Insolvente Emittenten – Das Schicksal einer Börsennotierung in der Insolvenz
Das Emittentenrisiko ist eine der Grundvokabeln des Wertpapiergeschäfts. Gemeint ist damit das besondere Ausfallrisiko durch die Insolvenz eines Emittenten von Wertpapieren, aus Anlegersicht der „Worst Case“. Die betroffenen Emittenten, namentlich ihre Insolvenzverwalter bzw. eigenverwaltenden Geschäftsleiter, sehen sich in derartigen Konstellationen diffizilen kapitalmarktrechtlichen Fragen ausgesetzt. So muss vor allem entschieden werden, ob die Börsennotierung der Gesellschaft aufrechterhalten bleiben kann (oder muss) oder ob sich die aus der Börsennotierung folgende Kostenbelastung für die Insolvenzmasse durch ein Delisting vermeiden lässt.
Ausgangspunkt
Im Ausgangspunkt gilt, dass die Eröffnung eines (vorläufigen) Insolvenzverfahrens die Börsenzulassung bzw. die Einbeziehung in den Freiverkehr ebenso wie die damit einhergehenden Folgepflichten unberührt lässt. Insbesondere hat der Vorstand des Emittenten nach wie vor die kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten, beispielsweise die Pflichten zur Abgabe etwaiger Ad-hoc-Mitteilungen sowie zur regelmäßigen Finanzberichterstattung, zu erfüllen. Den Insolvenzverwalter trifft eine wertpapier- und börsenrechtliche Pflicht, hierbei zu unterstützen.
Die Erfüllung dieser Verpflichtungen ist mit administrativem Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden, die zu den Notierungsgebühren hinzukommen. Im Hinblick auf eine mögliche Sanierung des Unternehmens unter Aufrechterhaltung der Börsennotierung kann es sinnvoll sein, diese Abflüsse von der Insolvenzmasse hinzunehmen. Im Insolvenzszenario wird jedoch meistens der Unternehmenskern von einem Investor erworben und ohne Börsennotierung fortgeführt. Die insolvente börsennotierte Gesellschaft wird dann abgewickelt, ohne dass die Aktionäre auf eine Ausschüttung aus der Insolvenzmasse hoffen können. Ihre Aktien sind wertlos, was sich regelmäßig auch im Börsenkurs niederschlägt.
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Entscheidung des Insolvenzverwalters bzw. der eigenverwaltenden Geschäftsleitung, ein Delisting durchzuführen, naheliegend. Ein Blick auf den Kurszettel der Frankfurter Wertpapierbörse zeigt jedoch einige Emittenten, deren Geschäft nicht fortgeführt wird und die teilweise auch noch Jahre nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin gelistet sind. Dieses Phänomen beruht darauf, dass die kapitalmarktrechtlichen Voraussetzungen für einen Börsenrückzug auch bei einem insolventen Emittenten noch sehr hoch sind.
Eingeschränkter Handlungsspielraum im regulierten Markt
Im regulierten Markt ist danach zu differenzieren, in welchem Teilbereich die Aktien des Emittenten notiert sind.
Sobald ein im Prime Standard der Frankfurter Wertpapierbörse gelisteter Emittent einen Insolvenzantrag stellt, ist in den jüngsten Fällen immer kurzfristig ein Widerruf der Zulassung zu diesem Teilbereich erfolgt. Die Börsengeschäftsführung kann dies nach Insolvenzantragstellung von Amts wegen verfügen, ohne dass weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Da die Börsennotierung in diesem Fall aber im General Standard fortgeführt wird, bewirkt der Widerruf nur eine geringe Entlastung im kapitalmarktrechtlichen Pflichtenprogramm des betroffenen Emittenten, beispielsweise den Wegfall der Quartalsberichterstattung. Ein Großteil der kapitalmarktrechtlichen Zulassungsfolgepflichten gilt indes auch im General Standard fort.
Der in § 39 BörsG geregelte Widerruf der Zulassung der emittierten Wertpapiere zum Handel im regulierten Markt als solcher ist dagegen mit Blick auf das gesetzgeberische Ziel eines umfassenden Anlegerschutzes an besonders strenge Voraussetzungen geknüpft. Gesetzlich vorgesehen sind Delistings auf Antrag des Emittenten und durch die jeweilige Börsengeschäftsführung von Amts wegen.
Ein Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag des Emittenten setzt nach der im Schrifttum kritisierten, aber gerichtlich bestätigten Verwaltungspraxis der Frankfurter Wertpapierbörse grundsätzlich auch im Insolvenzfall ein Delistingangebot an alle Aktionäre voraus. Dieses ist allerdings selbst dann, wenn es sich bei den betroffenen Aktien nur noch um sog. Penny Stocks handelt, mit relativ hohen Kosten verbunden. Ferner bedarf der Emittent wegen der gesetzlich erheblich eingeschränkten Möglichkeit, eigene Aktien zu erwerben, eines Dritten als Bieter, der gerade in der Insolvenz schwierig zu finden sein kann.
Ein Widerruf der Börsenzulassung von Amts wegen durch die Geschäftsführung der jeweiligen Börse setzt voraus, dass der ordnungsgemäße Börsenhandel mit den betreffenden Wertpapieren auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Geschäftsführung die Notierung im regulierten Markt eingestellt hat oder der Emittent seine Pflichten aus der Zulassung auch nach angemessener Fristsetzung nicht erfüllt. Ein derartiger Widerruf kann vom Emittenten bzw. dessen Insolvenzverwalter angeregt werden; letztlich kommt der Börsengeschäftsführung jedoch ein Ermessensspielraum bei ihrer Widerrufsentscheidung zu.
Der Widerruf einer Notierung im laufenden Insolvenzverfahren ist zwar nicht beispiellos (so etwa geschehen bei der Praktiker AG im Jahr 2017), insofern ist aber eine vorsichtige Verwaltungspraxis der Börsengeschäftsführungen zu beobachten. Diese warten in der Regel jedenfalls solange mit dem Widerruf, bis das Insolvenzgericht das endgültige Feststehen der Vermögenslosigkeit des betroffenen Emittenten insbesondere in Form der Abweisung der Insolvenzverfahrenseröffnung oder der Einstellung des Verfahrens mangels Masse (§§ 26 bzw. 207 InsO) mitgeteilt hat.
Beendigung der Einbeziehung in den Freiverkehr
Deutlich einfacher erweist sich die Beendigung einer mit Zustimmung des Emittenten erfolgten Einbeziehung von Wertpapieren in den Freiverkehr. Für qualifizierte Freiverkehrssegmente wie das Segment Scale der Frankfurter Wertpapierbörse oder m:access der Börse München bestehen Kündigungs- bzw. Widerrufsantragsrechte, die lediglich fristgebunden sind. Hinsichtlich der Einbeziehung in den allgemeinen Freiverkehr sind derartige Beendigungsrechte – jedenfalls an der Frankfurter Wertpapierbörse – für den betreffenden Emittenten nicht vorgesehen. Stattdessen kommt demjenigen, der ursprünglich den Antrag auf Einbeziehung gestellt hat, ein Kündigungsrecht zu. Folglich kann der Emittent bzw. dessen Insolvenzverwalter eine Beendigung der Einbeziehung der Wertpapiere dadurch bewirken, dass er den seinerzeitigen Antragsteller um die Kündigung ersucht.
Mit der Beendigung der Einbeziehung endet zwar nicht zwingend auch die Notierung, allerdings ist dem Emittenten insofern vielfach schon erheblich geholfen, als ihn dadurch gewichtige Folgepflichten, wie beispielsweise die zur Ad-hoc-Publizität, nicht mehr treffen.
Fazit und Handlungsempfehlungen
Für Emittenten, deren Aktien oder Anleihen im regulierten Markt gehandelt werden, bestehen nach einem Insolvenzantrag nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, die Börsennotierung zu beenden. Die Börsengeschäftsführungen verfahren insofern regelmäßig vorsichtig und sind behutsam zu adressieren. Zu erwägen sind daher gesellschaftsrechtliche Strukturmaßnahmen im Rahmen eines Insolvenzplans, mit denen bisweilen die Beendigung der Börsennotierung außerhalb der engen Pfade des Kapitalmarktrechts herbeigeführt werden kann (so etwa bei einer Kapitalherabsetzung auf Null mit anschließender Kapitalerhöhung zugunsten des Investors). Oftmals wird aber kein anderer Weg gangbar sein, als die Börsennotierung im Insolvenzverfahren bis auf Weiteres fortbestehen zu lassen.
Eine eingehendere Darstellung der Möglichkeiten einer Beendigung der Börsennotierung im laufenden Insolvenzverfahren hat der Autor Dr. Stephan Schulz im Beitrag „Börsennotierung und Ad-hoc-Publizität im laufenden Insolvenzverfahren“ in der ZIP 2024, 1110 - 1120 veröffentlicht.