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Digitaler Verbraucher­schutz: Aktuelle Recht­sprechung und europäische Regelungs­vorhaben

04.03.2024

Entgegen allen Beteuerungen auf nationaler und europäischer Ebene, Bürokratie abbauen zu wollen: Das digitale Verbraucherschutzrecht wird immer komplexer. Zwingende Verbraucherrechte, umfangreiche Informations- und Transparenzpflichten sowie detaillierte Vorgaben für allgemeine Geschäftsbedingungen stellen Unternehmen vor zunehmende Herausforderungen. Die rechtskonforme Gestaltung digitaler Geschäftsmodelle erfordert Expertise, Sorgfalt und kontinuierliche Updates. Bei Verstößen gegen die gesetzlichen Anforderungen drohen nicht nur Rechtsverlust und Maßnahmen des kollektiven Rechtsschutzes (z. B. Verbandsklagen), sondern mitunter empfindliche Sanktionen.

Neue Entwicklungen zum Widerrufsrecht

Umso wichtiger ist es, im Dickicht des nationalen und europäischen Verbraucherschutzrechts den Überblick zu behalten und die aktuelle Rechtsprechung zu allen relevanten Einzelfragen genau zu verfolgen. Eines der wichtigsten Themen ist und bleibt dabei das gesetzliche Widerrufsrecht im Fernabsatzverkehr. Erst im vergangenen Jahr hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Widerrufsbelehrung erneuert und ein neues Muster ausgegeben – mit der Folge, dass nur eine entsprechende Belehrung die Widerrufsfrist rechtssicher auf 14 Tage begrenzen kann („Gesetzlichkeitsfiktion“ bzw. „Musterschutz“).

Passend dazu machte der Bundesgerichtshof im Dezember 2022 einmal mehr deutlich, dass schon geringste Abweichungen von der gesetzlichen Muster-Widerrufsbelehrung die Gesetzlichkeitsfiktion entfallen lassen (BGH, Urt. v. 1.12.2022 – I ZR 28/ 22). In der streitgegenständlichen Belehrung waren zwei mögliche Adressaten für den Widerruf angegeben. Dadurch wurde die Belehrung widersprüchlich und insgesamt unklar, da für die wirksame Ausübung des Widerrufs zunächst nur die eine Adressatin mit ihren Kontaktdaten genannt war („müssen Sie uns“), während später („Den Widerruf richten Sie bitte an […] oder an […]“) auch die Kontakt- daten eines weiteren Adressaten aufgeführt waren. Für die Praxis ergibt sich daraus die klare Empfehlung, selbst kleinste Abweichungen vom Mustertext zu unterlassen, um die Schutzwirkung der Gesetzlichkeitsfiktion nicht zu riskieren.

Im Oktober 2023 entschied außerdem der Europäische Gerichtshof, dass bei automatischer Verlängerung eines im Fernabsatz geschlossenen Abonnements nach kostenloser Testphase kein neues Widerrufsrecht entsteht (EuGH, Urt. v. 5.10.2023 – C-565/22). Dem Verbraucher steht also grundsätzlich nur ein einziges Widerrufsrecht zu. Dazu muss der Unternehmer allerdings beim Abschluss des Vertrags in klarer, verständlicher und ausdrücklicher Weise darüber informieren, dass das Abonnement nach der kostenlosen Testphase („Probeabo“) kostenpflichtig wird. Für Unternehmen, die entsprechende Abo-Modelle anbieten, sorgt die Entscheidung des EuGH für mehr Rechtssicherheit.

Einigung zum Widerrufsbutton in der EU

Eine besonders praxisrelevante Neuerung wirft bereits jetzt ihre Schatten voraus: Die Ausübung des Widerrufsrechts soll künftig durch eine Widerrufsfunktion in der Benutzeroberfläche (Webseite) des Anbieters erleichtert werden. Darauf haben sich der Europäische Rat und das Europäische Parlament in der geplanten Richtlinie über im Fernabsatz geschlossene Finanzdienstleistungsverträge geeinigt. Diese sieht die Einfügung eines neuen Art. 11a in die Verbraucherrechterichtlinie (2011/83/EU) vor, sodass die Neuregelung – anders als zunächst geplant – grundsätzlich alle Verbrauchergeschäfte im elektronischen Geschäftsverkehr betrifft. Zudem soll künftig nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. h) der Verbraucherrechterichtlinie eine neue vorvertragliche Informationspflicht in Bezug auf „ das Bestehen und die Platzierung der Schaltfläche für die Widerrufsfunktion“ gelten. Eine Sanktionsregelung für den Fall fehlender oder fehlerhafter Umsetzung gibt die Richtlinie dagegen nicht vor.

Buttons gehören inzwischen zum Standardrepertoire des digitalen Verbraucherschutzes. Den Anfang machte der sog. „Bestellbutton“ in § 312j BGB, der die Verbraucher mit einer unmissverständlichen Beschriftung wie „zahlungspflichtig bestellen“ auf den bevorstehenden Vertragsschluss hinweisen soll.

Auf nationaler Ebene legte der deutsche Gesetzgeber im Jahr 2022 mit dem Gesetz für faire Verbraucherverträge nach und führte in § 312k BGB den „Kündigungsbutton“ ein. Die Umsetzung stellt weiterhin zahlreiche Unternehmen vor Probleme. Eine Untersuchung des Verbraucherzentrale Bundesverbands kam im Januar 2023 zu dem Ergebnis, dass bei 72 Prozent der knapp 3.000 untersuchten Webseiten eine gesetzeskonforme Umsetzung fehlte. Ähnlich sieht es bei den neuen Vorgaben für Kündigungsklauseln aus: In einem breit angelegten Marktcheck haben die Verbraucherzentralen und der Verbraucherservice Bayern bundesweit über 800 Unternehmen überprüft und insgesamt 167 Verstöße bei 116 Unternehmen festgestellt, die daraufhin abgemahnt wurden.

er künftige „Widerrufsbutton“ geht in seinem Anwendungsbereich noch deutlich über den Kündigungsbutton hinaus, denn er betrifft nicht nur entgeltliche Dauerschuldverhältnisse, sondern alle Verbraucherverträge, die über eine Online-Benutzeroberfläche geschlossen werden, und damit insbesondere auch sämtliche Kaufverträge im elektronischen B2C-Geschäftsverkehr. Die Bedeutung dieser Neuregelung ist in ihrer praktischen Umsetzung daher nicht zu unterschätzen. Es empfiehlt sich, die technische Implementierung frühzeitig zu planen.

Nachdem der Rat den Standpunkt des Europäischen Parlaments am 23. Oktober 2023 gebilligt hat, ist die Richtlinie angenommen. Nach Unterzeichnung durch die Präsidentin des Europäischen Parlaments und den Präsidenten des Rates wird sie im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht und tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt beginnt die 24-monatige Umsetzungsfrist für die Mitgliedsstaaten. Die nationalen Vorschriften sollen 30 Monate nach Inkrafttreten der Richtlinie zur Anwendung kommen. Es ist daher damit zu rechnen, dass Unternehmen im Laufe des Jahres 2026 einen entsprechenden Widerrufsbutton zur Verfügung stellen müssen.

Weitere aktuelle Themen im Verbraucherschutzrecht

Erst kürzlich umgesetzt worden ist die Richtline (EU) 2020/1828 über Verbandsklagen. Seit dem 13. Oktober 2023 können bestimmte Verbraucherverbände im Rahmen einer kollektiven Leistungsklage (Abhilfeklage) die Ansprüche einer Vielzahl von Verbrauchern gegen ein Unternehmen geltend machen. Bislang stellen sich allerdings noch viele offene Fragen, sodass die praktische Bedeutung der neuen Verbandsklage abzuwarten bleibt.

Ein weiteres europäisches Regelungsvorhaben betrifft die Reparatur von Waren. Dazu hat die Europäische Kommission am 22. März 2023 einen Vorschlag für eine Richtlinie zur Förderung der Reparatur von Waren vorgelegt, der insbesondere ein „Recht auf Reparatur“ während der gesamten Lebensdauer bestimmter Produkte vorsieht. Im Rahmen des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens muss der Richtlinienvorschlag noch vom Europäischen Parlament und Rat gebilligt werden. Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz hat am 25. Oktober 2023 bereits grünes Licht gegeben.

Mit der Richtlinie (EU) 2019/882 wurden außerdem spezifische Vorgaben für die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen aufgestellt. Zur Umsetzung hat der deutsche Gesetzgeber das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz verabschiedet, das ab dem 25. Juni 2025 unter anderem auch die barrierefreie Gestaltung von Webseiten und Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr sicherstellen soll.

Schließlich nimmt der Verbraucherschutz auch im neuen Digital Services Act (DSA) eine wichtige Rolle ein. Art. 6 Abs. 3 DSA sieht ab dem 17. Februar 2024 eine Haftung von Online-Plattformen gegenüber Verbrauchern vor, auch wenn die Plattformen selbst keine Produkte oder Dienstleistungen anbieten, ein durchschnittlicher Verbraucher jedoch davon ausgehen kann, dass die Plattform der Vertragspartner ist oder das betreffende Unternehmen zumindest beaufsichtigt. Außerdem regeln die Art. 30–32 DSA spezifische Sorgfaltspflichten für Online-Plattformen, die Verbrauchern den Abschluss von Fernabsatzverträgen mit Unternehmern ermöglichen.

 

Dieser Artikel ist Teil des "Update Commercial 2024". Alle Beiträge und den gesamten Report als PDF finden Sie hier.