Investitionsprüfung: Jahresbericht der EU-Kommission zeigt Kontinuität der Handhabung und Rückgang ausländischer Direktinvestitionen
Mitte Oktober veröffentlichte die EU-Kommission den Vierten Jahresbericht über die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen (FDI) in der Union. Sie gibt darin einen Überblick über die Entwicklung ausländischer Direktinvestitionen in EU-Mitgliedsstaaten, das Aufkommen und den Ausgang von Investitionsprüfverfahren sowie einen Ausblick auf die Zukunft der Investitionsprüfung auf EU-Ebene. Deutschland blieb 2023 das wichtigste Ziel-, die USA das wichtigste Herkunftsland ausländischer Direktinvestitionen in die EU. Das Gros der Beteiligungserwerbe entfiel dabei EU-weit auf das verarbeitende Gewerbe sowie den Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) (A.). Zur Abwehr potenzieller Gefahren solcher Investitionen steht nunmehr fast allen EU-Mitgliedsstaaten das Instrument der Investitionsprüfung zur Verfügung (B.). Die Mitgliedsstaaten nutzen dieses weitestgehend wie in den Vorjahren, sodass die eröffneten Prüfverfahren und Beschränkungen sich im bekannten Rahmen bewegen (C.).
A. Deutschland und USA dominieren; chinesische Investitionen und Halbleiter im Fokus der Kommission
Die EU-Kommission verzeichnete im Jahr 2023 insgesamt 3.800 ausländische Direktinvestitionen (2022: 5.000; Ausländische Direktinvestitionen umfassen Unternehmensneugründungen und M&A-Deals / Beteiligungserwerbe > 10 %.). Die Nettozuflüsse an ausländischen Direktinvestitionen in die EU blieben auch 2023 negativ (EUR -50 Mrd.). Entgegen dem globalen Trend rückläufiger Nettozuflüsse verringerte sich das Nettodefizit der EU im Vergleich zum Vorjahr (EUR -135 Mrd.) jedoch spürbar. M&A-Transaktionen im Bereich FDI gingen 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 13 % zurück. Noch stärker fiel dieser Rückgang für Unternehmensneugründungen (sogenannte Greenfield Investments oder Greenfields) aus, die um ein Drittel sanken.
Direktinvestitionen in die EU stammten mehrheitlich aus den USA und dem Vereinigten Königreich. Wie in den Vorjahren waren die USA 2023 wichtigstes Herkunftsland ausländischer Direktinvestitionen (30 % der Erwerbe, 36 % der Greenfield Investments), dicht gefolgt vom Vereinigten Königreich (25 % und 21 %). FDI-relevante M&A-Transaktionen waren sowohl aus den USA als auch aus UK im Vergleich zu 2022 rückläufig (USA: -20 %, UK: -17 %). Noch stärker ausgeprägt war dies im Bereich der Greenfield Investments (USA: -45 %, UK: -29 %). Offshore Finanzplätze gewannen hingegen an Bedeutung (M&A-Transaktionen +26 %).
Für Beteiligungserwerbe war Deutschland erneut das wichtigste Zielland: 2023 betrafen 19 % aller M&A Transaktionen deutsche Unternehmen (nach 18 % im Vorjahr). Das entspricht knapp 350 Transaktionen. Greenfield Investments betrafen vor allem Spanien, das 2023 Hauptziel war und einen signifikant höheren Anteil aller Greenfields anzog (24 %, 2022: 18 %).
An Branchen standen 2023 Einzelhandel, Informations- und Kommunikationstechnologie und verarbeitendes Gewerbe im Fokus: mehr als die Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen betraf Zielgesellschaften aus diesen Sektoren. Schließt man Greenfields aus und beschränkt den Blick auf M&A, führte das Verarbeitende Gewerbe (26 % / 496 Transaktionen) gefolgt vom IKT-Sektor (23 % / 428 Transaktionen). Die in der Vergangenheit wiederholt kritisch beäugten chinesischen FDI-Aktivitäten gingen im Bereich Greenfields in fast allen Mitgliedsstaaten zurück; im Bereich Beteiligungserwerbe gab es hingegen unter anderem in Schweden, Deutschland und Polen Zuwächse.
Die EU-Kommission wirft auch einen gesonderten Blick auf die Beteiligungen Chinas und Russlands an EU-Unternehmen sowie FDI im Bereich Halbleiter:
- Chinesische Investoren üben Einfluss über oder Kontrolle in rund 49.300 EU-Unternehmen aus, zumeist kontrollieren sie diese Unternehmen (31.900 Fälle). Ein knappes Viertel der chinesisch kontrollierten Unternehmen sitzt in Italien, dicht gefolgt von Deutschland und Frankreich (jeweils 21 % und 17 %). Schärft man den Blick auf Unternehmen, die von der chinesischen Regierung beherrscht werden, stechen Frankreich, Irland und Deutschland hervor. Die chinesische Regierung kontrolliert häufig Unternehmen in der Elektrizitätsbranche (336 kontrollierte Unternehmen, vor allem in Italien, Spanien und Deutschland) und der Halbleiterbranche (84 kontrollierte Unternehmen, Minderheitsbeteiligungen an 34 Unternehmen). Allein 55 der von der chinesischen Regierung kontrollierten Unternehmen in der Halbleiterbranche sind in Deutschland angesiedelt.
- Russische Investoren kontrollieren über 30.000 EU-Unternehmen oder üben in diesen Einfluss aus. Die meisten der russisch kontrollierten EU-Unternehmen finden sich in Tschechien, das ein knappes Viertel auf sich vereint. Es folgen Lettland und Bulgarien mit je 14 %, aber auch Deutschland (10 %) und Zypern (8,6 %). Ein ähnliches Bild ergibt sich für Unternehmen mit russischem Einfluss unterhalb der Schwelle zur Kontrolle, wobei hier Italien statt Zypern in den Top 5 landet. Die russische Regierung kontrolliert dabei unmittelbar Unternehmen in den Bereichen Öl & Gas und Elektrizität.
- Im Halbleiterbereich verzeichnete die Kommission im Berichtsjahr 68 ausländische Direktinvestitionen. Diese erfolgten knapp zur Hälfte als Venture-Capital-Investitionen (VC), von denen es im Berichtsjahr 32 gab – ein Rückgang von 14 % zum Vorjahr. Bemerkenswert ist, dass diese VC-Investitionen sich verstärkt auf die Frühphasenfinanzierung konzentrieren. M&A-Transaktionen machten 37 % der ausländischen Direktinvestitionen in die Halbleiterbranche aus (-7 % zum Vorjahr). Nach Zahl der Transaktionen bleiben die USA der größte ausländische Investor, auf den fast die Hälfte aller Transaktionen entfielen. Auf China kamen hingegen nur 3,6 %, ein weiterer Rückgang im Vergleich zu 2022.
B. Investitionsprüfungen flächendeckend eingeführt
Das Instrument der Investitionsprüfung hat sich in der EU weitgehend durchgesetzt. Es gehört zum üblichen sicherheitspolitischen Instrumentarium der Mitgliedsstaaten, mit dem ausländische Direktinvestitionen geprüft, beschränkt und unterbunden werden können. 24 Mitgliedsstaaten verfügen über ein Investitionsprüfregime, die verbliebenen drei – Griechenland, Kroatien und Zypern – befinden sich im entsprechenden Gesetzgebungsverfahren.
C. Prüfverfahren mehrheitlich eröffnet, Anteil von Beschränkungen stabil
Die Auswertung der Berichte der EU-Mitgliedsstaaten zeigt für 2023 stabile Verhältnisse hinsichtlich der eröffneten Prüfverfahren, Freigaben und Untersagungen. Die Mitgliedsstaaten eröffneten Prüfverfahren für 56 % der 1.808 gemeldeten oder von Amts wegen aufgegriffenen ausländischen Direktinvestitionen. Dieser leichte Anstieg zum Vorjahr (2022: 55 %) führte jedoch nicht zu einer strengeren Handhabung: förmliche Prüfungen führten 2023 ganz überwiegend (85 %) zu einer Freigabe ohne Auflagen. In weiteren 10 % der Fälle gaben die Behörden die Transaktionen unter Auflagen frei (2022: 9 %); eine förmliche Untersagung erfolgte nur in 1 % der Fälle, was dem langjährigen Durchschnitt entspricht. Unberücksichtigt bleiben dabei jedoch die 4 % der Anmeldungen, die vor einer förmlichen Entscheidung von den Antragstellern zurückgenommen wurden.
Im Rahmen des EU-Screening-Mechanismus übermittelten 18 Mitgliedstaaten im Jahr 2023 488 Notifizierungen, was den Trend zunehmender Notifizierungen der Vorjahre fortschreibt. Bemerkenswert ist, dass in zunehmendem Maß Direktinvestitionen notifiziert werden, die mehrere EU-Jurisdiktionen betreffen. Die Quote dieser multi-jurisdictional Transaktionen stieg auf 36 % - verglichen mit 20 bis 29 % in den Vorjahren. Diese Zahlen nimmt die Kommission zum Anlass, Werbung für ihren Recast der Screening-Verordnung zu machen. Hier strebt sie – neben der Angleichung dahingehend, welche Transaktionen zwingend gemeldet und geprüft werden müssen – eine bessere Koordinierung zur Beurteilung dieser multi-jurisdictional Transaktionen an.
Die überwältigende Mehrheit der notifizierten Fälle schloss die Kommission binnen 15 Tagen in Phase 1 des EU-Screening Mechanismus (nicht zu verwechseln mit den entsprechenden Phasen des nationalen Verfahrens); nur in 8 % der Fälle eröffnete sie eine vertiefte Prüfung. Fast zwei Drittel der Fälle, für die diese Phase 2 des EU-Screening Mechanismus eröffnet wurde, betrafen die Sektoren verarbeitendes Gewerbe und IKT. Im verarbeitenden Gewerbe waren mehrheitlich sensitive Technologien der Grund, eine vertiefte Prüfung durchzuführen – also Technologien insbesondere aus den Bereichen Verteidigung, Luft- und Raumfahrt sowie Halbleiter. Gefolgt wurde dieser Grund von kritischer Infrastruktur und der Versorgungssicherheit.