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Referentenentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts

29.09.2020

Die vergangenen Wochen und Monate der Restrukturierungs- und Insolvenzrechtspraxis waren bestimmt von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Das Thema präventiver Restrukturierungsrahmen und die Frage, wie die diesbezüglichen europarechtlichen Vorgaben (Richtlinie (EU) 2019/1023 vom 20. Juni 2019, wir berichteten) in deutsches Recht umgesetzt werden, traten vorübergehend in den Hintergrund. Gleiches galt für die in der Sache bereits abgeschlossene, aber noch nicht mit einer entsprechenden Gesetzesänderung beantwortete Evaluation des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 (ESUG).

Mit dem Ziel, zum einen diese beiden Vorhaben abzudecken und zum anderen dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die durch die COVID-19-Pandemie bedingte Sondersituation weitere Anpassungen des Sanierungs- und Insolvenzrechts erforderlich macht, veröffentlichte das BMJV am 19. September 2020 den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG).

Das Gesetz soll bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass insbesondere die von der COVID-19-Pandemie betroffenen Unternehmen, die überschuldet aber nicht zahlungsunfähig sind, von den im Gesetz vorgesehenen Erleichterungen profitieren und von der Möglichkeit einer außerhalb des Insolvenzverfahrens stattfindenden Restrukturierung Gebrauch machen können. Ohne die geplanten gesetzlichen Änderungen unterlägen überschuldete Unternehmen mit Ablauf des Jahres 2020 wieder der Insolvenzantragspflicht, da die temporäre Aussetzung der Antragspflicht wegen Überschuldung, die über den 30. September 2020 hinaus verlängert wird (wir berichteten), zum Jahresende ausläuft. Auch wenn dieses Ziel nachvollziehbar und wünschenswert ist, ist doch an einigen Stellen des Entwurfs mit Widerstand von betroffenen Wirtschaftsteilnehmern zu rechnen, der zu Änderungsdiskussionen führen wird, so dass der Zeitplan sehr ambitioniert erscheint.

Eine ausführliche Darstellung zu dem "Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts" finden Sie hier.

I. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen

Herzstück des SanInsFoG ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG). Mit Hilfe dieses Gesetzes soll die Grundlage für die Durch- und Umsetzung von Sanierungen gegen den Widerstand einzelner im Vorfeld eines Insolvenzverfahrens geschaffen werden. Die Möglichkeit, in die Rechte von Gläubigern außerhalb eines Insolvenzplanverfahrens im Wege eines Mehrheitsbeschlusses einzugreifen, kennt das deutsche Recht bisher nur im Fall von Schuldverschreibungen, die in den Anwendungsbereich des Schuldverschreibungsgesetzes vom 31. Juli 2009 fallen. Mit dem Restrukturierungsrahmen wird der Werkzeugkasten der Restrukturierer um ein lang ersehntes Instrument erweitert, das die Lücke schließt zwischen der außergerichtlichen Sanierung, die Einstimmigkeit voraussetzt, und der Sanierung per Mehrheitsentscheidung im Insolvenzplanverfahren, das mit den Kosten und klassischen Nachteilen eines Insolvenzverfahrens untrennbar verbunden ist: Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten wird mit dem Restrukturierungsrahmen die Möglichkeit eröffnet, die Sanierung aufgrund eines mehrheitlich von den betroffenen Gläubigern bestätigten Plans außerhalb eines Insolvenzverfahrens zu erreichen und auf diese Weise die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens von vornherein zu vermeiden. Neben Unternehmen erhalten auch unternehmerisch tätige natürliche Personen Zugriff auf den Restrukturierungsrahmen (§ 30 Abs. 1 StaRUG-E).

Die wesentlichen Eckpunkte des Restrukturierungsrahmens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Partielle Involvierung des Gerichts: Sowohl den Entwurf des Restrukturierungsplans, die Verhandlungen mit den Gläubigern als auch die Planabstimmung kann das Unternehmen im Grundsatz in Eigenregie betreiben. Die Einschaltung des Gerichts ist nur erforderlich, wenn und soweit das Unternehmen von einer der vom Gesetz bereitgestellten Verfahrenshilfen Gebrauch machen bzw. einen Eingriff in Gläubigerrechte erreichen möchte. Dies ist immer schon dann der Fall, wenn einem nur mehrheitlich, aber nicht einstimmig angenommenen Plan zur Wirkung verholfen werden soll. Gerichtliche Entscheidungen sind stets bekannt zu machen, weshalb spätestens ab diesem Zeitpunkt das Restrukturierungsvorhaben öffentlich wird.

  • Für Unternehmen im frühen Krisenstadium: Zugang zum Restrukturierungsrahmen und den Verfahrenshilfen haben Unternehmen, die lediglich drohend zahlungsunfähig (§ 18 InsO) sind. Der Entwurf zum SanInsFoG konkretisiert die drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO, indem er den Prognosezeitraum auf in aller Regel 24 Monate festlegt. Zugleich grenzt er die drohende Zahlungsunfähigkeit schärfer von der Überschuldung nach § 19 InsO ab, indem der Prognosezeitraum bei der Überschuldung auf 12 Monate bestimmt wird. Die Insolvenzantragsfrist bei Überschuldung soll von drei Wochen auf sechs Wochen verlängert werden.
  • Einbeziehung aller Gläubiger und Anteilseigner möglich: Der Restrukturierungsrahmen wird nicht auf Finanzgläubiger beschränkt, sondern kann sich auf alle Arten von Forderungen erstrecken. Ausgenommen sind lediglich Arbeitnehmerforderungen einschließlich Ansprüchen auf betriebliche Altersvorsorge sowie Forderungen aufgrund vorsätzlicher unerlaubter Handlungen und staatliche Sanktionsforderungen. Das Unternehmen hat die Reichweite unter Zugrundelegung sachlicher Kriterien zu bestimmen. Der Plan kann auch in Anteils- und Mitgliedschaftsrechte an der Schuldnerin eingreifen (z.B. Debt-To-Equity-Swap). Zudem kann der Plan – gegen angemessene Entschädigung – in gruppeninterne Drittsicherheiten eingreifen.
  • Mehrheitserfordernisse: Die Planbetroffenen stimmen über den Plan in Gruppen ab, wobei in jeder Gruppe eine qualifizierte Summenmehrheit von 75 % für den Plan stimmen muss. Sofern Gruppen diese Mehrheitserfordernisse nicht erfüllen, gilt die Zustimmung unter bestimmten Voraussetzungen als erteilt. Der Referentenentwurf basiert auf dem Ansatz einer absoluten Prioritätsregel, d.h. es darf weder eine planbetroffene Gläubigerin, die außerhalb des Plans nachrangig wäre, noch die Schuldnerin oder eine Anteilsinhaberin einen Wert erhalten. Die absolute Priorität wird aber zu Gunsten der Schuldnerin bzw. der Anteilsinhaber in zwei Fällen durchbrochen und zwar zum einen, wenn die Schuldnerin oder eine an ihr beteiligte Anteilsinhaberin, deren Mitwirkung für die Unternehmensfortführung erforderlich ist, sich zur Fortführung des Unternehmens verpflichtet hat, und zum anderen, wenn ein lediglich geringfügiger Eingriff in Gläubigerrechte erfolgt (etwa weil Forderungen im Plan nicht gekürzt sondern maximal bis zu 12 Monate gestundet werden).

  • Vertragsgestaltung: Die Forderungen der planbetroffenen Gläubiger können nicht nur gekürzt und gestundet werden, sondern es besteht die Möglichkeit gestalterisch in die sonstigen Vertragsbestimmungen einzugreifen und auf diese Weise insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen Konditionen zu schaffen, die nach Abschluss des Restrukturierungsvorhabens von dem Unternehmen erfüllt werden können. Dies gilt bei Dauerschuldverhältnissen insoweit, als die Forderungen bereits begründet sind und die Gegenleistung vom Vertragspartner erbracht worden ist.

  • Leistungswirtschaftliche Sanierung: Der Restrukturierungsrahmen bietet auch insoweit Hilfestellung bei der leistungswirtschaftlichen Sanierung, als das Gericht auf Antrag laufende Verträge beenden kann.

  • Moratorium: Flankierende Maßnahme zwecks Stabilisierung des Unternehmens kann eine gerichtlich angeordnete Vollstreckungs- und Verwertungssperre mit einer Laufzeit von bis zu drei bzw. für Planbetroffene vier und bei Planannahme bis zu acht Monaten sein. Die Wirkung kann sich auf bestimmte oder alle Gläubiger mit Ausnahme der vom Plan generell ausgenommenen Gläubiger erstrecken.

  • Neue Finanzierungen: Neue Finanzierungen werden haftungs- und anfechtungsrechtlich insoweit privilegiert, als die Kenntnis von der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache oder der Inanspruchnahme von Instrumenten des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens nicht haftungs- bzw. vorsatzbegründend wirkt. Außerdem unterliegen die in einem rechtskräftigen Plan vorgesehenen Maßnahmen grundsätzlich nicht der Insolvenzanfechtung. Der Entwurf macht keinen Gebrauch von der Möglichkeit, neuen Finanzierungen in einem etwaigen späteren Insolvenzverfahren eine Vorrangstellung gegenüber allen anderen Gläubigern zu verschaffen. Möglich ist allerdings, dass eine Vorrangigkeit neuer Finanzierungen im Verhältnis zu den bestehenden Gläubigern im Restrukturierungsplan geregelt werden kann.

  • Restrukturierungsbeauftragte: Die Restrukturierungsbeauftragte wird voraussichtlich in einer Vielzahl von Fällen schon deshalb zwingend vom Gericht zu bestellen sein, weil eine umfassende Vollstreckungs- und Verwertungssperre erwirkt wird oder zu erwarten ist, dass eine oder mehrere der Gruppen nicht mit der erforderlichen Mehrheit zustimmen werden, so dass es auf das Vorliegen der Voraussetzung einer Zustimmungsfiktion ankommen wird.

II.         Die Konsequenzen aus der Evaluation des ESUG

Das SanInsFoG dient nicht nur der Implementierung eines präventiven Restrukturierungsrahmens sondern auch der Umsetzung der Ergebnisse der Evaluation des ESUG. Zu diesem Zweck soll insbesondere der Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren nachjustiert und sowohl das Eigenverwaltungsverfahren als auch das Insolvenzplanrecht angepasst werden. Der Referentenentwurf verfolgt das Ziel, Anreize für eine rechtzeitige und konsequente Vorbereitung und Einleitung von Sanierungen zu schaffen. Der in der Anordnung der Eigenverwaltung liegende Vertrauensvorschuss soll nur gewährt werden, wenn das Eigenverwaltungsverfahren rechtzeitig und gewissenhaft vorbereitet worden ist, bevor es zu einer akuten Zahlungsunfähigkeit kommt. Darüber hinaus werden verschiedene bislang ungeregelte Einzelfragen geregelt, wie z.B. die Ermächtigung der Schuldnerin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten (§ 270c Abs. 4 InsO-E) und die Haftung der Geschäftsleiterinnen während eines (vorläufigen) Eigenverwaltungsverfahrens (§276a Abs. 2 und 3 InsO-E).

III.       Anpassungen in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie

Für die Umsetzung der EU-Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen haben die Mitgliedsstaaten Zeit bis zum 17. Juli 2021. Das SanInsFoG soll aber bereits zum 1. Januar 2021 in Kraft treten. Hintergrund hierfür ist der Umstand, dass mit Ablauf des Jahres 2020 die aufgrund der COVID-19-Pandemie in die Überschuldung geratenen Unternehmen nicht mehr von der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht werden profitieren können. Es ist aber heute bereits absehbar, dass eine Vielzahl von Unternehmen es nicht schaffen wird, bis dahin die finanzielle Krise zu überwinden. Daher bedarf es einer Anschlusslösung. Diese soll unter anderem darin bestehen, den präventiven Restrukturierungsrahmen als neues Instrument nutzen zu können.

Außerdem sollen Unternehmen, die von den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie negativ betroffen sind, erleichterten Zugang zum Eigenverwaltungsverfahren erhalten und nicht in gleicher Weise den neu einzuführenden Restriktionen unterliegen. Insoweit soll auch der Prognosezeitraum für die Fortführungsprognose im Überschuldungstatbestand bis zum 31. Dezember 2021 auf vier Monate (anstelle von neuerdings 12 Monaten) verkürzt werden, sofern die Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um der aktuell erhöhten Unsicherheit über die weitere wirtschaftliche Entwicklung Rechnung zu tragen.