Studie

Übernahme­angebote mit Mindest­annahme­schwellen

Von Juri Stremel

19.05.2022

Zuerst veröffentlicht im Noerr Public M&A-Report 01/2022

Um sicherzustellen, dass ein Übernahmeangebot nur vollzogen werden muss, wenn der Bieter dadurch tatsächlich die Kontrolle über die Zielgesellschaft erlangt, kann das Angebot mit einer Mindestannahmeschwelle als Vollzugsbedingung versehen werden. In den letzten Jahren häuften sich Meldungen über Übernahmeangebote, die am Nichterreichen der Mindestannahmeschwelle gescheitert sind oder zu scheitern drohten. Vor diesem Hintergrund haben wir die 90 in den Jahren von 2016 bis 2021 von der BaFin gebilligten und veröffentlichten Übernahmeangebote im Hinblick darauf untersucht, ob sich die zuletzt scheinbar erhöhte Gefahr des Scheiterns von Übernahmeangeboten mit Mindestannahmeschwellen auch empirisch belegen lässt und welche Art von Übernahmeangeboten davon betroffen sind.

Von den 90 Übernahmeangeboten in den Jahren 2016 bis 2021 sahen 42 (entspricht 46,7%) Mindestannahmeschwellen vor. Hiervon waren 23 Übernahmeangebote dem Large-Cap-Segment (entspricht 54,8%), 15 Übernahmeangebote dem Mid-Cap-Seg-ment (entspricht 35,7%) und lediglich vier Übernahmeangebote dem Small-Cap-Seg-ment (entspricht 9,5%) zuzuordnen. Da die jeweiligen Anteile dieser drei Segmente an sämtlichen Übernahmeangeboten im Untersuchungszeitraum 42,2% (Large Cap), 32,2% (Mid Cap) und 25,6% (Small Cap) betrugen, zeigte sich, dass Mindestannahmeschwellen in den Large- und Mid-Cap-Segmenten verhältnismäßig häufiger vorkamen als im Small-Cap-Segment.

Von den 42 Übernahmeangeboten mit Mindestannahmeschwelle waren zwölf (entspricht 28,6%) am Verfehlen der Schwelle gescheitert. Davon waren allein zehn gescheiterte Übernahmeangebote dem Large-Cap-Segment zuzuordnen (entspricht 83,3% der gescheiterten Transaktionen), sodass im Untersuchungszeitraum letztlich 43,5% aller 23 Large-Cap-Übernahmeangebote mit Mindestannahmeschwelle scheiterten. Die übrigen zwei gescheiterten Übernahmeangebote betrafen Mid-Cap-Transaktionen, was in einer erheblich kleineren Misserfolgsquote in diesem Segment von nur 13,3% der Transaktionen resultierte. Large-Cap-Transaktionen scheitern also statistisch gesehen häufiger an der Mindestannahmeschwelle als andere Public M&A-Transaktionen.

Die Mindestannahmeschwellen reichten im Untersuchungszeitraum von 18,5% bis 90%, wobei die deutliche Mehrheit der Angebote (36 Angebote oder 85,7%) die Schwelle bei 50% oder mehr ansetzte. Bei 21 Übernahmeangeboten (entspr. 50,0%) lag die Schwelle bei über 51%. Dies deutet darauf hin, dass die Hälfte der im Untersuchungszeitraum beobachteten Übernahmeangebote nicht nur auf die Erlangung der Kontrolle über die Zielgesellschaft gerichtet waren. Vielmehr strebte man offenbar darüber hinaus auch grundlegende Umstrukturierungen der Zielgesellschaften (z.B. den Abschluss eines Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsvertrags oder einen Squeeze-out) an, wofür die Zustimmung durch eine qualifizierte Mehrheit der Aktionäre in der Hauptversammlung der Zielgesellschaft erforderlich ist.

Bei der Betrachtung der Höhe der jeweiligen Mindestannahmeschwelle der im Zeitraum von 2016 bis 2021 gescheiterten Übernahmeangebote fiel zudem auf, dass diese Schwelle bei neun der zwölf gescheiterten Angebote (sieben Large-Cap- und zwei Mid-Cap-Transaktionen) bei 67,5% oder höher lag. Mithin sind im Untersuchungszeitraum vor allem Transaktionen gescheitert, die scheinbar nicht nur auf die Erlangung der Kontrolle, sondern darüber hinaus auch auf eine grundlegende Umstrukturierung der Zielgesellschaft abzielten.

Gründe für (drohendes) Nichterreichen der Mindestannahmeschwelle

Von 42 Übernahmeangeboten, die eine Mindestannahmeschwelle vorsehen, wurde bei 23 Übernahmeangeboten die Mindestannahmeschwelle verfehlt oder das Angebot aufgrund einer drohenden Verfehlung geändert. Im Hinblick auf diese Angebote haben wir versucht, die zu diesem (drohenden) Scheitern führenden Gründe zu ermitteln. Wir haben uns dabei auf die bei Übernahmeangeboten regelmäßig zu beobachtende transaktionsbegleitende Medienberichterstattung zu den betroffenen Angeboten gestützt. Dabei ist die Berichterstattung zu 16 (davon 14 Large-Cap-Angebote und zwei Mid-Cap-Angebote) der betroffenen 23 Übernahmeangebote näher auf die Gründe des Scheiternoder der Angebotsänderung eingegangen; teilweise werden mehrere Gründe bei einer Transaktion angegeben.

Die Auswertung dieser Berichte ergab, dass in neun der 16 näher behandelten Übernahmeangebote (entspricht 56,3%), das (drohende) Scheitern des Angebots auf an der Zielgesellschaft beteiligte aktivistische Aktionäre eine Rolle gespielt haben, die das Angebot zuvor öffentlich abgelehnt hatten (davon wurde in drei Fällen außerdem die Beteiligung von Indexfonds an der Zielgesellschaft für das jeweilige Scheitern verantwortlich gemacht). In fünf Fällen (entspricht 31,3%) wurde das (drohende) Scheitern mit der Beteiligung von Indexfonds an der Zielgesellschaft in Verbindung gebracht (darunter die drei vorgenannten Fälle in denen auch die ablehnende Haltung der beteiligten aktivistischen Aktionäre für das jeweilige Scheitern angeführt wurde). Die wesentliche Beteiligung von Indexfonds kann dabei deshalb ein entscheidendes Hindernis für das Erreichen der Mindestannahmeschwelle darstellen, weil diese häufig so strukturiert sind, dass sie die von ihnen gehaltenen Aktien im Rahmen des Übernahmeangebots erst dann andienen dürfen, wenn der Erfolg des Angebots bereits feststeht. In drei Fällen (entspricht 18,8%) war das (drohende) Scheitern der Übernahmeangebote auf zwei Bieterwettkämpfe zurückzuführen, nämlich in zwei Fällen auf den Bieterkampf im Jahr 2021 zwischen der Zorro Bidco S.á r.l und der Pet Bidco GmbH bezogen auf die zooplus AG (siehe oben) und in dem dritten Fall auf den auf die OSRAM Licht AG bezogenen Bieterwettkampf im Jahr 2019, hinter dem Bain Capital und The Carlyle Group auf der einen und die österreichische ams AG auf der anderen Seite standen. Schließlich war je ein Fall zu verzeichnen (entspricht je 6,3%), in dem das Nichterreichen der Mindestannahmeschwelle auf die ablehnende Haltung eines sonstigen Großaktionärs bzw. der Verwaltung der Zielgesellschaft zurückgeführt wurde.