Veritätsgarantie und Wissenszurechnung beim Factoring im Fokus der Rechtsprechung
Wissenszurechnung bei der Insolvenzanfechtung vom Debitor geleisteter Zahlungen
Regelmäßig enthalten Factoringverträge umfassende Informations- und Unterstützungspflichten des Kunden gegenüber dem Factor, die eine Konkretisierung des § 402 BGB darstellen. Weiß der Kunde um die Zahlungsunfähigkeit des Debitors, konnte sich bei der Insolvenzanfechtung vom Debitor an den Factor geleisteter Zahlungen aufgrund einer Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen OLG (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 23.6.2021 – 9 U 109/20) die Frage stellen, ob sich der Factor dieses Wissen analog § 166 BGB aufgrund der Informationspflichten des Kunden zurechnen lassen muss. Der BGH (Urteil vom 25.5.2023 – IX ZR 116/21 = BB 2023, 2256) hat dies nunmehr verneint und hervorgehoben, dass allein Informations- und Unterstützungspflichten des Kunden eine solche Wissenszurechnung nicht begründen können.
Formularmäßige Abtretungsklauseln
Der sechste Zivilsenat hat sich in zwei Entscheidungen mit einem Verstoß formularmäßiger Abtretungsklauseln gegen § 307 Abs. 1 BGB beschäftigt. Die beiden Entscheidungen haben keinen direkten Factoringbezug, zeigen allerdings die „Leitplanken“ auf, die bei der Gestaltung von Abtretungsregelungen auch beim Factoring zu beachten sind:
In der ersten Entscheidung (BGH, Urteil vom 10.10.2023 – VI ZR 257/22) befasste sich der Senat mit der Wirksamkeit einer formularmäßigen Sicherungszession von Ansprüchen des Geschädigten gegen den Schädiger in einem Gutachtervertrag zur Ermittlung von Reparaturkosten. Der Gutachtervertrag enthielt u.a. eine Klausel, wonach der Zessionar zur Geltendmachung des abgetretenen Anspruchs gegenüber dem Schädiger berechtigt, aber nicht verpflichtet war. Der BGH hielt die Klausel wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB für unwirksam, weil eine Regelung zum Eintritt des Sicherungsfalls fehle; insbesondere die Formulierung, wonach der Zessionar zur Anspruchsgeltendmachung berechtigt, jedoch nicht verpflichtet sei, lasse die Interpretation dahingehend zu, dass die Anspruchsgeltendmachung vom Eintritt des Sicherungsfalls unabhängig sein solle. Bedeutsam ist die Entscheidung vor allem für das unechte Factoring, bei dem die Abtretung einer Sicherungszession ähnelt und der vom Factor gewährte Kredit i.d.R. durch Einziehung der erfüllungshalber abgetretenen Forderung zurückgeführt wird.
Die vom BGH aufgestellten Anforderungen für die Sicherungszession können im Einzelfall eine entsprechende Anpassung der Abtretungsmechanik beim unechten Factoring erforderlich machen. Auch bei Verträgen zum echten Factoring kann im Einzelfall die Notwendigkeit einer deutlicheren Abgrenzung zwischen dem Einzug sicherungszedierter Forderungen zum Zwecke deren Verwertung und dem Einzug als Dienstleistung („Inkassoforderungen“) bestehen.
Die zweite Entscheidung (BGH, Urteil vom 17.10.2023 – VI ZR 27/23) behandelt die Unwirksamkeit einer formularmäßigen Abtretungsklausel, mit welcher der Fahrzeugmieter dem Mietwagenvermieter erfüllungshalber seine auf Ersatz der Mietwagenkosten gerichteten Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger abtrat. Der BGH war der Ansicht, dass gemäß dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB die Abtretungsklausel den Zeitpunkt klar erkennen lassen müsse, zu welchem der Zedent die Forderung bei Erfüllung des Mietzahlungsanspruchs zurückerhalte. In vielen Factoringmodellen gibt es Konstellationen, in denen eine Rückabtretung einzelner Forderungen vom Factor an den Kunden erfolgt (z. B. bei Rückabwicklung des Forderungskaufs oder endgültiger Ablehnung des Forderungskaufs). Die Entscheidung des BGH zeigt, dass eine intransparente Vertragsklausel zur Rückabtretung von Forderungen im Einzelfall zur Unwirksamkeit der vorherigen Abtretung an den Factor selbst führen kann. Zugleich zeigt die Entscheidung das Beispiel einer wirksamen Gestaltungsvariante auf.
Verschuldensunabhängige Veritätsgarantie des Kunden
Verschuldensunabhängige Veritätsgarantien sind in Forderungskaufverträgen weit verbreitet. Nimmt der Factor den Kunden wegen Verstoßes aus einer solchen Klausel in Anspruch, kann eine Verteidigungslinie des Kunden darin liegen, die Wirksamkeit der Klausel in Abrede zu stellen, da eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung tendenziell gegen § 307 BGB verstoße. Mit einer solchen Konstellation hat sich das OLG Frankfurt am Main im Berichtszeitraum befasst (OLG Frankfurt, Beschluss vom 21.6.2023 – 10 U 85/22 = BKR 2023, 873). Der zehnte Zivilsenat betont zwar, dass eine verschuldensunabhängige Garantiehaftung im Sinne des § 276 Abs. 1 S. 1 BGB nicht ohne Weiteres als stillschweigend vereinbart angesehen werden könne. Allerdings stellt er ebenso klar, dass eine ausdrücklich vereinbarte verschuldensunabhängige Veritätsgarantie nicht gegen § 307 BGB verstoße. Dies begründet er u.a. damit, dass der Kunde die Verität der von ihm angedienten Forderung wesentlich besser beurteilen könne als der Factor. Zudem verweist der Senat auf die Rechtsprechung des BGH, wonach eine verschuldensunabhägige Veritätsgarantie des Geschäftsführers eines Kunden wirksam sei. Die Auffassung des OLG Frankfurt am Main entspricht damit der herrschenden Meinung zur Wirksamkeit verschuldensunabhängiger Veritätsgarantien beim Forderungskauf.
Dieser Artikel ist Teil des "Update Commercial 2024". Alle Beiträge und den gesamten Report als PDF finden Sie hier.