Keine Erstreckung von Unionsrecht auf Schiedsklauseln in Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten
Nach seinen grundlegenden Entscheidungen zur Wirksamkeit von Schiedsklauseln im intra-EU Verhältnis im vergangenen Sommer beschäftigte sich der BGH im Oktober erneut mit dem Thema der Wirksamkeit von Schiedsklauseln. In diesem Fall ging es allerdings nicht um ein Schiedsverfahren zwischen EU-Rechtssubjekten.
Vielmehr hatte die Deutsche Telekom die Anerkennung und Vollstreckung eines von ihr gegen die Republik Indien erstrittenen Schiedsspruchs beantragt. Der Schiedsspruch war auf der Basis des zwischen der Republik Indien und der Bundesrepublik geschlossenen bilateralen Investitionsschutzabkommens nach UNCITRAL erlassen worden. Im Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren berief sich die Republik Indien auf Unionsrecht, um die Vollstreckung abzuwehren.
Der BGH entschied klar, dass dem Schiedsspruch die Anerkennung und Vollstreckung nicht zu versagen war, insbesondere nicht auf unionsrechtlicher Basis. Laut BGH widersprechen Schiedsklauseln in Investitionsschutzverträgen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten dem Unionsrecht nicht.
Entscheidung des BGH
In seiner Entscheidung vom 12.10.2023 differenziert der BGH ausdrücklich zwischen einer „intra- und einer extra-unionalen Dimension“ von Schiedsklauseln und knüpft damit an die sog. Komstroy-Entscheidung des EuGH an. In der Komstroy-Entscheidung hatte der EuGH explizit ausgeführt, dass der zugrunde liegende multilaterale Investitionsschutzvertrag EU-Mitgliedstaaten zur Streitbeilegung vor Schiedsgerichten verpflichten kann, wenn sich Investoren von Drittstaaten darauf berufen. Unionsrecht steht damit nicht per se Investitionsschiedsverfahren entgegen. Vielmehr hatte der EuGH in der Komstroy-Entscheidung hervorgehoben, dass allein die eine intra-EU schiedsgerichtliche Streitbeilegung gegen Unionsrecht verstößt.
Nach Ansicht des BGH waren die in der Komstroy-Entscheidung geäußerten Überlegungen auf den vorliegenden Fall übertragbar, auch wenn es hier nicht um einen multilateralen, sondern einen bilateralen Investitionsschutzvertrag (BIT) ging. Beide Instrumente regeln schließlich die wechselseitige Beziehung zweier Vertragsparteien.
Eine Übertragung der Argumentationslinien aus der sog. Achmea-Entscheidung, wie von der Republik Indien gefordert, lehnte der BGH hingegen ab. Denn die Achmea Entscheidung beruht u.a. auf dem im EU-Recht verankerten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten, die für die Anwendung und Wahrung des Unionsrechts zu sorgen haben. Einen Drittstaat trifft diese Verpflichtung nicht. Das zwischen EU-Mitgliedstaaten bestehende Vertrauen, in allen EU-Mitgliedstaaten aufgrund gemeinsamer Werte und der Pflicht zur Wahrung des Unionsrechts effektiven Rechtsschutz auch vor staatlichen Gerichten zu erhalten, ist bei Drittstaaten nicht gegeben. Dementsprechend kann auch die mit der Achmea-Entscheidung erstmals ausgesprochene sog. intra-EU-Einrede nicht bezüglich Schiedsklauseln in Verträgen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten geltend gemacht werden.
Fazit und Praxisfolgen
Die Entscheidung bestätigt erneut nicht nur die Unionsrechtstreue des BGH, sondern auch seine Schiedsrechtsfreundlichkeit. Dem BGH gelingt es erneut, die beiden Rechtsgebiete in Einklang zu bringen, in dem er bestätigt, dass Unionsrecht einer Verpflichtung zu schiedsgerichtlicher Streitbeilegung bei der Beteiligung von Drittstaaten nicht entgegensteht. Der unionsrechtliche Grundsatz der Loyalität gilt eben nur im Verhältnis von EU-Mitgliedstaaten untereinander.