Entscheidung des Bundeskartellamtes im Zusammenhang mit der Lizenzierung bestimmter Dienste für Infotainmentsysteme in Fahrzeugen ergangen
In der Presseerklärung vom 21.06.2023 hat das Bundeskartellamt mitgeteilt, dass es beabsichtige, der Alphabet Inc. bzw. Google Germany GmbH (nachfolgend: „Google“) verschiedene, vermeintlich wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen im Hinblick auf die Lizenzierung von „Google Automotive Services“ zu untersagen.
Die Google Automotive Services (nachfolgend auch: „GAS“) bestehen aus verschiedenen Funktionen, namentlich dem Kartendienst Google Maps, einer Version des App-Stores Google Play und dem Sprachassistenten Google Assistant. Als Betriebssystem dient außerdem eine Android-Basisplattform für Fahrzeuge. Laut Bundeskartellamt bietet Google den Fahrzeugherstellern die verschiedenen Funktionen ausschließlich als Bündel an und macht ihnen weitere Vorgaben, insbesondere für die Darstellung der Dienste im Infotainmentsystem des Fahrzeugs.
Nach vorläufiger Einschätzung des Bundeskartellamts erfüllt Googles Verhalten die Voraussetzungen mehrerer Tatbestände des 2021 neu geschaffenen § 19a GWB. Zweck des § 19a GWB ist es, dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle im Bereich digitaler Ökosysteme an die Hand zu geben, um etwaigen Gefährdungen des Wettbewerbs durch große Digitalkonzerne mit einer sogenannten überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb frühzeitig entgegenwirken zu können. Das Bundeskartellamt hatte bereits Ende 2021 festgestellt, dass Google Adressat des § 19a GWB ist, d. h. eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat (siehe Entscheidung vom 30.12.2021). Neben Google/Alphabet hatte das Bundeskartellamt auch gegenüber Meta/Facebook, Amazon und Apple bereits eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne von § 19a GWB festgestellt. Amazon hat gegen diese Feststellung Beschwerde vor dem Bundesgerichtshof eingelegt (Pressemitteilung v. 14.11.2022). Ein weiteres Feststellungsverfahren wurde zudem gegen Microsoft eingeleitet (Pressemitteilung 28.03.2023).
§ 19a GWB ermächtigt das Bundeskartellamt, sodann den Adressanten der Vorschrift für den Wettbewerb schädliche Verhaltensweisen zu untersagen, soweit die Praktiken nicht durch den Adressaten ausnahmsweise sachlich gerechtfertigt werden können.
In seiner Presseerklärung sieht das Bundeskartellamt im Grunde vier Verhaltensweisen seitens Google im Zusammenhang mit dem Angebot der Google Automotive Services als kritisch an:
1. Dienste werden den Automobilherstellern nur als Bündel angeboten
In der Kombination von Navigation, Zugang zu Medieninhalten, Sprachtelefonie und Messengerdiensten in Verbindung mit einer sprachgestützten Steuerung der Fahrzeugfunktionen sieht das Bundeskartellamt ein im Wesentlichen vollständiges Infotainmentsystem für Fahrzeuge. Durch die Bündelung der Google Automotive Services entstünde die Gefahr für den Wettbewerb, dass Google eine etwaige Machtposition hinsichtlich eines Dienstes des Bündels auch auf weitere noch nicht vermachtete Märkte ausweiten kann – also auf Märkte für andere Dienste des Bündels, auf denen Google derzeit noch nicht so stark ist.
2. Vorinstallation der Dienste als Standard bzw. hervorgehobene Präsentation auf Bildschirmanzeige
Soweit Google die Automobilhersteller zudem verpflichte, seine Dienste als Standard einzustellen bzw. diese in der Bildschirmanzeige vor anderen Anwendungen Dritter darzustellen, sieht das Bundeskartellamt die Gefahr, dass alternative Dienste kaum wahrgenommen und folglich weniger in Anspruch genommen werden, wodurch eine Behinderung des Marktzugangs Dritter vorliege. Das Bundeskartellamt sieht insoweit auch Parallelen zu vergangenen Praktiken Googles bei mobilen Endgeräten.
3. Möglichkeit der Einschränkung der Interoperabilität der Dienste
Weiterhin geht das Bundeskartellamt davon aus, dass Google die Interoperabilität seiner Dienste in der Google-Automotive-Services-Infotainment-Plattform mit Diensten Dritter erschweren bzw. verweigern könnte, indem etwa die Navigationsfunktion Google Maps über einen Sprachassistenten eines Drittanbieters nicht oder nur eingeschränkt nutzbar sein könnte.
4. Vereinzelte finanzielle Beteiligung der Fahrzeughersteller an Werbeeinnahmen von Google Assistant
Als problematisch erachtet das Bundeskartellamt auch die mit einigen Automobilherstellern vereinbarte Beteiligung an den Werbeeinnahmen aus der Nutzung von Google Assistant, soweit diese Automobilhersteller sich als Gegenleistung verpflichten, ausschließlich den Google Assistant als Sprachassistenten in der Google-Automotive-Services-Infotainment-Plattform zu installieren.
Ausblick
Google hat nun Gelegenheit, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen. Sollte das Bundeskartellamt die bisherigen Praktiken von Google im Zusammenhang von Google Automotive Services schlussendlich untersagen und Google eine gerichtliche Überprüfung anstreben, dürfte sich auch die Frage stellen, inwieweit das Bundeskartellamt hier den Anwendungsvorrang des Anfang Mai in Kraft getretenen Digital Markets Act zu berücksichtigen hat. Diese Verordnung soll die Bestreitbarkeit und Fairness von Märkten im Digitalsektor sicherstellen, für mehr Innovation sorgen und einen besseren Schutz der Verbraucher gewährleisten. Er richtet sich an große Online-Plattformen, die als sogenannte
„Gatekeeper“ oder Torwächter identifiziert werden. Für seine Durchsetzung ist allerdings die EU-Kommission und nicht das Bundeskartellamt zuständig. Dementsprechend überrascht es nicht, dass das Bundeskartellamt in diesem Verfahren eng mit der EU-Kommission kooperiert hat.
Insgesamt zeigt sich, dass die Entwicklungen bei digitalen Diensten rund um die Infotainmentsysteme von Fahrzeugen von den Kartellbehörden genau beobachtet werden.