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Klare Richtschnur des OLG Düsseldorf zur kartell­rechtlichen Beurteilung von Wettbewerbs­verboten bei Marktanteilen über 30%

13.12.2024

In der Vertriebspraxis spielen Alleinbezugsverträge und Wettbewerbsverbote eine unverändert wichtige Rolle.

Aufgrund solcher Vereinbarungen wird der Abnehmer, also etwa ein Vertragshändler, exklusiv für einen Lieferanten tätig. Die Exklusivität hat sowohl für den Abnehmer als auch den Lieferanten Vorteile. Einerseits profitiert der Lieferant von einer gewissen Absatzgarantie, da sich der Abnehmer ausschließlich auf den Verkauf der vom Lieferanten bezogenen Vertragswaren konzentriert. Der Lieferant wird hierdurch auch regelmäßig seine Produktions- und Absatzplanung effizient planen und steuern können. Andererseits erhält der Abnehmer durch das Wettbewerbsverbot spiegelbildlich eine Bezugsgarantie sowie einen Marktzugang unter oft besseren Bedingungen als ohne die Alleinbezugsvereinbarung. Vorteilhaft für den Abnehmer, aber auch die Kunden, ist zudem, dass sich der Lieferant aufgrund der engen Bindung zum Abnehmer regelmäßig stärker für die Qualität der Vertragsprodukte und des Kundendienstes einsetzen wird.

Gleichzeitig können Alleinbezugsverträge und Wettbewerbsverbote (nachfolgend vereinfacht nur „Wettbewerbsverbote“) auch eine Wettbewerbsbeschränkung bewirken, weil mit ihnen marktabschottende Effekte verbunden sein können. Sie können bei Existenz anderer erheblicher Marktzutrittsschranken und – gegebenenfalls in Verbindung mit anderen gleichartigen Verträgen desselben Lieferanten und mit den gleichartigen Verträgen anderer Lieferanten – geeignet sein, neuen inländischen und ausländischen Wettbewerbern den Zugang zum Markt oder die Möglichkeit zur Steigerung ihres Marktanteils zu verschließen.

Gerade außerhalb des außerhalb des Anwendungsbereichs der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung („Vertikal-GVO“), die bestimmte Wettbewerbsverbote generell vom Kartellverbot freistellt (Artikel 5 Vertikal-GVO), sind daher regelmäßig Einzelfallprüfungen erforderlich, ob und inwiefern mit dem Wettbewerbsverbot eine marktabschottende Wirkung verbunden ist und es mithin kartellrechtlich zulässig ist oder nicht.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf („OLG Düsseldorf“) gibt nun in einer jüngeren Entscheidung eine weitere Hilfestellung bei der kartellrechtlichen Beurteilung von Wettbewerbsverboten in Vertriebsverträgen (Urteil vom 28.8.2024 – VI-Kart 4/22).

Verfahren im Überblick

Der Fall betrifft das Unternehmen STIHL, einen Hersteller von Geräten für die Land- und Forstwirtschaft, die Landschafts- und Gartenpflege sowie die Bauwirtschaft. In früheren Vertriebsverträgen untersagte STIHL seinen Händlern die Förderung der Herstellung und des Absatzes von Wettbewerbsprodukten. Nach Einleitung eines Verfahrens durch das Bundeskartellamt im Jahr 2019 verzichtete STIHL auf die Anwendung und Durchsetzung des Wettbewerbsverbots in den Vertriebsverträgen. Zudem wurde das betroffene Vertriebskonzept eingestellt. Das Bundeskartellamt stellte im Mai 2022 dennoch die nachträgliche Rechtswidrigkeit der Wettbewerbsverbote fest. Gegen diesen Beschluss wehrte sich STIHL erfolgreich vor dem OLG Düsseldorf, denn das Gericht hob den Beschluss im August 2024 auf.

Kriterien zur kartellrechtlichen Beurteilung von Wettbewerbsverboten

Mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betont das OLG Düsseldorf, dass Wettbewerbsverbote nicht bereits wegen einer überlangen Bindungsdauer per se als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen einzuordnen sind (siehe BGH, Urteil vom 12.6.2018 – KZR 4/16).

Das OLG Düsseldorf fügt sodann hinzu, dass auch ein Marktanteil von über 30%, welcher dazu führt, dass die Vertikal-GVO nicht anwendbar ist, bzw. eine marktbeherrschende Stellung eines beteiligten Unternehmens nicht generell zu einer Einordnung als bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen führt. Vielmehr müsse im konkreten Einzelfall geprüft werden, ob das Wettbewerbsverbot – gegebenenfalls in Verbindung mit anderen gleichartigen Verträgen desselben Lieferanten und mit den gleichartigen Verträgen anderer Lieferanten – geeignet ist, neuen inländischen und ausländischen Wettbewerbern den Zugang zum Markt oder die Möglichkeit zur Steigerung ihres Marktanteils zu verschließen.

Das OLG Düsseldorf nennt in diesem Zusammenhang eine Reihe von Kriterien, die bei der Beurteilung dieser Frage im Rahmen einer Gesamtschau zu berücksichtigen sind. Diese sind:

  • Marktstellung des Lieferanten
  • Anzahl der durch das Wettbewerbsverbot an den Lieferanten gebundenen Verkaufsstellen im Verhältnis zu der Anzahl der nicht gebundenen Verkaufsstellen
  • Dauer des Wettbewerbsverbots
  • Vom Wettbewerbsverbot erfasste Menge der Produkte
  • Verhältnis der Menge, die über gebundene bzw. nicht gebundene Verkaufsstellen verkauft werden
  • Etwaige andere Faktoren, die den Marktzugang beeinträchtigen, wie etwa:
    • Hat ein neuer Wettbewerber des Lieferanten überhaupt die tatsächliche Möglichkeit, mit den auf dem Markt bereits tätigen Abnehmern ein eigenes Vertragsnetz aufzubauen oder würde er vielmehr eigene Verkaufsstellen eröffnen?
    • Wie sind das Marktumfeld und die Beschaffenheit des Wettbewerbs auf dem Markt, sprich: Welche Wettbewerber des Lieferanten gibt es und wie groß sind diese? Ist der Produktmarkt bereits gesättigt? Besteht eine relevante Markentreue seitens der Kunden?

Das OLG Düsseldorf nimmt sodann an, dass ein Wettbewerbsverbot, das eine Dauer von zwei Jahren übersteigt, im Grundsatz nur dann geeignet ist, den Marktzugang wesentlich zu beeinflussen, wenn der Lieferant

(i) über einen Marktanteil oberhalb von 40% verfügt (das entspricht der Vermutungsschwelle für die Einzelmarktbeherrschung nach dem GWB) und

(ii) der Bindungsgrad sowohl im Hinblick auf den Marktanteil als auch im Hinblick auf die Verkaufsstellen bei über 30 % liegt. Zusätzlich müssen jedoch – wie dargestellt – noch weitere erhebliche Marktzutrittsschranken festgestellt werden, um einen Verstoß gegen Artikel 101 Abs. 1 AEUV, § 1 GWB zu bejahen.

Bedeutung für die Praxis

Positiv hervorzuheben ist, dass das Gericht ein Wettbewerbsverbot von einer gewissen Dauer nicht schon allein deshalb für kartellrechtlich kritisch ansieht, weil bestimmte Marktanteilsschwellen überschritten sind, sondern stattdessen eine konkrete Prüfung verlangt, ob und inwiefern mit dem fraglichen Wettbewerbsverbot bei den bestehenden Marktverhältnissen tatsächlich negative Abschottungseffekte verbunden sind, die dazu führen, dass neuen inländischen und ausländischen Wettbewerbern den Zugang zum Markt oder die Möglichkeit zur Steigerung ihres Marktanteils verschlossen werden.

Dabei sind nicht nur die vom OLG Düsseldorf herausgearbeiteten Beurteilungskriterien für die Praxis zur Orientierung nützlich, sondern auch die Aussage des Gerichts, dass ein Wettbewerbsverbot, das eine Dauer von zwei Jahren übersteigt, im Grundsatz nur dann geeignet ist, den Marktzugang wesentlich zu beeinflussen, wenn der Lieferant über einen Marktanteil oberhalb von 40% verfügt und der Bindungsgrad sowohl im Hinblick auf den Marktanteil als auch im Hinblick auf die Verkaufsstellen bei über 30 % liegt.