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Schutz von Whistleblowern – Herausforderung für Unternehmen im zukünftigen Umgang mit Whistleblowing

08.12.2021

Nachdem Teil 1 dieser Beitragsreihe die Zielrichtung, den Harmonisierungsgrad sowie die wesentlichen inhaltlichen Vorgaben der Whistleblowing-Richtlinie (nachfolgend: „WB-RL“) und Teil 2 den Inhalt sowie den Umfang der Einrichtungspflicht interner Hinweisgeber-Systeme näher beleuchteten, widmete sich Teil 3 der Zulässigkeit konzernweiter Meldestellen („Konzernprivileg“). In diesem Teil 4 unserer Beitragsreihe erörtern wir die Vorgaben der WB-RL für den Schutz von Hinweisgebern und deren praxisrelevanten Auswirkungen auf den (zukünftigen) Umgang mit Whistleblowing durch Unternehmen.

A. Umfassender Schutz des Hinweisgebers vor Repressalien

Nach Art. 6 Abs. 1 WB-RL sind Hinweisgeber in Zusammenhang mit den von ihnen getätigten Meldungen umfassend vor Repressalien jeglicher Art zu schützen, sofern

  1. sie hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen und dass diese Informationen in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fielen, und

  2. sie intern gemäß Art. 7 WB-RL oder extern gemäß Art. 10 WB-RL Meldung erstattet oder eine Offenlegung gemäß Art. 15 WB-RL vorgenommen haben.

Für einen Schutzanspruch des Hinweisgebers ist es danach nicht entscheidend, dass er zutreffende Verstöße meldet. Vielmehr schützt die WB-RL auch gutgläubige Hinweisgeber. Für den Schutzanspruch ist es also unschädlich, wenn der Hinweisgeber die Unrichtigkeit seiner Behauptungen versehentlich verkennt. Auch im Fall eines (vermeidbaren) Irrtums über Tatsachen oder die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts kann daher regelmäßig ein Schutzanspruch bestehen. Der Schutzanspruch entfällt somit erst, wenn vorsätzlich oder grob fahrlässig falsche Hinweise abgegeben werden, die Fehlerhaftigkeit also offensichtlich ist oder sich diese dem Hinweisgeber hätte aufdrängen müssen. Ein Schutzanspruch dürfte damit regelmäßig erst bei unbegründeten Spekulationen oder Gerüchten ausscheiden. Der Hinweisgeber hätte dann keinen hinreichenden Grund zu der Annahme, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen (Art. 6 Abs. 1 lit. a) WB-RL). Ebenso wenig besteht ein Schutzanspruch, wenn die gemeldeten Informationen bereits öffentlich in vollem Umfang verfügbar sind. Im Ergebnis dürften arbeitsrechtlichen Maßnahmen als Reaktion auf eine rufschädige Meldung somit für Unternehmen wesentlich erschwert werden.  

Für den Schutzanspruch ist es zudem unerheblich, ob sich der Hinweisgeber an die entsprechend der Vorgaben der WB-RL eingerichteten internen Hinweisgeber-Systeme oder an die behördlichen Meldestellen wendet. Beide Meldewege sind grundsätzlich schutzauslösend. Die WB-RL kennt keinen zwingenden Vorrang einer internen Meldung. Vielmehr stehen die interne und die externe behördliche Meldung gleichberechtigt nebeneinander.

Praxishinweis:

Angesichts der durch die WB-RL statuierten Gleichwertigkeit zwischen internen und externen Meldungen ist Unternehmen zum Schutz vor unliebsamer (behördlicher) „Publicity“ anzuraten, ihre internen Hinweisgeber-Systeme mit „gewissen Anreizen“ zu versehen, um Hinweisgeber vorrangig zu einer internen Meldung zu bewegen. Solche Anreize können beispielsweise finanzielle Belohnungen oder Prämien oder aber auch – im Falle finanzieller Schädigungen – Beteiligungen an den auf Basis der Meldung zurückerlangten Geldmitteln sein.

Daneben wird der Hinweisgeber aber auch im Fall einer öffentlichen Informationspreisgabe geschützt. Nach Art. 15 Abs. 1 WB-RL setzt dies voraus, dass der Hinweisgeber

  1. zuvor erfolglos die internen oder behördlichen (externen) Hinweisgeber-Systeme in Anspruch genommen hat;

  2. oder er hinreichenden Grund zur Annahme hatte, dass

    1. der von ihm gemeldete Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann,

    2. im Fall einer externen Meldung (1) Repressalien gegen den Hinweisgeber zu befürchten sind oder (2) geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird (bspw., weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden oder zwischen der Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen oder die Behörde gar selbst am Verstoß beteiligt ist).

B. Inhalt und Reichweite des Hinweisgeber-Schutzes

Hinweisgeber sollen nach Art. 19 WB-RL vor Repressalien jeglicher Art geschützt werden, insbesondere vor Kündigung und Suspendierung, Degradierung, Versagung einer Beförderung, Versetzung, einer Abmahnung etc. Im Ergebnis kann jeder indirekte oder direkte (berufliche) Nachteil, der durch die Meldung von Verstößen ausgelöst wird, eine Repressalie darstellen. Dieser weitreichende Schutz kann nicht individualvertraglich abbedungen werden (Art. 24 WB-RL).

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die effektive Durchsetzung des Hinweisgeber-Schutzes sicherzustellen. Dafür sollen sie die in Art. 20 ff. WB-RL vorgesehenen Maßnahmen ergreifen, die neben unterstützenden Schritten wie verbesserten Informationsangeboten für meldewillige Personen (Art. 20 Abs. 1 lit. a) WB-RL) auch eine Haftungsfreistellung, Rechtsbehelfe sowie einen umfassenden Entschädigungsanspruch des Hinweisgebers beinhalten (Art. 21 Abs. 2, 7 und 8 WB-RL). Nach den Vorstellungen des Unionsgesetzgebers soll der Hinweisgeber hierdurch seinen Schutzanspruch nicht nur effektiv und leicht durchsetzen können, sondern überdies nicht durch unkalkulierbare Haftungsrisiken von einer Meldung abgeschreckt werden.

Rechtsbehelfe können beispielsweise nach einer Kündigung, Versetzung oder Degradierung  Wiedereinstellungs- oder Wiedereinsetzungsklagen sein. Zudem darf ein nach Art. 6 Abs. 1 WB-RL geschützter Hinweis keinen Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Offenlegungsbeschränkungen darstellen. Daher wird ein nach der WB-RL zulässiger Hinweis zukünftig als eine nach § 3 Abs. 2 GeschGehG erlaubte Handlung anzusehen sein, so dass selbst besonders geschützte Geschäftsgeheimnisse durch den Hinweisgeber ohne Konsequenzen offengelegt werden können (Art. 21 Abs. 7 UAbs. 2 WB-RL). Der Entschädigungsanspruch für Hinweisgeber dürfte vom deutschen Gesetzgeber verschuldensunabhängig ausgestaltet werden und sowohl die Kompensation eingetretener oder zukünftiger Verluste (z. B. Gehaltsausfälle) wie auch sonstiger (materieller und immaterieller) Schäden umfassen (z. B. Rechtsschutzkosten oder Schmerzensgeld). Zudem sollen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Unternehmen vorgesehen werden, die Repressionen gegen den Hinweisgeber ergreifen (Art. 23 Abs. 1 lit. b) WB-RL).

C. Abkehr von der bisherigen deutschen Rechtslage

Die Schutzvorgaben der WB-RL bedeuten eine weitgehende Veränderung der bisher geltenden deutschen Rechtslage und haben erhebliche Auswirkungen auf die Möglichkeit von Unternehmen, auf fehlerhafte (rufschädigende) Meldungen durch Whistleblower zu reagieren (etwa mittels Kündigung oder anderer (arbeitsdisziplinarischer) Maßnahmen). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts konnten Arbeitnehmer bisher auch dann wirksam gekündigt werden, wenn die Meldung objektiv rechtmäßig war, sie jedoch primär aus verwerflichen Motiven (z. B. aus Schädigungs- oder Racheabsicht) oder ohne vorherigen internen Abhilfeversuch erfolgte. In diesen Fällen verstieß der Arbeitnehmer regelmäßig gegen seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht. Nach der WB-RL ist nun weder die (innere) Motivlage des Hinweisgebers noch ein vorheriger interner Abhilfeversuch für einen Schutzanspruch relevant. Dies korrespondiert mit dem Primärziel der WB-RL, das Unionsrecht effektiv durchzusetzen.

Faktisch wird dies Arbeitgeber vor erhebliche Herausforderungen stellen, zumal die WB-RL eine von der im Rahmen von § 612a BGB geltenden abweichende Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf die Kausalität zwischen Whistleblowing und Nachteil (etwa eine  Versetzung) enthält (Art. 21 Abs. 5 WB-RL; vgl. zur Beweislastumkehr zulasten von Arbeitgebern noch eingehend in Teil 5 dieser Beitragsreihe). Für den Schutzanspruch eines Hinweisgebers vor einer Kündigung genügt es, dass der Arbeitnehmer (i) einen Rechtsverstoß im Unternehmen behauptet, sofern er nicht sicher weiß oder grob fahrlässig nicht weiß, dass dieser unrichtig ist und (ii) der Arbeitgeber den fehlenden Zusammenhang zur Kündigung nicht nachweisen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob sich die Hinweise des Arbeitnehmers (später) als richtig herausstellen. Reine Behauptungen ohne tatsächliche oder rechtliche Anhaltspunkte, d. h. Behauptungen „ins Blaue“, werden aber auch durch die WB-RL nicht geschützt, so dass bloße Mutmaßungen des Whistleblowers eine Kündigung rechtfertigen können.

Praxishinweis:

Durch die umfassenden Vorgaben der WB-RL für den Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien werden Unternehmen vor erhebliche operative Herausforderungen gestellt werden. Berechtigte (arbeitsdisziplinarische) Maßnahmen gegen Hinweisgeber werden überhaupt nur dann effektiv durchsetzbar sein, wenn der Arbeitgeber durchgängig eine hinreichende Dokumentation vorhält. Dies wird auf Unternehmerseite den Einsatz bzw. die Bündelung weiterer Ressourcen erfordern.

Nachdem vorstehend der Inhalt und die Voraussetzungen für den Schutz von Hinweisgebern näher erörtert wurden, widmet sich Teil 5 eingehend den Folgen der durch die WB-RL statuierten Beweislastumkehr. Insbesondere beleuchtet dieser Teil der Beitragsreihe im Detail die Voraussetzungen für die Beweislastumkehr und die daraus folgenden Konsequenzen für die Praxis.