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Zu hohe Preise an der Lade­säule? Zum Abschluss­bericht der Sektor­unter­suchung zur Lade­infra­struktur

15.10.2024

Der sich rasant entwickelnde Markt der Ladeinfrastruktur steht aktuell auch regulatorisch im Fokus. Auf europäischer Ebene sorgte zuletzt das Inkrafttreten der Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für Alternative Kraftstoffe („AFIR“) für Aufsehen, in welcher unter anderem detaillierte Vorgaben zu Preisen von Ladestrom und Zugangsbedingungen Dritter vorgesehen sind (siehe hier). Am 01.10.2024 veröffentlichte das Bundeskartellamt („BKartA“) seinen mit Spannung erwarteten Abschlussbericht zur Sektoruntersuchung der Ladeinfrastruktur („Sektoruntersuchung zur Bereitstellung und Vermarktung öffentlich zugänglicher Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge“, Aktenzeichen B8-28/20). Der Abschlussbericht verdeutlicht die kartellrechtlichen Herausforderungen des Ladeinfrastrukturmarktes, die dem Erfolg der Elektromobilität in Deutschland womöglich im Wege stehen.

A. Hintergrund und Ablauf der Sektoruntersuchung

Die bereits im Juli 2020 eingeleitete Sektoruntersuchung soll strukturelle wettbewerbliche Defizite im Bereich der öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur identifizieren, die in Beschwerden von Verbrauchern und Marktteilnehmern geäußert wurden. Untersucht wurde insbesondere der Flächenzugang für den Aufbau der Ladeinfrastruktur und die Auswirkungen dieses Zugangs auf den Wettbewerb zwischen Ladeinfrastrukturbetreibern (Charging-Point Operator, „CPO“) sowie die Wettbewerbsentwicklung auf Ebene des Betriebs der Ladeinfrastruktur und Fragen des Zugangs von Mobilitätsdienstleistern (E-Mobility Provider, „EMP“). Das BKartA habe dabei umfangreiche Informationen von den auf den einzelnen Marktstufen tätigen Unternehmen (etwa Betreiber von Rastanlagen, CPOs und EMPs) und Gebietskörperschaften (wie Städte und Kommunen) erhoben und diese ausgewertet.

B. Zentrale Ergebnisse der Sektoruntersuchung aus kartellrechtlicher Sicht

Neben detaillierten Ausführungen zu den – überwiegend lokal zu definierenden – Märkten identifizierte das BKartA im Wesentlichen die folgenden wettbewerblichen Defizite und definierte hier konkrete Lösungsansätze und Handlungsempfehlungen.

I. Zugang zu geeigneten Flächen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur

Während das BKartA im Hinblick auf den Zugang zu privaten Flächen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur keine Wettbewerbshindernisse feststellen konnte, stelle jedoch die aktuelle Vergabepraxis der Gewährung von Zugang zu öffentlichen Flächen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur ein „bedeutsames Wettbewerbshindernis“ dar. Viele Gebietskörperschaften würden geeignete Flächen häufig exklusiv oder bevorzugt an das eigene kommunale Stadtwerk oder einen einzelnen CPO vergeben. Dies behindere einen offenen und diskriminierungsfreien Marktzugang. Bei der Gewährung von Zugang an das eigene kommunale Stadtwerk als direkten Konkurrenten der CPOs träte die Gebietskörperschaft zudem in einer Mehrfachfunktion auf.

Durch die Ausschreibung der Vergabe bundeseigener Flächen auf unbewirtschafteten Rastanlagen im Rahmen des sog. Deutschlandnetzes hätten sich die Marktzugangsbedingungen hier grundsätzlich verbessert, auch wenn hier weiterhin der Bund über eine Alleinstellung verfüge. Auf bewirtschafteten Rastanlagen stehe allerdings aufgrund langfristiger Konzessionen den CPO nahezu allein die Tank&Rast-Gruppe als Flächenanbieter entgegen.

Das BKartA geht davon aus, dass die Gebietskörperschaften bei Erteilung des Zugangs zu öffentlich zugänglichen Flächen nicht ausschließlich hoheitlich handeln und daher sowohl das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung (§ 19 GWB, Art. 102 AEUV) bzw. relativer oder überlegener Marktmacht (§ 20 GWB) sowie das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) zu beachten haben. Dies gelte freilich auch für die privatwirtschaftlich handelnde Tank&Rast-Gruppe. Das Missbrauchsverbot verbietet dabei insbesondere die missbräuchliche Zugangsverweigerung bzw. die Erschwerung des Zugangs zu wesentlicher Infrastruktur für die Betätigung auf einem nachgelagerten Markt, auch durch Ausgestaltung der Zugangsbedingungen. Dagegen könnte ein unzulässiger Informationsaustausch (etwa in „Hub-and-Spoke“-Konstellationen) oder vertikale Vereinbarungen zwischen Anbietern geeigneter Flächen und CPO (etwa Ausschließlichkeitsbindungen) vom Kartellverbot erfasst sein. Wenn Gebietskörperschaften selbst auch über das kommunale Stadtwerk als CPO tätig sind, unterlägen sie außerdem als öffentliche Hand besonderen Rücksichtsnahmepflichten. Erforderlich wäre stets jeweils eine einzelfallbezogene Bewertung, es bestehe jedoch ein „hohes Risiko“ für einen Kartellrechtsverstoß.

II. Wettbewerb auf Ebene der CPOs

Das BKartA vermutet – auch aufgrund der dargestellten Vergabepraxis – in den zahlreichen lokalen Märkten eine hohe Anbieterkonzentration auf Ebene der CPO. Viele der CPOs seien dabei vertikal integriert und auch als EMP aktiv. Durch seine hohe Marktmacht habe der CPO mangels Ausweichmöglichkeiten der EMP einen Anreiz, höhere Preise durchzusetzen. Die vertikale Integration erhöhe zudem das Risiko, dass Wettbewerber missbräuchlich behindert oder sogar verdrängt werden. Das BKartA verwies dabei auf die sog. Preis-Kosten-Schere, bei welcher die Bezugspreise konkurrierender EMPs für Ladestrom im Verhältnis zu den eigenen Endkundenpreisen so hoch angesetzt werden, dass dem konkurrierenden EMP keine auskömmliche Marge verbleibt. Ein genereller Hinweis auf systematisch überhöhte Preise, systematische Verstöße gegen das Kartellrecht oder ein systematisches Wettbewerbsproblem durch die Weigerung, konkurrierenden EMPs den Zugang zur Ladeinfrastruktur zu gewähren, habe sich zwar nicht ergeben. Die Ausgestaltung der Zugangsbedingungen für EMPs stelle allerdings ein bedeutsames potenzielles Wettbewerbshindernis dar, das sich letztendlich in überhöhten Endkundenpreisen niederschlagen könne.

Kartellrechtlich könne dem insbesondere wiederum je nach Einzelfall durch die Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots entgegengewirkt werden. Voraussetzung sei jedoch stets die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung oder relativer Marktmacht. Aufgrund der eng abzugrenzenden lokalen Märkte können dabei EMPs auch von relativ kleinen CPOs abhängig sein.

C. Weitere Erkenntnisse des BKartA

Neben kartellrechtlichen Handlungsinstrumenten diskutiert das BKartA das aus dem Strommarkt bekannte Durchleitungsmodell. Dieses Modell soll in der aktuellen Ausschreibung zu einem LKW-Schnellladenetz zur Anwendung kommen. Nach dem Durchleitungsmodell hätten EMPs Anspruch darauf, dass der Strom von einem Anbieter ihrer Wahl durchgeleitet und am Ladepunkt abgegeben wird. Die EMPs wären dadurch nicht von den ggf. mit Marge weitergegeben Beschaffungspreisen der CPOs abhängig. Das BKartA hält die Voraussetzungen für einen solchen Durchleitungsanspruch nicht für gegeben. Denn anders als beim Stromnetz handele es sich bei Ladepunkten gerade nicht um ein natürliches Monopol. Zudem sei nicht absehbar, dass ein solches Durchleitungsmodell tatsächlich geringere Endkundenpreise zur Folge habe. Es wird spannend sein, ob das Verkehrsministerium trotz dieser Bedenken des BKartA in seiner Ausschreibung am Durchleitungsmodell festhalten wird.

Das BKartA geht auch auf das nun in Art. 5 Abs. 3 der AFIR enthaltene Diskriminierungsverbot ein. Demnach müssen die von den CPOs festgesetzten Preise sowohl gegenüber den EMPs als auch den Endkunden nicht diskriminierend sein. Gleiches gilt gemäß Art. 5 Abs. 5 der AFIR für die von den EMPs von den Endkunden verlangten Preise. Dieses spezielle Diskriminierungsverbot gilt unabhängig von einer marktbeherrschenden Stellung oder einer relativen Marktmacht des CPO bzw. EMP und geht damit über das allgemeine kartellrechtliche Missbrauchsverbot hinaus. Das BKartA weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass auf eine mit kartellrechtlichen Maßstäben konsistente Anwendungspraxis zu achten sei. Strengeren Vorgaben für die Preisgestaltung erteilt das BKartA hingegen eine Absage. Insbesondere solle mit Blick auf ein mögliches Regulierungsversagen auf konkrete Preiskorridore, wie sie ursprünglich im Rahmen des Deutschlandnetzes vorgesehen waren, verzichtet werden. Hiervon unberührt bleibt die Pflicht der CPOs und EMPs aus Art. 5 der AFIR „angemessene“ Preise zu verlangen, wonach die Preise die Kosten zzgl. einer adäquaten Gewinnspanne nicht übersteigen dürfen.

Hinsichtlich der von vielen Seiten geforderten, umfangreicheren Transparenzpflichten der CPOs gibt das BKartA zu bedenken, dass eine Preistransparenz ambivalenter Natur sei. Denn neben einer besseren Vergleichbarkeit der Preise durch die Endkunden begünstige eine solche Informationsverfügbarkeit auch Verhaltensabstimmungen zwischen den Marktakteuren, die letztendlich wettbewerbsschädlich sein können.

D. Ausblick

Wenig überraschend bezeichnet der Abschlussbericht des BKartA zahlreiche wettbewerbliche Hindernisse im dynamischen Markt der Ladeinfrastruktur, die bereits im Sachstandsbericht der Sektoruntersuchung im Oktober 2021 durchklangen. Zu erwarten ist, dass in Zukunft mit zunehmendem Ausbau der Ladeinfrastruktur sowohl behördliche Kartellverfahren als auch private kartellrechtliche Klagen auf Zugang zur Ladeinfrastruktur oder Änderungen der Zugangsbedingungen zunehmen werden. Neben die allgemeinen kartellrechtlichen Bestimmungen treten dabei spezifische die Ladeinfrastruktur betreffende Regularien wie das in der AFIR verankerte Diskriminierungsverbot. Wie sich diese Vorgaben künftig zueinander verhalten und die Branche beeinflussen werden, wird sich zeigen.