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Leih­arbeit: Über­lassungs­höchst­dauer erneut vor dem EuGH auf dem Prüf­stand

18.10.2024

Der Gerichtshof der Europäischen Union muss sich im Rahmen eines sog. Vorabentscheidungsersuchens erneut mit der Überlassungshöchstdauer aus § 1 Abs. 1b S. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) auseinandersetzen. Konkret geht es um die Frage, wie es sich auf die Überlassungshöchstdauer auswirkt, wenn auf Entleiherseite während der Überlassung eines Leiharbeitnehmers ein Betriebsübergang stattgefunden hat.

Zur Klärung dieser Frage hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 01.10.2024 ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet. Der Ausgang dieses Verfahrens ist für die Praxis der Arbeitnehmerüberlassung bzw. der Leiharbeit von erheblicher Bedeutung.

1. Hintergrund

Hintergrund des Vorabentscheidungsersuchens ist ein Rechtsstreit zwischen einem Unternehmen aus der Sanitärbranche (Beklagte) und einem Leiharbeiter (Kläger). Der Kläger war durchgängig vom 16.06.2017 bis zum 06.04.2022 als Leiharbeitnehmer in der Logistik mit der Kommissionierung von Produkten beschäftigt. Anfänglich war Entleiher ein Produktionsunternehmen, welches als Betriebsteil die Logistik führte. Am 01.07.2018 kam es zu einem Betriebsteilübergang von dem Produktionsunternehmen auf die Beklagte. Die Beklagte erwarb im Rahmen dessen den Betriebsteil der Logistik von dem Produktionsunternehmen. Der Kläger war auch nach dem Betriebsteilübergang unverändert in diesem Betriebsteil beschäftigt. Der Kläger machte in dem Rechtsstreit nun geltend, dass zwischen den Parteien zum 16.12.2018 ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen sei, da die gesetzliche Überlassungshöchstdauer gem. § 10 Abs. 1 AÜG überschritten wurde. § 1 Abs. 1b S. 1 AÜG bestimmt, dass der Verleiher denselben Leiharbeitnehmer nicht länger als 18 aufeinanderfolgende Monate „demselben Entleiher“ überlassen darf. Durch einen entsprechenden Tarifvertrag der Einsatzbranche kann aber von der gesetzlich festgelegten Überlassungshöchstdauer abgewichen werden.

Zwar berief sich die Beklagte auf die längere Überlassungshöchstdauer des Tarifvertrags Leih-/Zeitarbeit für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens. Dies blieb allerdings ohne Erfolg, weil dessen Voraussetzungen nicht erfüllt waren: Die bei der Beklagten anfallenden Logistiktätigkeiten sind nicht Teil des Fertigungsprozesses. Das wäre aber erforderlich gewesen. Damit unterhält sie keinen Betrieb, der dem Geltungsbereich des besagten Tarifvertrags unterliegt. Die Beklagte muss sich deshalb an den gesetzlichen Regelungen zur Überlassungshöchstdauer messen lassen.  

Entscheidend ist daher, ob (i) das Produktionsunternehmen (als Betriebsveräußerer) und die Beklagte (als Betriebserwerberin) als derselbe Entleiher anzusehen sind oder (ii) bei Übergang des Einsatzbetriebs auf einen anderen Inhaber die Überlassungshöchstdauer neu zu laufen beginnt.

Während das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat, gab das Landesarbeitsgericht der Klage auf die Berufung des Klägers hin statt. Es entschied, dass es für die Berechnung der Überlassungshöchstdauer ausschlaggebend sei, ob die Überlassungsmodalitäten trotz Betriebsteilübergangs gleichbleiben. Auf die formale Überlassung an das konkrete Unternehmen komme es daher nicht an.

Im Rahmen der Revision hat das BAG nun das Verfahren ausgesetzt. Das BAG hält es für klärungsbedürftig, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei der Berechnung der Überlassungshöchstdauer im Fall eines Betriebsübergangs Veräußerer und Erwerber als ein „entleihendes Unternehmen“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2008/104/EG anzusehen sind.

2. Auswirkungen für die Praxis

Der Neunte Senat hat auch ein Parallelverfahren bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen ausgesetzt. Die Klärung dieser Frage ist von allgemeiner Bedeutung. Es bedarf einer einheitlichen Klärung, welche zu mehr Rechtssicherheit führen wird.

Nun muss der EuGH entscheiden. Und von dieser Entscheidung hängt einiges ab. Sollte der EuGH zu dem Ergebnis kommen, dass ein Betriebsübergang auf Entleiherseite nicht zu einer Unterbrechung der Überlassungsdauer führt, hat dies weitreichende Konsequenzen in der Praxis auf Verleiher- als auch auf Entleiherseite. Die Überlassungsdauer nach Betriebsübergang wird dann in der Regel um ein Vielfaches verkürzt sein. Der Betriebserwerber muss dies genau im Blick behalten. Ansonsten droht die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses. Ein solches ist aber oft gerade nicht gewollt, schon gar nicht von einem Betriebserwerber, zumal es zumeist mit nachzuentrichtenden Sozialversicherungsabgaben und Steuernachzahlungen einhergeht. Darüber hinaus drohen bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer beiden Seiten erhebliche Geldbußen. Ggf. kommen sogar eine Strafbarkeit und regulatorische Folgen (bis hin zum Ausschluss von öffentlichen Ausschreibungen) in Betracht.

Nun bleibt der Wirtschaft und der Rechtsberatung nichts anderes über, als die Entscheidung des EuGH abzuwarten. Schon jetzt sollte dieses Thema bei Betriebsveräußerungen im Rahmen der Due Diligence und in Unternehmenskaufverträgen berücksichtigt werden.

Vor diesem Hintergrund sollten Arbeitgeber nun ein besonderes Augenmerk darauf legen, dass ihre Verträge und Beauftragungen im Anbetracht der neusten Verwaltungspraxis rechtskonform gestaltet sind.

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