Studie

Vereinbarung schuld­rechtlicher Reporting­pflichten im grenz­über­schreitenden Aktien­konzern

Von Jens Michael Göb

19.05.2022

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2022

Informationsfluss als Funktionsbedingung im Konzern

Nach erfolgreicher Übernahme einer Zielgesellschaft können sich dem Bieter vielfältige rechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Konzernintegration der Zielgesellschaft stellen. Ein zentrales Problem besteht typischerweise darin, einen funktionierenden Informationsfluss innerhalb des Konzerns zu etablieren. Die Notwendigkeit, eine adäquate Informationsversorgung der Konzernspitze sicherzustellen wird nicht nur aus ökonomischen Gründen für eine effiziente Konzernleitung erforderlich sein, sondern stellt auch eine grundsätzliche Voraussetzung dar, um der Compliance-Verantwortung und dem Risikomanagement in ihrer konzernweiten Dimension gerecht werden zu können. Ist die Muttergesellschaft zur Aufstellung eines Konzernabschlusses verpflichtet, tritt das Bedürfnis nach verlässlichen Informationskanälen spätestens anlässlich der Konzernberichterstattung deutlich zu Tage. Insbesondere für ausländische Muttergesellschaften, die eine deutsche Aktiengesellschaft als Tochter haben, kann dies jedoch eine Herausforderung darstellen.

Gesetzliche Auskunftsrechte für die Zwecke der Konzernrechnungslegung

Grundsätzlich stehen der Muttergesellschaft verschiedene Wege offen, um an Informationen aus der Sphäre der Tochtergesellschaft zu gelangen. Weitgehend unproblematisch ist dies freilich, wo die Muttergesellschaft erfolgreich auf die Errichtung eines Vertragskonzerns hingewirkt hat und den Informationsanspruch auf ein Weisungsrecht nach § 308 AktG stützen kann. Verbleibt es jedoch bei rein faktischer Konzernierung, ist die Muttergesellschaft zunächst auf allgemeine Instrumente der Informationsgewinnung zurückgeworfen, bei denen jedoch die Konzernlage typischerweise Berücksichtigung findet.

Vor diesem Hintergrund hilft das Gesetz Mutterunternehmen, indem § 294 Abs. 3 HGB Auskunftsrechte gegenüber Tochterunternehmen anordnet. Dadurch sollen Mutterunternehmen in die Lage versetzt werden, Konzernabschluss, Konzernlagebericht und den gesonderten nichtfinanziellen Konzernbericht aufzustellen. Problematisch ist indes, dass das HGB die Pflicht zur Aufstellung von Konzernabschluss und -lagebericht nur inländischen Mutterunternehmen aufgibt (§ 290 Abs. 1 Satz 1 HGB), sodass die Anwendbarkeit von § 294 Abs. 3 HGB auf Konzernmütter mit Sitz im Ausland bestritten wird. Eine ausländische Muttergesellschaft, welche aufgrund von Rechnungslegungsvorschriften ihrer heimischen Rechtsordnung zur umfassenden Konzernberichterstattung („Weltabschlussprinzip“) unter Einschluss einer deutschen Tochtergesellschaft verpflichtet ist, wird daher Wege suchen, den Informationsfluss im faktischen Konzern auch jenseits der gesetzlich vorgesehenen Kanäle, und zwar auf vertraglicher Grundlage, zu etablieren.

Aber auch für Muttergesellschaften im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 294 Abs. 3 HGB kann hierfür eine Notwenigkeit bestehen, wenn man bedenkt, dass der Auskunftsanspruch durch den Zweck der Konzernrechnungslegung begrenzt wird. Berücksichtigt man, dass die Informationsgewinnung dabei auch dem Zweck dienen kann, die vollständige und richtige Rechnungslegung durch die Konzernmutter sicherzustellen, ergeben sich hieraus zwar relativ weitreichende Informationsansprüche. Ein allgemeines Informationsrecht gewährt § 294 Abs. 3 AktG gleichwohl nicht. Und auch mit Blick auf den Nachteilsausgleich nach § 311 AktG wird es – selbst wenn § 294 Abs. 3 AktG anwendbar ist – häufig empfehlenswert sein, den Informationsfluss im faktischen Konzern auf vertragliche Füße zu stellen.

Praktische Lösung: Vertragliche Reportingpflichten

Um die für die Konzernberichterstattung erforderlichen Informationen regelmäßig und zuverlässig zu erlangen, kann es sich daher für die Muttergesellschaft anbieten, sich die entsprechenden Informationsrechte durch einen schuldrechtlichen Vertrag mit der Tochtergesellschaft einräumen zu lassen.

In der Praxis können derartige Vereinbarung Bestandteil von Vertragswerken sein, die in jüngerer Zeit unter dem Begriff „Relationship Agreements“ oder „Konzern-Koordinationsverträge“ vermehrt in das Interesse der Fachöffentlichkeit gerückt sind. Es handelt sich dabei um Koordinationsverträge, welche die Zusammenarbeit im faktischen Konzern noch deutlich umfassender regeln und etwa die einheitliche Übernahme von Konzernrichtlinien, die Einrichtung von Konzernfunktionen (z.B. für interne Revision, Compliance und Risikomanagement) oder von funktionalen Berichtslinien vorsehen. Für „Relationship Agreements“ – und erst recht für Verträge die sich auf das Reporting für die Zwecke der Rechnungslegung beschränken – gilt, dass sie nicht als Unternehmensverträge nach §§ 291 ff. AktG ausgestaltet werden. Entsprechend sind sie nicht von der Zustimmung der Hauptversammlung nach § 293 Abs. 1 AktG abhängig. Viel mehr handelt es sich um rein schuldrechtlich wirkende Verträge, deren Zweck darin besteht, die notwendige Zusammenarbeit im Konzern rechtssicher zu regeln, ohne dass dies in einen Beherrschungsvertrag und die damit korrespondieren Verpflichtungen mündet.

Rechtliche Schranken und rechtskonforme Ausgestaltung des Vertrags

Wollen Mutter- und Tochtergesellschaft verbindliche Informationspflichten zugunsten der Muttergesellschaft vertraglich regeln, sind in erster Linie die Schranken zu beachten, die sich unmittelbar aus § 311 AktG ergeben. Danach ist es dem herrschenden Unternehmen im faktischen Konzern verboten, seinen Einfluss dazu zu benutzen, eine abhängige Aktiengesellschaft zu veranlassen, ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zu ihrem Nachteil zu treffen, es sei denn, dass die Nachteile ausgeglichen werden.

Zunächst empfiehlt es sich, die Reportingpflichten und diesbezügliche Modalitäten möglichst genau vertraglich zu regeln. Das betrifft zuvörderst die Inhalte, auf die sich das Reporting zu erstrecken hat. Hier bietet es sich an, abgestufte Regelungen zu treffen, abhängig von den jeweiligen Berichtszeiträumen, welche ebenfalls zu definieren sind. Entsprechend können Umfang und Informationstiefe von Jahres- oder Quartalsreporten anders abgesteckt werden als eventuelle monatliche Berichtspflichten. Überdies können Regelungen für gegebenenfalls erforderliche zusätzliche Nachweise oder Rückfragen sowie für die jeweiligen Fristen festgelegt werden.

Auf dieser Basis sind sodann verbindliche Regelungen mit Blick auf § 311 AktG und den Nachteilsausgleich zu treffen. So sollten unmittelbar im Vertrag Vorschriften zum Ausgleich der Kosten, die der berichtspflichtigen Tochter entstehen, aufgenommen werden, insbesondere zu Höhe und Fälligkeit von Ausgleichszahlungen. Indes kommt der Ausgleich, der nachteilige Einflussnahmen rechtfertigt, an seine Grenzen, wo die Nachteile nicht quantifizierbar sind. Dies liegt bei der Weitergabe von vertraulichen Informationen aus der Sphäre der Tochtergesellschaft allerdings gerade nahe: Ein bezifferbarer finanzieller Ausgleich für Nachteile, die aus der Preisgabe einer vertraulichen Information resultieren (können) ist schwer vorstellbar. Die Praxis löst das Problem, indem ein Nachteil für die Tochtergesellschaft dadurch ausgeschlossen wird, dass die Muttergesellschaft die Information ausschließlich für die Zwecke der konzerninternen Kontrolle und Steuerung verwendet. Um dies abzusichern sollte der Vertrag die Infor mationsverwendung durch die Muttergesellschaft auf bestimmte Zwecke beschränken, welche eine Nutzung zum Nachteil der Tochtergesellschaft ausschließen. Überdies sollte der Vertrag flankierende Vorschriften zur Wahrung der Vertraulichkeit vorsehen.

Nicht nur im Kontext des § 311 AktG sieht die herrschende Auffassung damit Raum für eine konzernfreundliche Auslegung, welche die Errichtung von Informationskanälen zulässt. Auch bei anderen Vorschriften, die als Schranken in Betracht kommen, zeigt sich, dass gemeinhin Spielräume zugunsten einer wirksamen Konzernleitung anerkannt werden. So wird man im Rahmen von §§ 131 Abs. 4 Satz 1 und 2 AktG und § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, welche (auch) auf die informationelle Gleichbehandlung von Aktionären abzielen, ebenfalls davon ausgehen dürfen, dass die Konzernlage eine Rechtfertigung für die unterschiedliche Behandlung darstellen kann. Für § 131 Abs. 4 Satz 1 geht die herrschende Auffassung insoweit davon aus, dass die Auskunft dem herrschenden Unternehmen gerade nicht (lediglich) in seiner „Eigenschaft als Aktionär“ (§ 131 Abs. 4 Satz 1 AktG) erteilt wurde, wenn sie der Konzernleitung dient. Für notwendige Auskünfte, die einem Mutterunternehmen zum Zwecke der Einbeziehung der Gesellschaft in den Konzernabschluss des Mutterunternehmens erteilt werden, erkennt das Gesetz diesen Gedanken in § 294 Abs. 4 Satz 3 AktG – wenngleich primär vor dem Hintergrund der gesetzlichen Berichtspflichten des Mutterunternehmens – implizit an. Auch im Kontext des § 48 Abs. 1 Nr. 1 WpHG, also einer wertpapierrechtlichen Ausprägung des Gleichbehandlungsgebots, lässt man im Allgemeinen eine sachlichen Grund für eine unterschiedliche Behandlung genügen, was bei der Verfolgung legitimer Konzerninteressen gegeben sein dürfte.

Ist die Tochtergesellschaft börsennotiert bzw. sind ihre Aktien auf eigenes Bestreben in den Freiverkehr einbezogen, verdienen schließlich insiderrechtliche Vorschriften besondere Beachtung. Erlangt der Vorstand der Tochtergesellschaft Insiderinformationen, so gelten die Vorschriften der Marktmissbrauchsverordnung auch für deren Weitergabe innerhalb des Konzernverbunds. Sind solche Informationen Gegenstand des Reportings, ist daher besondere Vorsicht geboten. Verboten ist jedoch lediglich die „unrechtmäßige“ Offenlegung von Insiderinformationen (vgl. Art. 10 Abs. 1 UAbs. 1 und Art. 14 lit. c) der Marktmissbrauchsverordnung). Hier ist – wie bereits für die Frage der Gleichbehandlung der Aktionäre – richtigerweise die Konzernlage zu berücksichtigen.

Zwar wird mitunter behauptet, dass Konzerninteresse und Konzernleitung im Wesentlichen dem Mutterinteresse folgten und insofern die Weitergabe von Insiderinformationen „nach oben“ nicht rechtfertigen könnten. Einigkeit besteht aber zumindest insofern, dass die Weitergabe zur Erfüllung gesetzlicher Pflichten der Muttergesellschaft, einschließlich der Konzernberichterstattung, zulässig ist.

Wie bereits bei § 311 AktG ist aber sicherzustellen, dass die Nutzung der Information in Einklang stehen muss mit der Rechtfertigung ihrer Weitergabe im Konzern. Ist die Weitergabe der Insiderinformation nur vor dem Hintergrund der konzerninternen (gesetzlichen) Aufgabenwahrnehmung gerechtfertigt, muss vertraglich sichergestellt werden, dass sie auch nur für diese Zwecke, und insbesondere nicht zum eigenen wirtschaftlichen Vorteil der Konzernmutter verwendet wird. Im Übrigen hängt die Rechtmäßigkeit der Weitergabe der Insiderinformation davon ab, ob sie verhältnismäßig ist. Hier bietet sich eine zweistufige Regelung an, nach welcher die Tochtergesellschaft ihre Reportingpflichten zunächst in einem reduzierten Umfang, nämlich unter Aussparung der fraglichen Insiderinformation erfüllt. Sollte dies aus Sicht der Muttergesellschaft für die Reportingzwecke nicht ausreichend sein, so ist in einem zweiten Schritt einvernehmlich über eine schonende und rechtskonforme Weitergabe der Insiderinformation zu entscheiden.

Fazit

Da der Informationsfluss im Konzern eine unbestreitbare Funktionsbedingung darstellt, muss die Praxis Wege finden, um die Konzernleitung – auch und gerade über Ländergrenzen hinweg – zu ermöglichen. Dabei zeigt sich, dass das geltende Recht der Vereinbarung von Reportingpflichten im Konzern keine unüberwindbaren Hindernisse in den Weg stellt, jedoch Schranken errichtet, die bei der Vertragsgestaltung in verschiedener Hinsicht zu beachten sind. Das gemeinhin als legitim anerkannte Interesse der Muttergesellschaft an einer wirksamen und rechtskonformen Konzernleitung stellt dabei den zentralen Schlüssel dar.