Ukraine erhält umfassendes Whistleblower-Gesetz
Während die im Oktober 2019 verabschiedete EU-Richtlinie zum Hinweisgeberschutz erst in den nächsten zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt wird, treten in der Ukraine umfassende Regelungen zur Einrichtung von Meldesystemen, dem Schutz sog. Whistleblower sowie zur Zahlung von Prämien an diese bereits zu Beginn des nächsten Jahres in Kraft.
Das vom ukrainischen Präsidenten am 13. November unterzeichnete Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern[1] dient vor allem der Korruptionsbekämpfung[2]. Als Hinweisgeber im Sinne des Gesetzes gelten natürliche Personen, die ihnen bei beruflicher, wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Tätigkeitsausübung bekannt gewordene mögliche korrupte Handlungen, damit verbundene Rechtsverletzungen oder andere Verstöße gegen das ukrainische Korruptionsbekämpfungsgesetz melden.
Meldesysteme
Hinweisgeber haben die Wahl, ihre Meldungen jeweils anonym über interne Kanäle (dem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber), sog. reguläre Kanäle (den zuständigen Strafverfolgungsbehörden) oder externe Kanäle (z.B. Massenmedien, Journalisten oder Vereine) abzugeben. Die Offenlegung besonders geschützter Informationen über externe Kanäle ist dabei nur in Ausnahmefällen zulässig – z.B. nach erfolgloser Meldung über andere Kanäle oder bei drohender Vernichtung von Beweismitteln.
Die für Korruptionsbekämpfung zuständigen Strafverfolgungsbehörden, öffentlich-rechtliche Organisationen, Staatsunternehmen, Privatunternehmen mit mehr als 50% Staatsbeteiligung und Unternehmen, die an staatlichen Ausschreibungen über mehr als UAH 20 Mio. (ca. EUR 750.000) teilnehmen, sind zu diesem Zweck verpflichtet, geschützte anonyme Kanäle zum Erhalt von Whistleblower-Meldungen einzurichten. Beim Eingang von Meldungen treffen diese Personen genau geregelte Prüf- und Informationspflichten, auch gegenüber dem Hinweisgeber, denen innerhalb bestimmter Fristen nachzukommen ist.
Hinweisgeberschutz
Die Hinweisgeber kommen ab Erhalt der Informationen über relevante Rechtsverletzungen in den Genuss weitreichender Schutzmaßnahmen. Sie haben u.a. Anspruch auf Wahrung ihrer Anonymität, Schutz vor Bedrohung der eigenen Unversehrtheit sowie der nahestehender Personen, Erstattung von Rechtskostenhilfe sowie psychologische Betreuung. Hinsichtlich der Meldung sind sie von dienstlichen oder vertraglichen Verschwiegenheitsplichten entbunden. Eine Haftung von durch die Meldung entstandenen Schäden ist ausgeschlossen, solange keine offensichtliche Falschmeldung vorliegt.
Zudem greift ein umfassendes Verbot von Repressalien gegen Hinweisgeber und ihnen nahestehende Personen in arbeitsrechtlichen Beziehungen. Vom Verbot erfasst sind auch formal rechtmäßige Arbeitgebermaßnahmen, die in vergleichbaren Fällen sonst nicht ergriffen werden. Von verbotenen Maßnahmen betroffene Arbeitnehmer haben Anspruch auf Wiederherstellung und finanziellen Ausgleich sowie auf Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Prämien
Zusätzliche Anreize für Whistleblower-Meldungen soll die Zahlung von Prämien schaffen. In Fällen, in denen die Bestechungssumme oder der dem Staat entstandene Schaden das 5.000-fache des Existenzminimums einer arbeitsfähigen Person übersteigt (aktuell insgesamt UAH 10,51 Mio.[3]; ca. EUR 400.000) soll der Hinweisgeber eine Prämie in Höhe von 10% dieser Summe erhalten, wobei diese auf das 3.000-fache des Mindestgehalts (aktuell insgesamt UAH 12,519 Mio.[4]; ca. EUR 470.000) gedeckelt ist. Haben mehrere Hinweisgeber dasselbe Korruptionsvergehen gemeldet, wird diese Summe unter ihnen gleichmäßig aufgeteilt.
Fazit
Mit ihrem an der EU-Richtlinie orientierten Gesetz zum Hinweisgeberschutz nimmt die Ukraine eine Vorreiterrolle unter den ehemaligen Sowjetrepubliken ein, in denen Hinweisgeber überwiegend kaum geschützt sind (siehe Noerr Überblick). Insbesondere in Russland ist ein vergleichbarer Gesetzesentwurf erst im Juni dieses Jahres auf absehbare Zeit gescheitert[5]. Die Praxis wird zeigen, inwieweit westlich orientierte Schutzvorschriften für Hinweisgeber dabei helfen, dem Vollstreckungsdefizit bei der Korruptionsbekämpfung im postsowjetischen Raum zu begegnen.
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[1] http://w1.c1.rada.gov.ua/pls/zweb2/webproc4_1?pf3511=66253.
[2] Nach dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International für 2018 befindet sich die Ukraine zusammen mit drei afrikanischen Staaten auf Rang 120 von 180 (https://www.transparency.org/cpi2018).
[3] https://index.minfin.com.ua/labour/wagemin/
[4] https://index.minfin.com.ua/labour/salary/min/
[5] https://sozd.duma.gov.ru/bill/286313-7