Logistikrecht im Blickpunkt: Aktuelle Entwicklungen und Herausforderungen
BGH, Urteil vom 27.10.2022 – I ZR 139/21 zur Auslegung der ADSp 2017 bei multimodalem Transport
Der BGH hat sich mit der Auslegung der aktuell gültigen ADSp 2017 (Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen 2017) beschäftigt und das bisher in der Literatur umstrittene Verhältnis von Nr. 23.1.2 S. 1 ADSp 2017 zu Nr. 23.2 S. 1 Fall 2 ADSp 2017 geklärt. Im entschiedenen Fall wurde einer von mehreren „Pistenbullis“ bei dem multimodalen Transport von Deutschland in die USA beschädigt, wobei der Schadensort unbekannt blieb.
In einer lehrbuchartigen Prüfung stellte der BGH in dem Urteil zunächst mangels einer Rechtswahl der Parteien im Transportvertrag die Anwendbarkeit des deutschen Sachrechts aufgrund von Art. 5 Abs. 1 S. 1 Rom-I-VO fest. Wegen des multimodalen Transports kam der BGH hinsichtlich des konkreten Transportvertrags über die Vorschriften der §§ 452 ff. HGB zur Anwendung der §§ 407–450 HGB. Der Haftungshöchstbetrag der grundsätzlich nach den §§ 425, 429 HGB bestehenden Entschädigungspflicht war dabei durch die Einbeziehung der ADSp 2017 in den Vertrag abweichend von § 431 Abs. 1 HGB geregelt.
Nach ihrem Wortlaut erfassen sowohl Nr. 23.1.2 S. 1 als auch Nr. 23.2 S. 1 Fall 2 ADSp 2017 den Fall einer grenzüberschreitenden multimodalen Beförderung unter Einschluss einer Seestrecke bei unbekanntem Schadensort. Allerdings verweist Nr. 23.2 S. 1 Fall 2 auf den gesetzlich festgelegten Haftungshöchstbetrag, wohingegen Nr. 23.1.2 S. 1 die Haftung auf 2 statt 8,33 Sonderziehungsrechte für jedes Kilogramm beschränkt, also erheblich einschränkt. Da es sich bei den ADSp 2017 um Musterbedingungen handelt, hat der BGH diese als Allgemeine Geschäftsbedingungen ausgelegt. Dabei kommt der BGH zu dem Ergebnis, dass Nr. 23.1.2 S. 1 ADSp 2017 die speziellere Vorschrift sei, die bei einem Multimodaltransport mit Seestrecke bei unbekanntem Schadensort der Regelung des Nr. 23.2 S. 1 Fall 2 vorgehe. Dies begründet der BGH insbesondere damit, dass, wenn man annehmen würde, Nr. 23.2 S. 1 Fall 2 sei eine Rückausnahme zu Nr. 23.1.2 S. 1, dies den ohnehin beschränkten Anwendungsbereich von Nr. 23.1.2 S. 1 weiter einschränken würde.
OLG Karlsruhe, Urteil vom 17.2.2023 – 15 U 4/ 22 zur Verlustvermutung und unbeschränkten Haftung nach der CMR
Das OLG Karlsruhe setzte sich mit der Verlustvermutung des Art. 20 CMR (Convention relative au contrat de transport international de marchandises par route = Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr) bei Annahmeverweigerung und einer unbeschränkten Haftung nach Art. 29 CMR auseinander. Im vorliegenden Fall sollte der Spediteur Schmuck und Uhren von einer Absenderin zu einem Empfänger im Ausland transportieren. Für die Teilstrecke im Ausland setzte der Spediteur einen Unterfrachtführer ein. Als der Unterfrachtführer das Gut bei der Empfängerin abliefern wollte, verweigerte diese die Annahme. Daraufhin verbrachte der Unterfrachtführer das Gut in sein Lager und wartete auf weitere Anweisungen des Spediteurs. Der Verbleib des Gutes blieb lange Zeit unbekannt, erst während des Prozesses, ungefähr zwei Jahre später, stellte sich heraus, dass sich das Gut noch im Lager des Unterfrachtführers befand, es wurde daraufhin der Absenderin wieder ausgehändigt.
Das OLG bejaht eine unbeschränkte Haftung des Spediteurs nach Art. 17 Abs. 1, 29 CMR. Eine Ablieferung bei dem Empfänger sei nicht erfolgt und auch dessen Annahmeverweigerung führe nicht zur Ablieferung. Vielmehr hätte der Spediteur in diesem Fall Weisungen der Absenderin nach Art. 15 CMR einholen müssen, was er jedoch unterlassen hat. Auch wenn das Gut wiedergefunden wurde, konnte die Absenderin das Gut, ohne weiteren Beweis erbringen zu müssen, als verloren betrachten, da es nicht binnen 60 Tagen nach der Übernahme abgeliefert worden war. Bei der Vermutung des Art. 20 Abs. 1 CMR handele es sich um eine unwiderlegbare Vermutung. Einen Haftungsausschluss zugunsten des Spediteurs verneinte das OLG und nahm vielmehr eine unbeschränkte Haftung nach Art. 29 CMR an. Denn bei der Verlustvermutung sei darauf abzustellen, ob die Umstände, die für die Nichtablieferung maßgeblich waren, einen besonderen Pflichtenverstoß darstellen. Weil keine ordnungsgemäße Erfassung und Behandlung der Ware im Lager des Unterfrachtführers erfolgt seien und diese deswegen für ungefähr zwei Jahre unauffindbar war, nahm das OLG einen schweren Organisationsmangel und damit einen schweren, den Vorwurf leichtfertigen Handels begründenden Pflichtenverstoß bei dem Spediteur an. Das Verhalten des Unterfrachtführers habe sich der Spediteur insoweit nach Art. 29 Abs. 2 CMR zurechnen zu lassen.
BGH, Beschluss vom 23.3.2023 – I ZR 180/22 zum Beginn der Verjährung bei einem Lagervertrag
In diesem Beschluss über eine Nichtzulassungsbeschwerde thematisiert der BGH den Beginn der Verjährungsfrist bei einem Lagervertrag. Die Klägerin beauftragte den beklagten Umzugsunternehmer zunächst mit der Durchführung eines privaten Umzugs. Da der Umzug aber letztlich nicht stattfand, vereinbarten die Parteien, dass die Gegenstände der Klägerin bei der Beklagten eingelagert werden. Durch ein Hochwasser wurden sämtliche Gegenstände der Klägerin überflutet. Wann die Klägerin ihre Gegenstände zurückerhielt, wurde nicht vorgetragen, jedoch machte sie kurz nach dem Schadensfall mit einem Schreiben ihre Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Insbesondere die Verjährung der Ansprüche war sodann fraglich.
Auf die Verjährung von Ansprüchen aus einer Lagerung findet nach § 475a S. 1 HGB die Vorschrift des § 439 HGB Anwendung, nach dessen Absatz 2 beginnt die Verjährung mit Ablauf des Tages, an dem das Gut abgeliefert wurde. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Ablieferung anzunehmen, wenn der Frachtführer den Gewahrsam über das beförderte Gut aufgibt und den Empfänger mit dessen Willen und Einverständnis in die Lage versetzt, die tatsächliche Sachherrschaft über das Gut auszuüben. Das OLG ging in diesem Fall davon aus, dass die Klägerin spätestens mit der Geltendmachung der Schadensersatzansprüche in der Lage gewesen sei, die tatsächliche Gewalt über das Gut wieder auszuüben. Dieser Annahme hat der BGH nun eine klare Absage erteilt.
LG Hamburg, Urteil v. 15.6.2023 − 407 HKO 20/22 zur Frage der Weiterbelastung von Container-Demurrage
Diese Entscheidung des LG Hamburg ist interessant, stellt sie doch einen Klassiker in der täglichen Logistikpraxis dar. In dem Fall verklagte eine Spedition ihre Kundin auf die Erstattung von Demurrage-, Detention- und Lagerkosten sowie einem Kleinwasserzuschlag. Die Klägerin war als Fixkostenspediteurin nach § 459 HGB tätig. Die Kosten entstanden bei der Beförderung von Seefrachtsendungen aus Fernost, einschließlich Nachlauf, und wurden der Spedition von Reedereien in Rechnung gestellt. Die Klägerin argumentierte, dass die Kosten durch unvorhersehbare Umstände wie Verzögerungen im Seehafen Rotterdam und technische Defekte bei der Bahnstrecke entstanden seien, für die weder sie noch die Reederei verantwortlich waren. Sie berief sich auf die ADSp 2017 und das HGB, um die Erstattung der Kosten zu fordern. Die Beklagte bestritt die Forderungen und argumentierte, dass die Kosten bei angemessener Sorgfalt hätten vermieden werden können und somit nicht erstattungsfähig seien.
Das Gericht entschied, dass die Spedition keinen Anspruch auf die von ihr geltend gemachten Kosten hat. Das beklagte Unternehmen hatte mit der klagenden Spedition einen Speditionsvertrag zu fixen Kosten für multimodale Transporte abgeschlossen mit der Folge, dass nach § 459 S. 1 HGB mit der vereinbarten Speditionsvergütung grundsätzlich alle mit der Beförderung zusammenhängenden Aufwendungen abgegolten sind.
Die Klägerin konnte ihren Anspruch auch nicht auf § 420 Abs. 1 S. 2 HGB stützen. Zwar gelten im Rahmen der Fixkostenspedition im Hinblick auf die Beförderung des Gutes die Regelung des Frachtrechts, wonach der Frachtführer über die Fracht hinaus einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen hat. Demurrage- und Detentionskosten sowie auch die übrigen Kosten (Lagerkosten, Kleinwasserzuschlag) sind nicht von dieser Regelung erfasst, weil § 420 Abs. 1 S. 2 HGB ausdrücklich nur solche Kosten als ersatzfähige Aufwendungen erfasst, die für das Gut angefallen sind. Die vorstehend genannten Kosten sind jedoch keine güterbezogenen, sondern beförderungsbezogene Kosten.
Zudem ergibt sich aus Ziff. 17.1 ADSp 2017 kein Aufwendungsersatzanspruch, da diese nur für Aufwendungen gilt, die außerhalb der Risiko- und Verantwortungssphäre des Spediteurs liegen. Das Gericht stellte klar, dass die Klägerin die Risiken, Hindernisse und Zwischenfälle, die zu den zusätzlichen Kosten führten, selbst zu tragen hat. Dies umfasst Fehler und Unzulänglichkeiten ihrer Erfüllungsgehilfen sowie unvorhersehbare technische Defekte oder Ausfälle in der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur. In Bezug auf spezifische Fälle, wie die Stornierung von Slots im Hafen Rotterdam und den Ausfall einer Bahnstrecke, wies das Gericht die Argumentation der Klägerin zurück, dass diese Umstände außerhalb ihrer Kontrolle lagen und damit erstattungsfähig seien. Ebenso wurde der Anspruch auf Erstattung von Kleinwasserzuschlag und Lagerkosten abgelehnt, da diese Kosten in die Risikosphäre der Klägerin fallen und durch die Fixkostenvereinbarung mit der Beklagten abgedeckt sind.
Zusammenfassend stellte das Gericht fest, dass die Klägerin als Fixkostenspediteurin die Verantwortung für die entstandenen Kosten trägt und diese nicht auf die Beklagte übertragen kann.
OLG Frankfurt, Urteil v. 28.3.2023 – 14 U 84/22 zur Haftung des Frachtführers für Schäden infolge des Eindringens von Migranten auf der Ladefläche
Das Urteil des OLG Frankfurt betrifft einen Rechtsstreit über Schadensersatzforderungen im Zusammenhang mit einem Lebensmitteltransport, bei dem unbemerkt Migranten in den Laderaum eines Kühlzugs einstiegen, was zur Vernichtung der Ladung führte. Die Klägerin wurde beauftragt, 33 Paletten mit schoko- und kakaohaltigen Produkten von Stadtallendorf nach Ternat in Belgien zu transportieren. Bei der Ablieferung am 30. März 2021 stellte man fest, dass sich mindestens 29 blinde Passagiere im Kühlzug befanden.
Die Ware wurde von der beklagten Empfängerin abgelehnt und aufgrund eines Schadensverdachts vernichtet, denn die Verpackung wies teilweise Urinspuren auf, Verpackungen waren teilweise aufgerissen. Die Beklagte, Empfängerin der Ware, verlangte ihrerseits Schadensersatz in Höhe von 47.943,96 EUR. Die Klägerin bestritt den Schaden und argumentierte, dass der Fahrer das Eindringen der Migranten nicht hätte verhindern können, weshalb der Schadensersatzanspruch nach Art. 17 Abs. 2 CMR entfiele. Die Ware sei überwiegend noch brauchbar.
Das Landgericht folgte der Argumentation der Klägerin. Die Berufung der Beklagten hatte hingegen überwiegend Erfolg. Das OLG entschied, dass die Klägerin für die gesamte Fracht Schadensersatz zu leisten habe. Der Frachtführer habe nicht alles Zumutbare unternommen, um das Eindringen der Migranten zu verhindern, weshalb er sich nicht auf Art. 17 Abs. 2 CMR habe berufen können. Es wurde auch anerkannt, dass durch die Beschädigung einiger Kartons die gesamte Sendung unbrauchbar wurde, was eine Entwertung der gesamten Sendung darstellt. Ein Schadensverdacht allein genügte für die Annahme einer Beschädigung, da dies den Wert der Ware im wirtschaftlichen Verkehr minderte und die Ware nicht mehr ordnungsgemäß in den Verkehr gebracht werden könne.
Das Urteil unterstreicht die Bedeutung der Sorgfaltspflichten von Frachtführern im internationalen Transportrecht und die Konsequenzen bei Nichterfüllung dieser Pflichten. Es zeigt auch, dass ein begründeter Schadensverdacht ausreichend sein kann, um eine Wertminderung der Ware und somit einen Schadensersatzanspruch zu begründen.
EuGH (Siebte Kammer), Urteil vom 14.9.2023 − C-246/22 zu Kabotagebestimmungen
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Zusammenhang mit der Vorabentscheidungsfrage des Amtsgerichts Köln dreht sich um die Interpretation der Richtlinie 92/ 106/ EWG und der Verordnung 1072/ 2009/ EG, insbesondere im Hinblick auf die Beförderung von Leercontainern im Rahmen des kombinierten Verkehrs, und deren Ausnahme von den Kabotagebestimmungen. Der Fall entstand aus einem Rechtsstreit zwischen der Geschäftsführerin eines Verkehrsunternehmens, BW, und dem damaligen Bundesamt für Güterverkehr (BAG) in Deutschland (heute: Bundesamt für Logistik und Mobilität).
Das BAG verhängte ein Bußgeld wegen der Verletzung von Kabotagebestimmungen, die besagen, dass ein Verkehrsunternehmen aus einem EU-Mitgliedsstaat nur eine begrenzte Anzahl von innerstaatlichen Transporten in einem anderen EU-Mitgliedsstaat durchführen darf. Der Streit konzentrierte sich darauf, ob die Beförderung von Leercontainern als Teil des kombinierten Verkehrs angesehen werden kann und somit von den Kabotagebeschränkungen ausgenommen ist.
Der EuGH legte fest, dass unter kombiniertem Verkehr Beförderungen zu verstehen sind, bei denen der Transport über eine Strecke auf der Straße und den größeren Teil der Strecke auf der Schiene, einer Binnenwasserstraße oder auf See erfolgt, wobei der Straßentransport unter eine bestimmte Streckenlänge fallen muss. Der Gerichtshof entschied, dass die Beförderung von Leercontainern zwischen einem Containerterminal und dem Ort der Güterbeladung oder -entladung als Teil des kombinierten Verkehrs gilt. Dies gilt auch, wenn diese Transporte unmittelbar vor oder nach der Güterbeförderung erfolgen.
Der EuGH stellte weiterhin fest, dass die Beförderung von Leercontainern im Rahmen des kombinierten Verkehrs von den Kabotagebestimmungen der Verordnung 1072/ 2009 ausgenommen ist. Dies bedeutet, dass solche Transporte nicht den strengen Beschränkungen unterliegen, die normalerweise für Kabotagebeförderungen gelten. Der Gerichtshof betonte die Bedeutung des kombinierten Verkehrs als Mittel zur Reduzierung von Straßenüberlastung, Umweltschutz und Verbesserung der Verkehrssicherheit. Die Einbeziehung von Leercontainertransporten in den kombinierten Verkehr trägt zur Förderung dieser Verkehrsform bei. Auch wenn der Transportmarkt in der EU noch nicht vollständig harmonisiert ist, unterstreicht das Urteil die Ziele der gemeinsamen Verkehrspolitik der EU, die darauf abzielt, Hindernisse für den freien Verkehr von Gütern und Dienstleistungen zu beseitigen und gleichzeitig sicherzustellen, dass dies auf eine Weise geschieht, die die öffentliche Sicherheit, den Umweltschutz und die Effizienz des Verkehrssystems berücksichtigt.
Zusammenfassend hat der EuGH entschieden, dass die Beförderung von Leercontainern im Rahmen des kombinierten Verkehrs stattfindet und daher von den Kabotagebeschränkungen ausgenommen ist, wodurch ein wichtiger Präzedenzfall für ähnliche Fälle in der Zukunft geschaffen wurde.
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