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Kartell­absprachen: Auslieferungs­risiko erhöht sich weiter

27.11.2017

Auch hierzulande getroffene Kartellabsprachen können zu einer Auslieferung und Haftstrafen im Ausland, wie z. B. den USA, führen, soweit die Absprache dort Auswirkungen hat. Dies zeigt, wie essentiell eine Prävention von Kartellverstößen und damit fundierte Maßnahmen mit Blick auf Kartellrechts-Compliance für Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofes bestätigt in dem Fall Romano Pisciotti, dass Unionsbürger vor diesen gravierenden Folgen nicht durch das Europäische Recht geschützt sind.

Hintergrund des Falles

Ausgangspunkt dieses Falles ist das sog. Marineschlauch-Kartell. Eine Reihe von Marineschlauchproduzenten hatten kartellrechtswidrige Absprachen getroffen, auf deren Basis sie weltweit zahlreiche Ausschreibungen manipulierten. Nachdem das Kartell aufgedeckt wurde, verhängte sowohl die EU-Kommission als auch das amerikanische Justizministerium hohe Geldbußen gegen die beteiligten Unternehmen. Zeitgleich wurden in den USA strafrechtliche Ermittlungen gegen Personen, die an den Verstößen beteiligt waren –  darunter Romano Pisciotti –, eingeleitet und Haftbefehle erlassen.

Auf Basis einer internationalen Fahndung via Interpol wurde Romano Pisciotti auf seiner Durchreise im Jahre 2013 am Frankfurter Flughafen festgesetzt und in Auslieferungshaft genommen (siehe bereits hier).

Herr Pisciotti ist gegen diese Auslieferung gerichtlich vorgegangen, jedoch ohne Erfolg. Die Gerichte entschieden, dass die Auslieferung rechtmäßig sei. Er ist damit der erste Unionsbürger, der wegen einer Kartellabsprache an die USA ausgeliefert wurde. Nachdem Herr Pisciotti sich mit den amerikanischen Strafverfolgungsbehörden auf ein sog. plea agreement geeinigt hatte, wurde er (unter Anrechnung der Auslieferungshaft) zu einer zweijährigen Haftstrafe sowie einer Geldstrafe in Höhe von USD 50.000 verurteilt. Nachdem er diese Haftstrafe verbüßt hat, ist Herr Pisciotti seit April 2015 wieder auf freiem Fuße.

Staatshaftungsklage wegen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht

Die Auslieferung hat jedoch noch ein weiteres gerichtliches Nachspiel: Herr Pisciotti hat gegen die Bundesrepublik eine Staatshaftungsklage erhoben, gerichtet auf den Ersatz sämtlicher Schäden, die ihm durch die (seiner Meinung nach unionsrechtswidrige) Auslieferung an die USA entstanden sind.

Herr Pisciotti macht diesbezüglich geltend, dass es gegen Unionsrecht verstoße, wenn die Bundesrepublik gemäß Art. 16 Abs. 2 des Grundgesetzes eigene Staatsangehörige nicht an Drittstaaten ausliefert, die Staatsbürger anderer Mitglieder der Europäischen Union diesen Schutz jedoch nicht genießen. Es läge ein Verstoß gegen das europarechtliche Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit vor.

Im Frühjahr 2016 legte das zuständige LG Berlin in dieser Sache dem Europäischen Gerichtshof („EuGH“) vier Fragen zur Vorabentscheidung vor.

Schlussanträge des Generalanwaltes

Am 21. November 2017 legte der mit dem Fall befasste Generalanwalt des EuGH, Herr Yves Bot, seine Schlussanträge vor.

Er ist der Auffassung, dass die Auslieferung von Herrn Pisciotti durch die Bundesrepublik an die USA rechtmäßig war. Deutschland könne damit keine Verletzung des Unionsrechtes vorgeworfen werden.

Der Generalanwalt wendet bei seiner Prüfung die von dem EuGH in dem Fall Petruhhin aufgestellten Kriterien an. Er kommt zu dem Ergebnis, dass das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot zwar Anwendung finde, in dem vorliegenden Fall die Ungleichbehandlung des italienischen Staatsbürgers Pisciotti im Vergleich zu deutschen Staatsangehörigen und die aus ihr folgende Beschränkung der Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV jedoch gerechtfertigt seien. Als Rechtfertigungsgrund diene das Entgegenwirken gegen die bei Nicht-Auslieferung bestehende Gefahr, dass eine Person, die wie Herr Pisciotti verdächtigt wird, eine Straftat begangen zu haben, der Strafe entgeht. Zu dem Zeitpunkt, als die USA von Deutschland die Auslieferung von Herrn Pisciotti ersuchten, hätte es keine andere Maßnahme gegeben, die die Ausübung der unionsrechtlich gewährten Freizügigkeit weniger beschränkt hätte und mit der das Ziel des Entgegenwirkens der Gefahr der Straflosigkeit ebenso wirksam hätte erreicht werden können.

Darüber hinaus hat die Bundesrepublik die Italienische Republik über die Verhaftung, deren rechtliche Grundlage sowie die diesbezüglichen gerichtlichen Verfahren informiert. Somit sei die Bundesrepublik auch der durch den EuGH im Fall Petruhhin aufgestellten Informationspflicht nachgekommen und habe dem italienischen Staat Gelegenheit gegeben, die Übergabe von Herrn Pisciotti zu Verfolgungszwecken zu beantragen. Dies gelte unabhängig davon, ob diese Pflichten in der vorliegenden Konstellation überhaupt bestehen (anders als im Urteil Petruhhin gibt es ein Auslieferungsabkommen zwischen der EU und dem die Auslieferung verlangenden Drittstaat [USA]).

Ausblick und Folgen für die Praxis

Die Schlussanträge des Generalanwaltes verdeutlichen einmal mehr, dass Kartellabsprachen nicht nur Risiken für beteiligte Unternehmen beinhalten. Auch die an den Kartellverstößen beteiligten natürlichen Personen tragen erhebliche Risiken – und diese sind nicht allein finanzieller Natur. In Staaten wie den USA drohen Personen nach einem Strafverfahren neben empfindlichen Geldstrafen auch langjährige Haftstrafen. Es zeichnet sich ab, dass auch Unionsrecht die betroffenen Unionsbürger nicht vor einer Auslieferung in solche Staaten schützt. Auch wenn abzuwarten bleibt, wie der EuGH in dieser Sache entscheiden wird, spricht einiges dafür, dass der EuGH seine Rechtsprechung in Sachen Petruhhin bestätigen und damit verfestigen wird.  

Das damit vorliegende Auslieferungsrisiko und das Risiko der persönlichen strafrechtlichen Verantwortung in Drittstaaten, wie z. B. den USA, beweisen einmal mehr, wie essentiell eine Prävention von Kartellabsprachen und damit fundierte Maßnahmen mit Blick auf Kartellrechts-Compliance für Unternehmen und ihre Mitarbeiter sind.

Die Schlussanträge des Generalanwaltes Yves Bot in Sachen Romano Pisciotti [Rs. C-191/16] sind unter diesem Link verfügbar.

Das Urteil des vom 6. September 2016 in Sachen Petruhhin [Rs. C-182/15] ist unter diesem Link abrufbar. Die Pressemitteilung des EuGH findet sich unter diesem Link.