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Kein Beschlag­nahme­verbot für Unterlagen aus internen Unter­suchungen

26.11.2024

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschied kürzlich in den Verfahren 1022/19 und 1125/19 über die Beschwerde zweier Rechtsanwälte sowie der Kanzlei Jones Day gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Durchsuchung und die Beschlagnahme von Unterlagen aus einer internen Untersuchung.

Jones Day hatte für die Volkswagen AG eine interne Untersuchung durchgeführt. Im Zusammenhang mit Ermittlungen gegen unbekannte Verantwortliche der AUDI AG ließ die Staatsanwaltschaft München II Kanzleiräume von Jones Day durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen, die Untersuchungen von Jones Day bei und im Zusammenhang mit der AUDI AG betrafen. Beschwerden von Jones Day gegen die Durchsuchung und Beschlagnahme blieben erfolglos. Weder das Landgericht München I noch das Bundesverfassungsgericht sahen in der Durchsuchung und Beschlagnahme einen Verstoß gegen
§ 160a Abs. 5 i.V.m. § 97 StPO bzw. Art. 12 GG. Begründet wurde dies damit, dass das Beschlagnahmeprivileg des § 97 StPO nur im Verhältnis zwischen Strafverteidiger und dem beschuldigten Mandanten bestehe und dieser Beschlagnahmeschutz auch nur in strafrechtlichen Verfahren gegen den Mandanten gelte. Es habe jedoch weder ein Mandatsverhältnis zur AUDI AG bestanden noch habe Jones Day die Rolle des Strafverteidigers wahrgenommen. Daher seien Unterlagen aus internen Untersuchungen jedenfalls in Verfahren gegen andere Personen als den Mandanten nicht geschützt (vgl. hierzu Noerr Insights vom 16.07.2018).

Hiergegen legte Jones Day vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde ein und rügte eine Verletzung von Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Diese Beschwerde verwarf der Gerichtshof als unbegründet.

Den ersten Einwand, wonach die nationale Rechtsgrundlage für die Beschlagnahme nicht hinreichend klar und vorhersehbar war, wies der Gerichtshof unter Bezugnahme auf die Entscheidung Klaus Müller gegen Deutschland (Fall Nr. 24173/18) zurück. Gesetzliche Vorschriften könnten nicht immer eindeutig formuliert werden. Unterschiedliche Auslegungen einer Rechtsnorm durch Gerichte stellen dann keine Menschenrechtsverletzung dar, wenn es einen Mechanismus zu einer Klärung unterschiedlicher Rechtsauslegungen gebe. Dies gelte insbesondere, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Entscheidung des nationalen Gerichts auf der Grundlage der herrschenden Auffassung erfolgte.

In Bezug auf die zweite Rüge, wonach der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig gewesen sei, führte der Gerichtshof auf, dass das Legal Privilege nicht beeinträchtigt worden sei. Jones Day sei von der Volkswagen AG, nicht der AUDI AG, mandatiert worden, ein Anwalts-Mandanten-Verhältnis habe zur AUDI AG nicht bestanden. Die Durchsuchung und Beschlagnahme habe sich ausschließlich auf Dokumente und Erkenntnisse im Zusammenhang mit der AUDI AG beschränkt, solche der Volkswagen AG seien explizit ausgenommen gewesen, so dass das Vertrauensverhältnis zwischen Jones Day und der Volkswagen AG nicht berührt sei. Die Durchsuchung und Beschlagnahme habe sich nur auf Unterlagen bezogen, die ein drittes Unternehmen, nicht den Mandanten betreffen. Im Übrigen sei die Durchsuchung und Beschlagnahme angesichts der Schwere der damals gegen die AUDI AG erhobenen Vorwürfe und angesichts des Umstands, dass die Volkswagen AG vergleichbare Vorwürfe in den USA bereits eingeräumt hatte, nicht zu beanstanden.

Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist angesichts des auf die Verletzung von Menschenrechten begrenzten Prüfungsmaßstabs nicht überraschend. Damit dürfte geklärt sein, dass der Schutzumfang des Legal Privilege bei internen Untersuchungen jedenfalls dann nicht greift, wenn es Erkenntnisse, Unterlagen und Arbeitsprodukte anbelangt, die andere (Konzern-)Unternehmen als den jeweiligen Mandanten betreffen. Dies zumindest dann, wenn – wie im vorliegenden Fall – keine negativen strafrechtlichen Auswirkungen auf den Mandanten zu erwarten sind. Das letzte Wort darüber, ob in etwas anders gelagerten Konstellationen nicht doch ein Beschlagnahmeprivileg anwendbar sein kann, ist aber noch nicht gesprochen. In jedem Falle ist es erforderlich, sich bereits bei der Beauftragung von internen Untersuchungen darüber Gedanken zu machen, wie das Beschlagnahmeprivileg zumindest weitgehend erhalten werden kann.