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VGVO und Leitlinien – Infoaustausch und Dualdistribution

11.02.2022

Einführung

Im Sommer letzten Jahres haben wir die Juli-Entwürfe der Vertikal-GVO („VGVO-E“) und Leitlinien („Vertikal-LL-E“) der Europäischen Kommission („Kommission“) vom 09.07.2021 vorgestellt (Link).

Darin berichteten wir auch über die geplanten Änderungen im Hinblick auf den Austausch wettbewerblich relevanter Informationen zwischen Herstellern und Vertriebsmittlern/Absatzmittlern beim dualen Vertrieb (also dem gleichzeitigen Direkt- und Absatzmittlervertrieb durch den Hersteller, so dass der Hersteller ein Wettbewerber des Absatzmittlers auf der Einzelhandelsebene ist). Gruppenfreigestellt sollte dieser danach nur dann sein, wenn der gemeinsame Marktanteil des Herstellers und des betroffenen Händlers auf dem Einzelhandelsmarkt die 10 %-Schwelle nicht übersteigt (Art. 2 Abs. 4 VGVO-E). Bei einem höheren Marktanteil wäre der Informationsaustausch jedenfalls nicht mehr von der V-GVO freigestellt, sondern wäre nach dem Kartellverbot und den Horizontalleitlinien der Kommission zu beurteilen (Art. 2 Abs. 5 VGVO-E). Dies hat in den nachfolgenden Stellungnahmen und Workshops erhebliche Kritik ausgelöst. Es wurde auf die große praktische Bedeutung des Informationsaustauschs im Rahmen dualer Vertriebssysteme hingewiesen und auf die erheblichen Schwierigkeiten, die die geplante Änderung in der Praxis mit sich bringen würde.

Die Kommission hat nun am 04.02.2022 den Entwurf eines neuen Abschnitts der Leitlinien über den Informationsaustausch beim dualen Vertrieb („Abschnitts-Entwurf“) veröffentlicht. Aktuell läuft dazu eine weitere öffentliche Konsultation bis zum 18.02.2022. Bis dahin kann der Abschnitts-Entwurf kommentiert werden.

Inhalt des Abschnitt-Entwurfes

Der Abschnitts-Entwurf befasst sich allein mit dem Informationsaustausch im dualen Vertrieb.  Es kommt für eine Gruppenfreistellung des Informationsaustausches zwischen Hersteller und Abnehmer nicht mehr darauf an, dass der gemeinsame Marktanteil des Herstellers und des betroffenen Händlers auf dem Einzelhandelsmarkt die 10 %-Schwelle nicht übersteigt.

Die Kommission erkennt nun an, dass ein Informationsaustauschs zwischen Hersteller und Abnehmer in vielen Fällen Vorteile für die Produktion als auch den Vertrieb selbst haben kann. Die möglichen negativen Auswirkungen des Informationsaustauschs auf das Wettbewerbsverhältnis zwischen Anbieter und Abnehmer (auf der Einzelhandelsstufe) wiegen demgegenüber weniger schwer. Daraus entwickelt die Kommission einen neuen Grundsatz: „Der Austausch von Informationen zwischen einem Hersteller und einem Absatzmittler ist nach der V-GVO freigestellt, wenn der Informationsaustausch erforderlich ist, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder -dienstleistungen zu verbessern.“

Dieses Erfordernis der „Notwendigkeit“ ist dem Kartellrecht nicht fremd. Bspw. auch beim Austausch von Informationen im Zusammenhang mit der Vorbereitung von Unternehmenstransaktionen (insbes. für die Due Dilligence und die Bewertung des Zielunternehmens durch die Erwerberin) gilt das sog. „Need to Know Prinzip“.

Ob ein Informationsaustausch im Rahmen dualer Vertriebssystem erforderlich ist, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder -dienstleistungen durch die Parteien zu verbessen, hängt nach Ansicht der Kommission dabei zunächst von dem jeweiligen Vertriebsmodell ab. Insofern ist eine Einzelfallbetrachtung geboten. Die Kommission unterscheidet insoweit zwischen den Vertriebssystemen:

  • Im Rahmen des Alleinvertriebs kann es bspw. erforderlich sein, dass die Parteien Informationen über die Gebiete oder Kundengruppen austauschen, die dem Absatzmittler zugewiesen oder dem Hersteller vorbehalten sind.

  • Bei Franchisesystemen etwa kann es erforderlich sein, dass Franchisegeber und Franchisenehmer Informationen austauschen, die sich auf die Anwendung eines einheitlichen Geschäftsmodells über das gesamte Franchisenetzwerk beziehen.

  • In einem selektiven Vertriebssystem kann es hingegen erforderlich sein, dass der Hersteller von den Absatzmittlern Informationen über deren Einhaltung der Auswahlkriterien erhält.

Darüber hinaus gibt die Kommission eine nicht abschließende Liste von Beispielen, welche Informationen im Rahmen dualer Vertriebssysteme in der Regel notwendig sind, um die Produktion oder den Vertrieb der Vertragswaren oder -dienstleistungen zu verbessern. Danach können folgende Informationen ausgetauscht werden:

  • technische Informationen über die Vertragswaren oder -dienstleistungen;

  • Informationen zur Produktion, Lagerbestand, Verkaufsmengen oder Rücksendungen;

  • aggregierte Informationen über die Käufer der Vertragswaren oder -dienstleistungen sowie Kundenpräferenzen und -feedback;

  • Informationen über die Preise, zu denen die Vertragswaren oder -dienstleistungen vom Hersteller an den Absatzmittel verkauft werden,

  • unverbindliche Preisempfehlungen oder Höchstpreise, die der Hersteller vorschlägt, solange dadurch der Absatzmittler in seiner Preissetzungsfreiheit nicht beeinträchtigt wird;

  • Marketinginformationen, also Informationen über die Vermarktung der Vertragswaren oder -dienstleistungen, einschließlich Informationen über neue Waren oder Dienstleistungen, die im Rahmen des Vertriebssystem vertrieben werden (sollen), sowie Informationen über Werbekampagnen für die Vertragswaren oder -dienstleistungen;

  • leistungsbezogene Informationen, einschließlich aggregierter Informationen, die der Hersteller dem Absatzmittler über die Marketing- und Verkaufsaktivitäten anderer Absatzmittler zur Verfügung stellt, sofern diese den Absatzmittler nicht in die Lage versetzen, die Tätigkeiten bestimmter konkurrierender Absatzmittler zu identifizieren. Zudem sollen auch Informationen über das Volumen oder den Wert der Verkäufe des Absatzmittler der Vertragswaren oder -dienstleistungen im Verhältnis zu den Verkäufen konkurrierender Waren oder Dienstleistungen ausgetauscht werden dürfen.

Als nicht erforderlich wird der Austausch folgender Informationen angesehen:

  • Informationen über die tatsächlichen künftigen Preise des Absatzmittlers. Ausgenommen hiervon ist jedoch der Austausch im Rahmen zulässiger Sonderangebotskampagnen (also bei kurzfristigen Werbeaktionen) oder bei zulässigen Aktionen im Zusammenhang mit Produkteinführungen;

  • kundenspezifische Verkaufsdaten, einschließlich nicht aggregierter Informationen über den Wert und das Volumen der Verkäufe pro Kunde oder Informationen zur Identifizierung bestimmter Kunden. Eine Ausnahme kann greifen, wenn diese Informationen im Einzelfall erforderlich sind, um den Hersteller oder Absatzmittler in die Lage zu versetzen, die Vertragswaren oder -dienstleistungen an die Anforderungen des Kunden anzupassen oder um Garantie- oder Kundendienstleistungen zu erbringen oder um Kunden im Rahmen einer Alleinvertriebsvereinbarung zuzuweisen;

  • Informationen über Waren, die von einem Absatzmittler unter seinem eigenen Markennamen verkauft werden, gegenüber einem Hersteller konkurrierender Markenwaren, es sei denn, der Hersteller ist auch der Produzent der Eigenmarkenwaren.

Dabei ist ein Austausch auch dieser grundsätzlich als kritisch einzustufender Informationen nicht zwingend unzulässig. Dieser ist jedoch nicht im Rahmen der VGVO-E freigestellt, sondern ist dessen Zulässigkeit weiterhin individuell anhand des Kartellverbots zu prüfen. Die Kommission schlägt insofern zur Risikominimierung u. a. vor, dass nur aggregierte Verkaufsinformationen ausgetauscht werden oder dass sichergestellt wird, dass Informationen des Absatzmittlers nur einem beschränkten Kreis von Mitarbeitern auf Seiten des Herstellers zur Verfügung gestellt werden, die nicht für den Eigenvertrieb (Direktvertrieb) auf der Einzelhandelsebene zuständig sind. Gemeint sind dem Kartellrecht ohnehin bekannte „Informationsbarrieren“ (chinese walls).

Fazit

Die hilfreichen Klarstellungen der Kommission sind zu begrüßen. Sollten die Vertikal-LL in dieser Form verabschiedet werden, würden den Unternehmen wertvolle Hinweise an die Hand gegeben werden, wie sie im Rahmen des jeweiligen dualen Vertriebssystems den notwendigen Informationsaustausch ausgestalten dürfen und können.

Bei der Ausgestaltung kann zudem auf bekannte kartellrechtliche Prinzipien zurückgegriffen werden, die ebenfalls zu mehr Rechtssicherheit führen dürften. Der Maßstab der Notwendigkeit ist vergleichbar mit dem aus Unternehmenstransaktionen bekannten „Need to Know“-Prinzip. Bei der Abwägung, welche Informationen ausgetauscht werden dürfen, kann auf diese Beurteilungsgrundsätze zurückgegriffen werden. Ebenso ist es gängige Praxis, Informationsbarrieren einzurichten, sofern ein Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern beabsichtigt ist. Die dazu entwickelte Praxis wird ebenfalls helfen, das Erfordernis solcher Schranken zu erkennen und entsprechend wirksame Zugangsbeschränkungen einzurichten. Aus den Informationen, die die Kommission grundsätzlich als kritisch ansieht, folgt zudem, dass es möglich ist, den wettbewerbssensitiven Gehalt der auszutauschenden Informationen abzuschwächen, damit der Austausch zulässig wird, aber dennoch einen Mehrwert für die Parteien bildet (also durch Aggregierung, Spannenbildung und/oder Anonymisierung).