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BGH-Entscheidung zum Kündigungs­recht der Bau­spar­kassen

23.02.2017

BGH-Leitzinssatzentscheidungen zum Kündigungsrecht der Bausparkasse zehn Jahre nach Zuteilungsreife des Bauspardarlehens

Der BGH bejahte am 21. Februar 2017 mit gleich zwei Entscheidungen (XI ZR 185/16 und XI ZR 272/16) die bisher strittige Frage, ob eine Bausparkasse Bausparverträge gemäß § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ordentlich kündigen kann, wenn diese Verträge mehr als zehn Jahre zuteilungsreif sind. Damit stärkt der BGH die Rechtsposition der Bausparkassen, sich in der aktuellen Niedrigzinsphase aus unwirtschaftlichen „Alt“-Bausparverträgen mit hohen Sparzinsen zu lösen.


I. Bisheriger Meinungsstand

In Zeiten niedriger Leitzinsen sind Anlageprodukte mit hohen Renditechancen regel-mäßig nur für den Preis eines erheblichen Kapitalverlustrisikos erhältlich. Daher schätzen sich diejenigen sicherheitsorientierten Anleger besonders glücklich, die ihr Geld während einer Hochzinsphase langfristig sicher und festverzinslich angelegt haben. Zu diesen Anlegern zählen auch Bausparer, die sich im Besitz eines entsprechenden Alt-Bausparvertrages befinden. Deshalb nutzen viele Bausparer ihre Alt-Bausparverträge als reine Anlageprodukte und greifen bei Bedarf nach einer Finanzierung ihrer Bauvorhaben auf anderweitige Kreditangebote zurück.

Für die Bausparkassen und das Kollektiv der Bausparer ist dies jedoch aufgrund des aktuell niedrigen Leitzinses nicht unbegrenzt wirtschaftlich tragbar. Aus diesem Grund kündigen derzeit viele Bausparkassen Altverträge, bei denen kein Bauspardarlehen in Anspruch genommen wurde, unter Anwendung der gesetzlichen Vorschriften zur ordentlichen Kündigung unbefristeter Darlehensverträge. Soweit die Alt-Sparverträge bereits vollbespart sind, d.h. die Bausparsumme durch die Sparbeiträge nebst Zinsen erreicht ist, haben die Bausparkassen die Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung nach § 488 BGB. Ist die Vollbesparung hingegen nicht erreicht, soll dem Recht der Bausparkasse zur ordentlichen Kündigung des Bausparvertrages grundsätzlich der Zweck des Bausparvertrages als Instrument zur Gewährung eines zinsgünstigen Bauspardarlehens entgegenstehen. Bisher im Streit stand deshalb die Frage, ob hiervon unter Anwendung von § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB unter anderem dann eine Ausnahme gemacht werden kann, wenn seit der erstmaligen Zuteilungsreife ein Zeitraum von zehn Jahren verstrichen ist.

1. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht verbraucherschützend

Die Bausparer argumentierten gegen eine Kündbarkeit der Bausparverträge nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB in Übereinstimmung mit einigen Oberlandesgerichten unter anderem damit, dass der Anwendungsbereich dieser Norm für eine Bausparkasse nicht eröffnet sei, da die Norm verbraucherschützend sei.

Hiergegen verwies die herrschende Meinung in der Instanzrechtsprechung und der Literatur auf die grammatische, gesetzessystematische, teleologische sowie historische Auslegung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB und sprach dieser Norm im Ergebnis zu Recht eine rein verbraucherschützende Funktion ab. Im Rahmen der grammatischen Auslegung stützte sich die Instanzrechtsprechung dabei darauf, dass § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB vom allgemeinen Begriff des „Darlehensnehmers“ ausgeht, ohne eine nähere Spezifizierung dahingehend zu treffen, dass mit dieser Formulierung nur Verbraucher erfasst sein sollen.

Darüber hinaus bestätigte nach der Instanzrechtsprechung auch die gesetzessystematische Auslegung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB das Ergebnis, dass die Norm nicht spezifisch verbraucherschützend ist. Die Vorschrift befindet sich in Kapitel 1, Untertitel 1, Titel 3 des BGB. Dieses regelt die allgemeinen Vorschriften zum Darlehensvertrag, wohingegen verbraucherschützende Vorschriften bezüglich des Darlehensvertrages ausdrücklich erst in Kapitel 2, Untertitel 1, Titel 3 des BGB, mithin den §§ 491 ff. BGB geregelt werden. Der Gesetzgeber ging somit davon aus, dass rein verbraucherschützende Vorschriften ihren Platz nicht in den allgemeinen Vorschriften zum Darlehensvertrag finden sollen, wenngleich diese als allgemeine Vorschriften natürlich auch auf Verbraucher nach dem Willen des Gesetzgebers anwendbar sind. Ferner lässt auch die Norm des § 489 Abs. 4 Satz 2 BGB keine Ausnahme von dieser gesetzessystematischen Betrachtung zu. Diese regelt positiv, welche Institutionen gerade nicht von dem Kündigungsrecht des § 489 BGB Gebrauch machen können. Hierunter fällt die Bausparkasse nicht.

 

Auch eine teleologische Auslegung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB führt zu dem Ergebnis, dass dieser nicht verbraucherschützend ist. Zielsetzung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist es, den Darlehensnehmer bei einem festverzinslichen Darlehen nach Ablauf einer längeren Zeit vor der Bindung an einen nicht mehr zeitgemäßen Zinssatz zu bewahren. Der Schutzgedanke der Vorschrift geht demnach dahin, die ökonomische Handlungsfreiheit des Darlehensnehmers nicht unangemessen einzuschränken, sondern diesem die Möglichkeit einer Loslösung vom Darlehensvertrag zu geben. Bei Zugrundelegung dieser Zielrichtung kann es nicht davon abhängen, ob es sich bei dem Darlehensnehmer um eine natürliche Person oder ein Kreditinstitut handelt.

Schließlich führt auch eine historische Auslegung zu dem Ergebnis, dass § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB keine verbraucherschützende Norm darstellt. Die Vorgängernorm von § 489 BGB, nämlich § 609a BGB a.F., trat selbst an die Stelle von § 247 BGB a.F. Danach konnte der Schuldner ein Darlehen kündigen, wenn ein Zinssatz von mehr als 6 % vereinbart gewesen ist. Aufgrund einer auf eine Hochzinsphase folgenden Niedrigzinsphase in den 1970er Jahren kam es wegen günstigerer Umschuldungsbedingungen zu einer Kündigungswelle von Darlehen. Genau als Reaktion hierauf und aufgrund nachteiliger gesamtwirtschaftlicher Folgen erließ der Gesetzgeber § 609a BGB, dessen Abs. 1 Nr. 3 der heutigen Vorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB entspricht. Diese Änderung sollte Kreditinstituten eine Planungssicherheit von zehn Jahren ermöglichen.

2. Die Bausparkasse ist in der Ansparphase „Darlehensnehmer“

Weiterhin argumentierten die Bausparer damit, dass einer Bausparkasse das Kündigungsrecht des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht zustehe, weil diese auch im Rahmen der Bausparphase eine Doppelrolle sowohl als Darlehensgeberin als auch als Darlehensnehmerin inne habe. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gelte jedoch ausdrücklich nur für Darlehensnehmer.

Hiergegen hat die herrschende Ansicht der Instanzrechtsprechung und Literatur zu Recht argumentiert, dass die Bausparkasse und der Bausparer ihre jeweilige Rolle als Darlehensgeber bzw. Darlehensnehmer erst mit der Inanspruchnahme des Bauspardarlehens tauschen. Der Rollentausch erfolgt durch Abschluss eines separaten Darlehensvertrages. Bis zum Abschluss dieses Bauspardarlehensvertrages ist die Bausparkasse im Verhältnis zum Bausparer Darlehensnehmerin.

3. „Vollständiger Empfang“ des Darlehens im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB

Schließlich griffen Bausparer die auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gestützte Kündigung mit der Behauptung an, damit werde der Wortsinn des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB dergestalt überschritten, als ein „vollständiger Empfang“ des Darlehens im Sinne der Vorschrift mit Zuteilungsreife des Bauspardarlehens angenommen werde.

Hiergegen haben auch verschiedene Oberlandesgerichte zu Recht eingewandt, dass bereits mit Eintritt der Zuteilungsreife ein vollständiger Empfang des Darlehens durch die Bausparkasse vorliegt. Die Annahme des bei regulären Darlehen geltenden Begriffs des „vollständigen Empfangs“ in Form der Darlehensvalutierung berücksichtigt nicht die strukturellen Eigenheiten des Bausparvertrages. Ein „vollständiger Empfang“ im Sinne des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist in der Konstellation des Bausparvertrages vielmehr schon mit der Zuteilungsreife des Bauspardarlehens erreicht. Denn bereits mit erstmaligem Eintritt der Zuteilungsreife ist das gemeinsame Ziel der Vertragsparteien erreicht. Der Bausparer erhält dann einen Rechtsanspruch auf Auszahlung des Bauspardarlehens, der auch nicht mehr einseitig durch das Kreditinstitut verhindert werden kann. Der Bausparer allein kann seinen Anspruch auf Erhalt der Bausparsumme begründen, indem er eine Annahme erklärt.

Ebenfalls ist unter Berücksichtigung der Zielrichtung des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB von einem „vollständigen Empfang“ auszugehen. Danach ist ein Interessenausgleich zwischen Darlehensnehmer und Darlehensgeber zu schaffen und der Darlehensnehmer vor überlangen Bindungen an festgelegte Zinssätze zu schützen. Es stünde in Widerspruch zu diesem Interessenausgleich, überließe man es der Willkür des Bausparers, auch über zehn Jahre nach Vorliegen der Zuteilungsreife die Ansparphase beliebig verlängern zu können und das Kreditinstitut auf diese Weise unkündbar an die Vereinbarung zu binden. Genau hierzu käme es jedoch (mit Ausnahme des Eintritts der Vollbesparung), würde man in der Zuteilungsreife noch keinen „vollständigen Empfang“ des Darlehens erkennen.


II. Die Entscheidungen des BGH

Der BGH hat sich mit seinen beiden Entscheidungen vom 21. Februar 2017 der vorstehend dargestellten herrschenden Meinung angeschlossen.

Dabei lag in dem Verfahren XI ZR 185/16 ein Bausparvertrag aus dem Jahr 1978 zugrunde, der seit 1993 zuteilungsreif war und von der beklagten Bausparkasse 2015 unter Berufung auf die damals gültige Fassung des heutigen § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB gekündigt wurde. Und dem Verfahren XI ZR 272/16 lagen zwei Bausparverträge aus dem Jahr 1999 zugrunde, welche die beklagte Bausparkasse ebenfalls zehn Jahre nach Kündigungsreife im Jahr 2015 entsprechend gekündigt hatte. In beiden Fällen war das zuständige Landgericht Stuttgart der Ansicht, die Kündigung sei ordnungsgemäß und hatte die Klagen abgewiesen. Das OLG Stuttgart hatte auf die Berufung der Bausparer das jeweilige Urteil jedoch abgeändert und den Klagen im Wesentlichen stattgegeben.

Der BGH hat nun beide Urteile des OLG Stuttgart aufgehoben, soweit diese zum Nachteil der beklagten Bausparkassen entschieden wurden, und die erstinstanzlichen Urteile wiederhergestellt. Der BGH bejaht damit die Anwendbarkeit der Kündigungsvorschrift des § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB auch zugunsten einer Bausparkasse als Darlehensnehmerin und stützt sich zur Begründung mit der herrschenden Ansicht der Instanzrechtsprechung auf eine Auslegung des Wortlautes, der Systematik, der Entstehungsgeschichte und des Regelungszwecks der Norm.

Weiterhin hat der BGH klargestellt, dass die Bausparkasse in der Ansparphase als Darlehensnehmerin fungiert und ihre Rolle erst mit der Inanspruchnahme des Bauspardarlehens wechselt.

Schließlich ist das vom Bausparer an die Bausparkasse gewährte Darlehen nach Ansicht des BGH auch mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife als vollständig empfangen anzusehen. Der Vertragszweck besteht für die Bausparer darin, durch die Erbringung von Ansparleistungen einen Anspruch auf Gewährung eines Bauspardarlehens zu erlangen. Deshalb gilt das damit korrespondierende Darlehen des Bausparers mit Eintritt der erstmaligen Zuteilungsreife als vollständig gewährt. Der Umstand, dass der Bausparer verpflichtet sein kann, über den Zeitpunkt der erstmaligen Zuteilungsreife hinaus weitere Ansparleistungen zu erbringen, ist insofern nach Ansicht des BGH unbeachtlich. Diese Zahlungen dienen nicht mehr der Erfüllung des Vertragszwecks.