Studie

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf den Markt für öffentliche Übernahmen – erste Einschätzungen

Von Dr. Volker Land und Dr. Stephan Schulz

19.08.2020

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 02/2020

Von besonderem Interesse ist die Frage, inwieweit der Markt für öffentliche Übernahmen von der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt wurde. Natürlich kann dies noch nicht abschließend beurteilt werden, weil die Krise keineswegs überwunden ist. Die nun vorliegenden Daten für das erste Halbjahr 2020 lassen jedoch erste Rückschlüsse zu, die wir im Folgenden darlegen. Dabei betrachten wir zum einen die Auswirkungen auf die Zahl der neuen und zum anderen die Auswirkungen auf laufende Transaktionen.

Neutransaktionen

Die Zahl der veröffentlichten Angebotsunterlagen, die sich gegenüber dem Vorjahreszeitraum erhöht hat (siehe oben), deutet zwar prima facie auf einen Anstieg der Marktaktivitäten hin. Bei deren Interpretation ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Angebotsunterlage meist deutlich (in Betrachtungszeitraum H1 2020 im Durchschnitt 40,1 Tage) nach der Veröffentlichung der Entscheidung zur Abgabe des Angebots bzw. der Kontrollerlangung (sog. „10er-Mitteilung“) veröffentlicht wurde. Aussagekräftiger sind in diesem Zusammenhang daher die Zahl und die Verteilung der 10er-Mitteilungen. Im Betrachtungszeitraum wurden sechzehn solcher Mitteilungen abgegeben, die sich wie folgt verteilen:

Damit lagen zwölf der 10er-Mitteilungen im Betrachtungszeitraum vor dem Tiefststand des DAX-Schlusskurses am 18. März 2020 mit 8.441,40 Punkten. In den Monaten April, Mai und Juni wurde jeweils nur eine 10er-Mitteilung veröffentlicht, was deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt liegt, der in etwa drei 10er-Mitteilungen pro Monat beträgt (siehe hierzu eingehend Noerr Public M&A Report H1 2019). Die Covid-19-Pandemie hat also unmittelbar zu einer signifikanten Zurückhaltung bei Neutransaktionen am Markt für öffentliche Übernahmen geführt.

Laufende Transaktionen

Ferner lohnt auch ein Blick auf die im Zeitpunkt des Höhepunkts der Krise laufenden Transaktionen, d.h. solche, für die die 10er-Mitteilung am 18. März 2020 bereits veröffentlicht worden war. So stellt sich die Frage, ob der durch die Covid-19-Pandemie verursachte Kurseinbruch und die mit der Pandemie einhergehende Eintrübung der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu Transaktionsabbrüchen geführt haben.

Im Hinblick auf die Möglichkeiten zu einem Transaktionsabbruch sind übernahmerechtlich die Transaktionsphasen vor und nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage durch die BaFin zu unterscheiden.

Vor Veröffentlichung der Angebotsunterlage

In der Phase zwischen Veröffentlichung der 10er-Mitteilung und Veröffentlichung der Angebotsunterlage sieht das Gesetz für den Bieter keine Möglichkeit vor, den Angebotsprozess sanktionslos zu beenden. Eine bedingte 10er-Mitteilung wird allgemein als unzulässig angesehen (Davon zu unterscheiden ist der rechtlich unbedenkliche Fall, dass in der 10er-Mitteilung bereits auf Vollzugsbedingungen hingewiesen wird, die im Einklang mit § 18 WpÜG in die Angebotsunterlage aufgenommen werden sollen). Die Veröffentlichung der 10er-Mitteilung begründet gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 WpÜG die Pflicht für den Bieter zur Übermittlung der Angebotsunterlage an die BaFin. Wird diese Pflicht nicht erfüllt oder ist die übermittelte Angebotsunterlage unvollständig oder nicht gesetzeskonform, untersagt die Behörde das Angebot gem. § 15 Abs. 1 WpÜG. Die Untersagung führt dazu, dass für den Bieter und bestimmte weitere Personen gem. § 26 Abs. 1 WpÜG eine Sperrfrist von einem Jahr gilt, während der ein weiteres Angebot unzulässig ist. Dieser Rechtsfolge wird ein Bieter, der die Pflicht zur Übermittlung einer gesetzeskonformen Angebotsunterlage nicht erfüllt, realistischerweise kaum entgehen können.

Im Betrachtungszeitraum ist es zu zwei Untersagungen von öffentlichen Angeboten gekommen. Diese Zahl ist ins Verhältnis zum langjährigen Trend bei der Zahl von Untersagungen von öffentlichen Offerten zu setzen. Danach wird jährlich im Durchschnitt etwas mehr als ein Angebot untersagt (siehe hierzu Noerr Public M&A Report H1 2018). Vor diesem Hintergrund erscheint die Zahl an Untersagungen im Berichtszeitraum noch nicht dramatisch erhöht. Eine Analyse der veröffentlichten Untersagungsverfügungen der BaFin bestätigt, dass der Ausbruch der Covid-19-Pandemie in beiden Fällen wohl keine Rolle gespielt hat. Insbesondere wurden die Untersagungsentscheidungen am 15. Januar 2020 (Travel24.com AG) und am 6. März 2020 (Biofrontera AG), mithin vor Beginn des Lockdowns, verfügt und der ihnen zugrunde liegende Sachverhalt ereignete sich zeitlich noch früher.

Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage

Nach Veröffentlichung der Angebotsunterlage gilt der Grundsatz, dass der Bieter an sein Angebot gebunden bleibt und es ihm nur unter besonderen Voraussetzungen gestattet sein soll, sich vom Angebot zurückzuziehen. Ohne weiteres bilden weder ein Rückgang des Kurses der Aktie der Zielgesellschaft bzw. des allgemeinen Kursniveaus noch die Eintrübung der wirtschaftlichen Aussichten der Zielgesellschaft oder der Wirtschaft insgesamt für den Bieter einen Grund, sich von der Offerte wieder zu lösen. Anders kann die Rechtslage aber sein, wenn der Bieter sein Angebot unter eine Vollzugsbedingung gestellt hat, deren Tatbestand durch einen der vorgenannten Sachverhalte erfüllt wurde.

Besonders relevant können in diesem Zusammenhang sog. MAC-Klauseln (von engl. material adverse change) sein, die es dem Bieter erlauben, das Angebot nicht zu vollziehen, wenn während der Annahmefrist wesentliche nachteilige Umstände im Hinblick auf die Zielgesellschaft eintreten oder bekannt werden. MAC-Klauseln können einerseits an Veränderungen der Verhältnisse der Zielgesellschaft selbst anknüpfen (sog. Business MAC oder Company MAC, z.B. Eintritt von Ereignissen, welche negative Auswirkungen auf bestimmte Finanzkennzahlen der Zielgesellschaft haben). Andererseits können sie sich auf Veränderungen in den Märkten, in denen die Zielgesellschaft tätig ist, beziehen (sog. Market MAC, z.B. Rückgang des DAX oder eines anderen geeigneten Index um einen bestimmten Betrag). Im Hinblick auf die generell eingeschränkte Zulässigkeit von Bedingungen nach dem WpÜG müssen für die Zulässigkeit derartiger Klauseln nach h.M. und BaFin weitere Anforderungen erfüllt sein.

MAC-Klauseln wurde im Hinblick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zwar allgemein eine besondere Bedeutung zugesprochen (siehe hierzu auch unseren Beitrag Öffentliche Übernahmen in der Covid-19-Pandemie). Allerdings konnten wir bislang noch keine Fälle identifizieren, in denen Bieter im Zusammenhang mit den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie ein Angebot aufgrund einer MAC-Klausel nicht vollzogen haben (Dabei wurden alle Angebote betrachtet, deren Annahmefrist bzw. weitere Annahmefrist am 18. März 2020 begonnen hatte und noch nicht abgelaufen war oder danach begann (Stand: 12. August 2020)). Allerdings ist unter den betreffenden Offerten auch nur eine, die eine MAC-Bedingung vorsieht (Angebot der Quebec B.V., einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Thermo Fisher Scientific Inc., an die Aktionäre der QIAGEN N.V.).

Fazit

Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen prägt die durch die Covid-19-Pandemie verursachte Verunsicherung auch das Geschehen am Markt für öffentliche Übernahmen. Der Rückgang der Zahl der Neutransaktionen seit März 2020 lässt sich in diesem Sinne interpretieren. Andererseits hatte die Pandemie anscheinend weder auf den Vollzug der bereits vor ihrem Höhepunkt veröffentlichten noch auf die seitdem angekündigten Angebote Auswirkungen. Letzteres ist ein erfreulicher Befund, wurde doch das gesetzgeberische Ziel eines stabilen und verbindlichen Übernahmeprozesses auch in einer Krise von historischen Ausmaßen erreicht.