Entwurf einer Fernlenk-Verordnung: Gibt es bald ferngesteuerte Fahrzeuge in Deutschland?
Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) erwägt den Erlass einer Straßenverkehr-Fernlenk-Verordnung – StVFernLV. Im Folgenden ordnen wir den aktuellen Referentenentwurf (Ref-E) in das bestehende nationale Regelungsgeflecht ein und geben einen ersten Überblick über die wichtigsten Bestimmungen der Fernlenk-Verordnung.
Einordnung der Fernlenk-Verordnung
Der nationale Rechtsrahmen zum automatisierten und autonomen Fahren präsentiert sich in Deutschland bereits als sehr fortschrittlich. Erste Hersteller bieten automatisierte Fahrfunktionen für bestimmte Situationen auf deutschen Straßen an, bei denen sich der Fahrer gemäß § 1b StVG erlaubterweise vom Fahrgeschehen abwenden darf. Neben dem Einsatz in Stausituationen ist auch bereits der Folgebetrieb auf Autobahnen bis zu 95 km/h als Fahrfunktion auf SAE-Level 3 angekündigt.
Während also der Regelbetrieb von hochautomatisierten Fahrfunktionen im Sinne von § 1a StVG langsam aber stetig Fahrt aufnimmt, ist der Einsatz von autonomen Kraftfahrzeugen in festgelegten Betriebsbereichen bisher auf den – wenn auch sehr eindrucksvollen – Testbetrieb beschränkt. Die rechtlichen Voraussetzungen für den Regelbetrieb von fahrerlosen Kraftahrzeugen (SAE-Level 4) bestehen dagegen schon seit dem Erlass der AFGBV im Juni 2022. Die fehlende Verfügbarkeit von autonomen Fahrzeugen, etwa als Shuttles im ÖPNV, ist vor allem den hohen technischen Anforderungen an die Fahrzeuge und deren technischen Ausrüstung geschuldet, wie sie sich aus Anlage I zur AFGBV ergeben.
Auch das BMDV sieht die Möglichkeiten des Rechtsrahmens zum autonomen Fahren nicht ausgeschöpft. Der Regelbetrieb von autonomen Kraftfahrzeugen soll daher durch den Einsatz von alternativen Technologien – wie dem Fernlenken von Kraftfahrzeugen – geebnet werden. Die Fernsteuerung von Kraftfahrzeugen (sogenannte teleoperierte Fahrzeuge) ist dabei nicht neu. Bisher wurden entsprechende Systeme allerdings allein im Testbetrieb auf Grundlage von Ausnahmegenehmigungen, etwa in Hamburg und in Berlin, erprobt. Durch die Fernlenk-Verordnung soll nun der sichere Regelbetrieb von ferngelenkten Kraftfahrzeugen in festgelegten Betriebsbereichen ermöglicht werden. Denkbar sind beispielsweise ferngelenkte PKW als Ergänzung des ÖPNV oder aber auch der Einsatz von ferngelenkten LKW im Transportwesen. Das BMDV sieht überdies Potentiale für die effizientere Nutzung von Car-Sharing Angeboten.
Das ferngelenkte Kraftfahrzeug im genehmigten Betriebsbereich
Nach § 2 Abs. 1 Ref-E handelt es sich bei einem ferngelenkten Kraftfahrzeug um ein Fahrzeug, das mittels einer technischen Ausrüstung von einer sich außerhalb des Kraftfahrzeuges befindlichen natürlichen Person gelenkt wird. Unter Fernlenken ist dabei das Führen eines Kraftahrzeuges im Sinne des Straßenverkehrsgesetzes zu verstehen (§ 2 Abs. 5 Ref-E).
In Abgrenzung zur Technischen Aufsicht im Sinne von § 1d Abs. 3 StVG gibt die fernlenkende Person also nicht lediglich im Ausnahmefall Fahrmanöver frei, sondern führt vielmehr kontinuierlich die gesamte Fahraufgabe aus. Folgerichtig wird daher in der Fernlenk-Verordnung klargestellt, dass es sich bei der fernlenkenden Person um den Fahrzeugführer im Sinne des StVG handelt – auch wenn sie sich außerhalb des Kraftfahrzeuges befindet (§ 2 Abs. 5 Ref-E). Klarstellender Charakter kommt zudem der Regelung in § 10 Abs. 12 Ref-E zu, wonach die fernlenkende Person die Verkehrsvorschriften zu beachten hat und nicht mehrere ferngelenkte Kraftfahrzeuge gleichzeitig führen darf; letzteres hat der Halter des ferngelenkten Fahrzeuges gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 2 Ref-E sicherzustellen.
Die Fahrtgeschwindigkeit während der Fernlenkung ist auf 80 km/h begrenzt (siehe Anlage 1, Ziffer 3.2.2). Der Einsatz des ferngelenkten Kraftfahrzeuges ist zudem auf den genehmigten Betriebsbereich im Sinne von § 2 Abs. 7 Ref-E beschränkt, wobei eine entsprechende Betriebsbereichsgenehmigung gemäß § 7 Ref-E vom Halter bei der zuständigen Behörde zu beantragen ist; das nähere hierzu wird in Anlage 2 zur Fernlenk-Verordnung geregelt. Insofern zeigt sich eine Parallele zu Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion, deren Betrieb ebenfalls auf einen festgelegten Betriebsbereich beschränkt ist (§ 1d Abs. 2 StVG).
Anforderungen an die fernlenkende Person
Aufgrund der hohen Verantwortung, die die fernlenkende Person als Fahrzeugführer trägt, werden in der Fernlenk-Verordnung konkrete Anforderungen an sie gestellt. Der Halter des ferngelenkten Kraftfahrzeuges hat dabei sicherzustellen und zu dokumentieren, dass diese Anforderungen erfüllt werden.
Nach § 10 Abs. 2 Ref-E werden zunächst Grundvoraussetzungen festgelegt. So muss die fernlenkende Person das 21. Lebensjahr vollendet haben und seit mindestens drei Jahren im Besitz einer entsprechenden Fahrerlaubnis sein. Sie muss zudem (i) befähigt sowie (ii) körperlich, geistig und charakterlich geeignet zum Fernlenken eines Kraftfahrzeuges sein.
- Befähigt zum Fernlenken eines Kraftfahrzeuges ist die Person gemäß 10 Abs. 3 Ref-E, wenn sie erfolgreich eine entsprechende Schulung abgeschlossen hat. Diese Schulung ist vom Halter des ferngelenkten Fahrzeuges durchzuführen, wobei sich der Mindestumfang der zu vermittelnden Inhalte aus dem Katalog des § 10 Abs. 3 Nr. 1 bis Nr. 11 Ref-E ergibt. Eine Schulungspflicht besteht etwa auch bei Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion für die Technische Aufsicht (siehe § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AFGBV). Die Schulung der Technischen Aufsicht muss allerdings durch den Hersteller des Fahrzeuges erfolgen.
- Körperliche und geistige Anforderungen an die fernlenkende Person ergeben sich aus 10 Abs. 5 Ref-E. Zudem muss eine gewisse charakterliche Eignung gewährleistet sein. Auf diese charakterliche Eignung wird nach § 10 Abs. 6 Ref-E dadurch geschlossen, dass die Person bisher nicht negativ im Straßenverkehr aufgefallen ist. Die fernlenkende Person ist jedenfalls dann charakterlich ungeeignet zum Fernlenken eines Kraftfahrzeuges, wenn sie im Fahreignungsregister mit mehr als drei Punkten belastet ist (§ 10 Abs. 6 S. 2 Ref-E).
Im Ergebnis besteht ein bunter Strauß an Anforderungen, den die fernlenkende Person erfüllen muss. Allerdings werden nicht so hohe Anforderungen an die Ausbildung gestellt wie bei der Technischen Aufsicht, wie etwa ein abgeschlossenes Maschinenbau-Studium, § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AFGBV.
Der Leitstand als zentrales Element der Fernlenkung
Das Fahrzeug wird von der fernlenkenden Person aus dem Leitstand heraus ferngesteuert. Der Leitstand ist gemäß § 2 Abs. 3 Ref-E die Gesamtheit der außerhalb des Kraftfahrzeuges befindlichen Bauteile und Systeme, die der fernlenkenden Person die Führung des Kraftfahrzeuges ermöglicht.
Der Leitstand muss möglichst detailgetreu das ferngelenkte Kraftfahrzeug abbilden, wobei die konkreten Anforderungen an den Leitstand in Ziffer 4 der Anlage 1 zur Fernlenk-Verordnung umfassend geregelt sind. So müssen nach Ziffer 4.8 beispielsweise die Anzeigen, die akustischen Signale sowie die Handbedien- und Fußbedienelemente des Leitstandes die Anforderungen der Vorschriften erfüllen, die für dasjenige Kraftfahrzeug gelten, von dem das ferngelenkte Kraftfahrzeug abgeleitet ist.
Nach § 3 Nr. 6 Ref-E müssen sich sowohl die technische Ausrüstung zum Fernlenken, mithin in erster Linie also der Leitstand, als auch die fernlenkende Person selbst physisch im Inland befinden. Eine Fernlenkung aus dem Ausland ist damit nicht erlaubt.
Technische Anforderungen an das Gesamtsystem
Da das ferngelenkte Kraftfahrzeug mit spezieller Technik zur Fernlenkung ausgestattet ist, muss der Halter eines ferngelenkten Kraftfahrzeuges gemäß § 4 Abs. 1 Ref-E eine entsprechende Betriebserlaubnis für das ferngelenkte Kraftfahrzeug beim Kraftfahrt-Bundesamt beantragen.
Als Basis für ein ferngelenktes Kraftfahrzeug kommen nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 Ref-E ausschließlich Kraftfahrzeuge in Betracht, die bereits vor ihrer Umrüstung über eine entsprechende Genehmigung verfügen (EU-Typgenehmigung oder ABE/EBE nach der StVZO). Das BMDV scheint damit also in erster Linie die Umrüstung von bereits im Verkehr befindlichen Kraftfahrzeugen im Blick zu haben. Insofern werden dem Hersteller des Leitstandes und der Fernlenk-Technik im Fahrzeug gemäß § 11 Ref-E spezielle Pflichten auferlegt. Den Hersteller des Basisfahrzeuges treffen dagegen richtigerweise keine Pflichten aus der Fernlenk-Verordnung.
Aus Anlage 1 zur Fernlenk-Verordnung folgen zudem konkrete technische Anforderungen, die an das Gesamtsystem zum Fernlenken gestellt werden. Das Gesamtsystem zum Fernlenken besteht aus (i) dem Leitstand und (ii) der im Fahrzeug befindlichen Fernlenk-Technik sowie (iii) dem Fahrzeug selbst (vgl. § 2 Abs. 4 Ref-E). Die Erfüllung der technischen Anforderungen nach Anlage 1 stellt die Grundvoraussetzung für die Erteilung einer Betriebserlaubnis für das ferngelenkte Kraftfahrzeug dar (vgl. § 4 Abs. 1 Nr. 1 Ref-E).
Risikominimaler Zustand
Aus der Fernlenk-Verordnung ergibt sich außerdem sehr deutlich, dass eine natürliche Person innerhalb des Kraftfahrzeuges nicht als Rückfallebene – wie etwa bei einem hochautomatisierten Kraftfahrzeug nach § 1b Abs. 2 StVG – vorgesehen ist. Das ferngelenkte Fahrzeug muss daher über eine technische Ausrüstung verfügen, die in der Lage ist, selbstständig in den risikominimalen Zustand zu überführen. Die Situationen, in denen das ferngelenkte Kraftfahrzeug den risikominimalen Zustand herstellen muss, sind sehr detailliert in Anlage 1 geregelt:
- Abbruch einer zum Fernlenken zwingend benötigten Datenverbindung; Erreichen der Grenze des Betriebsbereichs oder nach einem Unfall (Ziffer 3.3.1),
- das Betätigen des Not-Aus-Schalters durch Fahrzeuginsassen oder die fernlenkende Person (Ziffer 3.6 und 3.7),
- ein für das Fernlenken kritischer Abbruch der Funkverbindungen oder ein unerlaubter Zugriff auf diese Funkverbindungen (Ziffer 3.11.1),
- im Rahmen der automatischen Leitstandüberwachung wird die Abwesenheit oder Unaufmerksamkeit der fernlenkenden Person festgestellt (Ziffer 4.2.2).
- Bei einem Funktionsausfall von Kraftfahrzeugkomponenten ist die Überführung in den risikominimalen Zustand dagegen lediglich fakultativ (vgl. Ziffer 3.1).
Die Überführung in den risikominimalen Zustand ist auch bei Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion vorgesehen (siehe § 1d Abs. 4 StVG). In Bezug auf ferngelenkte Kraftfahrzeuge stellt die Fernlenk-Verordnung allerdings ausdrücklich klar, dass für die Überführung in den risikominimalen Zustand eine Fahrfunktion ausreichend ist, die unterhalb der Anforderungen des § 1a Abs. 2 StVG liegt. Somit wird vermieden, dass das ferngelenkte Kraftfahrzeug allein für die Überführung in den risikominimalen Zustand etwa die hohen technischen Anforderungen an die selbstständige Bewältigung der Fahraufgabe (§ 1a Abs. 2 Nr. 1 StVG) unter Beachtung der Verkehrsvorschriften im Sinne von § 1a Abs. 2 Nr. 2 StVG erfüllen muss. Entsprechend hohe technischen Anforderungen würden der mit der Fernlenkung einhergehenden Reduzierung der technischen Komplexität zuwiderlaufen.
Bewertung und Ausblick
Der aktuelle Referentenentwurf für die Fernlenk-Verordnung stellt sich als zusätzlicher Eckpfeiler für die Mobilität von morgen dar und deckt eine weitere Entwicklung im Bereich der „fahrerlosen“ Systeme ab. Da die Fahrzeugführung durch einen Menschen im Hintergrund stattfindet, kann die Komplexität der Systeme in Bezug auf die Fahrzeugsteuerung erheblich reduziert werden, so dass die technische Realisierbarkeit greifbarer ist als beim autonomen Fahrzeug (SAE-Level 4).
Die Einsatzmöglichkeiten der Fernlenkung sind dabei sehr weit, da der Anwendungsbereich der Fernlenk-Verordnung nach § 1 Abs. 1 Ref-E Kraftfahrzeuge der Klassen M und N umfasst, so dass neben PKW und Bussen auch LKW generell ferngelenkt werden können. Neben dem Einsatz im ÖPNV wäre damit auch der Weg für ferngelenkte Transporte – jedenfalls auf deutschen Straßen – eröffnet. Vor diesem Hintergrund dürfte auch die in der Fernlenk-Verordnung gewählte Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zu sehen sein, da insofern auch LKW über 3,5 Tonnen auf Autobahnen ferngelenkt werden könnten (die zulässige Höchstgeschwindigkeit für LKW beträgt insofern ebenfalls 80 km/h, siehe § 3 Abs. 3 Nr. 2 StVO). Für den Einsatz von LKW auf Autobahnen wäre dann die Fähigkeit zur Überführung in den risikominimalen Zustand besonders kritisch zu prüfen und der Einsatzbereich gegebenenfalls auf die äußerst rechte Fahrspur zu begrenzen, um ein Anhalten auf dem Standstreifen möglichst gefahrlos zu ermöglichen.
Für den außenstehenden Betrachter wird es sicher ein spannender Anblick sein, wenn ein ferngelenktes Kraftfahrzeug im Regelbetrieb, mithin ohne Sicherheitsfahrer auf dem Fahrerplatz, zum Beispiel innerorts verkehrt. Voraussetzung dafür, dass sich Unternehmen oder Verkehrsverbunde den umfangreichen Halterpflichten der Fernlenk-Verordnung aussetzen und in entsprechende Technik investieren, wird indes in erster Linie die Aussicht auf einen wirtschaftlichen Betrieb sein. In diesem Zusammenhang ist es zu begrüßen, dass die Anforderungen an die Qualifikation der fernlenkenden Person nicht so hoch ausfallen wie diejenigen an die Technische Aufsicht. Allerdings erscheinen die Anforderungen für die Ausgestaltung des Leitstandes sehr umfangreich und im Ergebnis kostenintensiv.
Die Straßenverkehr-Fernlenk-Verordnung ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wann und in welcher finalen Fassung sie in Kraft tritt, wird sich zeigen. Es wird also noch etwas dauern, bis ferngesteuerte Fahrzeuge auf deutschen Straßen zu sehen sind.