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Die Ampel steht. Was arbeitsrechtlich auf Arbeitgeber zukommen könnte

30.11.2021

„Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit.“ Unter dieser Überschrift haben sich SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen auf einen Koalitionsvertrag zur Bildung einer neuen Regierung als sog. „Ampel-Koalition“ geeinigt. Das mit „Respekt, Chancen und soziale Sicherheit in der modernen Arbeitswelt“ überschriebene vierte Kapitel (S. 65 ff.) beinhaltet die für die kommende Legislaturperiode in Aussicht genommenen arbeitsrechtlichen Punkte. Die für Arbeitgeber wichtigsten Vorhaben der Ampel-Koalition werden in diesem Beitrag vorgestellt und kurz eingeordnet.

1. Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen und New Work

Die in der Corona-Pandemie notwendig gewordenen Infektionsschutzmaßnahmen haben die Digitalisierung der Arbeitswelt vorangetrieben und das Bedürfnis nach flexibleren Arbeitsbedingungen, einschließlich einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung, einmal mehr deutlich gemacht. Diesem Wandel in der Arbeitswelt soll mit folgenden Maßnahmen Rechnung getragen werden:

Experimentierräume im Arbeitszeitgesetz

    • Das Arbeitszeitgesetz soll in 2022 um eine befristete Regelung mit Evaluationsklausel ergänzt werden. Gewerkschaften und Arbeitgeber sollen hiernach die Möglichkeit erhalten, in Tarifverträgen flexiblere Arbeitszeitgestaltungen zu vereinbaren. Der 8-Stunden-Tag soll dabei im Grundsatz unangetastet bleiben, wobei auch hiervon durch Tarifvertrag – im Rahmen sog. „Experimentierräume“ – abgewichen werden kann.
    • Betriebsrat und Arbeitgeber hingegen sollen nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrages nicht ohne Weiteres berechtigt sein, abweichende Vereinbarungen zu den Regelungen des Arbeitszeitgesetzes zu treffen, sondern nur, wenn Tarifverträge ihrerseits dahingehende Kompetenzen einräumen. Nicht-tarifgebundene Unternehmen können diese Möglichkeit damit voraussichtlich nicht für sich nutzen. Die bisherige Tendenz, der offenbar fehlenden Attraktivität der vom Mitgliederschwund betroffenen Gewerkschaften gesetzgeberisch abzuhelfen, setzt sich also fort. Abzuwarten bleibt, ob eine § 1 Abs. 1b Satz 4 und 6 AÜG entsprechende Regelung aufgenommen werden wird, die es nicht tarifgebundenen Arbeitgebern erlaubt, entsprechende tarifliche Regelungen zu übernehmen.

Arbeitszeiterfassung

Das Thema Vertrauensarbeitszeit scheint nunmehr in Bewegung zu kommen. Nachdem durch ein Urteil des Europäischen Gerichthofs vom 14. Mai 2019 (Rechtssache C-55/18) die Mitgliedstaaten aufgefordert sind, Arbeitgeber zur Einführung effektiver Zeiterfassungssysteme zu verpflichten, herrschte und herrscht in Unternehmen Unsicherheit, ob hiernach Vertrauensarbeitszeit künftig noch möglich sein wird. Der Koalitionsvertrag bekennt sich erfreulicherweise eindeutig zur Vertrauensarbeitszeit. Wie dies im Einklang mit europäischen Vorgaben wird umgesetzt werden können, bleibt aber abzuwarten.

Homeoffice

    • Richtigerweise verstehen die Ampel-Parteien die Arbeit im Homeoffice als Form des Mobilen Arbeitens und grenzen dieses vom Begriff der Telearbeit und dem Geltungsbereich der Arbeitsstättenverordnung ab. Für den Arbeitsschutz und gute Arbeitsbedingungen für Beschäftigte, die eine Tätigkeit im Homeoffice in Anspruch nehmen, sollen sachgerechte und flexible Lösungen erarbeitet werden. Wie diese im Einzelfall ausgestaltet sein werden, ist noch nicht absehbar. Es bleibt aber zu hoffen, dass insbesondere im Hinblick auf den Arbeitsschutz Rechtssicherheit dazu geschaffen wird, welche Anforderungen Arbeitgeber zu erfüllen haben und dass die Anforderungen dabei zugleich nicht überspannt werden. 
    • Auch die EU-weite mobile Arbeit soll nach Auffassung der Ampel-Parteien künftig unproblematisch möglich sein. Dies wird entsprechende europäische Regelungen erfordern, die – im Idealfall – den sozialversicherungsrechtlichen Verwaltungsaufwand für Arbeitgeber, die ihren Beschäftigten mobile Arbeit im Ausland ermöglichen wollen, reduzieren. Es bleibt abzuwarten, ob dies gelingt.
    • Neu ist auch, dass Beschäftigte einen Erörterungsanspruch über mobiles Arbeiten und Arbeiten im Homeoffice erhalten sollen. Nach den Vorstellungen der Ampel-Parteien soll der Arbeitgeber dem entsprechenden Wunsch der Beschäftigten nur dann widersprechen können, wenn betriebliche Belange entgegenstehen. Unklar bleibt, in welchem Umfang Beschäftigte hiernach eine Tätigkeit im Homeoffice beanspruchen können sollen sowie welche Anforderungen an die betrieblichen Belange zu stellen sind. Der Teufel dürfte hier im Detail liegen und das Konfliktpotenzial am Arbeitsplatz nicht von der Hand zu weisen sein.

Plattformarbeit | Gig Economy

Arbeit wird zunehmend über digitale Plattformen vermittelt. Die Koalitionspartner beabsichtigen, das geltende Recht in dieser Hinsicht zu überprüfen und die Datengrundlagen im Dialog mit den Beteiligten zu verbessern und die Initiative der EU-Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Plattformen konstruktiv zu begleiten.

2. Stärkung der Tarifautonomie

Nach dem Willen der Koalitionäre soll die Tarifautonomie gestärkt werden. Folgende Maßnahmen sind hierzu ins Auge gefasst:

    • Die öffentliche Auftragsvergabe durch den Bund soll daran gebunden werden, dass das jeweilige Unternehmen einen repräsentativen Tarifvertrag der jeweiligen Branche einhält. Hierdurch sollen aber keine weiteren bürokratischen Hürden aufgebaut werden. Vielmehr soll eine einfache Erklärung genügen.
    • Es ist darüber hinaus beabsichtigt, die Fortgeltung von Tarifverträgen bei Betriebsausgliederungen sicherzustellen, wenn der bisherige Eigentümer unverändert bleibt. Die Regelung zum Betriebsübergang in § 613a BGB soll hiervon allerdings nicht angetastet werden. Unklar ist, ob mit der „Identität“ des Eigentümers Umstrukturierungen innerhalb Konzernstrukturen gemeint sind und mit „Ausgliederungen“ umwandlungs- oder betriebsverfassungsrechtliche Maßnahmen bzw. beides.

3. Betriebliche Mitbestimmung und Unternehmensmitbestimmung

Die betriebliche Mitbestimmung soll weiterentwickelt werden, u. a. durch folgende Maßnahmen:

    • Betriebsräte sollen künftig frei entscheiden können, ob sie analog oder digital arbeiten. Nach derzeit geltender Rechtslage sind Betriebsratssitzungen per Videokonferenz zwar möglich. Präsenzsitzungen haben allerdings Vorrang. Nach der Vorstellung der Ampel-Koalition wird damit eine echte Wahlfreiheit eingeführt. Dies dürfte u. a. dazu führen, dass Arbeitgeber ihre Betriebsräte künftig mit entsprechender digitaler Infrastruktur auszustatten haben, falls diese für digitale Betriebsratssitzungen optieren.
    • Betriebsratswahlen sollen in diesem Zuge in einem Pilotprojekt auch online ermöglicht werden. Es ist davon auszugehen, dass hierdurch Betriebsratswahlen weiter vereinfacht werden sollen. Entsprechende Tools und professionelle Software-Provider gibt es am Markt bereits.
    • Gewerkschaften sollen ein Recht auf digitalen Zugang in die Betriebe erhalten, das deren analogen Rechten entspricht. Unter der geltenden Rechtslage haben im Betrieb vertretene Gewerkschaften grundsätzlich das Recht, Zugang zum Betrieb durch einen Beauftragten zu erhalten, um die Aufgabenwahrnehmung in betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht zu gewährleisten. Dies umfasst beispielsweise die Mitwirkung bei Betriebsratswahlen, das Recht, den gerichtlichen Ausschluss von Betriebsratsmitgliedern wegen grober Pflichtverletzung zu beantragen oder an Betriebs- oder Abteilungsversammlungen teilzunehmen.

Bei der Unternehmensmitbestimmung, also der Mitbestimmung durch Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (bzw. Verwaltungsrat) sehen die Koalitionsparteien ebenfalls Handlungsbedarf:

    • Der Geltungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes (DrittelbG), nachdem 1/3 des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist, soll erweitert werden, um in größerem Umfang Konzernstrukturen zu erfassen: Nach geltender Rechtslage werden Arbeitnehmer:innen, die in Konzerngesellschaften beschäftigt sind, der Konzernobergesellschaft für den maßgeblichen Schwellenwert von in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer:innen nur zugerechnet, wenn zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft entweder ein Beherrschungsvertrag besteht oder eine aktienrechtliche Eingliederung der Tochter in die Mutter vorliegt (§ 2 Abs. 2 DrittelbG). Es ist beabsichtigt, die Zurechnungsvorgaben an die Regelungen des Mitbestimmungsgesetzes (MitbestG - Schwellenwert: in der Regel mehr als 2.000 Arbeitnehmer:innen – paritätische Besetzung des Aufsichtsrats mit Arbeitnehmer- und Anteilseignervertretern) anzugleichen: Hier findet eine Zurechnung bereits dann statt, wenn die Unternehmen faktisch einer einheitlichen Leitung unterliegen (§ 5 Abs. 1 MitbestG i. V. m. § 18 Abs. 1 AktG). Ein Beherrschungsvertrag oder eine aktienrechtliche Eingliederung sind nicht erforderlich. Konsequenz daraus wäre, dass viele mittelständische Konzerne umstrukturiert werden müssten, wenn ein drittelmitbestimmter Aufsichtsrat bei der Konzernmutter vermieden werden soll.
    • Auch die Mitbestimmung in der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) soll erweitert werden. Deutsche Mitbestimmungsgesetze finden in der SE derzeit keine Anwendung. Die Mitbestimmung in einer SE richtet sich vielmehr danach, ob und welche Art der Mitbestimmung mit den Arbeitnehmer:innen vereinbart wird bzw. vor der Umwandlung in eine SE bzw. ihrer Gründung galt. Dieser vereinbarte oder konservierte Mitbestimmungsstatus bleibt unabhängig davon erhalten, wie sich die Zahl der Arbeitnehmer:innen entwickelt (sog. „Einfriereffekt“). Dieser Einfriereffekt soll nach Vorstellung der Ampelkoalition abgeschafft werden und die Mitbestimmung auf die SE ausgeweitet werden. Hierfür will sich die zukünftige Bundesregierung jedenfalls „einsetzen“. Abgestimmt werden müssen wird dies auf europäischer Ebene. Denn Basis der SE ist EU-Recht, namentlich die Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE) in Verbindung mit der Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vom 8. Oktober 2001.

4. Fremdpersonaleinsatz

Konkrete Maßnahmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung und beim Einsatz von Fremdpersonal auf Basis von Werkverträgen kündigen die Koalitionspartner nicht an. Strukturelle und systematische Rechtsverstöße sollen künftig mit effektiverer Rechtsdurchsetzung stärker verhindert werden. Arbeitgeber sind damit nach wie vor aufgefordert, Compliance-Strukturen aufzubauen, die einen rechtssicheren Einsatz von Fremdpersonal sicherstellen.

5. Teilzeit- und Befristungsrecht

Nach dem Willen der Koalitionspartner soll künftig auch für mit Sachgrund befristete Arbeitsverträge eine Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren gelten, die nur in eng begrenzten Ausnahmefällen überschritten werden darf. Die Möglichkeit einer flexiblen Personalplanung wird dadurch erheblich eingeschränkt. Nach geltendem Recht gilt eine solche Obergrenze bislang allein für sachgrundlose Befristungen; Befristungen mit Sachgrund hingegen können bislang (vorbehaltlich unzulässiger Umgehungsgestaltungen) unbegrenzt verlängert werden.

    • Unter Flexibilitätsgesichtspunkten positiv zu bewerten ist allerdings, dass die sachgrundlose Befristung offenbar erhalten bleiben soll.
    • Im öffentlichen Dienst soll die derzeit zulässige Haushaltsbefristung abgeschafft werden.
    • Bei der Arbeit auf Abruf soll – so der Koalitionsvertrag – für mehr Sicherheit gesorgt werden. Was konkret sich die Parteien hierunter vorstellen, bleibt unklar.

6. Mindestlohn, Mini- und Midijobs

    • Der Mindestlohn soll einmalig auf 12 Euro brutto / Stunde erhöht werden und danach weitere Anpassungen durch die paritätisch aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter:innen besetzte Mindestlohnkommission beschlossen werden. Dies bedeutet – ausgehend von dem derzeit geltenden Mindestlohn von 9,60 Euro brutto / Stunde – eine deutliche Erhöhung um 25%.
    • Korrespondierend damit werden auch die Grenzen für Mini- und Midijobs angehoben, wobei für Minijobs nunmehr als Obergrenze eine Wochenarbeitszeit von zehn Stunden gelten soll. Künftige Mindestlohnerhöhungen müssen danach künftig nicht mehr zu einer Reduktion der Arbeitszeit führen. Unter Geltung des Mindestlohns von 12 Euro brutto wird die Minijobgrenze damit künftig bei EUR 520 liegen.

7. Berufliche Weiterbildung

Zur beruflichen Fort- und Weiterbildung soll eine Bildungsteilzeit nach österreichischem Vorbild eingeführt werden. Arbeitnehmer:innen können hiernach ihre wöchentliche Arbeitszeit reduzieren, um Weiterbildungsangebote wahrzunehmen. Für den Verdienstausfall erhalten sie einen staatlichen Zuschuss.

    • Es soll ein an das Kurzarbeitergeld angelehntes Qualifizierungsgeld eingeführt werden. Unternehmen im Strukturwandel sollen hiermit in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit ermöglicht werden, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten und Fachkräfte zu sichern. Dies soll auf der Grundlage von Betriebsvereinbarungen erfolgen. Unklar ist, was in betriebsratslosen Betrieben gelten soll. Ob damit – analog zur Förderung der Gewerkschaften – mittelbar Betriebsräte gefördert werden sollen, ist unklar. Ein Sachgrund für die unterschiedliche Behandlung von Betrieben mit und ohne Betriebsrat ist jedenfalls nicht erkennbar. Der Staat ist aber auch insoweit an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.
    • Es sollen zudem Anreize geschaffen werden für Transformationstarifverträge, das Transfer-Kurzarbeitergeld ausgeweitet und die Instrumente des SGB III in Transfergesellschaften weiterentwickelt werden. Näher wird hierzu indes nicht ausgeführt.

8. Fazit

Der Koalitionsvertrag bringt für die Arbeitswelt einige Veränderungen mit sich. Nicht angesprochen werden allerdings zentrale Fragen wie eine sinnvolle Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts der Betriebsräte bei der Digitalisierung von Unternehmen und Betrieben. Der „große Wurf“ ist der Koalitionsvertrag in Sachen Arbeitszeitflexibilisierung und New Work sicher auch nicht. Der Fokus liegt insgesamt etwas zu stark auf der Gewerkschaftsförderung und zu wenig auf der Schaffung von Gestaltungsspielräumen für Arbeitnehmer:innen und Unternehmen (Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sinnvolle Arbeitszeitgestaltung usw.). Sinnvoll sind allerdings die für die berufliche Weiterbildung geplanten Ansätze, von denen – das ist die Erfahrung der Praxis – allerdings eher die Arbeitnehmer:innen und weniger Unternehmen überzeugt werden müssen. Für den Wirtschaftsstandort Deutschland vorteilhaft wäre, wenn die Koalitionäre die Regierungszeit nutzen und bei vielen anderen, seit Jahren brach liegenden Problemen der betrieblichen Praxis „[m]ehr Fortschritt wagen“. 

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