Höchstzahl von Urteilen zur Schadenshöhe in Kartellschadensersatzfällen
Im Bereich des Kartellschadensersatzes gab es 2023 so viele Urteile wie nie zuvor, die über die Schadenshöhe entschieden haben. Manche ergingen zugunsten der Kläger, während in anderen die Beklagten ganz oder weit überwiegend obsiegten – und dies trotz tatrichterlicher Schätzungen.
Die Rechtsstreite wurden dabei teils mit gerichtlichen Sachverständigengutachten entschieden, teils griffen die Gerichte zu einer freien tatrichterlichen Schätzung. Dabei ist die Spannbreite der Ergebnisse groß. Weder lässt sich feststellen, dass freie tatrichterliche Schätzungen besonders hoch liegen – sie schwanken zwischen 0,5 % und 25 % – noch dass Gerichtsgutachten in eine bestimmte Richtung zeigen. So hat das Landgericht Mannheim im Urteil vom 23.06.2023 nach einem mehrjährigen Gutachterprozess im Zuckerverfahren niedrige Preisaufschläge von 2 % ermittelt. In anderen großen Kartellschadensersatzkomplexen wie zu Drogerieartikeln, LKW oder Schienen befinden sich Gerichte – teils nach Zurückverweisung der Verfahren durch den Bundesgerichtshof – mitten in den Beweisaufnahmen durch Gerichtsgutachten. Nur einzelne Gerichte zielen auf eine freie Schätzung.
Der Bundesgerichtshof hatte insoweit zuletzt im Urteil vom 29.11.2022 in Sachen Schlecker verdeutlicht, dass Gerichte aufgrund des Erfahrungssatzes, der für die preiserhöhende Wirkung eines Kartells streitet, auch bei fehlerhaften Klägergutachten nicht von einer Beweisaufnahme absehen dürfen. Vergleichbare Segelanweisungen hatte der Kartellsenat auch bereits gegeben, als Gerichte Regressionsanalysen der Beklagten ohne weitere Auseinandersetzung verwarfen.
Weitere anhängige Rechtsmittelverfahren und anstehende erste Berufungsurteile zur Schadenschätzung werden in 2024 die hierbei zu beachtenden Parameter weiter klären. Die zuweilen als lang empfundene Verfahrensdauer von Kartellschadensersatzprozessen dürfte sich hierdurch zusehends verkürzen. Ob aber die von den Gerichten ausgeurteilten Beträge am Ende die Erwartungen der Klägerseite in Form der teils hohen eingeklagten Schadenssummen erfüllen werden, wird sich nur im Einzelfall zeigen.
Auch wenn die Gerichte vermehrt einen Preisaufschlag schätzen, muss diese Schätzung im Urteil sodann auf den zugrundeliegenden Lebenssachverhalt angewendet werden. Dies setzt voraus, dass eine hinreichende Tatsachengrundlage zu den streitgegenständlichen Erwerbsvorgängen vorgetragen ist. Denn ohne schadensstiftendes Ereignis ergibt sich auch kein Schaden. Parallel zur Schadensschätzung definieren daher einige Gerichte aktuell die Grundanforderungen an den klägerischen Sachvortrag hinsichtlich der Erwerbsvorgänge. So hielt das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Urteil vom 27.09.2023 (Az. VI-U (Kart) 7/22) fest, dass ein Kläger nicht nur den Erwerb selbst, sondern auch die Zahlung des konkreten Kaufpreises nachweisen müsse.
Inwieweit der Gesetzgeber in diese Entwicklungen auf Ebene der Rechtsprechung in Zukunft eingreifen wird, bleibt offen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hielt vom 06.11.2023 bis 04.12.2023 eine öffentliche Konsultation zur 12. GWB-Novelle ab, die auch Fragen zum Kartellschadensersatzrecht umfasste. Diese Fragen bezogen sich unter anderem auf die Überarbeitung von Verfahrens- und Zuständigkeitsregeln zur effektiveren Durchführung der Prozesse, eine Beteiligung des Bundeskartellamts an Verfahren und eine gesetzliche Vermutung zur Schadenshöhe. Das Jahr 2024 wird folglich zeigen, welche Anregungen aus der Praxis der Gesetzgeber aufgreift.
Dieser Artikel ist Teil des Competition Outlook 2024. Alle Artikel des Competition Outlooks finden Sie hier.