenden finanziellen Nachteile zu sorgen. So hat der Staat während der Pandemie etwa den Zugang zum Kurzarbeitergeld erleichtert.

Besonderheit: geringfügige Beschäftigung

Die Besonderheit in dem Rechtsstreit war dabei, dass die Klägerin als geringfügig Beschäftigte eben keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld hatte. Aus dieser Lücke in dem sozialversicherungsrechtlichen Regelungssystem könne – so schließlich das BAG – jedoch keine arbeitsrechtliche Zahlungspflicht des Arbeitgebers hergeleitet werden.

Bedeutung für andere Konstellationen

Zu Recht hat das BAG die pandemiebedingte Betriebsschließung nicht dem Betriebsrisiko des Arbeitgebers zugeordnet. Die Betroffenheit des nach § 615 Satz 3 BGB für den Anspruch auf Annahmeverzugslohn erforderlichen Betriebsrisikos ist immer dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber ohne eigenes Verschulden seine Arbeitnehmer aus betriebstechnischen Gründen nicht beschäftigen kann. Beschäftigt der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer nur deshalb nicht, weil die tatsächlich mögliche Beschäftigung wirtschaftlich sinnlos oder unvernünftig wäre, kommt er aus allgemeinen Gründen (§ 615 Satz 1 BGB) in Annahmeverzug und muss trotz Arbeitsausfalls den Arbeitslohn zahlen. Beides ist im Falle der pandemiebedingten Schließung aber nicht der Fall: Der Arbeitgeber kann seine Arbeitnehmer infolge hoheitlicher Anordnung tatsächlich nicht beschäftigen. Mit betriebstechnischen Gründen hat das nichts zu tun.

Die Entscheidung des BAG wird damit auch für weitere Konstellationen Bedeutung erlangen: Muss ein Arbeitgeber seinen Betrieb aus Gründen schließen, die nicht aus der Sphäre des Betriebs stammen, sondern allgemeiner Natur sind, realisiert sich nicht das Betriebsrisiko. Hier ist insbesondere an Konstellationen zu denken, in denen Betriebe aufgrund staatlicher Anordnung geschlossen werden müssen, weil sich der Betrieb etwa in einem wegen einer Bombenentschärfung zu evakuierenden Bereich befindet. In derartigen Fällen besteht kein Anspruch auf Annahmeverzugslohn.

Rückforderung von gezahltem Annahmeverzugslohn?

Aus Unternehmenssicht ist auch zu erwägen, während der Corona-Pandemie gezahlten Annahmeverzugslohn gegenüber Arbeitnehmern zurückzufordern, wenn der entsprechende Betrieb aufgrund staatlicher Anordnung geschlossen werden musste. Dabei sollten Rückforderungsansprüche gegen Arbeitnehmer unverzüglich in der erforderlichen Form geltend gemacht werden, um einerseits (tarif-)vertragliche Ausschlussfristen zu wahren und andererseits zu verhindern, dass der irrtümlich gewährte Annahmeverzugslohn von den Arbeitnehmern verbraucht werden kann. Denn Diskussionen um eine sog. „Entreicherung“ (§ 818 Abs. 3 BGB) sollten möglichst vermieden werden. Insbesondere bei der Aufrechnung eines etwaigen Rückforderungsanspruchs mit künftigen Lohnansprüchen sind zudem die Pfändungsfreigrenzen zu berücksichtigen.