Whistleblower-Richtlinie – Zusammenfassung der wesentlichen Erkenntnisse für die Praxis
In den vergangenen Wochen haben wir in sieben Beiträgen über verschiedene, insbesondere praxisrelevante Aspekte der Whistleblowing-Richtlinie (nachfolgend: „WB-RL“) informiert. Heute endet die Umsetzungsfrist für die EU-Mitgliedstaaten. Ein Umsetzungsgesetz wurde in Deutschland bis dato nicht verabschiedet und eine rasche Umsetzung ist auch nicht absehbar. Nur ein kleines Trostpflaster ist dabei sicherlich, dass sich der deutsche Gesetzgeber damit EU-weit in „guter“ Gesellschaft befindet. Nur wenige EU-Mitgliedstaaten haben bisher die WB-RL in nationales Recht umgesetzt.
Mit diesem letzten Beitrag unserer Beitragsreihe fassen wir die wesentlichen und praxisrelevanten Erkenntnisse der vorangegangen Beiträge noch einmal kompakt zusammen.
A. Regelungsgehalt
Die WB-RL hat sich zum Ziel gesetzt, das Unionsrecht und die Unionspolitik besser durchzusetzen. Zu diesem Zweck soll die Meldebereitschaft von Hinweisgebern gefördert werden. Hierfür schreibt die WB-RL den EU-Mitgliedstaaten unter anderem folgende wesentliche Maßnahmen verbindlich vor:
- Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb interner Hinweisgeber-Systeme (Art. 8 WB-RL);
- Pflicht zur Einrichtung und zum Betrieb externer Hinweisgeber-Systeme (Art. 11 WB-RL);
- Recht zur Offenlegung von Meldungen unter bestimmten Voraussetzungen (Art. 15 WB-RL);
- Verbot von Repressalien gegen Hinweisgeber (Art. 19 WB-RL);
- Beweislastumkehr zugunsten von Hinweisgebern (Art. 21 Abs. 5 WB-RL).
Der sachliche Anwendungsbereich der WB-RL ist dabei auf bestimmte Meldegegenstände beschränkt, die abschließend in Art. 2 Abs. 1 WB-RL aufgezählt sind (vgl. dazu Beitrag 1). Die WB-RL nimmt neben Arbeitnehmern und Beamten auch Lieferanten und Auftragnehmer inkl. deren Beschäftigten sowie Anteilseigner und Personen, die dem Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan eines Unternehmens angehören (also z. B. Geschäftsführer einer GmbH) in ihren Anwendungsbereich auf. Das heißt, dass auch unternehmensfremde Personen, die Betriebsinterna durch ihre berufliche Zusammenarbeit mit einem Unternehmen erfahren, den Schutz der WB-RL genießen.
B. Gestaltung der Hinweisgeber-Systeme
1. Interne Hinweisgeber-Systeme
Folgende juristische Personen müssen in jedem Fall interne Hinweisgeber-Systeme einrichten (vgl. dazu Beitrag 2):
- juristische Personen des privaten Sektors mit 50 oder mehr Arbeitnehmern (Art. 8 Abs. 3 WB-RL);
- juristische Personen, die im besonders „störanfälligen“ Bereich des Finanzwesens und der Kapitalmärkte tätig sind (Art. 8 Abs. 4 i. V. m. Teil I Ziff. B. und Teil II des Anhangs der WB-RL), unabhängig von ihrer Belegschaftsgröße;
- juristischen Personen des öffentlichen Sektors (Art. 8 Abs. 9 UAbs. 1).
Kommunen mit weniger als 10.000 Einwohnern oder weniger als 50 Arbeitnehmern und sonstige juristische Personen mit weniger als 50 Arbeitnehmern können von den EU-Mitgliedstaaten von dieser Verpflichtung ausgenommen werden (vgl. hierzu den Sonderbeitrag Interne Meldestellen im öffentlichen Sektor). Ob die neue Bundesregierung hiervon Gebrauch machen wird, steht noch nicht fest.
Erleichterungen sind für Unternehmen möglich, indem diese
- Hinweisgeber-Systeme von externen Dienstleistern wie Ombudsmännern oder kommerziellen Anbietern betreiben lassen (Art. 8 Abs. 5 WB-RL);
- bei einer Größe von 50 bis 249 Arbeitnehmern (sog. medium-sized-companies) ihre Ressourcen teilen, indem sie eine gemeinsame Meldestelle einrichten (Art. 8 Abs. 6 WB-RL).
Die Europäische Kommission hat jedoch in mehreren Stellungnahmen (dazu Beitrag 3) klargestellt, dass die Konzernmutter oder eine andere Konzerngesellschaft keine „Dritte“ im Sinne der WB-RL sind und der Whistleblower auch bei einer Ressourcenteilung darauf bestehen kann, dass die Untersuchung seiner Meldung bei der Tochtergesellschaft vorgenommen wird. Die WB-RL enthält damit kein echtes „Konzernprivileg“.
2. Externe Hinweisgeber-Systeme
Für die externen Hinweisgeber-Systeme müssen die Mitgliedstaaten konkrete Behörden benennen, die zuständig und befugt für die Entgegennahme von Meldungen und die Einleitung von Folgemaßnahmen sind. Die Art. 11 ff. WB-RL legen hierfür weitere Voraussetzungen fest.
C. Schutz von Whistleblowern
Whistleblower genießen nach der WB-RL weitreichenden Schutz. Keine Voraussetzung ist dabei insbesondere, dass
- die der Meldung zugrundeliegenden Tatsachen der Wahrheit entsprechen, solange der Whistleblower dies nur versehentlich verkennt (Art. 6 Abs. 1 lit. a) WB-RL);
- der Whistleblower zuerst die internen Hinweisgeber-Systeme in Anspruch nimmt, bevor er eine Meldung an die Behörden gibt (Art. 6 Abs. 1 lit. b), Art. 10 WB-RL);
- der Whistleblower zuerst die internen und/oder externen Hinweisgeber-Systeme in Anspruch nimmt, bevor er die Informationen öffentlich preisgibt, solange er hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass der von ihm gemeldete Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann (Art. 15 Abs. 1 lit. b) WB-RL).
Liegen diese Schutzvoraussetzungen vor, verbietet die WB-RL Repressalien jeglicher Art (Art. 19 WB-RL), wie etwa die Suspendierung oder Entlassung (vgl. ausführlich Beitrag 4). Zusätzlich zu diesem Verbot von Repressalien sieht die WB-RL weitere Schutzmaßnahmen für Hinweisgeber vor (vgl. Art. 20 WB-RL und Art. 21 WB-RL), wobei vor allem die in Art. 21 Abs. 5 statuierte Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität zwischen Whistleblowing und Nachteil zugunsten des Whistleblowers erhebliche Auswirkungen auf die Praxis haben dürfte (hierzu Beitrag 5). Arbeitgebern wird die Durchsetzung (arbeitsdisziplinarischer) Maßnahmen gegenüber Hinweisgebern dadurch voraussichtlich zukünftig erheblich erschwert werden, was sich insbesondere in Kündigungsschutzverfahren zu ihren Lasten auswirken wird.
D. Ausblick
Die neue Bundesregierung wird ausweislich des Koalitionsvertrags den Geltungsbereich des Umsetzungsgesetzes auch auf weitere, außerhalb des Anwendungsbereichs der WB-RL liegende Rechtsbereiche erstrecken, ihn also etwa auch auf Verstöße gegen sonstiges nationales Recht ausdehnen. Der (gescheiterte) Referentenentwurf des BMJV aus dem Jahr 2020 sah bspw. den sachlichen Anwendungsbereich auch für alle Meldungen von Verstößen vor, die nach nationalem Recht straf- oder bußgeldbewehrt sind.
Die bisher noch nicht erfolgte Umsetzung bedeutet aber nicht, dass Unternehmen sich entspannt zurücklehnen und einfach das Umsetzungsgesetz abwarten können. Zum einen wird eine richtlinienkonforme Auslegung schon vor Umsetzung der Richtlinie dazu führen, dass Arbeitsgerichte zentrale Wertungen der WB-RL bei der Anwendung nationalen Rechts berücksichtigen werden. Dies ist insbesondere für die Gleichrangigkeit von internen und externen Meldungen oder die Beweislastumkehr in gerichtlichen und behördlichen Verfahren zu erwarten. Zudem führt die unmittelbare Wirkung einzelner Bestimmungen der WB-RL dazu, dass etwa juristische Personen des öffentlichen Sektors bereits ab dem 18.12.2021 verpflichtet sein werden, interne Hinweisgeber-Systeme zu etablieren (vgl. ausführlich Beitrag 6). Dies gilt ausnahmslos für alle Kommunen und sonstige öffentliche Stellen, weil die Befreiungsmöglichkeiten des Art. 8 Abs. 9 UAbs. 2 WB-RL ein Tätigwerden des nationalen Gesetzgebers erfordern. Nicht nur diese Stellen werden sich daher eine rasche Umsetzung herbeisehnen, die ihnen Rechtssicherheit schafft und klare Gestaltungsvorgaben an die Hand gibt.
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