Neue Leitlinien des Bundeskartellamtes zur Bußgeldzumessung und zum Kronzeugenprogramm
Das Bundeskartellamt hat kürzlich neue Leitlinien zum sogenannten Kronzeugenprogramm und wenig später neue Leitlinien zur Bußgeldzumessung bekannt gegeben. Leitlinien des Bundeskartellamts dienen in erster Linie der Erläuterung der Praxis des Bundeskartellamts zugunsten von betroffenen Unternehmen. Gleichzeitig führen sie aber auch zu einer Selbstbindung des Bundeskartellamts im Hinblick auf die Einzelheiten des Verfahrens. Neue Leitlinien sollten daher immer Anlass für Unternehmen sein, sich mit den Neuerungen in diesem Bereich auseinanderzusetzen. Auch die jetzt neu bekanntgegebenen Leitlinien enthalten Änderungen, die es aus Unternehmenssicht zu berücksichtigen gilt.
Neue Leitlinien zum Kronzeugenprogramm – Aufdeckung zahlt sich weiterhin aus
Die Leitlinien zum Kronzeugenprogramm (siehe hier) dienen betroffenen Unternehmen als Anleitung für das im Rahmen der 10. GWB-Novelle gesetzlich normierte Kronzeugenprogramm für Kartellteilnehmer (siehe unseren Competition Outlook 2021 hier).
Kronzeugenprogramme sind ein Instrument von Kartellbehörden zur Aufdeckung von Kartellen, mittels dessen den Kartellteilnehmern ein Anreiz zur Selbstanzeige geboten wird. Der gebotene Anreiz kommt dabei in voller Höhe aber nur dem ersten sich offenbarenden Unternehmen zugute. Hierdurch soll die sogenannte Kartelldisziplin gebrochen und die Kartellteilnehmer sollen zu einem „Windhundrennen“ um die erste Selbstanzeige bewegt werden. Auch das Bundeskartellamt hatte bereits vor der 10. GWB-Novelle ein solches Programm, das aber nur im Rahmen von Verwaltungsvorschriften in Form der sogenannten „Bonusregelung“ geregelt war.
Nach der gesetzlichen Normierung wurden nunmehr also Leitlinien zur entsprechenden Durchführung der gesetzlichen Regelungen erlassen. Die Leitlinien entsprechen dabei weitgehend dem Inhalt der vorigen Bonusregelung und konkretisieren in erster Linie den nicht immer eindeutig gefassten Gesetzeswortlaut. Wenige kleinere Neuerungen betreffen etwa die neue Möglichkeit des Anführers eines Kartells, nunmehr Kronzeuge zu sein.
Die Eckpunkte des Kronzeugenprogramms bleiben aber die folgenden:
- Der erste Kronzeuge kommt in jedem Fall in den Genuss eines vollständigen Erlasses der Geldbuße, wenn er Beweismittel vorlegt und das Bundeskartellamt damit erstmalig in die Lage versetzt, einen Durchsuchungsbeschluss gegen die beteiligten Unternehmen zu erwirken. Sofern das Bundeskartellamt dagegen bereits vor dem Antrag des ersten Kronzeugen einen Durchsuchungsbeschluss hätte erwirken können oder erwirkt hat, so erhält der erste Kronzeuge den vollständigen Erlass nur dann, wenn die von ihm vorgelegten Beweismittel dem Bundeskartellamt erstmals den Nachweis der Tat ermöglichen.
- Das Bundeskartellamt kann eine Geldbuße bis zu 50 % ermäßigen, wenn ein Kartellant dem Bundeskartellamt nach der Aufdeckung durch den ersten Kronzeugen noch Informationen und Beweismittel mit einem erheblichen Mehrwert vorlegt. Der Umfang der Ermäßigung richtet sich nach dem Nutzen der Informationen und Beweismittel sowie nach dem Zeitpunkt des Antrags auf Kronzeugenbehandlung.
- Ein Kronzeuge muss dauerhaft und uneingeschränkt mit dem Bundeskartellamt kooperieren.
- Die zivilrechtlichen Folgen eines Kartellrechtsverstoßes werden durch einen Kronzeugenantrag nicht ausgeschlossen, d. h. der Kronzeuge ist gegenüber den Geschädigten eines Kartells nicht vollständig von der Haftung befreit. Diese Möglichkeit ist derzeit Teil einer rechtspolitischen Diskussion, die aber ohnehin eine gesetzgeberische Entscheidung voraussetzt, d. h. nicht vom Bundeskartellamt in seinen Leitlinien hätte berücksichtigt werden können.
Trotz ausführlicher einschlägiger Diskussionen im Vorfeld zum und während des Gesetzgebungsverfahrens gilt das Kronzeugenprogramm weiterhin nicht für vertikale Kartellrechtsverstöße. Zudem bleibt ein anonymer Antrag auf Kronzeugenbehandlung auch zukünftig ausgeschlossen.
Neue Leitlinien zur Bußgeldzumessung – Prävention zahlt sich noch stärker aus
Mit den neuen Leitlinien zur Bußgeldzumessung (siehe hier) reagiert das Bundeskartellamt auf die neuen Rechtsgrundlagen der Bußgeldzumessung, die ebenfalls im Rahmen der 10. GWB-Novelle normiert wurden.
Eine Bußgeldzumessung ist dann erforderlich, wenn das Bundeskartellamt einen Kartellrechtsverstoß aufgedeckt hat und gegen die beteiligten Unternehmen eine Geldbuße erlässt. Im Rahmen der Bußgeldzumessung sind dabei eine ganze Reihe von Umständen zu berücksichtigen und abzuwägen, die sich auf den Verstoß als solchen, aber auch die betroffenen Unternehmen beziehen.
Das Bundeskartellamt legt in seinen Bußgeldleitlinien sein Vorgehen bei dieser Bußgeldzumessung dar. Deren wichtigste neue Aspekte sind die folgenden:
- Zukünftig wird das Bundeskartellamt zunächst mittels eines prozentualen Anteils am sogenannten tatbezogenen Umsatz einen Ausgangswert für die Bußgeldzumessung Der tatbezogene Umsatz ist dabei der Umsatz, der mit den von dem Kartellrechtsverstoß betroffenen Produkten im Zeitraum des Verstoßes erzielt wurde. Der prozentuale Anteil richtet sich dabei nach dem Gesamtumsatz des Unternehmens im letzten Geschäftsjahr und steigt mit der Unternehmensgröße von 10-15 % bei einem Gesamtumsatz von bis zu EUR 100 Mio. auf bis zu über 30 % bei einem Gesamtumsatz von über EUR 100 Mrd. Hiermit beabsichtigt das Bundeskartellamt eine Angleichung seiner Vorgehensweise an jene in der Rechtsprechung.
- Zudem wird das Bundeskartellamt bei der Bußgeldzumessung in der Gesamtabwägung aller Faktoren zukünftig grundsätzlich auch Compliance-Programme zur Vermeidung und Aufdeckung von Kartellrechtsverstößen berücksichtigen. Das gilt sowohl für vor als auch nach einem Kartellrechtsverstoß aufgesetzte Compliance-Programme, sofern diese aus Sicht des Bundeskartellamts angemessen und wirksam sind. Die konkreten Anforderungen hängen dabei insbesondere von der Art, Größe und Organisation eines Unternehmens ab. Der Berücksichtigung eines vor dem Kartell aufgesetzten Compliance-Programms steht es derweil nicht entgegen, wenn es allein deswegen nicht zur Vermeidung und Aufdeckung geführt hat, weil die handelnde Person sich zwecks Erzielung persönlicher Vorteile über das Programm in außergewöhnlichem Maße und unter Täuschung von Vorgesetzten hinweggesetzt hat.
Folgen für die Praxis – State-of-the-Art-Compliance-Programme sind dringend anzuraten
Die neuen Leitlinien zur Bußgeldzumessung und zum Kronzeugenprogramm verstärken vor allem die Bedeutung von Compliance-Programmen. Zukünftig zahlt sich ein State-of-the-Art-Compliance-Programm nicht nur dann aus, wenn es für die Aufdeckung eines Kartells entscheidend war und dann nach den Leitlinien zum Kronzeugenprogramm zur Ermäßigung oder zum vollständigen Absehen von einem Bußgeld führen kann. Vielmehr können Compliance-Programme im Rahmen der Bußgeldzumessung auch eigenständig zu einer Ermäßigung desselben führen. Dies gilt aber nur dann, wenn die Programme von den Kartellbehörden für wirksam und angemessen erachtet werden. Darüber wird sich in der Praxis aller Voraussicht nach trefflich streiten lassen.
In jedem Fall ist festzuhalten, dass die Folgen fehlender oder mangelhafter Programme für betroffene Unternehmen äußerst teuer sein können. Ein sorgfältig entwickeltes und den individuellen Bedürfnissen des Unternehmens angepasstes, aktuelles Kartellrechts-Compliance-Programm kann hingegen im Idealfall die frühzeitige Aufdeckung eines Kartellverstoßes und das rechtzeitige Agieren als Kronzeuge befördern. Und soweit das nicht gelingt, können wirksame, angemessene Compliance-Maßnahmen in einem Bußgeldverfahren immer noch grundsätzlich bußgeldmindernd in die Waagschale geworfen werden. Entsprechende Compliance Programme sind daher jedem Unternehmen dringend ans Herz zu legen.