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Erfreuliche Klarstellung des BAG zur grenz­über­schreitenden Arbeit­nehmer­überlassung

13.05.2022

Ein Fremdpersonaleinsatz ist häufig schon wegen der Zahl der Beteiligten und Rechtsverhältnisse, die im Blick behalten werden müssen, rechtlich kompliziert, operativ aber sehr sinnvoll. Noch komplexer werden die Dinge, wenn der Einsatz grenzüberschreitend erfolgt, weil dann auch noch unterschiedliche Rechtsordnungen koordiniert werden müssen. Fehler können erhebliche Folgen haben:

Im Rahmen einer inländischen Arbeitnehmerüberlassung drohen dem Entleiher – wenn sie nicht rechtmäßig erfolgt – neben einer Strafbarkeit wegen vorenthaltener Sozialversicherungsabgaben gem. § 266a StGB sowie wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO nicht nur eine Inanspruchnahme auf Vergütung und Sozialversicherungsbeiträge, sondern es wird auch ein Arbeitsverhältnis mit dem illegal überlassenen Arbeitnehmer fingiert (§ 10 Abs. 1 S. 1 AÜG).

Häufig werden – gerade bei IT-Aufträgen und Großprojekten – Auftragnehmer aus dem (europäischen) Ausland beauftragt, die bei ihrem Auftraggeber eigene Mitarbeiter in Deutschland einsetzen. Nicht selten stellt sich dabei heraus, dass in der Sache eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, z.B. weil ausländische Auftragnehmer (Verleiher) und inländische Auftraggeber (Entleiher) inländische Rahmenbedingungen fehlinterpretieren oder schlicht in der Praxis nicht einhalten. Treffen den inländischen Entleiher nun mit Blick auf die grenzüberschreitend überlassenen Mitarbeiter des ausländischen Verleihers in Deutschland dieselben Risiken wie bei einer inländischen illegalen Arbeitnehmerüberlassung oder sogar schwerere Risiken?

Mit Urteil vom 26.04.2022 hat das Bundesarbeitsgericht (9 AZR 228/21) erfreulicherweise – abweichend von der vorangegangenen Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (12 Sa 15/20) – klargestellt, dass im Fall der grenzüberschreitenden Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsverhältnis zum deutschen Entleiher fingiert wird, sondern im Kern „nur“, aber immerhin, Bußgelder drohen.

I. Sachverhalt

Die französische Klägerin macht auf Grundlage einer von ihr vorgetragenen illegalen Arbeitnehmerüberlassung maßgeblich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten, einer in Deutschland ansässigen Gesellschaft (Entleiher), sowie Überstunden- und Differenzvergütung geltend.

Die Klägerin war seit dem 01.10.2014 bei der ebenfalls französischen Gesellschaft (Verleiher) als Fachberaterin/Ingenieurin angestellt. Bei dem Verleiher handelt es sich um einen weltweit agierenden Beratungskonzern mit dem Schwerpunkt Technologieberatung. Beide Unternehmen schlossen einen Vertrag über Technologieberatungsdienstleistungen, auf Grundlage dessen die Klägerin für ihre Tätigkeit beim deutschen Unternehmen als Auftraggeber entsandt wurde. Sowohl die vertragliche Ausgestaltung des Rechtsverhältnisses als auch dessen praktische Durchführung ergaben jedoch, dass nicht bestimmte, vom Betriebsgeschehen des Entleihers abgrenzbare und selbst organisierte Dienstleistungen, sondern die Überlassung der Klägerin tatsächlich geschuldet wurde. Der Vertrag zwischen den beiden Unternehmen sah – ebenso wie der insoweit auslegungsbedürftige Arbeitsvertrag zwischen der Klägerin und dem Verleiher – die Anwendung französischen Rechts vor. Über eine deutsche Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis verfügte der Verleiher nicht.

Die Klage wurde seitens des Arbeitsgerichts abgewiesen und in der Berufung vom Landesarbeitsgericht jedoch teilweise bejaht, indem es ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher annahm. Hiergegen wendete sich die erfolgreiche Revision der Beklagten (Entleiher).

II. Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Zwar wurde bislang lediglich die Pressemitteilung veröffentlicht. Auch ihr lassen sich aber bereits die tragenden Gründe der Entscheidung entnehmen. Das Bundesarbeitsgericht stellte klar, dass auch im Fall einer tatbestandlichen Arbeitnehmerüberlassung kein Arbeitsverhältnis zum deutschen Entleiher fingiert wird. Maßgeblich sind folgende Argumente:

  • Voraussetzung für die Fiktion eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach § 10 Abs. 1 S. 1 AÜG sei die Unwirksamkeit des zugrundeliegenden Leiharbeitsvertrags zwischen ausländischem Verleiher und Leiharbeitnehmer wegen fehlender Erlaubnis (§ 1 AÜG). Diese liege aber kollisionsrechtlich nicht vor: Unterliege der Leiharbeitsvertrag dem Recht eines anderen europäischen Mitgliedstaates (hier: französischem Recht), richte sich die Wirksamkeit nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Weder § 2 Nr. 4 AentG noch das AÜG bewirkten den Vorrang entsprechender Vorgaben des AÜG.

  • Soweit § 2 Nr. 4 AEntG aF – in Umsetzung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 96/71/EG aF – regele, dass die „Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, insbesondere durch Leiharbeitsunternehmen“ zwischen einem im Ausland ansässigen Arbeitgeber und seinen im Inland beschäftigten Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen zwingend anzuwenden seien, umfasse dies keine Regelungen über den Bestand des Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher. Gemeint seien neben Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmern regeln, lediglich die im Inland geltenden gewerbe-, vermittlungs- und erlaubnisrechtlichen Voraussetzungen der Arbeitnehmerüberlassung.

  • Auch sei § 9 AÜG keine Eingriffsnorm iSv. Art. 9 Abs. 1 Rom-I-VO, also keine nach deutschem Recht zwingende Vorschrift, von der nicht abgewichen werden kann. Das öffentliche Interesse an einer Einholung der Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis werde vielmehr hinreichend über die Ordnungswidrigkeiten gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AÜG geschützt.

III. Ausblick

Die für die Praxis erfreuliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nimmt viele Sorgen, die üblicherweise mit grenzüberschreitenden Fremdpersonaleinsätzen verbunden sind. Sie reduziert die mit der Umsetzung grenzüberschreitender Fremdpersonaleinsätze verbundenen Risiken. Deutsche Unternehmen müssen kein ungewolltes, fingiertes Arbeitsverhältnis befürchten, ausländische Verleiher keine ungewollte Abwanderung ihrer Mitarbeiter/innen. Ebenso wenig droht deutschen Unternehmen eine Strafbarkeit wegen vorenthaltener Sozialversicherungsabgaben gem. § 266a StGB sowie wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 AO.

Nichtsdestotrotz bleibt auch in diesem Fall eine unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung aber nicht folgenlos: Denn – wie das BAG zu Recht hervorhebt – drohen auch in diesem Fall Bußgelder gem. § 16 AÜG. Daher muss – wie auch bei einem rein nationalen Fremdpersonaleinsatz – auch beim grenzüberschreitenden Arbeitnehmereinsatz nicht nur auf eine saubere Vertragsgestaltung geachtet, sondern insbesondere auch die gelebte Vertragspraxis in den Blick genommen werden, um Bußgelder – und schlechte Publicity – zu vermeiden.


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