Entwaldungsfreie Lieferketten: EU-Entwurf lässt neue Anforderungen an Wirtschaftsakteure erahnen
Das gesteigerte Bewusstsein für Nachhaltigkeit und Klimaschutz hat den Ruf nach produktbezogenen Sorgfaltspflichten für einen umfassenden Schutz des Ökosystems lauter werden lassen. Ein zentraler Aspekt ist dabei die weltweit zunehmende unkontrollierte Entwaldung und Waldschädigung. Um Rohstoffe zu gewinnen und bestimmte Konsumgüter zu erzeugen, werden Wälder gerodet. Die Konsequenzen reichen von Mutterboden-Erosion über den Verlust von Bäumen als CO² Speicher bis zum Verlust an Biodiversität.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am 17.11.2021 einen Vorschlag für eine Verordnung über entwaldungsfreie Produkte im Amtsblatt der EU veröffentlicht, der weit über bisher bestehende europäische Maßnahmen gegen Entwaldung und Waldschädigung hinausgeht. Durch die Verordnung soll der Beitrag der EU zur Entwaldung und Waldschädigung in globalen Lieferketten reduziert werden. Product Compliance erstreckt sich dann – ähnlich wie schon bei der EU-Konfliktmineralienverordnung und beim deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – auf die Produktion.
Der Verordnungsvorschlag sieht folgende Regelungen vor:
Erfasste Rohstoffe und Erzeugnisse
Der Verordnungsvorschlag erfasst besonders wald- und klimaschädliche Rohstoffproduktionen wie Soja, Holz, Kaffee, Kakao, Rindfleisch und Palmöl („relevante Rohstoffe“) einschließlich bestimmter Erzeugnisse, für die die relevanten Rohstoffe häufig verwendet werden („relevante Erzeugnisse“).
Definition des Begriffs „entwaldungsfrei“
Dreh- und Angelpunkt des Verordnungsvorschlags ist die Definition des Begriffs „entwaldungsfrei“. Relevante Rohstoffe und Erzeugnisse sind demnach als entwaldungsfrei zu bewerten, wenn sie nicht von Flächen stammen, die nach dem 31.12.2020 entwaldet wurden bzw. die nach diesem Stichtag Schauplatz von Waldschädigungen waren. Unter dem Begriff der Entwaldung ist nach dem Verordnungsvorschlag die Umwandlung von Wald in landwirtschaftliche Nutzflächen zu verstehen.
Beschränkungen in der Lieferkette
Um den Beitrag der EU zur Entwaldung und Waldschädigung in globalen Lieferketten zu reduzieren, sollen relevante Rohstoffe und Erzeugnisse nur noch auf dem Unionsmarkt in Verkehr gebracht bzw. bereitgestellt oder aus dem Unionsmarkt ausgeführt werden dürfen, wenn sie
- entwaldungsfrei sind,
- in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Produktionslandes hergestellt wurden
- und von einer Sorgfaltserklärung erfasst werden.
Sorgfaltspflichten der Wirtschaftsakteure
Um die Konformität mit den Anforderungen an das Inverkehrbringen relevanter Rohstoffe und Erzeugnisse sicherzustellen, sieht der Verordnungsvorschlag folgende Sorgfaltspflichten für die Wirtschaftsakteure vor:
- Sammlung von Informationen zu den relevanten Rohstoffen und Erzeugnissen:
- etwa der Menge der relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse,
- Geolokalisierungskoordinaten der Flächen, auf denen die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse produziert werden,
- Datum oder Zeitspanne der Erzeugung,
- Kontaktdaten von Unternehmen in der Lieferkette,
- überprüfbare Angaben darüber, dass die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse entwaldungsfrei sind und deren Produktion im Einklang mit den einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes steht.
- Anhand dieser Informationen: Regelmäßige und zu dokumentierende Analyse und Einstufung des Risikos, dass die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse, die Konformitätsanforderungen nicht erfüllen.
- Gegebenenfalls: Ergreifung angemessener und verhältnismäßiger Risikominimierungsmaßnahmen.
Mit der Sorgfaltserklärung übernehmen die Wirtschaftsakteure die Verantwortung dafür, dass die Sorgfaltspflichten eingehalten wurden und kein oder nur ein vernachlässigbares Risiko besteht, dass die relevanten Rohstoffe und Erzeugnisse nicht entwaldungsfrei sind bzw. nicht in Übereinstimmung mit den Gesetzen des Produktionslandes hergestellt wurden. Die Sorgfaltserklärung soll von den Wirtschaftsakteuren in ein vom Verordnungsvorschlag speziell dafür vorgesehenen Informationssystem bzw. Register an die zuständigen Behörden übermittelt werden.
Benchmarking-System
Daneben sieht der Verordnungsvorschlag unterschiedlich strenge Sorgfaltspflichten der Wirtschaftsakteure vor, je nachdem, wie hoch das Risiko des Ursprungslandes bzw. der Ursprungsregion einzuschätzen ist, nicht entwaldungsfreie oder nicht mit den nationalen Gesetzen im Einklang stehende relevante Rohstoffe oder Erzeugnisse herzustellen. Die Risikokategorien sollen mithilfe eines Benchmarking-Systems ermittelt werden, das auf bestimmte in der Verordnung festgelegte Bewertungskriterien wie der Entwaldungsrate eines Landes basiert.
Aufbewahrungs- und Berichtspflichten
Die Wirtschaftsakteure werden ihre Aufzeichnungen zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten mindestens fünf Jahre lang aufbewahren müssen und jährlich umfassend öffentlich Bericht über die von ihnen getroffenen Maßnahmen zur Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten erstatten müssen.
Notifikationspflicht
Schließlich sieht der Verordnungsvorschlag eine Notifikationspflicht für Wirtschaftsakteure vor, wenn Grund zur Annahme besteht, dass relevante Rohstoffe und Erzeugnisse, die sie bereits in Verkehr gebracht bzw. auf dem Markt bereitgestellt oder exportiert haben, nicht mit den Anforderungen der Verordnung übereinstimmen.
Sanktionen
Bei Verstößen gegen die geplanten Pflichten sollen nach dem Verordnungsvorschlag enorme Geldbußen verhängt werden sowie die Einziehung der verordnungswidrigen Rohstoffe bzw. der daraus resultierenden Erlöse erfolgen können. Außerdem sollen Wirtschaftsakteure bei Verstößen vorübergehend von der öffentlichen Auftragsvergabe ausgeschlossen werden können.