News

EuGH zu Google Shopping und Private Enforcement

20.09.2024

Die Kommission verhängte 2017 eine Rekordgeldbuße von EUR 2,42 Mrd. gegen Alphabet und Google. Die Kommission warf Google im Wesentlichen vor, seine marktbeherrschende Stellung im EWR auf 13 nationalen Märkten für allgemeine Online-Suchdienste missbraucht zu haben, indem es auf seiner Seite für allgemeine Suchergebnisse die Ergebnisse des eigenen Preisvergleichsdienstes – heute Google Shopping – gegenüber denjenigen konkurrierender Preisvergleichsdienste durch verschiedene Maßnahmen bevorzugt hat.

Die Kommission ordnete Googles Verhalten als eine missbräuchliche Selbstbevorzugung ein und wurde in dieser Entscheidung 2021 zunächst in den wesentlichen Punkten durch das Europäische Gericht („EuG“) und am 10. September 2024 nun auch durch den Europäischen Gerichtshof („EuGH“) bestätigt.

Es handelt sich um ein Grundsatzurteil des EuGH, das sowohl für das Public (dazu unter I.) als auch das Private Enforcement (dazu unter II.) in Europa Bedeutung beansprucht.

I. Public Enforcement und die Selbstbevorzugung als eigenständiger Verstoß gegen das Missbrauchsrecht

Mit der Entscheidung steht fest, dass die Selbstbevorzugung der eigenen Angebote eines marktbeherrschenden Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern ein eigenständiges missbräuchliches Verhalten darstellen kann. Der EuGH betont zwar, dass nicht jede Selbstbevorzugung – auch nicht diejenige eines marktbeherrschenden Unternehmens – missbräuchlich sein muss. Sie ist es aber dann, wenn die Selbstbevorzugung den Leistungswettbewerb beschränkt und somit geeignet ist, einzelnen Unternehmen und Verbrauchern zu schaden.

Die Fallpraxis in den kommenden Jahren wird den Maßstab sicherlich weiter konturieren. Im vorliegenden Fall ist der Kommission der Nachweis gelungen, dass die Selbstbevorzugung von Google ein vom Leistungswettbewerb abweichendes Verhalten ist, und zwar unter Bezugnahme auf die substanzielle Marktmacht von Google bei der allgemeinen Online-Suche (der Marktanteil war wohl stabil über die Jahre sehr hoch), der besonderen Marktumstände (die Märkte für allgemeine Online-Suchdienste sind wohl nur schwer bestreitbar) und weil keine objektiven Rechtfertigungsgründe gegeben waren.

Aus Sicht des Public Enforcement bedeutsam ist, dass es für diesen Nachweis nicht erforderlich ist, dass die äußerst strengen Voraussetzungen für die missbräuchliche Verweigerung des Zugangs zu einer wesentlichen Einrichtung vorliegen. Der EuGH argumentiert dies im Wesentlichen damit, dass es in diesem Fall nicht um die Verweigerung des Zugangs zur allgemeinen Suche von Google ging, sondern um einen Fall der Gestaltung unangemessener Zugangsbedingungen nach einem bereits gewährten Zugang. Hätten die hohen Anforderungen der Zugangsverweigerung auf die Selbstbevorzugung Anwendung gefunden, wäre eine Verfolgung entsprechender Fälle erheblich erschwert worden.

Zugleich stellte der EuGH klar, dass es für den Nachweis des Verstoßes für die Kommission ausreichend ist, potenzielle wettbewerbsbeschränkende Effekte nachzuweisen und die Kommission insoweit auch grundsätzlich frei sei, für den Nachweis unterschiedliche Analysemethoden anzuwenden, wenn dies aufgrund der Umstände des Einzelfalls angezeigt ist.

Die Entscheidung bietet daher den Wettbewerbsbehörden in der EU mehr Spielraum, vergleichbares Verhalten als eigenständige Form des Missbrauches, und zwar als Selbstbevorzugung, zu untersuchen und zu verfolgen. Unternehmen sind daher gut beraten, entsprechende Praktiken auf den Prüfstand zu stellen.

II. Folgen für das Private Enforcement

Die zweite Säule effektiver Durchsetzung des Europäischen Wettbewerbsrechts ist die private Rechtsdurchsetzung (“Private Enforcement”). Bereits parallel zu dem Verfahren gab es erste Inanspruchnahmen von konkurrierenden Preisvergleichsdiensten wie Idealo oder PriceRunner vor nationalen Gerichten, welche das lang ersehnte Urteil des EuGH abgewartet haben.

Der Wettbewerbsverstoß von Google aufgrund von missbräuchlicher Selbstbevorzugung steht nun endgültig fest. Gleiches sollte auch für die Feststellung der marktbeherrschenden Stellung als tragendes Element der Entscheidung gelten. Die Entscheidung ist in zivilrechtlichen Verfahren für die deutschen Gerichten bindend, wie auch in § 33b Satz 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) festlegt ist.

Es liegt nahe, dass die Selbstbevorzugung von Googles Preisvergleichsdienst sowohl Wettbewerber als auch Marktteilnehmer auf anderen Marktstufen beeinträchtigt haben kann. Dabei steht Klägern regelmäßig eine von der Rechtsprechung anerkannte tatsächliche Vermutung zur Seite, selbst in den Fällen, in denen es nicht um ein Kartell geht und § 33a Abs. 2 GWB somit nicht greift. In jedem Fall führt der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz dazu, dass durch die Anforderungen an den Schadensnachweis die Ausübung des Jedermannsrechts auf Schadensersatz nicht übermäßig erschwert werden darf.

Nicht fest steht jedoch die Höhe des Schadensersatzanspruchs der Kläger und muss im Einzelfall durch das Gericht beurteilt werden (siehe § 33a Abs. 3 Satz 1 GWB, welcher auf § 287 ZPO verweist).

Neben Idealo und PriceRunner verlangt auch die tschechische Preisvergleichsplattform Heureka von Google Schadensersatz. Im Rahmen der Klage vor einem tschechischen Gericht hat der EuGH im April 2024 in einem Vorabentscheidungsverfahren klargestellt, dass die Verjährungsfrist solcher Ansprüche erst dann beginnen könne, wenn der Wettbewerbsrechtsverstoß beendet ist und der Geschädigte Kenntnis von den für eine Klageerhebung notwendigen Informationen erlangt hat. Außerdem müsse es während einer Untersuchung der Kommission – und etwaigen daran anschließenden gerichtlichen Verfahren – eine Hemmung der Verjährung geben.

An die Entscheidung des EuGH knüpft somit nunmehr auch das Ende der Verjährungshemmung an. Seit der Umsetzung der Kartellschadensersatz-Richtlinie 2014/104 beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist fünf Jahre.

Darüber hinaus könnte die Entscheidung der Kommission zur marktbeherrschenden Stellung von Google auch Einfallstor für weitere Verfahren der Kommission oder auch Klagen von Verbrauchern und Unternehmen sein, die – ohne Bindungswirkung – auf andere Fälle der Ausnutzung dieser Stellung gestützt werden.

III. Exkurs: DMA

Auch unter dem Digital Markets Act („DMA“) können private Ansprüche auf fairen Zugang und bei Verstößen auf Schadensersatz gegen Gatekeeper geltend gemacht werden. Auch wenn dem DMA eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Private Enforcement fehlt, so ist dieses doch ein Grundpfeiler des Europarechts: Wo aus dem europäischen Recht auch Rechte des Einzelnen folgen, stellt die Wachsamkeit der an der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen – und die individuelle Rechtsdurchsetzung – eine weitere Ebene der wirksamen Kontrolle dar. Auf Ebene des nationalen Rechts hat der deutsche Gesetzgeber mit dem Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz (11. GWB-Novelle) die Möglichkeiten zur privaten Rechtsdurchsetzung der DMA-Verpflichtungen gestärkt, indem das GWB nunmehr die in den §§ 33 ff. GWB normierten Mechanismen und Instrumente zu weiten Teilen auch auf Verstöße gegen den DMA erstreckt.