Arzneimittel-Parallelimporte: Relabelling oder Repacking?
Zu dem Vorabentscheidungsverfahren unter den Aktenzeichen C-253/20 und C-254/20 haben wir bereits in einem ersten Beitrag berichtet. Dieser Folgebeitrag beschäftigt sich nun mit den Vorabentscheidungsverfahren unter den Aktenzeichen C-147/20, C-204/20 und C-224/20.
Sachverhalt
In dem Vorabentscheidungsverfahren unter dem Aktenzeichen C-147/20 stehen sich auf der einen Seite die klagende deutsche Pharmagesellschaft Novartis Pharma GmbH und auf der anderen Seite der dänische Parallelimporteur Abacus Medicine gegenüber, der in Deutschland verschiedene durch Novartis in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebrachte Arzneimittel vertreibt. In dem weiteren Verfahren unter dem Aktenzeichen C‑204/20 klagt die deutsche Bayer Intellectual Property GmbH gegen die kohlpharma GmbH, die in Deutschland ebenfalls parallelimportierte Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten vertreibt. In dem dritten Verfahren unter dem Aktenzeichen C‑224/20 klagen Merck Sharp & Dohme BV, Merck Sharp & Dohme Corp., MSD DANMARK ApS, MSD Sharp & Dohme GmbH, Novartis AG, FERRING LÆGEMIDLER A/S, H. Lund-beck A/S gegen die Abacus Medicine A/S, die Paranova Danmark A/S und die 2Care4 ApS, die Arzneimittel nach Dänemark importieren, die von den Klägerinnen in anderen Mitgliedstaaten in den Verkehr gebracht wurden.
Die Parallelimporteure sind dabei jeweils der Ansicht, dass sie, um den gesetzlichen Vorgaben für den Vertrieb in Deutschland bzw. Dänemark zu genügen, verpflichtet seien, die äußere Originalverpackung der streitigen Arzneimittel zu öffnen und die auf dieser Verpackung angebrachte Vorrichtung gegen Manipulation zu entfernen. Dies mache ein Neuverpacken (sog. „Reboxing“) der betroffenen Arzneimittel erforderlich, da andernfalls die Beschädigung der Manipulationsvorrichtung, bei der es sich in aller Regel um ein auf der Verpackung angebrachtes Siegel handelt, sichtbar bleibe. Ein Ersetzen der Manipulationsvorrichtung sei aber nur zulässig, wenn die neue „gleichwertig“ mit der ursprünglichen Manipulationsvorrichtung ist. Von Gleichwertigkeit könne aber nicht ausgegangen werden, wenn Öffnungsspuren sichtbar blieben.
Die Parallelimporteure teilten daher der jeweils betreffenden Klagepartei als Markeninhaberin vorab mit, dass sie diese Arzneimittel künftig nicht mehr in ihrer äußeren Originalverpackung vertreiben, sondern durch neue Verpackungen mit denselben Mengen ersetzen würden. Die Klägerinnen widersetzten sich dem Inverkehrbringen bzw. dem Bewerben der neu verpackten Arzneimittel mit der Begründung, dass das Umpacken der streitigen Arzneimittel in einer neuen äußeren Umhüllung gesetzlich nicht zwingend notwendig sei – sie als Markeninhaberin daher auch dieses Umpacken untersagen könnten.
(Marken)Rechtlicher Problemaufriss
Grundsätzlich sind bei Arzneimitteln sowohl auf der Verpackung als auch in der Packungsbeilage bestimmte Informationen anzugeben, die in der Amtssprache des Mitgliedstaats abgefasst sein müssen, in dem die Arzneimittel in den Verkehr gebracht werden, vgl. §§ 10, 11 Abs. 1 AMG. Damit sind die Parallelhändler in der Regel verpflichtet, die Originalverpackung zu öffnen, um die Packungsbeilage durch eine solche in der Sprache des Mitgliedstaats, in dem das Arzneimittel vertrieben wird, zu ersetzen. Eine solche Ersetzung macht nunmehr das Öffnen der Arzneimittelpackung – und damit das Beschädigung der Manipulationsvorrichtung – erforderlich. Fraglich ist, ob das Anbringen einer neuen Manipulationsvorrichtung durch den Parallelimporteuer das Umpacken des Arzneimittels notwendig macht.
Die Zulässigkeit des Umpackens von Arzneimitteln im Rahmen von Parallelimporten richtet sich grundsätzlich nach den sogenannten BMS-Kriterien des EuGHs (siehe erster Beitrag).
In den Verfahren der vorliegenden Rechtssachen geht es unter Anwendung dieser BMS-Kriterien nun im Kern um die Frage, wie bzw. in welcher Form nun die Ersetzung der auf jedem Arzneimittel angebrachten Manipulationsvorrichtung zu erfolgen hat. Setzt die Ersetzung zwingend eine Neuverpackung voraus, weil das Anbringen einer neuen Manipulationsvorrichtung nicht als „gleichwertig“ angesehen werden kann, so würde ein Versagen dieses Umverpackens durch den Parallelimporteuer zu einer unzulässigen Abschottung der Märkte durch den Markeninhaber führen. Ein Versagen des Umverpackens durch den Markeninhaber wäre dann also unzulässig. Mit anderen Worten: Wenn der Parallelimporteuer umverpacken muss, dann darf er es auch (siehe Position 1).
Gleichzeitig hatte die dänische Arzneimittelbehörde die europäischen Regelungen dahingehend ausgelegt, dass Parallelimporteure, die eine Arzneimittelverpackung öffnen und den Manipulationsschutz beschädigen, um eine dänische Packungsbeilage oder ähnliches in die Verpackung zu legen, in aller Regel ein Umpacken in neue Verpackungen vornehmen müssten. Ein Relabelling sei nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig. Es stellte sich mithin die Frage, ob nationale Behörden befugt sind, strengere Vorschriften zur Art und Weise des Umpackens parallelimportierter Arzneimittel zu erlassen (siehe Position 2).
Positionen des Generalanwalts
Position 1 – Keine Präferenz hinsichtlich der Umpackmethoden, sofern Vorrichtung gegen Manipulation gleichwertig ist
Der Generalanwalt ist der Auffassung, dass die einschlägigen Bestimmungen weder das Relabeling noch das Reboxing ausschließen und sich auch keine Überlegenheit der einen oder anderen Umpackmethode erkennen ließen. Die in Art. 47a der Richtlinie 2011/62 vorgesehene „gleichwertige Ersetzung der Sicherheitsmerkmale“ bedeute nicht, dass in jedem Fall eine neue Verpackung notwendig wäre. Eine neue Verpackung müsse aber mit den Sicherheitsmerkmalen i.S.d. Art. 54 lit. o dieser Richtlinie versehen werden bzw. entfernte Sicherheitsmerkmale durch solche ersetzt werden, die im Hinblick auf die Möglichkeit, die Echtheit und die Identität des Arzneimittels sowie die Manipulation der Verpackung zu überprüfen, gleichwertig seien. Der Generalanwalt fordert deshalb, dass die neue Manipulationsvorrichtung die gleiche Festigkeit, Zuverlässigkeit und Qualität wie die Originalvorrichtung aufweise.
Parallelhändler könnten unter diesen Voraussetzungen auch die Originalverpackungen wiederverwenden (und seien demzufolge dann auch nicht zur Verwendung neuer Verpackungen gezwungen), sofern sie in der Lage sind, die Vorrichtung gegen Manipulation durch eine Vorrichtung zu ersetzen, die dieselben technischen Eigenschaften wie die Originalvorrichtung aufweist und mit deren Hilfe man sich davon überzeugen könne, dass die Verpackung deswegen geöffnet wurde, weil die betreffenden Arzneimittel zulässigerweise umgepackt wurden. Grundsätzlich sei aber das Sichtbarbleiben der Öffnungsspuren als solches kein zwingender Grund zur Verwendung einer neuen Verpackung. So führt der Generalanwalt aus:
„Dass Spuren einer zulässigen Öffnung zum Zweck des Umpackens zurückbleiben, beeinträchtigt nicht den mit der Vorrichtung gegen Manipulation verfolgten Zweck, sofern klar ist, dass es sich um einen solchen zulässigen Vorgang handelte. … So gesehen, halte ich es für wirksamer, eine Ersatzvorrichtung zu verwenden, die den oben … genannten Anforderungen entspricht, als die Öffnungsspuren irgendwie zu überdecken.“
Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn die Sichtbarkeit der Öffnungsspuren auf der Verpackung einen so starken Widerstand gegen die dergestalt umgepackten Arzneimittel hervorrufe, dass sie ein echtes Hindernis für den tatsächlichen Zugang zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstelle:
„…Einen solchen Widerstand kann es insbesondere gegenüber Arzneimittelverpackungen geben, bei denen die Vorrichtungen gegen Manipulation ersetzt wurden. Dies gilt besonders deshalb, weil Großhändlern und Angehörigen von Gesundheitsberufen … eine erhöhte Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Unversehrtheit der Vorrichtungen gegen Manipulation obliegt, die auf den Verpackungen der von ihnen verkauften bzw. abgegebenen Arzneimittel angebracht sind. Ein solcher Widerstand könnte daher – falls erwiesen – die Verwendung neuer Verpackungen rechtfertigen, wodurch dem Problem der ersetzten Vorrichtungen gegen Manipulation ausgewichen werden könnte.“
Ob mit einem solchen „Widerstand“ gegen sichtbare Öffnungsspuren zu rechnen sei, dass er faktisch einem Marktzugangshindernis gleichkommt, sei eine Tatsachenfrage und jeweils von den nationalen Gerichten festzustellen.
Position 2 – Keine Kompetenz nationaler Behörden für Aufstellung eigener Regelungen
Nach Auffassung des Generalanwalts dürften nationale Behörden keine Regeln aufstellen, wonach Arzneimittel aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Parallelhandels generell in neue Verpackungen umgepackt werden müssten und eine Neuetikettierung auf Ausnahmefälle beschränkt sei.
Es sei zulässig, dass die zuständige mitgliedstaatliche Behörde im Rahmen der Überwachung Leitlinien herausgibt, die darüber informieren, unter welchen Bedingungen und nach welchen Modalitäten die Überwachung des Fälschungsschutzes und damit auch Ersetzungsvorgänge hinsichtlich der Manipulationsvorrichtung durchgeführt werden können. Diese Leitlinien seien jedoch nicht in der Lage, geltendes Unionsrecht zu ändern. Das Unionsrecht selbst sehe aber keine Privilegierung des Reboxings vor dem Relabling vor. Im Gegenteil, wie der Generalanwalt ausführt:
„Nationale Vorschriften, die das Umpacken in neue Verpackungen vorschreiben, würden eine Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellen, die gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden müsste. Eine solche Rechtfertigung ist jedoch angesichts dessen, dass das Sekundärrecht der Union ein Umpacken durch Neuetikettierung [Relabeling] ausdrücklich zulässt, nicht selbstverständlich.“
Somit stelle eine solche nationale Vorschrift einen ungerechtfertigten Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit dar und sei als solche unzulässig.
Fazit
Im Ergebnis bleibt es nach der Auslegung des Generalanwalts dabei, dass neben dem Reboxing auch das Relabelling der Arzneimittel durch die Parallelimporteure möglich ist. Dieses Ergebnis entspricht u.E. auch der Intention des Unionsgesetzgebers, der, hätte er die Parallelhändler zur Verwendung neuer Verpackungen verpflichten wollen, dies ausdrücklich hätte regeln können, indem er Verpackungen, die geöffnet wurden, aus der Lieferkette ausschließt. Dies ist jedoch gerade nicht erfolgt.
Bestätigt der EuGH die Ansicht des Generalanwalts, so liegt es dann an den Parallelimporteuren, vor den nationalen Gerichten den Nachweis zu führen, dass die Sichtbarkeit von Öffnungsspuren einen derart starken Widerstand gegen diese Arzneimittelverpackungen erzeugt, dass ein Reboxing gerechtfertigt ist. Eine solche Feststellung ist vor dem Hintergrund streng zu wahrender GDP-Vorschriften zwischen den Großhändlern und dem Risiko von Regressansprüchen von Patienten nicht gänzlich auszuschließen. Hier bleiben daher letzten Endes die Entscheidungen der nationalen Gerichte abzuwarten, um die tatsächliche Tragweite dieser Verfahren für die Marktteilnehmer abschließend beurteilen zu können.