Studie

Delisting-Angebote

Von Dr. Stephan Schulz und Oscar Serra de Oliveira

08.03.2024

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2024

Seit dem 26.11.2015 ist für den Widerruf der Zulassung von Wertpapieren zum Handel im regulierten Markt (sog. Delisting) auf Antrag des Emittenten grundsätzlich erforderlich, dass ein Angebot nach den Vorschriften des WpÜG zum Erwerb aller Wertpapiere, die Gegenstand des Antrags sind, veröffentlicht wurde (sog. Delisting-Angebot) (§ 39 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 Börsengesetz („BörsG“). Ausnahmen gelten, wenn nach dem Delisting eine Zweitnotierung der Aktien an einem regulierten Markt im In- oder Ausland fortbesteht). Die Zahl solcher Angebote ist in den vergangenen Jahren gestiegen, worauf wir auch im Noerr Public M&A Report hingewiesen haben. In dieser Ausgabe möchten wir uns vertieft mit dieser Entwicklung auseinandersetzen und insbesondere die typischen Preisstrukturen der DelistingAngebote seit Inkrafttreten der Regelung betrachten.

Rechtliche Grundlagen

Mindestpreisregel

Im Grundsatz gelten für Delisting-Angebote die „normalen“ Regeln des WpÜG. Besonderheiten gelten bei der Bemessung der Höhe der Mindestgegenleistung. Bei Übernahme- oder Pflichtangeboten muss die vom Bieter angebotene Gegenleistung mindestens dem 3-Monats-VWAP vor der Veröffentlichung der 10er-Mitteilung entsprechen (§ 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. § 5 Abs. 1 S. 1 WpÜG-Angebotsverordnung („WpÜG-AV“)). Ferner muss die Gegenleistung mindestens dem Wert der höchsten vom Bieter, einer mit ihm gemeinsam handelnden Person oder deren Tochterunternehmen gewährten oder vereinbarten Gegenleistung für den Erwerb von Aktien der Zielgesellschaft innerhalb der letzten sechs Monate vor der Veröffentlichung der Angebotsunterlage entsprechen (§ 31 Abs. 1 WpÜG i.V.m. § 4 Abs. 1 S. 1 WpÜG-AV). Für Delisting-Angebote gelten diese Regelungen entsprechend mit der Maßgabe, dass die Gegenleistung zwingend in bar zu zahlen ist und mindestens dem 6-Monats-VWAP vor der Veröffentlichung der 10er-Mitteilung (anstelle des 3-Monats-VWAP) entsprechen muss (§ 39 Abs. 3 S. 2 BörsG).

Delisting-Angebote:

  • Ihr Zweck besteht darin, der Gesellschaft einen Delisting-Antrag zu ermöglichen;
  • die Gegenleistung muss in bar geleistet werden und mindestens die Höhe des 6-Monats-VWAPc(anstatt des 3-Monats-VWAP) bzw. relevanter Vorerwerbe haben;
  • im Übrigen gelten für Delisting-Angebote die Regeln des WpÜG;
  • die Verbindung mit einem Übernahme- oder Pflichtangebot ist möglich;
  • Bieter ist typischerweise ein signifikant beteiligter Aktionär oder ein neuer Investor, nur in seltenen Fällen die Zielgesellschaft selbst.

Verbindung mit Übernahme- oder Pflichtangebot möglich

Ein Delisting-Angebot muss nicht ausschließlich zum Zweck der Vorbereitung des Widerrufs der Börsenzulassung abgegeben werden. Es kann auch mit einem Pflicht- oder Übernahmeangebot verbunden werden. In diesem Fall müssen aber sowohl die Vorgaben der §§ 30 ff. WpÜG als auch des § 39 Abs. 3 BörsG, mithin die jeweils strengeren Regelungen, eingehalten werden.

Person des Bieters

Es ist nicht zwingend erforderlich, dass ein Aktionär oder ein noch nicht an der Zielgesellschaft beteiligter Investor das Delisting-Angebot abgibt. Grundsätzlich kann auch die Zielgesellschaft selbst Bieterin eines Delisting-Angebots sein, wenn der auf diesem Weg erfolgende Erwerb eigener Aktien zulässig ist. Dass die Zielgesellschaft selbst als Bieterin auftritt, ist allerdings sehr selten. Seit Inkrafttreten des § 39 BörsG n.F. ist dies nur in drei Fällen (Rheintex Verwaltungs AG (2017); Rocket Internet SE (2020); a.a.a. Aktiengesellschaft allgemeine Anlagenverwaltung (2022)) passiert, die jeweils besonders gelagert waren. In allen drei Fällen wurden Nichtandienungsvereinbarungen mit wesentlichen Aktionären abgeschlossen (Rheintex (94,3 % des Grundkapitals); Rocket Internet (49,64 %); a.a.a. (96,76 %)). Dadurch wurde der Finanzierungsbedarf für das Angebot so weit reduziert, dass die Gesellschaft die Gegenleistung aus ihren vorhandenen Barmitteln leisten konnte. In der Praxis werden Delisting-Angebote meist von Investoren abgegeben, die bereits signifikant an den Zielgesellschaften beteiligt sind. Bei den seit Inkrafttreten des § 39 BörsG n.F. veröffentlichten (reinen) Delisting-Angeboten beträgt die durchschnittliche Beteiligungsquote des Bieters vor Beginn der Annahmefrist rd. 68,89 %. 

Entwicklung der Zahl und Art von Delisting-Angeboten

Blickt man auf die Zahl der veröffentlichten Delisting-Angebote, stellt man fest, dass ihr Anteil an der Gesamtzahl öffentlicher Angebote nach dem WpÜG ab dem Jahr 2020 erheblich gestiegen ist. Während dieser Anteil in den Vorjahren noch unter 20% lag, bewegte er sich später um die Marke von 40% aller Angebote. Gleichzeitig ist auch bei kombinierten Delisting-Übernahmeangeboten ein Anstieg zu beobachten. Gab es bis zum Jahr 2019 kein einziges solches Angebot, waren seitdem durchschnittlich über 20% der Delisting-Angebote kombinierte Delisting-Übernahmeangebote.

Public M&A Report 01/2024 Grafik 7 

Preisstruktur

Die Betrachtung der 43 Delisting-Angebote seit 2016, bei denen eine kursbezogene Mindestpreisschwelle ermittelt werden konnte (In fünf Fällen (Rheintex Verwaltungs AG (2017), WESTGRUND Aktiengesellschaft (2020), Nucletron Electronic Aktiengesellschaft (2021), GSW Immobilien AG (2022) und Schumag Aktiengesellschaft (2023)) konnte kein 6-Monats-VWAP ermittelt werden. Die Mindestgegenleistung bemisst sich in solchen Fällen gemäß § 5 Abs. 4 WpÜG-AV anhand des Unternehmenswerts der Zielgesellschaft auf Grundlage einer Unternehmensbewertung), zeigt, dass dabei eine durchschnittliche Prämie auf den 6-Monats-VWAP von gerade einmal 4,6% gezahlt wurde. Dieser Wert erhöht sich auch bei Betrachtung nur der kombinierten Delisting-Übernahmeangebote (Solche gab es bei sieben der betrachteten 43 Angebote) lediglich leicht auf 6,2%. Bieter sind demnach – anders als bei reinen Übernahmeangeboten – nicht oder nur in sehr geringem Maße bereit, eine Prämie zu zahlen, wenn sie mit ihrem Angebot den Zweck verfolgen, ein Delisting der Gesellschaft zu ermöglichen. Noch deutlicher wird diese Beobachtung in absoluten Zahlen. Von den 43 untersuchten Angeboten lag bei 30 die angebotene Prämie unter 2%. Lediglich bei sechs Angeboten wurden Aufschläge von 10% oder mehr auf den 6-Monats-VWAP geboten.

Public M&A Report 01/2024 Grafik 8

Fazit

Delisting-Angebote sind eine zunehmend wichtiger werdende Transaktionsform im deutschen Public-M&A-Markt. Regelmäßig werden solche Angebote von bereits wesentlich an der Zielgesellschaft beteiligten Aktionären abgegeben. Hohe Prämien auf den gesetzlichen Mindestpreis sind selten.