News

Competition Outlook 2021

13.01.2021

In dieser News fasst die Noerr Antitrust & Competition Group die jüngsten und wichtigsten kartellrechtlichen Entwicklungen in Europa und Deutschland zusammen.

Darüber hinaus geben wir Ihnen einen Ausblick auf relevante Themen, von denen wir erwarten, dass sie in diesem Jahr eine wichtige Rolle in der europäischen und deutschen Kartellrechtsdebatte spielen werden.

Ausblick: Was in 2021 zu erwarten ist

Brexit

Brexit: Die Übergangsphase endet - was sollten Sie wissen?

Nach dem offiziellen EU-Austritt des Vereinigten Königreichs zum 31.01.2020 lief am 31.12.2020 nun auch die Übergangsphase des Austritts ab, in der u. a. verschiedene Bestimmungen des EU-Kartellrechts fortgalten. Das jüngst abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich enthält zwar u. a. gewisse Kooperationsbestimmungen für die Zusammenarbeit der Wettbewerbsbehörden der Länder. Dies ändert aber nichts daran, dass sich Unternehmen auf gewisse Änderungen einstellen sollten:

Fusionskontrolle

Für Unternehmenstransaktionen mit Bezug zum Vereinigten Königreich, die nach dem 31.12.2020 bei den Wettbewerbsbehörden angemeldet werden, gilt nicht länger das sogenannte One-Stop-Shop-Prinzip. Nach diesem Prinzip war die Europäische Kommission für Transaktionen, die die Umsatzschwellen der EU-Fusionskontrolle erreichten und daher eine EU-Dimension hatten, vollumfänglich zuständig. Dies galt auch, soweit die Transaktionen das Vereinigte Königreich betrafen. Nach Ablauf der Übergangsphase wird sich dies nun ändern und Unternehmen müssen sich darauf einstellen, dass die Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs („CMA“) vermehrt Anmeldungen parallel zur Europäischen Kommission überprüfen wird.

Zukünftig ist außerdem bei der Prüfung, ob die Umsatzschwellen der EU-Fusionskontrolle erreicht werden, darauf zu achten, dass Umsätze aus dem Vereinigten Königreich nicht länger zu berücksichtigen sind. Da aber die Schwellenwerte der EU-Fusionskontrolle trotz des Austritts des Vereinigten Königreichs nicht nach unten angepasst wurden, könnten ab Januar 2021 weniger Transaktionen in den Anwendungsbereich der EU-Fusionskontrolle fallen als bisher. Dies kann dazu führen, dass vermehrt parallele Anmeldungen in den verbleibenden Mitgliedstaaten der EU notwendig werden, da die Schwellenwerte hier deutlich niedriger liegen als auf der EU-Ebene. Im Einzelfall kann aber über eine Verweisung an die Europäische Kommission nachgedacht werden.

Kartellverfahren

Soweit die Europäische Kommission bereits vor Ablauf der Übergangsphase ein Kartellverfahren eingeleitet hat, bleibt sie für dieses Verfahren zuständig. Hat die Europäische Kommission vor Ablauf der Übergangsphase kein Kartellverfahren betreffend eines Sachverhalts eingeleitet, der auch das Vereinigte Königreich betrifft, kann die CMA ein Verfahren einleiten und zwar unabhängig davon, ob das Verhalten vor oder nach dem 31.12.2020 stattgefunden hat. Wichtig ist allerdings, dass die Europäische Kommission gemäß dem Auswirkungsprinzip ebenfalls für das Fehlverhalten in solchen Fällen zuständig ist, wenn das betreffende Verhalten sich (neben dem Vereinigten Königreich) in der EU auswirkt. Auch im Bereich der Kartellverfahren müssen Unternehmen also zukünftig mit parallelen Verfahren und damit auch einer Erhöhung des Bußgeldrisikos rechnen.

Neben diesen ausgewählten Problemen stellen sich weitere praxisrelevante Fragen: Was gilt hinsichtlich der Bindungswirkung der Kartellentscheidungen der Europäischen Kommission bzw. der EU-Gerichte zukünftig im Vereinigten Königreich? Dieser Bindungswirkung für nationale Gerichte kommt aufgrund der mit ihr einhergehenden Beweislasterleichterung erhebliche Bedeutung in Kartellschadensersatzprozessen zu. Werden britische Gerichte eine solche Bindungswirkung zukünftig noch anerkennen oder sollte ein potentieller Schadensersatzkläger kartellrechtlichen Schadensersatz allein aus Gründen der Rechtssicherheit vorzugsweise in einem Mitgliedstaat der EU geltend machen?

 

10. GWB-Novelle: Kartellrecht und Digitalisierung

Fusionskontrolle

Die 10. GWB-Novelle sieht zahlreiche Änderungen in der Fusionskontrolle vor:

Beide Inlandsumsatzschwellen werden signifikant erhöht, § 35 Abs. 1 GWB: Die erste Inlandsumsatzschwelle soll künftig bei EUR 50 Mio. (statt bisher EUR 25 Mio.), die zweite Inlandsumsatzschwelle bei EUR 17,5 Mio. (statt bisher EUR 5 Mio.) liegen. Die Anzahl der Anmeldungen soll dadurch um ca. 20 % sinken (Regierungsbegründung, S. 106, wobei der Regierungsentwurf noch von einer geringeren Erhöhung auf EUR 30 Mio. bzw. EUR 10 Mio. ausging). Nicht angepasst, sondern ersatzlos gestrichen, wird die sog. Bagatellklausel des § 35 Abs. 2 S. 1 GWB, wonach bisher der Zusammenschluss eines nicht abhängigen Unternehmens mit weniger als EUR 10 Mio. weltweitem Umsatz nicht angemeldet werden musste (im Ergebnis müssen solche Zusammenschlüsse weiterhin nicht angemeldet werden, weil solche Unternehmen nunmehr nicht die neue zweite Inlandsumsatzschwelle erreichen werden).

Innerhalb der Transaktionsschwelle werden die neuen Inlandsumsatzschwellen entsprechend angepasst, § 35 Abs. 1a GWB: Ein Unternehmen muss in Deutschland mehr als EUR 50 Mio. erwirtschaftet haben, wohingegen weder das Zielunternehmen noch ein anderes Unternehmen mehr als EUR 17,5 Mio. erwirtschaften durfte. Der Wert der Gegenleistung bleibt hingegen unverändert und beträgt nach wie vor EUR 400 Mio.

Neu eingeführt wird eine sog. Aufforderung zur Anmeldung künftiger Zusammenschlüsse, § 39a GWB: Damit wird das Bundeskartellamt Unternehmen nach vorheriger Sektoruntersuchung durch Verfügung für jeweils drei Jahre verpflichten können, alle Zusammenschlüsse innerhalb bestimmter Wirtschaftszweige anzumelden, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: Der Erwerber muss alleine weltweit Umsätze von mehr als EUR 500 Mio. und das Zielunternehmen mehr als EUR 2 Mio. erzielen, wobei zwei Drittel der Umsätze des Zielunternehmens auf Deutschland entfallen müssen. Es müssen Anhaltspunkte vorliegen, dass zukünftige Zusammenschlüsse den wirksamen Wettbewerb innerhalb der betroffenen Wirtschaftszweige behindern könnten. Der Erwerber muss innerhalb dieser Wirtschaftszweige Marktanteile von mindestens 15 % haben. Die Regelung zielt auf bisher fusionskontrollfreie schrittweise Erwerbsvorgänge ab, die zu einer flächendeckenden Marktkonzentration führen.

Weitere praxisrelevante Neuerungen sind u. a.: (i) Das Hauptprüfverfahren (Phase II) wird um einen Monat auf insgesamt fünf Monate seit Anmeldung verlängert. (ii) Elektronische Fusionskontrollanmeldungen sind zukünftig auch über das besondere elektronische Behördenpostfach zulässig, wodurch Anwälte über das besondere elektronische Anwaltspostfach Anmeldungen werden einreichen können. (iii) Die Pflicht zur Anzeige des Vollzugs eines Zusammenschlusses wird entfallen. (iv) Die sog. Bagatellmarktklausel wird von EUR 15 Mio. auf EUR 20 Mio. angehoben. (v) Für Pressezusammenschlüsse (nicht für den Rundfunk) wird der Umsatzmultiplikator von acht auf vier gesenkt. (vi) Für bestimmte Zusammenschlüsse im Krankenhausbereich findet die Fusionskontrolle zeitlich befristet keine Anwendung, § 186 Abs. 9 GWB.

 

Modernisierung der Missbrauchsaufsicht

Am 09.09.2020 wurde der Entwurf der Bundesregierung zum GWB-Digitalisierungsgesetz (GWB-E) veröffentlicht, der – mit verschiedenen Änderungen des Ausschusses für Wirtschaft und Energie – am 14.01.2021 vom Bundestag verabschiedet wurde und voraussichtlich in der ersten Jahreshälfte 2021 in Kraft treten wird. Ziel der Novelle ist es, einen Ordnungsrahmen zu schaffen, der auf die Anforderungen der Digitalisierung der Wirtschaft abgestimmt ist. Ein zentraler Bestandteil der 10. GWB-Novelle stellt die Modernisierung der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht dar, die insbesondere den missbräuchlichen Einsatz von Marktmacht durch große digitale Plattformen besser erfassen soll als bisher.

Eine der am intensivsten diskutierten geplanten Neuerungen betrifft weitreichende Eingriffsbefugnisse des Bundeskartellamtes gegen Unternehmen „mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb“ (§ 19a GWB-E). Nachdem das Bundeskartellamt (in einer auf fünf Jahre befristeten Entscheidung) eine solche Marktstellung festgestellt hat, die nicht notwendig Marktbeherrschung voraussetzt, kann es dem betroffenen Unternehmen bestimmte Verhaltensweisen untersagen. Hierzu gehören u. a. die Bevorzugung eigener Angebote, die Errichtung von Marktzutrittsschranken, das sog. „Aufrollen“ nicht beherrschter Märkte durch unbillige Praktiken (z. B. Kampfpreise, Exklusivbindungen, Bündelangebote) sowie das Fordern von unangemessenen Vorteilen für Vermittlungsleistungen (Anzapfverbot). Für Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Bundeskartellamtes aufgrund dieser neuen Eingriffsnorm soll - ein Novum im deutschen Kartellrecht – ausschließlich der Bundesgerichtshof zuständig sein, so dass über Rechtsmittel schnell innerhalb einer Instanz entschieden werden soll.

Von besonderer Bedeutung werden zudem die erweiterten Möglichkeiten sein, Zugang zu im Wettbewerb wichtigen Daten zu erhalten. Zu diesem Zweck wird die sog. „essential facilities doctrine“ (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-E) neu gefasst und um einen Anspruch auf Datenzugang gegen marktbeherrschende Unternehmen ergänzt. Aber auch nicht marktbeherrschende Unternehmen, von denen andere Unternehmen (beispielsweise aufgrund der Bedeutung der von ihnen gesammelten Daten) abhängig sind, können sich in Zukunft Ansprüchen auf Datenzugang ausgesetzt sehen (§ 20 Abs. 1a GWB-E). Für die Praxis von besonderer Relevanz ist, dass ein auf die Herausgabe von Daten gerichteter Kontrahierungszwang nicht nur von kleinen und mittleren Unternehmen geltend gemacht werden kann, sondern auch von großen (abhängigen) Unternehmen. Zudem sollen Datenzugangsansprüche auch vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden können, ohne dass zuvor eine Kartellbehörde eingeschritten ist.

Weitreichend ist ferner ein neuer Gefährdungstatbestand, aufgrund dessen Unternehmen mit überlegener Marktmacht auf Plattformmärkten das sog. „Tipping“ (Monopolisierung) von durch Netzwerkeffekten geprägten Märkten verboten ist (§ 20 Abs. 3a GWB-E). Die Norm zielt darauf, etwa eine Behinderung des Multi-Homing oder die Erschwerung von Plattformwechseln zu verhindern. Auch diese neue Norm soll nicht nur von den Kartellbehörden, sondern auch von Privaten vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden können. Hervorzuheben ist schließlich das Konzept der sog. „Intermediationsmacht“, das als neues Kriterium zur Ermittlung von Marktmacht eingeführt werden soll (§ 18 Abs. 3b, § 20 Abs. 1 S. 2 GWB-E). Gemeint sind damit von (digitalen) Plattformen erbrachte Vermittlungsdienstleistungen, die für den Zugang anderer Unternehmen zu Beschaffungs- und Absatzmärkten von besonderer Bedeutung sein können.

Erweiterte Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamts

Ein wesentlicher Anlass für die 10. GWB-Novelle ist die Umsetzung der Vorgaben der sogenannten ECN+ Richtlinie (RL 2019/1/EU) in das deutsche Kartellrecht. Die Vorgaben, die im Regierungsentwurf der Novelle umgesetzt wurden, betreffen unter anderem die Kronzeugenregelung, Sanktionen für Kartellrechtsverstöße sowie das gerichtliche Bußgeldverfahren.

Eine grundlegende Neuerung ist zudem die Ausweitung der Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamtes im Rahmen von Durchsuchungen. So soll es zukünftig – wie bereits derzeit im Unionsrecht – über die bloße Duldungspflicht hinaus auch eine bußgeldbewehrte Mitwirkungspflicht für natürliche Personen geben, die auch zu einer Einschränkung des Auskunftsverweigerungsrechts führt (§ 59b Abs. 3 GWB-RegE). Die Mitwirkungspflicht bezieht sich auf Informationen, die den Zugang zu Beweismitteln ermöglichen sowie Erläuterungen zu Fakten oder Unterlagen, die mit dem Gegenstand und dem Zweck der Durchsuchung in Verbindung stehen könnten. Soweit natürliche Personen zur Mitwirkung verpflichtet sind, müssen sie – falls die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert oder nicht zu erwarten ist – auch Tatsachen offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen. Unternehmen sollten daher im Falle der Umsetzung der Regelung Dawn-Raid Richtlinien und Guidelines entsprechend aktualisieren.

Eine weitere, ganz erhebliche Änderung bringt auch die Einschränkung des Auskunftsverweigerungsrechts im Rahmen von Auskunftsverlangen mit sich. Gemäß § 59 Abs. 3 GWB-RegE muss ein Auskunftsverlangen zwar verhältnismäßig sein und es darf den Adressaten nicht zum Geständnis einer Straftat, einer Ordnungswidrigkeit oder einer Zuwiderhandlung gegen eine Vorschrift des GWB oder Artikel 101 oder 102 AEUV zwingen. Soweit sich das Auskunftsverlangen an ein Unternehmen richtet, natürliche Personen aber zur Mitwirkung in Form der Erteilung von Auskünften oder der Herausgabe von Unterlagen verpflichtet sind, müssen diese auch Tatsachen offenbaren, die geeignet sind, eine Verfolgung wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit herbeizuführen, falls die Informationserlangung auf andere Weise wesentlich erschwert oder nicht zu erwarten ist.

Die Auskünfte, die von natürlichen Personen aufgrund dieser erweiterten Befugnisse erteilt werden müssen, dürfen aber nicht in einem strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verfahren gegen diese Person verwendet werden.

Werden Auskunftsverlangen unmittelbar an natürliche Personen gerichtet, gilt grundsätzlich das Aussageverweigerungsrecht des § 55 StPO entsprechend. Eine Berufung auf das Aussageverweigerungsrecht ist für natürliche Personen jedoch nicht möglich, soweit nur die Gefahr der Verfolgung im kartellbehördlichen Bußgeldverfahren besteht und die Kartellbehörde diese Gefahr durch eine Nichtverfolgungszusage beseitigt. Diese Änderungen stellen dementsprechend einen deutlichen Einschnitt in die Verteidigungsrechte von Unternehmen in Kartellrechtsverfahren dar.

Bußgeldverfahren

Auch in Hinblick auf Bußgeldverfahren bringt die 10. GWB-Novelle eine Reihe von bedeutsamen Änderungen mit sich.

Eine der wesentlichen diesbezüglichen Änderungen ist die Erweiterung der Ermittlungsbefugnisse des Bundeskartellamtes sowohl bei Durchsuchungen, als auch bei Auskunftsverlagen und die damit verbundenen Einschränkungen des Auskunftsverweigerungsrechts.

Weiterhin führt der Entwurf zu einer deutlichen Verschärfung der Geldbußen, die für Verstöße gegen bestimmte Verfahrenspflichten verhängt werden können (§ 81c Abs. 3 GWB-RegE). Insofern wird der Bußgeldrahmen von derzeit max. EUR 100.000 auf bis zu 1 % des konzernweiten Vorjahresumsatzes erhöht. Damit soll eine Angleichung zu dem Bußgeldrahmen auf EU-Ebene erreicht werden. Zu den betroffenen Verhaltenspflichten gehören unter anderem die Beantwortung von Auskunftsverlangen gemäß § 59 Abs. 2 oder Abs. 4 GWB-RegE, die Verhinderung von Durchsuchungen sowie der Siegelbruch.

Gerade im Hinblick auf Unternehmensvereinigungen führt der Entwurf zudem zu einer doppelten Verschärfung der Haftungsrisiken. Zunächst wird der anwendbare Bußgeldrahmen ganz erheblich erweitert. Hängt der bebußte Verstoß mit den Tätigkeiten der Mitglieder im Zusammenhang, kann das Bußgeld zukünftig bis zu 10 % des Gesamtumsatzes der Mitglieder betragen, die auf dem betroffenen Markt tätig waren. Umsätze von Mitgliedern, gegen die bereits eigenständig ein Bußgeld festgesetzt wurde, dürfen dabei nicht berücksichtigt werden (§ 81c Abs. 4 GWB-RegE). Zudem wird eine Art Ausfallhaftung für die Mitglieder einer Unternehmensvereinigung geschaffen. Kann die Unternehmensvereinigung eine gegen sie verhängte Geldbuße nicht begleichen, sollen zukünftig unter bestimmten Voraussetzungen ihre Mitglieder dafür haften (§ 81b Abs. 2 und 3 GWB-RegE). Diese Neuregelungen bergen daher das Risiko, wonach die bloße Beteiligung an einem Verband auch ein Haftungsrisiko für mögliche Kartellverstöße mit sich bringt.

Das bislang in den Leitlinien des Bundeskartellamtes geregelte Kronzeugenverfahren soll nunmehr in den §§ 81h-l GWB-RegE kodifiziert werden. Bis auf kleinere Abweichungen bleibt es im Wesentlichen bei einer inhaltlichen Kontinuität der bisherigen Voraussetzungen.

Durch § 81d GWB-RegE soll zukünftig ein nicht abschließender Katalog an Kriterien für die Bußgeldzumessung in das GWB aufgenommen werden. Eines der genannten Kriterien ist dabei der tatbezogene Umsatz. Damit soll es zu einer Angleichung der teilweise ganz erheblichen und verfassungsrechtlich problematischen Divergenz in der Bußgeldberechnung zwischen dem Bundeskartellamt und dem Oberlandesgericht Düsseldorf kommen. Auch wenn die gesetzliche Regelung der Vorgaben für die Bußgeldberechnung zu begrüßen ist, stellt diese immer noch nicht sicher, dass das Bundeskartellamt und das Oberlandesgericht Düsseldorf zukünftig tatsächlich zu einer einheitlichen Anwendung der „insbesondere zu berücksichtigenden“ Kriterien bewegt werden.

Revision des EU-(Wettbewerbs-)Recht

Novellierung der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung - nächste Phase startet

Am 31. Mai 2022 laufen die derzeit geltende Gruppenfreistellungsverordnung (EU) Nr. 330/2010 („Vertikal-GVO“) sowie die dazugehörigen Vertikal-Leitlinien der Europäischen Kommission aus. Der Novellierungsprozess startete im Oktober 2018 mit der Evaluierungsphase, welche im September 2020 mit Veröffentlichung des Staff Working Documents der Europäischen Kommission abgeschlossen wurde. Inzwischen hat die Phase der Folgenabschätzung begonnen.

Die Vertikal-GVO sowie die Vertikal-Leitlinien wurden eingeführt, um insbesondere Unternehmen bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit vertikaler Vereinbarungen vor dem Hintergrund des Kartellverbots (Art. 101 AEUV) zu unterstützen. Während die Regelungen für bestimmte vertikale Vereinbarungen einen „sicheren Hafen“ schaffen, wird für andere festgestellt, dass diese in der Regel gegen das Kartellverbot verstoßen. Insofern sollen Verordnung und Leitlinien die Rechtssicherheit erhöhen. Die Digitalisierung und die Zunahme des Online-Handels sowie die wachsende Anzahl an Online-Plattformen (als Vermittler) haben seit Erlass der letzten Vertikal-GVO im Jahr 2010 zu nicht unerheblichen Veränderungen auf den Märkten und bei den Vertriebsmodellen geführt. Die Corona-Pandemie der letzten Monate beschleunigte diese Entwicklungen zusätzlich. Beispielsweise hat die Anzahl der Direktverkäufe sowie der Einsatz selektiver Vertriebssysteme zugenommen. Im Rahmen der Evaluierungsphase stellte sich die Europäische Kommission insofern die Frage der weiteren Verfahrensweise bezüglich der bestehenden Regelungen: Auslaufen lassen, verlängern oder überarbeiten.

Deshalb führte die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation durch, bei der alle Stakeholder über vorbereitete Fragebögen oder eigene Stellungnahmen Rückmeldungen zu den bestehenden Regelungen geben konnten. In einem vertiefenden Stakeholder-Workshop wurden diese Ergebnisse diskutiert. Als weitere Informationsquellen dienten der Europäischen Kommission eine externe Studie, die Sektoruntersuchung zum elektronischen Handel, eine Konsultation der nationalen Wettbewerbsbehörden sowie Erkenntnisse aus deren, aber auch aus der eigenen Entscheidungspraxis.

Das Staff Working Document fasst die gesamte Evaluationsphase und die in deren Rahmen gewonnenen Erkenntnisse zusammen. Im Ergebnis stellt die Europäische Kommission fest, dass Vertikal-GVO und Leitlinien auch weiterhin bestehen bleiben sollten, aber einer Überarbeitung bedürfen. Im Mittelpunkt stünden dabei die Beseitigung sprachlicher Unklarheiten, die Berücksichtigung aktueller Rechtsprechung und eine Anpassung an die Entwicklungen im Online-Bereich. Ausdrücklich genannt werden insbesondere folgende Bereiche: selektiver Vertrieb; dualer Vertrieb; Handelsvertreterverträge; Paritätsklauseln; und Behandlung von Online-Shops, Marktplätzen und Preisvergleichsinstrumenten. Zu Umfang oder Art und Weise der Änderungen wurde noch keine Stellung bezogen.

Basierend auf den bisher gewonnenen Erkenntnissen will die Europäische Kommission mit der Folgenabschätzung herausfinden, inwieweit EU-Maßnahmen erforderlich sind, und welche möglichen Auswirkungen die verschiedenen Lösungsansätze haben könnten. Ein erster, neuer Entwurf der Vertikal-GVO und Vertikal-Leitlinien soll im Laufe des Jahres 2021 veröffentlicht werden, mit Möglichkeiten zur Stellungnahme für Stakeholder.

Weitere Informationen zum Reformprozess.

 

Ein neuer EU-Rechtsrahmen für die Digitalwirtschaft

Am 15. Dezember 2020 stellte die Europäische Kommission weitreichende Vorschläge zur Regulierung von Online-Plattformen in Form des Digital Markets Act (DMA) und des Digital Services Act (DSA) vor.

Aus kartellrechtlicher Perspektive bringt vor allem der DMA erhebliche Neuerungen mit sich. Die Europäische Kommission ist in den vergangenen Jahren immer wieder auf Basis des kartellrechtlichen Missbrauchstatbestands (Art. 102 AEUV) gegen Online-Plattformen wie Google und Amazon vorgegangen. Nun möchte die Europäische Kommission mit dem DMA eine ergänzende Rechtsgrundlage schaffen, auf deren Basis „schneller und gezielter“ gegen wettbewerbsschädliche Praktiken von „systemrelevanten“ Online-Plattformen vorgegangen werden kann.

Der DMA sieht eine Reihe von Kriterien vor, nach welchen große Online-Plattformunternehmen zunächst als sogenannte „Gatekeeper“ eingestuft werden sollen. Anhand dieser Kriterien soll überprüft werden, ob (i) die Online-Plattform eine starke wirtschaftliche Position mit erheblichen Auswirkungen auf den Binnenmarkt innehat und in mehreren EU-Ländern aktiv ist, (ii) sie über eine starke Vermittlungsposition verfügt, das heißt, eine große Nutzerbasis mit einer großen Anzahl von Unternehmen verbindet und (iii) ob sie eine gefestigte und dauerhafte Markstellung hat, das heißt langfristig operieren wird. Hierzu wurden im Wesentlichen Umsatz- und Nutzerzahlen-Schwellenwerte definiert (z. B. mehr als EUR 6,5 Mrd. Jahresumsatz im Europäischen Wirtschaftsraum und mehr als 45 Mio. Nutzer eines Kern-Produkts der Online-Plattform). Für die dauerhafte und gefestigte Position im Markt ist entscheidend, ob die zuvor genannten Umsatz- und Nutzerzahlen-Schwellenwerte in drei aufeinanderfolgenden Jahren überschritten wurden.

Für diejenigen Unternehmen, die von der Europäischen Kommission als „Gatekeeper“ eingestuft werden, gelten besondere Verhaltenseinschränkungen oder -vorgaben. Sie müssen innerhalb von sechs Monaten eine sogenannte „Do’s“ und „Don’ts“-Liste erfüllen. Die regulatorische Besonderheit an der „Do’s“ und „Don’ts“-Liste ist, dass diese nach dem Entwurf des DMA zwar einige fixe Verhaltensvorgaben vorsieht, aber außerdem für jeden Gatekeeper individuelle Anpassungen (auf Basis eines gesetzlichen Maßnahmenkatalogs) ermöglicht. Als Beispiel für ein mögliches „Do“ führt die Europäische Kommission die Sicherstellung der Interoperabilität plattformeigener Dienste mit denen von Dritten an. Beispiel für ein „Don’t“ ist das Verbot der Ungleichbehandlung von Diensten und Produkten Dritter gegenüber den plattformeigenen (Selbstbevorzugungsverbot).

Wie bisher bereits missbräuchliche Verhaltensweisen von marktbeherrschenden Unternehmen, können auch Verstöße gegen die Vorgaben „seiner“ „Do’s“ und „Don’ts“-Liste für einen „Gatekeeper“ beträchtliche Geldbußen von bis zu 10 % des weltweilten Jahresumsatzes des Unternehmens oder Zwangsgelder nach sich ziehen. Zudem können noch weitergehende Maßnahmen zur Sicherstellung der Einhaltung der „Do’s“ und „Don’ts“-Liste ergriffen werden.

Die Verordnungs-Vorschläge des DMA und des DSA werden nun im üblichen EU-Gesetzgebungsverfahren vom Europäischen Parlament und den Mitgliedstaaten diskutiert. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen die Vorschläge auf dem Weg zur Gesetzwerdung noch erfahren, und ob das Gesetzgebungsverfahren bereits im Jahr 2021 abgeschlossen werden kann.

 

Weißbuch der Europäischen Kommission zu Subventionen aus Drittstaaten

Am 17.06.2020 verabschiedete die Europäische Kommission ihr lange erwartetes Weißbuch zu Subventionen aus Drittstaaten im Binnenmarkt. In diesem werden neuartige und durchaus weitreichende Vorschläge zur Bekämpfung von verzerrenden Auswirkungen ausländischer Subventionen in der EU vorskizziert. Das Weißbuch fokussiert sich auf wirtschaftliche Aktivitäten innerhalb des EU-Binnenmarktes, die von Subventionen aus Drittstaaten profitiert haben und die nicht unter die bestehenden Wettbewerbs- und Handelsschutzvorschriften der EU fallen. Ziel ist es, eine Regulierungslücke zu schließen. Der (ehemalige) EU-Handelskommissar Phil Hogan merkte hierzu an: „Die EU zählt zu den offensten Volkswirtschaften der Welt und zieht umfangreiche Investitionen unserer Handelspartner an. Unsere Offenheit wird jedoch zunehmend durch Handelspraktiken von Drittstaaten auf die Probe gestellt – so auch durch Subventionen, die die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen in der EU verzerren. Das Weißbuch ergänzt andere EU-Instrumente wie die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen und Handelsschutzmaßnahmen. Es bereichert unser Instrumentarium für eine offene strategische Autonomie.

Vorgesehen ist u. a. ein allgemeines Marktüberprüfungsinstrument, um alle Situationen zu erfassen, in denen Subventionen aus Drittstaaten Verzerrungen im Binnenmarkt bewirken können. Die Aufsichtsbehörde (mitgliedstaatliche Behörde oder die Europäische Kommission) könnte dann auf einen Hinweis oder die Information hin, dass ein Unternehmen in der EU durch die Subvention eines Drittstaats begünstigt wird, tätig werden.

Weiterhin stehen Voranmeldepflichten für geplante Übernahmen und öffentliche Ausschreibungen, die durch ausländische Subventionen erleichtert werden, in der Diskussion. So sollen Unternehmen, die von einem Drittstaat finanzielle Unterstützung erhalten, den Erwerb von EU-Unternehmen oberhalb eines bestimmten Schwellenwerts bei der zuständigen Aufsichtsbehörde anmelden. Im Weißbuch wird die Europäische Kommission als zuständige Aufsichtsbehörde vorgeschlagen. Die Transaktionen könnten erst nach Abschluss der von der Europäischen Kommission durchgeführten Prüfung vollzogen werden.

Alle Interventionsmaßnahmen würden die regulatorische Komplexität von Transaktionen, die oft bereits fusions- und investitionskontrollrechtlichen Anmeldepflichten unterliegen, und wirtschaftlichen Aktivitäten in der EU erheblich erhöhen. 

Das fast 50 Seiten starke Dokument leitete einen Konsultationszeitraum bis zum 23.09.2020 ein, in dem Interessensgruppen der Europäischen Kommission ihre Meinung mitteilen konnten. Die Ergebnisse der Konsultation liegen mittlerweile vor. Es gingen fast 150 Stellungnahmen ein. Fast alle Mitgliedstaaten befürworten im Grundsatz neue gesetzgeberische Maßnahmen, allerdings mit einigen Nuancen bezüglich des Grads der Unterstützung. Andere EU-Akteure begrüßen die Initiative auch mehrheitlich und sind der Ansicht, dass ein echter Bedarf für das neue Instrument besteht. Aus Drittstaaten wurde, wenig überraschend, hingegen Kritik geäußert.

Die öffentliche Konsultation war Teil der Vorbereitung eines Legislativvorschlags der Europäischen Kommission in diesem Bereich. Dieser ist bereits für das zweite Quartal 2021 avisiert. Eine Umsetzung aller Vorschläge könnte eine der wichtigsten Änderungen der Binnenmarktregeln seit Einführung der Fusionskontrolle darstellen.

 

Die Ära der Foreign Investment Screening Verordnung beginnt

Die Investitionskontrolle ist in Europa unwiderruflich auf dem Vormarsch. Immer mehr Staaten wollen Akquisitionen ihrer im Inland ansässigen, „nationalen“ Unternehmen aus sicherheitspolitischer Sicht überprüfen. Seit dem 11.10.2020 gilt in der Europäischen Union die neue Foreign Investment Screening Verordnung (EU) 2019/452 (die „Verordnung“). Während die Verordnung an der Oberfläche wenig revolutionär scheint – sie führt kein dem Fusionskontrollverfahren äquivalentes Prüfverfahren auf europäischer Ebene ein, und überlässt die Entscheidung bzgl. der Einrichtung eines nationalen Regimes den Mitgliedstaaten – hat sie signifikante rechtliche und praktische Konsequenzen.

Zwei der wichtigsten Neuerungen sind die Einführung (i) eines Kooperationsmechanismus und (ii) einer Reihe an Mindestanforderungen an mitgliedstaatliche Investitionsprüfverfahren (vgl. hierzu auch Noerr News vom 22.6.2020). Der Kooperationsmechanismus verpflichtet Mitgliedstaaten dazu, Informationen zu laufenden Prüfverfahren sowohl untereinander als auch mit der Europäischen Kommission auszutauschen. Hat die geplante Transaktion potentiell Auswirkungen in anderen Mitgliedstaaten, können sowohl andere Mitgliedstaaten als auch die Europäische Kommission Stellungnahmen abgeben, die der prüfende Staat berücksichtigen muss. Die prozessrechtlichen Mindestanforderungen beziehen sich vor allem auf Transparenzgebote, Fristenregelungen und die Einführung von Anfechtungsmöglichkeiten.

Während die Verordnung Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, eigene Investitionsprüfverfahren einzuführen, sprach die Europäische Kommission im Zuge der Covid-19-Pandemie eine sehr deutliche Empfehlung dahingehend aus. Bisher verfügen fünfzehn Mitgliedstaaten über nationale Verfahren, während fünf bereits an neuen Regimen arbeiten. Weitere Länder, unter anderem Deutschland, haben ihre Prüfverfahren angesichts der Pandemie und im Zuge der Anpassung an die Verordnung weiter verschärft. Der sich nun ergebende Flickenteppich von Prüfverfahren, die – im Durchschnitt – längeren Prüffristen als in Fusionskontrollverfahren und das Fehlen veröffentlichter Entscheidungspraxis und begleitender Richtlinien und Mitteilungen geben Unternehmen Anlass, Anmeldeerfordernisse im Vorfeld genau zu prüfen.

Die Verordnung hat neben den rechtlichen auch praktische Auswirkungen. Die vielleicht größte Folge der Verordnung – die es zu beobachten gilt – ist der gesteigerte Informationsaustausch zwischen Mitgliedstaaten und der politische Druck, Transaktionen vermehrt zu überprüfen.

Die Einführung neuer Instrumente, vor allem, wenn diese in den Mitgliedstaaten unterschiedlich ausgestaltet werden, kann zu divergierenden Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union führen. Noch ist unklar, wie sich die Verordnung im Einzelnen auswirken wird, doch werden folgende Fragen bedeutsam sein: 

  • Wie häufig werden Mitgliedstaaten und vor allem die Europäische Kommission von ihrem Recht Gebrauch machen, laufende Verfahren zu kommentieren? In welchem Grad werden diese Kommentare tatsächlich berücksichtigt?
  • Müssen Prüfverfahren verlängert werden, um den Fristen für die Abgabe von Stellungnahmen Rechnung zu tragen?

  • Wie werden sich Fusions- und Investitionskontrollverfahren zueinander verhalten, vor allem wenn Freigaben die Erfüllung gegensätzlicher Abhilfemaßnahmen vorsehen?

  • Werden Unternehmen die derzeit auf nationaler Ebene oft beschränkte Anfechtbarkeit bei den europäischen Gerichten einfordern?

Wettbewerbsrecht und Nachhaltigkeit

 

Kommt ein „New Ecological Approach“ für das EU-Kartellrecht?

Mit dem sogenannten Green New Deal verfolgt die Europäische Kommission das Ziel, bis zum Jahr 2050 eine klimaneutrale, nachhaltige Wirtschaft in der EU zu etablieren. Die Diskussion dazu hat auch das Kartellrecht erreicht und dreht sich dabei im Wesentlichen um zwei Kernthemen.

Kartellverbot

Offen ist, inwieweit Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die beispielsweise dem Umweltschutz oder der CO2-Reduzierung dienen, mit dem Kartellverbot in Einklang zu bringen sind. Denn auch Vereinbarungen darüber, gemeinnützige Ziele umzusetzen, können den Wettbewerb beeinträchtigen.

Möchten zum Beispiel Unternehmen brancheneinheitlich vereinbaren, dass nur noch eine festgelegte Menge an CO2 für die Produktion einer Produkteinheit verursacht werden darf, besteht das Risiko, dass diese Vereinbarung gegen das Kartellverbot verstößt. Ähnlich problematisch kann die Etablierung eines Kreislaufwirtschaftssystems sein, das ebenfalls branchenweite Vereinbarungen erfordert. Darüber hinaus zielen auch immer mehr Forschungs- und Entwicklungskooperationen darauf ab, Produkte klimafreundlicher zu gestalten. Auch diesbezüglich sind die üblichen kartellrechtlichen Vorgaben zu beachten.

Keinesfalls neu ist dabei die zugrundeliegende Frage, welche Rolle Gemeinwohlziele (wie bspw. Nachhaltigkeit) im Rahmen des Kartellverbotstatbestands einnehmen. Die Europäische Kommission hat in ihren Horizontalleitlinien bereits Voraussetzungen definiert, wann Kooperationen zur Umsetzung von technischen Normen oder Gütezeichen, die Gemeinwohlaspekten dienen, von der Anwendung des Kartellverbots ausgenommen sein sollen. Nicht ausdrücklich festgelegt ist zwar, dass eine nachhaltige Produktion von Waren ein anerkannter Gemeinwohlaspekt ist, jedoch ist eine dahingehende Wertung durchaus möglich. Zudem steht zu erwarten, dass in einer Neufassung der Horizontalleitlinien eine entsprechende Klarstellungen enthalten sein wird.

Kurzum: Vor dem Hintergrund der Diskussion auf politischer Ebene können (und wollen) sich Kartellbehörden in der Fallbearbeitung gegenüber entsprechenden Argumenten wohl nicht mehr verschließen, was zu Erleichterungen bei Kooperationen zwischen Wettbewerbern unter Nachhaltigkeitsaspekten führen könnte.

Fusionskontrolle

Auch der Umgang mit Nachhaltigkeitsaspekten im Rahmen der Fusionskontrolle ist noch nicht abschließend geklärt.

Kann bei der Zusammenschlusskontrolle (künftig) von den Unternehmen mit ökologischen Argumenten argumentiert und die Wettbewerbsbehörde zur Freigabe überzeugt werden, auch wenn das Vorhaben unter wettbewerblichen Gesichtspunkten kritisch gesehen wird? Oder können Zusammenschlüsse gar mit der Begründung untersagt werden, dass von dem entstehenden Unternehmen klimaschädliche Auswirkungen erwartet werden?

Insofern bleibt abzuwarten, inwieweit dahingehende Argumente künftig Eingang in Entscheidungen finden. Klar dürfte aber sein, dass diese auch im Rahmen der Fusionskontrolle an Bedeutung gewinnen.

Die Wettbewerbsbehörden mehrerer europäischer Länder haben die hier erwähnten Fragen bereits in Veröffentlichungen problematisiert und das Thema damit eigenständig auf ihre Agenda gesetzt (etwa Deutschland, Frankreich, Griechenland und Niederlande). Nicht auszuschließen ist daher, dass Unternehmen künftig mit Wettbewerbsbehörden auch darüber diskutieren, was unter Nachhaltigkeit zu verstehen ist. Die Fallpraxis der kommenden Jahre kann mit Spannung erwartet werden. Eindeutige Bewertungsmaßstäbe werden sich wohl erst durch die Zunahme entsprechender Fälle entwickeln. Die Möglichkeit Gemeinwohlziele zu berücksichtigen, steht Wettbewerbsbehörden jedenfalls auch heute schon offen.

 

Reform des EU-Beihilfenrechts im Lichte des Green New Deal 

Es sind insbesondere die Beihilfevorschriften, die aus Sicht der Europäischen Kommission die Förderung der Prioritätsachsen des sogenannten Green New Deals (Dekarbonisierung, Energieeffizienz, nachhaltige Mobilität, Kreislaufwirtschaft, Null-Schadstoff-Aktionsplan) ermöglichen können. Sie werden derzeit umfassend überprüft, um zu ermitteln, ob es noch Verbesserungspotential gibt. Aufgrund ihrer zentralen Rolle beabsichtigt die Europäische Kommission, die Überarbeitung der relevanten Beihilfeleitlinien bereits auf Ende 2021 vorzuziehen. Dies gilt für die Regionalbeihilfeleitlinien, die Mitteilung über wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI), den Unionsrahmen für staatliche Beihilfen zur Förderung von Forschung, Entwicklung und Innovation, die Risikofinanzierungsleitlinien, die Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien und die einschlägigen Bestimmungen der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung.

Den ersten Schritt machte jedoch die Überprüfung der Leitlinien für Beihilfen im Zusammenhang mit dem System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten (EHS). Die überarbeiteten EHS-Leitlinien wurden im September 2020 angenommen und treten am 1. Januar 2021 in Kraft. Sie sollen die Gefahr verringern, dass Unternehmen Produktionskapazitäten – und damit CO2-Emissionen – in Länder außerhalb der EU mit weniger ehrgeizigen Klimazielen verlegen.

Hinsichtlich der Leitlinien für staatliche Umweltschutz- und Energiebeihilfen hat die Europäische Kommission im November 2020 eine öffentliche Konsultation ins Leben gerufen, die bereits verschiedene Aspekte der künftigen Überprüfung abdeckt (insbesondere in Bezug auf das Zusammenspiel der Leitlinien mit der Umsetzung des Green New Deal). Stakeholder konnten ihr Feedback bis zum 7. Januar 2021 abgeben – eine wichtige Möglichkeit auch für Unternehmen, sich in den Gestaltungsprozess einzubringen. Die neuen Leitlinien werden den beihilferechtlichen Rahmen für viele künftige Unternehmensprojekte setzen. Die Europäische Kommission plant, im Jahr 2021 eine weitere öffentliche Konsultation zum neuen Textentwurf der überarbeiteten Leitlinien durchzuführen.

Am 13. Oktober 2020 startete die Europäische Kommission zudem eine allgemeine Aufforderung zur Einreichung von Beiträgen zum Thema Wettbewerbsregeln und Nachhaltigkeitspolitik. Ein wesentlicher Teil der Fragen betraf die Beihilfenkontrolle: Welche wesentlichen Änderungen wären notwendig? Wie könnte erreicht werden, dass niedrigere oder weniger Beihilfen für Tätigkeiten mit negativen Umweltauswirkungen oder höhere Beihilfen zur Unterstützung von Umweltzielen gewährt werden können? Bis zum Fristablauf am 20. November 2020 gingen rund 200 Beiträge ein. Diese werden nun von der Europäischen Kommission analysiert und anschließend auf einer Konferenz am 4. Februar 2021 vorgestellt.

Weitere Überarbeitungen werden folgen, sodass sich im Jahr 2021 zusätzliche wesentliche Änderungen an den bestehenden Beihilferechtsvorschriften abzeichnen dürften.

 

Kartellschadensersatz in Deutschland

Schadensschätzung und Gerichtsgutachten

Nachdem der Bundesgerichtshof im Jahr 2020 in seiner Entscheidungsserie zum Schienenkartell wesentliche Fragen des Anspruchsaufbaus geklärt und Vorgaben für die tatrichterliche Würdigung gemacht hat, ist der Rahmen gesetzt. Die Instanzgerichte müssen in der Vielzahl anhängiger Verfahren nunmehr die einzelnen Zuwiderhandlungen beleuchten und den – auch ökonomischen – Parteivortrag im Einzelfall umfassend würdigen. Dabei deutet sich bereits heute ein durchaus unterschiedliches Vorgehen zwischen den verschiedenen Gerichten an.

In einigen, auch prominenten Verfahren zum LKW-Komplex oder dem Drogeriekartell sind Klagen bereits daran gescheitert, dass die vorgelegten Parteigutachten der Kläger einer kritischen Betrachtung durch das jeweilige Gericht nicht standhielten. Dies insbesondere, weil ein Zusammenhang zwischen festgestellter Zuwiderhandlung und Herleitung des Schadens fehlte.

Weitere Landgerichte haben schon in der Vergangenheit Gerichtsgutachter bestellt, die den jeweiligen Fall auf einen möglichen Schaden untersuchten. Erste Verfahren sind weit fortgeschritten. Jedoch konnte teils, so z. B. jüngst vom Landgericht Köln im Zuckerkartell, kein Kartelleffekt festgestellt werden, sodass Klagen abgewiesen werden mussten. Insgesamt ist der Gutachterprozess aufwändig und dauert, weshalb auf einen Fall, bei dem ein deutsches Gericht auf Grundlage eines Gutachtens Schäden ermittelt und zugesprochen hat, noch gewartet werden muss.

In einem ersten Urteil vom 30.09.2020 (Az. 8 O 115/14) hat zwar das Landgericht Dortmund der dortigen Klägerin einen Mindestschaden von 15 % zugesprochen. Es hat diese Entscheidung jedoch nicht auf Gerichts- oder Parteigutachten gestützt, sondern diesen Betrag in freier tatrichterlicher Schätzung nach § 287 ZPO festgesetzt. Der Vorsitzende des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf, Prof. Dr. Kühnen, hatte zuvor ein derartiges Vorgehen in einem Aufsatz (NZKart 2019, 515) angeregt. Das Landgericht Dortmund zieht nun für seine Wertung Dauer, Organisationsgrad und Marktabdeckung des Kartells heran und stützt sich auf die „wirtschaftliche Vernunft“ des Kartellanten im Hinblick auf das Risiko, bei Entdeckung Schadensersatz zu zahlen zu müssen: Hier dient dem Gericht eine bei einem – von mehreren – Projekten vereinbarte Vertragsstrafe von 15 % als Anker. Das Urteil löste unmittelbar lebhafte Debatten aus, würde ein derartiges Vorgehen den Weg für Kläger deutlich verkürzen. Doch es ist zu bezweifeln, dass eine derart vereinfachte Betrachtung, die insbesondere Parteigutachten nicht näher berücksichtigt, den vom Bundesgerichthof herausgearbeiteten Anforderungen an eine tatrichterliche Gesamtwürdigung des gesamten Parteivortrags (zuletzt Schienenkartell V, Urteil vom 23.09.2020, KZR 4/19, Rn. 27 f.) Stand hält.

Dieses Spannungsfeld von Substantiierungsanforderungen, gerichtlichen Gutachten, freier Schätzung oder gar einer Pauschalierung wird in der näheren Zukunft die Debatte beim Thema Kartellschadensersatz bestimmen. Dabei bleibt viel Raum für den Einzelfall und im Rechtsstreit sind überzeugende ökonomische Argumente gefordert.

 

Digitale Themen des kommenden Jahres

 

Die Bedeutung von Daten und die Kartellverfahren gegen Facebook

Facebook steht weltweit im Fokus der Kartellbehörden. Bei der Europäischen Kommission laufen Ermittlungen wegen „datenbezogener Praktiken“ (AT.40628) und wegen des Vorwurfs von Missbräuchen beim „Facebook Marketplace“ (AT.40684). Derweil klagen in den USA die Federal Trade Commission und die Generalstaatsanwälte von 46 Bundesstaaten, dem District of Columbia und Guam gegen Facebook. Der Vorwurf lautet, Facebook habe durch die Übernahme von Instagram und WhatsApp und durch wettbewerbsbeschränkende Bedingungen für Softwareentwickler ein illegales Monopol aufgebaut (Pressemitteilung vom 09.12.2020). Und in Deutschland hat das Bundeskartellamt dem Unternehmen bereits 2019 Beschränkungen bei der Sammlung von Nutzerdaten auferlegt (Pressemitteilung vom 07.02.2019). Im Dezember 2020 ist ein Missbrauchsverfahren wegen der Verknüpfung der Virtual-Reality-Brille „Oculus“ mit dem Facebook-Netzwerk hinzugekommen (Pressemitteilung vom 10.12.2020).

Eine Gemeinsamkeit der genannten Verfahren ist die zentrale Rolle, die das Sammeln von Nutzerdaten in dem Geschäftsmodell von Facebook spielt. Aus kartellrechtlicher Sicht ist Facebook eine Plattform mit zwei Marktseiten. Auf der einen Seite stehen die privaten Nutzer. Für sie ist die Nutzung des Netzwerks in dem Sinne kostenlos, als dass sie keine monetäre Gegenleistung erbringen müssen. Ihre eigentliche Gegenleistung sind die persönlichen Daten, die Facebook über seine Nutzer sammelt. Facebook monetarisiert diese Daten auf der zweiten Marktseite durch den Verkauf von Online-Werbung. Diese Werbung gilt als besonders effektiv, weil die Werbebotschaften auf der Grundlage der gesammelten Daten gezielt und hochgradig personalisiert ausgerollt werden können.

Das Bundeskartellamt hat Facebook mit seinem Beschluss vom 6. Februar 2019 die Verwendung bestimmter Nutzungsbedingungen untersagt. Im Wesentlichen geht es darum, dass Facebook Daten nicht nur über das Verhalten der Nutzer auf dem sozialen Netzwerk sammelt („On-Facebook“), sondern auch bei der Nutzung anderer konzerneigener Dienste (z. B. WhatsApp, Instagram) und auf Drittseiten („Off-Facebook“). Der Beschluss des Bundeskartellamtes verbietet das Sammeln und Verknüpfen der Daten aus den verschiedenen Quellen ohne ausdrückliche Einwilligung des Nutzers.

Gegen den Beschluss des Bundeskartellamtes hat Facebook beim Oberlandesgericht Düsseldorf Beschwerde eingelegt. Über diese Beschwerde ist noch nicht entschieden. Ein parallel eingereichter Eilantrag (auf aufschiebende Wirkung gemäß § 65 Abs. 3 Satz 3 GWB) war jedoch erfolgreich, sodass Facebook die Untersagung des Bundeskartellamtes zunächst nicht umsetzen musste (Beschluss vom 26.08.2019, Kart 1/19 (V)). Der Bundesgerichtshof hat die Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf in einem richtungsweisenden Beschluss aufgehoben und die Entscheidung des Bundeskartellamtes bestätigt (Beschluss vom 23.06.2020, KVR 69/19, dazu Noerr News vom 14.09.2020).

Die Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf in der Hauptsache wird für die erste Jahreshälfte 2021 erwartet. Darüber hinaus hat das Oberlandesgericht Düsseldorf im Dezember 2020 in einem zweiten Eilverfahren erneut den Beschluss des Bundeskartellamtes außer Kraft gesetzt. Hiergegen hat das Bundeskartellamt Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt, über die der Bundesgerichtshof Anfang 2021 entscheiden könnte.

 

Enge Bestpreisklausel vor dem Bundesgerichtshof

Nach dem Verbot sogenannter weiter Bestpreisklauseln durch das Bundeskartellamt (B 9-66/10, Beschluss vom 20.12.2013) und das Oberlandesgericht Düsseldorf (Kart 1/14 (V), Beschluss vom 09.01.2015) könnte nunmehr der Bundesgerichtshof auch sogenannte enge Bestpreisklauseln für kartellrechtlich unzulässig erklären.

Streitgegenständlich ist die enge Bestpreisklausel des Hotelplattformbetreibers Booking.com: Danach dürfen Hotelunternehmen zwar – anders als bei einer weiten Bestpreisklausel – auf anderen Plattformen, nicht jedoch auf ihrer eigenen Webseite bessere Konditionen als auf Booking.com für ihre Zimmer anbieten.

Das Bundeskartellamt hatte diese enge Bestpreisklausel mit Beschluss vom 22.12.2015 (B 9-121/13) für kartellrechtswidrig erklärt.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hob diese Entscheidung mit Beschluss vom 04.06.2019 (Kart 2/16 (V)) auf, weil es sich bei der engen Bestpreisklausel im konkreten Fall um eine kartellrechtlich neutrale und notwendige Nebenabrede handle, die für die Durchführung des Dienstleistungsvertrages zwischen Booking.com und den Hotelunternehmen zur Vermeidung von „Trittbrettfahrern“ erforderlich sei. Hierunter sind Kunden zu verstehen, die zwar die (kostenlose) Beratungsleistung von Booking.com in Form der Hotelsuche nutzen, aber die Buchung dann zu einem günstigeren Preis auf der Homepage des Hotels abschließen. Infolgedessen erachtete das Oberlandesgericht Düsseldorf die enge Bestpreisklausel aufgrund des Immanenzgedankens vom Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgenommen.

Dagegen hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14.07.2020 (KVZ 56/19) die Rechtsbeschwerde zugelassen, weil die durch das Oberlandesgericht Düsseldorf adressierte Rechtsfrage bisher – anders als dieses in seinem erstinstanzlichen Beschluss ausführte – höchstrichterlich nicht entschieden sei. Der Fall wird damit neu aufgerollt und durch den Bundesgerichtshof oder ggf. im Rahmen eines Vorlageverfahrens durch den Europäischen Gerichtshof abschließend geklärt. Bis dahin bleibt abzuwarten, ob die enge Bestpreisklausel im Einklang mit dem Kartellrecht steht.

 

Brandgating: Amazon erneut im Fokus des Bundeskartellamts

Dass die digitale Wirtschaft, hier insbesondere Internetplattformen, ganz oben auf der Agenda des Bundeskartellamts steht, betont Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, regelmäßig (siehe z. B. hier). Das laufende Verfahren des Bundeskartellamts gegen Amazon und Apple reiht sich hier nahtlos ein. Gegenstand sind die sogenannten „Brandgating-Vereinbarungen“, wonach neben dem Hersteller eines Markenprodukts nur bestimmte autorisierte Händler das gleiche Produkt anbieten dürfen, sodass ein Produkt oder eine Marke für den Vertrieb gesperrt wird. Dies führt dazu, dass nicht autorisierte Dritthändler vom Verkauf von Produkten auf dem deutschen Amazon-Marktplatz ausgeschlossen werden können.

Auch wenn solche Vereinbarungen einem berechtigten Interesse, konkret dem Schutz vor gefälschten Produkten, dienen können, untersucht das Bundeskartellamt derzeit, inwieweit hierin eine Kooperation zwischen Amazon mit Markenherstellern, beispielsweise Apple, zulasten von Dritthändlern zu sehen ist. Brandgating kann sehr weitreichend sein und unterschiedliche Formen annehmen. So können pauschal alle Händler mit Ausnahme von Amazon selbst und dem jeweiligen Markenhersteller ausgeschlossen werden oder der Ausschluss kann sich nur auf einige Dritthändler beziehen. Ob eine unzulässige Behinderung des Wettbewerbs vorliegt, dürfte vor allem von der konkreten Ausgestaltung der jeweiligen Vereinbarung und Verhältnismäßigkeitsaspekten abhängen.

Amazon und Apple haben bereits angekündigt, mit dem Bundeskartellamt kooperieren zu wollen. Bereits 2019 hatte Amazon seine Geschäftsbedingungen in Reaktion auf Untersuchungen des Bundeskartellamts geändert.

Größere Rolle des Kartellrechts bei der Nutzung standardessentieller Patente

Standardessentielle Patente („SEP“) rücken aufgrund der zunehmenden Verbreitung des Internet of Things („IoT“) wieder stärker in den Fokus des Kartellrechts:

Um Geräte und Anwendungen miteinander zu vernetzen, müssen ihre Hersteller moderne Kommunikationsstandards nutzen. Diese Standards stammen größtenteils aus der Telekommunikationsbranche und umfassen eine große Vielzahl patentgeschützter Technologien. Wenn ein Patent für die Nutzung des Standards unverzichtbar ist, wird es als SEP bezeichnet. Der Umgang mit SEP kann zu jahrelangen Rechtsstreitigkeiten führen. Nachdem lange die „Patentkriege“ der Hersteller von Smartphones im Vordergrund standen, gehen die Inhaber von SEP neuerdings gegen Automobilhersteller vor. Für Schlagzeilen sorgt etwa die Auseinandersetzung zwischen Nokia und Daimler. Der Vorwurf von Nokia ist, dass Daimler-Fahrzeuge mit Telematikfunktionen ausgestattet sind, die den UMTS-Mobilfunkstandard nutzen und Patente von Nokia verletzen. Während Nokia vor mehreren Gerichten klagt, wehrt sich Daimler mit einer kartellrechtlichen Beschwerde bei der Europäischen Kommission.

Aus kartellrechtlicher Sicht kann der Inhaber eines SEP marktbeherrschend sein und die Geltendmachung des patentrechtlichen Unterlassungsanspruchs kann unter Umständen gegen das Missbrauchsverbot des Art. 102 AEUV verstoßen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn der Standard auf einer Branchenvereinbarung beruht und sich der Inhaber verpflichtet hat, das Patent Dritten zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen („FRAND“ für „fair, reasonable and non-discriminatory“) zugänglich zu machen. In der Sache „Huawei/ZTE“ (Rs. C-170/13) hat der Europäische Gerichtshof für diese Fallkonstellation ein komplexes System wechselseitiger Verhaltensobliegenheiten aufgestellt. Nur bei Einhaltung dieser Vorgaben kann ein SEP-Inhaber erfolgreich gegen einen Patentverletzer klagen.

In der Praxis funktionieren die Lizenzierung und Durchsetzung von SEP dennoch nicht reibungslos. Im Streit steht zum Beispiel, in welchem Zeitfenster und mit welchem Inhalt der Patentnutzer seine Lizenzbereitschaft erklären muss, um in einem Prozess den Kartellrechtseinwand erheben zu können. Umstritten ist auch, ob der SEP-Inhaber im Falle einer mehrstufigen Zulieferkette verpflichtet ist, jedem Unternehmen in der Kette, das die geschützte Technologie implementiert, eine Lizenz zu gewähren, oder ob die Lizensierung an den Hersteller des Endprodukts genügt. Da der Preis für das Endprodukt vielfach höher ist als der Preis für die Komponente und da Lizenzgebühren typischerweise in Relation zum Verkaufspreis berechnet werden, ist die Lizenzierung für den SEP-Inhaber tendenziell umso weniger gewinnbringend, je weiter weg vom Endprodukt, also je weiter oben in der Zulieferkette sie erfolgt.

Das Landgericht Düsseldorf hat am 26.11.2020 mehrere Fragen zur Lizenzierung von SEP in Zulieferketten, die in einem Streit zwischen Nokia und Daimler aufgetreten sind, dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt (Az. 4c O 17/19). Von der Entscheidung sind richtungsweisende Hinweise für die Anwendung des kartellrechtlichen Missbrauchsverbots bei SEP-Klagen zu erwarten. Nicht nur die Automobilbranche, sondern alle Unternehmen mit IoT-Produkten sollten dieses Verfahren im Auge behalten.

 

Google/Fitbit – Digitale Zusammenschlüsse und Fusionskontrolle

Google hatte im November 2019 die Übernahme von Fitbit für gut USD 2 Mrd. bekanntgegeben. Fitbit ist ein US-amerikanisches Unternehmen, das insbesondere im Bereich Entwicklung, Herstellung und Vertrieb von Smartwatches und Fitnesstrackern tätig ist. Das Unternehmen hat über Jahre hinweg einen großen Gesundheitsdatensatz über seine Nutzer aufgebaut, der angesichts der Verbreitung dieser tragbaren Geräte in den nächsten Jahren wohl weiter rasant wachsen wird. Die so generierten Daten erlauben tiefe Einblicke in persönliche Lebensumstände und in die Gesundheit ihrer Nutzer, und sind für Googles verschiedene Geschäftstätigkeiten daher äußerst wertvoll.

„Big data-Deals“ stellen Wettbewerbsbehörden vor viele Herausforderungen: Wie ist der Wert und die Marktmacht, die Daten vermitteln, konkret zu bestimmen? Auf welchen Märkten können die Daten wichtig sein oder werden? Die Europäische Kommission prüfte den Zusammenschluss aufgrund seiner Komplexität im sogenannten vertieften Prüfungsverfahren (zweite Phase) und gab ihn im Dezember 2020 schließlich unter Auflagen frei. Die kritische Auseinandersetzung mit dem Zusammenschluss durch die Europäische Kommission dürfte nicht zuletzt durch die zahlreichen kritischen Eingaben und Stellungnahmen von Marktteilnehmern aus verschiedenen Bereichen und von Verbraucherverbänden zu erklären sein. Dies zeigt, dass es wichtig für Dritte (Kunden, Lieferanten, Wettbewerber) ist, sich frühzeitig in Fusionskontrollverfahren einzubringen (z. B. durch die Beantwortung der Fragebögen der Europäischen Kommission, eigenständige Stellungnahmen und Besprechungen mit dem Case Team), um sich ausreichend Gehör zu verschaffen.

Die Europäische Kommission untersuchte, in welchem Umfang Google seine Marktposition auf den Märkten für Online-Werbung durch Nutzung der neugewonnenen Gesundheitsdaten weiter personalisieren, und damit ausbauen, kann. Untersucht wurde auch, wie sich die Kombination von Fitbits Gesundheitsdaten mit Googles analytischen Kapazitäten auf die in der Entstehung begriffene Branche der digitalen Gesundheitsdienste auswirken würde. Schließlich war ein weiterer Aspekt, ob Google die Interoperabilität der Fitnesstracker und Smartwatches mit Smartphones, die das populäre Google-Betriebssystem Android nutzen, beeinträchtigen könnte, um so den Absatz der eigenen Fitnesstracker und Smartwatches zu steigern (nicht zuletzt, um so noch mehr Gesundheitsdaten zu erlangen). Google bot Zugeständnisse an, um die vielschichtigen Wettbewerbsbedenken gegen diesen Zusammenschluss auszuräumen. Zu den Zugeständnissen zählt u. a., dass Google die Gesundheitsdaten für einen längeren Zeitraum nicht für personalisierte Werbung verwenden wird.

An den Zugeständnissen zeigt sich eine weitere Herausforderung digitaler Zusammenschlüsse: Während die Europäische Kommission traditionell strukturelle Abhilfemaßnahmen bevorzugt (z. B. den Verkauf eines Geschäftsbereiches), werden bei digitalen Zusammenschlüssen verhaltensbezogene Maßnahmen zunehmend relevanter (so auch schon in Facebook/WhatsApp). Diese müssen allerdings fortlaufend überwacht werden und können potentiell – trotz hoher Bußgelder – leichter unterlaufen werden.

Das Verfahren hat für den Bereich digitale Geschäftsmodelle und der Bewertung von (Gesundheits-)Datenmacht große Relevanz. Dass sich über die richtige rechtliche Bewertung solcher Zusammenschlussvorhaben streiten lässt, zeigt die Entscheidung der australischen Wettbewerbsbehörde aus dem Dezember 2020, die die Zugeständnisse von Google ablehnte.

 

Google Android reloaded? – Die Klage des DOJ

Nachdem US Tech-Unternehmen bereits seit Längerem im Fokus der Europäischen Kommission und des Bundeskartellamtes standen (vgl. hierzu bereits unsere Beiträge hier und hier), wendet sich nun auch das US Department of Justice („DOJ“) mit einer Klage gegen Google. Darin wird Google ein Verstoß gegen das Monopolisierungsverbot (Sec. 2 Sherman Act) auf den betroffenen Märkten für Suchmaschinen, Suchmaschinenwerbung und allgemeine Suchtextwerbung vorgeworfen. Konkret ergeben sich zahlreiche Parallelen zu der Entscheidung der Europäischen Kommission aus 2018 (Google Android).

Die Suchergebnisse von Google dürften jedem Internetnutzer bestens bekannt sein. Dies gilt insbesondere auch im Bereich „mobile search“, also der Suche über das Smartphone, Tablet, Smartwatch, etc. Das ist laut DOJ jedoch kein Zufall, sondern das Ergebnis der Geschäftspraktiken von Google in den beiden letzten Jahrzehnten: Unabhängig davon, ob Googles eigenes Betriebssystem (Android) oder das Betriebssystem von Apple (iOS) verwendet wird, und unabhängig davon, wie die mobile Suche gestartet wird (z. B. über den Browser, eine Such-App, ein Widget oder einen Sprachassistenten – sog. search access points), der Nutzer erhält stets Suchergebnisse von Google.

Dies liege daran, dass Google über Vereinbarungen mit den Herstellern (einschließlich Apple) und den Mobilfunkanbietern sicherstelle, dass Google bei allen search access points als Standard voreingestellt ist. Die Erfahrung zeige, dass Nutzer diese Voreinstellung in aller Regel nicht verändern (in den Worten des DOJ: „defaults are sticky“).

Konkret erreiche Google dies im Wesentlichen über drei Maßnahmen: (1) Über sog. Antiforking Agreements mit den Herstellern kontrolliere Google, dass das verwendete, eigene (Open Source)-Betriebssystem (Android) den Vorgaben von Google entspricht. Dadurch werde verhindert, dass alternative Betriebssysteme auf den Markt kommen. (2) Um Zugang zu Googles APIs (Programmierschnittstellen) und dem Google App-Store zu erhalten, müsse ein Bündel von Google-Apps (u. a. Maps, Gmail, YouTube) vorinstalliert werden. Diese Apps müssten zudem die beste Sichtbarkeit aufweisen (z. B. Homescreen) und dürften nicht löschbar sein. (3) Schließlich beteilige Google die Hersteller (insbesondere auch Apple) durch sog. Revenue Sharing Agreements an den Umsätzen mit Suchmaschinenwerbung, wenn Google exklusiv als Standard voreingestellt ist. Durch diese Maßnahmen schotte Google faktisch die Vertriebskanäle für die Suchmaschinen seiner Wettbewerber ab.

Ob sich Google gegen diese Vorwürfe in dem aus seiner Sicht „deeply flawed lawsuit“ erfolgreich wird verteidigen können, bleibt abzuwarten. Durch die Klage des DOJ dürfte sich jedenfalls die Europäische Kommission in ihren sehr ähnlichen Ausführungen in Sachen Google Android bestätigt fühlen. Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass die kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht auf digitalen Märkten in Europa und darüber hinaus in den kommenden Jahren noch an Bedeutung gewinnen wird. Unternehmen sollten bei der Entwicklung und Ausgestaltung ihrer digitalen Geschäftsmodelle daher stets auch kritisch hinterfragen, ob die Kartellrechts-Compliance gewährleistet ist.

 

Rückblick: Wesentliche Entwicklungen aus 2020

Covid-19-Pandemie

Renaissance des Beihilfenrechts in Zeiten der Pandemie

Nach Beginn der Pandemie und insbesondere nach Inkrafttreten der Lockdown-Maßnahmen in Deutschland und vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten verabschiedeten Regierungen weitreichende Notprogramme zur Stützung betroffener Unternehmen. Die meisten Notprogramme sind als Beihilfen zu qualifizieren, da sie aus staatlichen Mitteln gewährte Vorteile für bestimmte Unternehmen oder Branchen vorsehen. Sie bedürfen daher der vorigen Prüfung und Genehmigung durch die Europäische Kommission.

Diese reagierte prompt, und erließ einen Rechtsrahmen, der die Vereinbarkeit solcher Programme und Maßnahmen mit EU-beihilferechtlichen Normen adressiert. So wurde bereits am 19.03.2020 nach Konsultationen mit den Mitgliedstaaten der sogenannte „Befristete Rahmen“ für staatliche Beihilfemaßnahmen verabschiedet, der anschließend vier Erweiterungen erfuhr. Bereits kurze Zeit später genehmigte die Europäische Kommission die ersten nationalen Programme, u. a. Deutschlands und Frankreichs. Die Mitgliedstaaten haben wenig Spielraum, nationale Programme in Abweichung vom Befristeten Rahmen einzuführen, sodass die dort genannten Bedingungen regelmäßig auch für Unternehmen gelten. Der Befristete Rahmen gilt im Grundsatz bis Ende Juni 2021.

Gemäß den Vorgaben des Befristeten Rahmens sind die folgenden Fördermaßnahmen für Unternehmen, die sich nicht bereits am 31.12.2019 in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befanden, genehmigungsfähig:

  • Direkte Zuschüsse, rückzahlbare Vorschüsse und Steuervorteile bis zu insgesamt EUR 1 Mio., um dringenden Liquiditätsbedarf zu adressieren;
  • staatliche Garantien für von Unternehmen in Anspruch genommene Bankdarlehen;
  • Zinszuschüsse für Darlehen;
  • Rekapitalisierungen und nachrangiges Fremdkapital;
  • Unterstützung von Kleinstunternehmen und Start-Ups;
  • Anreize für die Beteiligung von Privatinvestoren an Rekapitalisierungsmaßnahmen;
  • Beihilfen für Covid-19 betreffende Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmen, die Herstellung von Arzneimitteln, Medizinprodukten, Schutzausrüstung etc. und Investitionsbeihilfen für Erprobungs- und Hochskalierungsinfrastrukturen;
  • Unterstützung für ungedeckte Fixkosten in Höhe von bis zu EUR 3 Mio.;
  • Steuerstundung und/oder Aussetzung der Sozialversicherungsbeiträge;
  • Lohnzuschüsse;
  • kurzfristige Exportkreditversicherungen für marktfähige Risiken.

In Bezug auf Deutschland sind gut 15 Programme genehmigt worden, u. a. der Wirtschaftsstabilisierungsfonds, das KfW-Sonderprogramm 2020, Bürgschaftsprogramme, die Überbrückungshilfe, die Corona-Soforthilfe und zuletzt die sogenannte Novemberhilfe für Unternehmen, die von staatlich angeordneten Schließungen im Rahmen des sog. Wellenbrecher-Lockdowns im November betroffen sind.

Neben dem Befristeten Rahmen hat die Europäische Kommission auf anderer Rechtsgrundlage individuelle Beihilfen an Unternehmen (z. B. Condor) sowie Beihilfenprogramme für bestimmte Branchen genehmigt.

Seit Erlass des Befristeten Rahmens wurden in weit über 300 Entscheidungen von Mitgliedsstaaten notifizierte Beihilfen genehmigt. Interessant ist hierbei das politisch in Brüssel mit Skepsis beäugte Ungleichgewicht: Mehr als 50 % der von der Europäischen Kommission genehmigten Beihilfen betreffen Deutschland; es folgen mit großem Abstand Italien, Frankreich (jeweils ca. 15 %) und Spanien (ca. 5 %). Unabhängig davon hat die Europäische Kommission gezeigt, dass die Beihilfenregeln schnell und situationsgemäß angewendet werden können, um die in dieser Form bisher nicht gekannten wirtschaftlichen Probleme zu adressieren.

 

Sanierungsfusionen infolge der Covid-19-Krise

Deutschland durchlebt – wie viele andere Länder – in den Wintermonaten 2020/21 die zweite große Welle der Covid-19-Pandemie. Hinlänglich bekannt ist, dass diese Pandemie neben den gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen auch erhebliche wirtschaftliche Probleme mit sich brachte. Vor allem nach Auslaufen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (dazu hier) ist eine größere Anzahl an Insolvenzen zu erwarten. Ein möglicher Weg aus der Insolvenz heraus oder an dieser vorbei kann eine Übernahme oder eine Beteiligung durch ein anderes Unternehmen sein. Sofern dieses Unternehmen allerdings bereits auf denselben Märkten wie das krisenbehaftete Unternehmen selbst tätig ist und sich infolge der Übernahme hohe Marktanteile ergeben, droht eine solche Rettung an fusionskontrollrechtlichen Hürden zu scheitern. Gelingt es den beteiligten Unternehmen allerdings darzulegen, dass sich die Verschlechterung der wettbewerblichen Verhältnisse auf den jeweiligen Märkten auch ohne die in Aussicht stehende Fusion ergeben würde, können diese Hürden überwunden werden. In diesem Fall kann von einer Sanierungsfusion gesprochen werden.

Das Bundeskartellamt stellt an die einzelnen Voraussetzungen einer solchen Sanierungsfusion jedoch stets hohe Anforderungen. Erleichterungen sind auch trotz der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie bisher nicht erkennbar. Die Parteien müssen nachweisen, dass (i) der Marktaustritt des zu übernehmenden Unternehmens ohne die Fusion unmittelbar bevorsteht, (ii) kein alternativer Erwerber bereit steht, dessen Übernahme weniger schädliche Auswirkungen für den betroffenen Markt hätte, und (iii) die Marktanteile des krisenbehafteten Unternehmens auch ohne die Fusion „im Wesentlichen dem erwerbenden Unternehmen“ im Falle des Marktaustritts zufallen würden. Nur wenn alle diese Voraussetzungen dargelegt werden können und die Verschlechterung der wettbewerblichen Verhältnisse daher nicht auf der Fusion beruht, kann mit einer Freigabe durch das Bundeskartellamt und anderer Kartellbehörden gerechnet werden.

Besonders schwierig gestaltet sich im Rahmen einer Sanierungsfusion regelmäßig die Vorlage tauglicher Beweismittel, welche die Kartellbehörden von der Erfüllung der aufgeführten Voraussetzungen überzeugen können. Die Vorlage von umfangreichen internen wie externen Bewertungen, mit denen die finanzielle Situation des Unternehmens dargestellt wird, bereiten dabei meist die geringsten Probleme. Schwer zu erbringen ist hingegen vor allem der Nachweis, dass kein alternativer Erwerber bereit steht, dessen Zusammenschluss mit dem krisenbehafteten Unternehmen weniger schädliche Auswirkungen auf die Wettbewerbssituation hätte. Die Unternehmen müssen in diesem Zusammenhang gewissermaßen eine Nicht-Tatsache beweisen. Nach der bisherigen Praxis sind dafür zumindest Belege erforderlich, die zeigen, dass sich der Verkäufer ausreichend um eine anderweitige Veräußerung bemüht hat. Tauglich mag dabei beispielsweise die Dokumentation eines durchgeführten Bieterverfahrens sein. Es obliegt dabei den anmeldenden Unternehmen darzulegen, weshalb einzelne Bieter nicht als tatsächliche Erwerber in Frage kommen.

In Fällen, in denen eine Sanierungsfusion erwogen wird, sollten das Bundeskartellamt und/oder andere Kartellbehörden jedenfalls frühzeitig von dem möglichen Vorhaben in Kenntnis gesetzt und in das Verfahren miteinbezogen werden. Nur damit kann ein Mindestmaß an Planungssicherheit in ohnehin kritischen Phasen geschaffen werden.

 

Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das deutsche Kartellrecht

Im Jahr 2020 wurden anlässlich der Covid-19-Pandemie mit am 29.05.2020 in Kraft getretenem Gesetz „zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft“ zwei für das deutsche Kartellrecht relevante Übergangsregelungen getroffen:

Für fusionskontrollrechtliche Anmeldungen, die zwischen dem 01.03.2020 bis 31.05.2020 beim Bundeskartellamt eingingen, wurde die Prüffrist in Phase I von einem auf zwei und in Phase II von vier auf sechs Monate vorübergehend verlängert. Dadurch sollte verzögerten Arbeitsabläufen durch die Corona-Pandemie, insbesondere im Rahmen von Marktbefragungen, Rechnung getragen werden. Die Regelung wurde nicht über den 31.05.2020 hinaus verlängert.

Daneben wurde auch eine noch bis zum 30.06.2021 geltende Aussetzung der Verzinsungspflicht im Kartellbußgeldrecht verabschiedet, um zusätzlichen wirtschaftlichen Druck von bebußten Unternehmen zu nehmen.

 

Kartellschadensersatz in Deutschland

 

Der BGH gleist den Anspruch auf

Mit gleich vier Leitsatzentscheidungen zum Schienenkartell im Jahr 2020 hat der neu besetze Kartellsenat des Bundesgerichtshofes den Anspruchsaufbau in wesentlichen Punkten geklärt und den Instanzgerichten klare Vorgaben für deren Entscheidung der Vielzahl anhängiger Kartellschadensersatzverfahren gemacht.

Den Beginn machte das Urteil Schienenkartell II vom 28.01.2020 (Az. KZR 24/17), in dem der Kartellsenat klarstellte, dass das nach § 286 ZPO zu beweisende Tatbestandsmerkmal der Betroffenheit im Lichte europarechtlicher Vorgaben weit zu verstehen ist: Wenn das wettbewerbsbeschränkende Verhalten im Rahmen von Umsatzgeschäften oder auf andere Weise geeignet ist, einen Schaden mittelbar oder unmittelbar zu begründen, ist eine Betroffenheit gegeben. Die Betroffenheit sortiert mithin danach, ob der Anspruch sachlich, zeitlich und räumlich in die Reichweite des Kartells fällt. Zum kausalen Schaden stellt der Kartellsenat fest, dass es einer Gesamtwürdigung aller Anknüpfungstatsachen bedarf. Das Gericht darf hier zwar freier – am Maßstab des § 287 ZPO – würdigen, für die Kläger streitet jedoch kein Anscheinsbeweis. Allerdings begründet ein Erfahrungssatz, dass Kartelle Schäden verursachen, eine starke tatsächliche Vermutung und wirkt als Indiz. Auch gutachterliche Stellungnahmen ersetzen die richterliche Gesamtwürdigung nicht und präjudizieren auch kein Ergebnis (unsere Urteilsbesprechung).

Im Mai 2020 folgten Schienenkartell III (Az. KZR 70/17) und IV. Im erstem Urteil stellte der Bundesgerichtshof heraus, dass Kartellanten gesamtschuldnerisch nach §§ 830, 840 BGB haften und dass bei festgestellter Grundabsprache nicht nach der Teilnahme an einzelnen Absprachen zu differenzieren ist. Schienenkartell IV (KZR 8/18) adressierte dann die Frage von Preisschirmeffekten und die hierbei vorzunehmende Prüfung. Als Spiegelbild des weiten Betroffenheitsbegriffs nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Otis (Rs. C-435/18) erkannte der Bundesgerichtshof an, dass der Geschädigte sich kausale öffentlich-rechtliche Zuschüsse als Vorteil anrechnen lassen muss.

Mit seinen im Dezember veröffentlichten Entscheidungen Schienenkartell V (Urteil vom 23.09.2020 – KZR 4/19) beschließt der Kartellsenat sein Jahr: Einerseits stellt er hierin den Prüfungsmaßstab der richterlichen Gesamtwürdigung und des Indizienbeweises beim kartellbedingten Schaden klar. Dabei erteilt er einer Beweislastumkehr zugunsten Geschädigter eine klare Absage. Verbleiben im Rahmen einer Gesamtwürdigung Zweifel an der Schadensentstehung, ist die Klage abzuweisen. Andererseits setzt sich der Kartellsenat umfassend mit der Frage der Schadensweiterwälzung („Passing-On“) und dem hierfür notwendigen Vortrag auseinander. Jedoch stellt der Senat auch fest, dass der Passing-On-Einwand aus Rechtsgründen ausscheiden kann, wenn dies den Kartellanten unbillig entlasten würde, wenn z.B. bei Streuschäden eine mehrfache Inanspruchnahme durch die nächste Marktstufe fernliegt. Dabei greift der Kartellsenat unter anderem auf den Gedanken zurück, dass der zivilrechtliche Schadensersatzanspruch der effektiven Durchsetzung des Kartellverbots dient.

Mit Beginn des Jahres 2021 wurde zudem die Entscheidung LKW-Kartell (Urteil vom 23.09.2020 – KZR 35/19) veröffentlicht. In seinem ersten Urteil zum LKW-Fall – Noerr vertritt in diesem Komplex den Hersteller DAF – bestätigt der Bundesgerichtshof seine Position einer weit reichenden Bindungswirkung hinsichtlich der tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen kartellbehördlicher Entscheidungen. Diese Feststellungen haben die Tatgerichte auch im Rahmen ihrer Gesamtwürdigung umfassend zu berücksichtigen. Der Kartellsenat nahm ferner auch für den LKW-Fall an, dass ein Erfahrungssatz dafür greife, dass infolge der Zuwiderhandlung die erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten. Zudem entschied der Kartellsenat, dass bereits Ermittlungsmaßnahmen der Europäischen Kommission eine Verjährungshemmung auslösen. Im Ergebnis hatte die Revision der LKW-Hersteller dennoch Erfolg, denn auch in diesem Fall hatte das Oberlandesgericht die Einwände der Beklagten nicht umfassend gewürdigt und rechtsfehlerhaft die tatsächliche Vermutung als Beweiserleichterung zugunsten des Klägers gewertet. Das Oberlandesgericht muss damit den Fall neu verhandeln und bewerten.

Damit sind ein klarer Rahmen und der Ton für die kommenden Jahre gesetzt: Die Instanzgerichte müssen die einzelnen Zuwiderhandlungen beleuchten und den – auch ökonomischen – Parteivortrag umfassend würdigen. Der Bundesgerichtshof lässt klar erkennen, dass er strenge Maßstäbe an die Arbeit des Tatrichters anlegt und die Figur der tatsächlichen Vermutung hierbei nicht mehr als ein Indiz ist, dessen Gewicht im konkreten Einzelfall zu bestimmen ist.

Abschließend ist eine weitere Entwicklung aus 2020 hervorzuheben: Deutsche Gerichte begegnen einer Anspruchsbündelung durch Inkassodienstleister mit Skepsis. So hat das Landgericht München I mit Urteil vom 07.02.2020 die Abtretung von Kartellschadensersatzansprüchen verschiedener Unternehmen an Financialrights als nichtig angesehen und eine Klage über EUR 600 Mio. gegen einen von Noerr vertretenen LKW-Hersteller abgewiesen. Eine von vorneherein auf nur gerichtliche Durchsetzung gerichtete Tätigkeit ist auch von einer Inkassoerlaubnis nicht gedeckt. Zudem entstehen bei einer Bündelung und wegen der Beteiligung von Prozessfinanzierern Interessenkonflikte. Weitere Gerichte sind dem mit ähnlicher Begründung gefolgt. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz bereitet aktuell eine Reform des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) vor, die einzelne Kritikpunkte für die Zukunft adressiert.

Fusionskontrolle in der EU

 

Weniger Fusionsverbote der Europäischen Kommission?

Mit einem bemerkenswerten Urteil vom 28.05.2020 (Rechtssache T 399/16) erklärte das Gericht der Europäischen Union das Verbot der Europäischen Kommission der geplanten Übernahme der Telefónica Europe Plc (O2) durch CK Hutchison für nichtig (Kommission, Fall M.7612). Es ist das erste Mal, dass sich das Gericht mit der Anwendung der Europäischen Fusionskontrollverordnung („FKVO“) auf nicht koordinierte Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf oligopolistischen Märkten mit wenigen Anbietern befasst.

Das Urteil ordnet und klärt wichtige Konzepte der materiell-rechtlichen Prüfung und des Beweisstandards gemäß der FKVO in Bezug auf fusionsspezifische Effizienzgewinne auf.

Um eine Transaktion zu verbieten, muss die Europäische Kommission demnach folgende Umstände ausdrücklich in ihre Prüfung einbeziehen:

  1. Die Beseitigung des starken Wettbewerbsdrucks, den die am Zusammenschluss beteiligten Parteien aufeinander ausgeübt haben.

  2. Die Minderung des Wettbewerbsdrucks auf die verbleibenden Wettbewerber.

Mit Blick auf den zuerst genannten Umstand kann daher überhaupt nur ein Zusammenschluss besonders enger Wettbewerber Anlass zu Wettbewerbsbedenken geben.

Auch die Tatsache, dass die Parteien des Zusammenschlusses in einigen Marktsegmenten relativ nah beieinander liegen können, reicht für ein Verbot nicht aus. Ansonsten müsste jeder Vier-zu-Drei-Zusammenschluss verboten werden. Zudem beseitigt die Übernahme eines Wettbewerbers auf einem oligopolistischen Markt nicht notwendigerweise eine wichtige Wettbewerbskraft; letztere müsste sich hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf den Wettbewerb von ihren Wettbewerbern abheben.

Die Europäische Kommission muss schließlich noch nachweisen, dass die Preise nach Beseitigung des starken Wettbewerbsdrucks mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erheblich steigen würden. Interessanterweise verlangt das Gericht hier, dass die Europäische Kommission die Standardeffizienzvorteile einbeziehen muss, die der Zusammenschluss bewirken könnte. Schließlich sind laut Gericht strenge Beweisanforderungen zu erfüllen. Die Europäische Kommission muss hinreichende Beweise vorlegen, um eine große Wahrscheinlichkeit der Existenz erheblicher Beeinträchtigungen aufzuzeigen.

Das Urteil ist ein großer Rückschlag für den Ansatz der Europäischen Kommission bei der Bewertung von Wettbewerbsbedenken, die nicht vom klassischen Marktbeherrschungstest erfasst werden. Die Europäische Kommission findet sich nach diesem Urteil möglicherweise in einer misslichen Situation wieder. Zum einen muss sie den Anforderungen des Gerichts der Europäischen Union genügen, zum anderen den Forderungen nach einer genauen Prüfung von sog. „Killer“-Übernahmen (Übernahmen von neu gegründeten oder im Entstehen begriffenen Unternehmen, bei denen eine erhebliche Prognoseunsicherheit besteht) und letztlich auch den politischen Forderungen der Mitgliedstaaten nach einem dynamischeren und langfristigeren Ansatz bei Fusionen. Wird das Urteil die Konsolidierung erleichtern? Wahrscheinlich nicht – es wird eher bedeuten, dass die Untersuchungen kritischer Transaktionen für die betroffenen Unternehmen langwieriger und belastender werden. Die Europäische Kommission hat gegen das Urteil Rechtsmittel einlegt.

Neuigkeiten zur Umsatzberechnung bei Joint Ventures im EU-Fusionskontrollrecht

In der EU sind Transaktionen bei der Europäischen Kommission nur dann anzumelden, wenn mindestens zwei Beteiligte jeweils bestimmte EU-weite Umsätze erzielt haben. Erwirbt ein gemeinsam gehaltenes Joint Venture ein Unternehmen, stellt sich für die Umsatzberechnung und Zuständigkeit der Europäischen Kommission die Frage, wer die beteiligten Unternehmen sind. Dies zeigt folgendes Schaubild:

Competition Outlook Grafik 1 Umsatzberechnung Joint Ventures

 

Die zwei beteiligten Unternehmen sind hier zum einen (i) das Joint Venture und zum anderen (ii) das Zielunternehmen. Eine EU-Anmeldung ist nur dann notwendig, wenn das Joint Venture und das Zielunternehmen jeweils die EU-bezogenen Umsatzschwellen erreichen. Hat das Zielunternehmen zu geringe Umsätze, scheidet eine Anmeldung in Brüssel aus; nationale Anmeldungen sind möglicherweise notwendig.

Anders stellt es sich dar, wenn nicht das Joint Venture ein beteiligtes Unternehmen ist, sondern beide Muttergesellschaften:

Competition Outlook Grafik 2 Umsatzberechnung Joint Ventures

 

Hier sind nunmehr drei Unternehmen beteiligt: (i) die Muttergesellschaft 1, (ii) die Muttergesellschaft 2 und (iii) das Zielunternehmen. Somit können bereits Muttergesellschaft 1 und Muttergesellschaft 2 die EU-bezogenen Umsatzwerte erreichen. Erzielt das Zielunternehmen geringe oder keine Umsätze in der EU, kann eine Anmeldung in Brüssel dennoch notwendig sein.

Bei der Beurteilung, ob die Umsätze des Joint Ventures oder der beiden Muttergesellschaften heranzuziehen sind, stellt das Europäische Gericht mit Urteil vom 05.10.2020 (T‑380/17, HeidelbergCement AG/Schwenk Zement KG v. European Commission) darauf ab, wer die eigentlichen wirtschaftlichen Akteure sind, die eine Transaktion wesentlich initiieren, organisieren und finanzieren. Folgende Elemente streiten für die bedeutsame Rolle der Muttergesellschaften:

  • Das Joint Venture ist ein reines Akquisitionsvehikel.
  • Vertreter einer Muttergesellschaft bestimmen das Steering Committee und nehmen – zu einem frühen Zeitpunkt – an Verhandlungen teil, verhandeln Vertraulichkeitsvereinbarungen, organisieren die Due Diligence, planen die Integration, erstellen die Dokumentation, sprechen mit Banken und verhandeln den Kaufpreis.
  • Die andere Muttergesellschaft wird regelmäßig informiert und in Erwägungen zur Transaktionsstruktur einbezogen.
  • Das Joint Venture hat keine personellen und sachlichen Ressourcen, um eine Transaktion dieser Größenordnung alleine zu stemmen; unbeachtlich ist hingegen die eigenständige Marktpräsenz (Voll-Funktion).
  • Die Muttergesellschaften stellen letztlich das Kapital für die Eigenmittel und autorisieren die Finanzierung.

Das Urteil zeigt einmal mehr, wie wichtig die sorgfältige Analyse der für die Zuständigkeit der Europäischen Kommission relevanten Informationen ist, um keinen – schlimmstenfalls bußgeldbewährten – Verstoß gegen das Vollzugsverbot zu riskieren. Wichtig ist zunächst ein klares Verständnis über die Rolle der Muttergesellschaften zu erlangen. Bei Zweifelsfragen empfiehlt das Europäische Gericht, die Zuständigkeit mit der Europäischen Kommission vorab zu klären. Dafür sollte ausreichend viel Zeit eingeplant werden: Im Rahmen eines informellen Konsultationsverfahrens mit der Generaldirektion Wettbewerb sind teilweise viele Informationen einzureichen, bevor das Case Team – u. U. erst nach Wochen und unter Einschaltung z. B. des Juristischen Diensts – eine für Unternehmen robuste Aussage machen kann.

 

Bußgeldverfahren

 

BGH zum Bierkartell

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 13.07.2020 (KRB 99/19) erneut ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf in einem Bußgeldverfahren aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte in seinem Urteil das vom Bundeskartellamt gegen ein Unternehmen verhängte Bußgeld, das an einer Beschwerde weiter festgehalten hatte, wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung aufgehoben. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah zwar durch einen im Jahr 2007 erfolgten Informationsaustausch den Tatbestand der abgestimmten Verhaltensweise als erfüllt an, diese sei aber mit dem Abschluss des entsprechenden Treffens auch beendet gewesen, insbesondere sei es dabei zu keiner Abstimmung im Hinblick auf eine Anhebung der Bierpreise gekommen. Eine Anfang des Jahres 2008 durchgeführte Bierpreiserhöhung stellte daher nach Ansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf auch keine durch den Informationsaustausch abgestimmte Verhaltensweise dar.

Der Bundesgerichtshof hält in seinem Beschluss noch einmal fest, dass es für die Verwirklichung des zweigliedrigen Tatbestandmerkmals der abgestimmten Verhaltensweise erforderlich ist, dass zunächst eine Abstimmung zwischen Wettbewerbern erfolgt, die dann in einem (durch die Abstimmung) kausal herbeigeführten Marktverhalten mündet.

Der Bundesgerichtshof führt weiter aus, dass insbesondere die Beweiswürdigung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Hinblick auf den zweiten Aspekt der abgestimmten Verhaltensweise lückenhaft war, da das Oberlandesgericht Düsseldorf ein auf der Abstimmung beruhendes kausales Marktverhalten verneint habe, ohne sich mit dem aus der europäischen Rechtsprechung bekannten Erfahrungssatz auseinanderzusetzen, „dass es sich regelmäßig auf das Marktverhalten konkurrierender Unternehmen auswirkt, wenn sie wettbewerbsrelevante Informationen zum Zweck der Koordinierung ausgetauscht haben“.

Kann sich das Tatgericht nicht von einem Kausalzusammenhang zwischen Abstimmung und Marktverhalten überzeugen, sei aufgrund der potentiell starken Indizwirkung des Erfahrungssatzes die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft, wenn sich das Tatgericht in den Urteilsgründen nicht mit diesem Erfahrungssatz auseinandersetzt. Der Erfahrungssatz führt nach dem Bundesgerichtshof dabei aber auf Grund der Unschuldsvermutung nicht zu einer Beweislastumkehr, müsse aber aufgrund seiner Indizwirkung bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden.

Für den Bundesgerichtshof lag der Schluss nahe, dass bei der Erhöhung der Bierpreise im Jahr 2008 „zwangsläufig“ auch Erkenntnisse aus dem Treffen aus dem Jahr 2007 berücksichtigt wurden, zumindest sei durch den Austausch die Unsicherheit bei der Entscheidungsfindung reduziert worden. Insofern würde auch der vom Oberlandesgericht Düsseldorf angenommene Eintritt der Verfolgungsverjährung nicht greifen, da bei koordinierten Preiserhöhungen eine Tatbeendigung erst dann eintreten könne, wenn die hiervon betroffenen Waren nicht mehr zu dem erhöhten Preis auf dem Markt sind. Eine Anpassung der Preise ist aber erst im Laufe des Jahres 2009 erfolgt.

 

Digitale Themen des vergangenen Jahres

 

Sektoruntersuchung der Europäischen Kommission zum Internet of Things 

Mit Beschluss vom 16.07.2020 hat die Europäische Kommission eine Sektoruntersuchung zum Internet of Things („IoT“) für verbraucherbezogene Produkte und Dienstleistungen in der Europäischen Union eingeleitet.

Die Sektoruntersuchung ist breit angelegt: Umfasst sind alle Produkte und Dienstleistungen, die mit einem Netzwerk verbunden sind und aus der Ferne gesteuert werden können. Speziell benannt werden am Körper getragene Geräte (Wearables, wie Smart Watches oder Fitness-Tracker) sowie „intelligente Heimgeräte“ (wie mit dem Internet verbundene Kühlschränke, Smart-TVs und Waschmaschinen). Im Bereich Dienstleistungen, die über Smart Devices angeboten werden, stehen digitale Sprachassistenten und Musik- und Video-Streaming-Dienste im Fokus.

Um ein möglichst umfassendes Verständnis für die Dynamik auf diesen Märkten zu entwickeln, hat die Europäische Kommission Unternehmen aus verschiedensten Bereichen der digitalen Wirtschaft befragt. Die Bandbreite reicht von den Herstellern von Smart Devices bis zu Anbietern von Lieferdiensten oder Carsharing. Ein vorläufiger Abschlussbericht der Europäischen Kommission ist momentan für das Frühjahr 2021 avisiert.

Die kartellrechtlichen Bedenken der Europäischen Kommission beruhen vor allem auf dem Ausmaß und der Kontinuität der Datenflüsse, die Smart Devices von Verbrauchern sammeln. Der Zugang zu diesen Daten kann für die Entwicklung von Marktmacht und Wettbewerbsstrukturen nicht nur im Bereich IoT, sondern z. B. auch bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Marktteilnehmer sollen ihre Kontrolle über diese Daten nicht dazu missbrauchen können, den Wettbewerb zu verfälschen oder auf andere Weise Wettbewerber von (neu entstehenden) Märkten auszuschließen.

Ein weiterer Fokus der Sektoruntersuchung liegt auf der Beziehung zwischen Sprachassistenten bzw. Home-Hubs auf der einen und IoT-Geräten auf der anderen Seite. Hierzu soll untersucht werden, wie Schnittstellen und Kommunikationsstandards zwischen beiden Seiten entstehen und funktionieren. Die Europäische Kommission scheint insbesondere zu befürchten, dass Sprachassistenten zu „digitalen Torwächtern“ des verbraucherbezogenen IoT werden könnten, indem sie technische Standards vorgeben, die Hersteller von Smart Devices für eine Integration von Sprachassistenten einhalten müssen. So könnten Sprachassistenten Marktstandards vorgeben und dadurch potentielle Wettbewerber ausschließen sowie den Innovationswettbewerb behindern.

Wie geht es nun weiter? Eine Sektoruntersuchung richtet sich nicht gegen ein bestimmtes Unternehmen. Allerdings hat die Europäische Kommission in der Vergangenheit die aus einer Sektoruntersuchung gewonnenen Erkenntnisse bereits zur Einleitung von Einzelverfahren genutzt. Außerdem beeinflussen Ergebnisse von Sektoruntersuchungen regelmäßig neue Rechtsakte der Europäischen Union.

Exekutiv-Vizepräsidentin und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat bereits angekündigt, in Zukunft vermehrt auf das Instrument der Sektoruntersuchung zurückgreifen zu wollen, um Entwicklungen auf den sich dynamisch verändernden und häufig vernetzten Märkten im Bereich Digitales besser verstehen zu können. Die Einleitung der Sektoruntersuchung im Bereich IoT ist damit ein weiterer Schritt in Richtung eines „Europa für das digitale Zeitalter“.

 

Sektoruntersuchung Smart-TVs: Verbraucherschutz als Wettbewerbsparameter?

Mit der 9. GWB-Novelle (2017) hat das Bundeskartellamt erstmals Befugnisse im Verbraucherschutz erhalten. Das Bundeskartellamt – in Gestalt der Beschlussabteilung Verbraucherschutz – kann seitdem sogenannte verbraucherrechtliche Sektoruntersuchungen durchführen. Eingriffsbefugnisse sind damit bisher aber nicht verbunden.

Im Fokus stehen dabei Sachverhalte, die den digitalen Alltag der Verbraucher betreffen. Das Bundeskartellamt besitzt hier aus der Kartellrechtsanwendung umfangreiche Expertise und Marktkenntnis. Von den neuen Befugnissen hat das Bundeskartellamt unmittelbar Gebrauch gemacht. Sektoruntersuchungen gab es etwa zu Vergleichsportalen, zu Fake-Bewertungen im Internet und zu Smart-TVs. Die Ergebnisse zu Letzteren hat das Bundeskartellamt im Juli 2020 in einem Abschlussbericht veröffentlicht:

Hauptkritikpunkt dieses Abschlussberichts ist, dass Smart-TVs in der Lage sind, viele und differenzierte (personenbezogene) Nutzerdaten zu erheben, den Verbrauchern aber nur ungenügend Informationen über die Datenverarbeitung bei Smart-TVs zur Verfügung gestellt werden. Dies teils sogar unter Verstoß gegen Verbraucherrecht, insbesondere gegen die Datenschutzgrundverordnung. Das Bundeskartellamt fordert daher mehr Transparenz und empfiehlt u. a.:

  1. Verbraucher sollten umfassender über die extensive Datensammlung- und Verwertung aufgeklärt werden. Datenschutzstandards, die der Hersteller gewährleistet, sollten bereits bei der Kaufentscheidung nachvollziehbar sein (etwa durch erklärende Symbole).
  2. Unternehmen sollten dazu verpflichtet werden, ihrer Aufklärungspflicht im Hinblick auf notwendige Informationen – etwa Produktinformationen, Datenschutz, Voreinstellungsmöglichkeiten, etc. – in klarer und einfacher Weise nachzukommen.
  3. Verbraucher sollten einen Anspruch auf Software-Updates gegenüber dem Hersteller erhalten.

Zudem hält das Bundeskartellamt Tipps für Verbraucher bereit. Die Intention ist, die Verbraucher zu sensibilisieren. Ziel ist offenbar, dass diese ihre Kaufentscheidung auch von der Datenschutz- und Datensicherheitsqualität eines Produkts abhängig machen können. Es rät u. a. dazu, auf die Möglichkeit zuverlässiger und längerfristiger Software-Updates zu achten. Sollten diese nicht mehr gewährleistet sein, könnte bspw. auf Zuspielgeräte ausgewichen werden. Der Käufer soll sich also die Frage stellen, wie das Gerät mit seinen Daten umgeht, und welche Optionen ihm das Unternehmen hier anbietet. Das Bundeskartellamt ermutigt die Hersteller insofern zu einem Wettbewerb um die besten Datenschutzstandards. Die fehlenden Eingriffsbefugnisse versucht es mit den Kräften des Wettbewerbs zu kompensieren. Verbraucherschutz als Wettbewerbsparameter.

Die Untersuchungen zeigen den Trend der jüngeren Jahre, dass Verbraucherschutz, insbesondere Datenschutz, und Kartellrecht immer stärker miteinander verknüpft werden. Smart-TVs stehen dabei stellvertretend für das „Internet of Things“ – die Wertungen sind daher auf zahlreiche „smarte“ Geräte zu übertragen. Datenschutz und Verbraucherschutz werden künftig zu immer wichtigeren Wettbewerbsparametern. Es ist daher zu erwarten, dass Verstöße gegen verbraucherschützende Normen (wie insbesondere das Datenschutzrecht) im Kartellrecht an Bedeutung gewinnen und gegebenenfalls auch als Ausgangspunkt für einen Kartellrechtsverstoß herangezogen werden.

 

Bundeskartellamt untersucht gefälschte Nutzerbewertungen beim Online-Kauf: Betreiber sollten stärker zur Verantwortung gezogen werden

Bevor sie im Internet Geld für Produkte oder Dienstleistungen ausgeben, informiert sich eine stetig zunehmende Zahl von Verbrauchern anhand der Erfahrungsberichte und Bewertungen anderer Nutzer. Doch oftmals sind die Bewertungen gefälscht oder systematisch verzerrt. Diesen ebenfalls zunehmenden Trend hat das Bundeskartellamt einer Sektoruntersuchung unterworfen, deren Gegenstand die Funktionsweisen von Bewertungssystemen und die Interessenlagen der verschiedenen Marktteilnehmer war. Damit hat das Bundeskartellamt abermals von seiner noch recht neuen Befugnis nach § 32e Abs. 5 GWB Gebrauch gemacht, wonach es auch dann eine Sektoruntersuchung einleiten kann, wenn ein begründeter Verdacht auf erhebliche, dauerhafte oder wiederholte Verstöße gegen verbraucherrechtliche Vorschriften vorliegt.

Im Rahmen der Anfang Oktober 2020 abgeschlossenen Untersuchung befragte das Bundeskartellamt insgesamt 66 für deutsche Verbraucher besonders relevante Internetportale, die Nutzerbewertungen für Produkte, Unternehmen oder Apps aus insgesamt 16 verschiedenen Branchen anzeigen. Nach Auffassung des Bundeskartellamts sollten die Portale als Betreiber der Bewertungssysteme für die Identifizierung und Entfernung von manipulierten oder nicht authentischen Bewertungen auf ihren Webseiten stärker zur Verantwortung gezogen werden. Zur Verbesserung schlägt das Bundeskartellamt vor, dass Portale verstärkt die Möglichkeiten automatisierter Datenanalyse und technischer Filter nutzen, um Bewertungen bereits vor der Veröffentlichung auf Authentizität und mögliche Manipulationen zu überprüfen.

Verfahren gegen einzelne Unternehmen, bei denen der Verdacht auf Verbraucherrechtsverstöße entstanden ist, kann das Bundeskartellamt nicht einleiten. Anders als bei Kartellrechtsverstößen stehen dem Bundeskartellamt bei Verstößen gegen Verbraucherschutzrecht bisher keine entsprechenden Befugnisse zu. Die Vorschläge des Bundeskartellamts können somit lediglich auf freiwilliger Basis bzw. mittelbar durch eine verstärkte zivilrechtliche Verfolgung von Rechtsverstößen im Zusammenhang mit Nutzerbewertungen umgesetzt werden. Bisher werden gefälschte Bewertungen von den deutschen Gerichten überwiegend als Verstoß gegen das Lauterkeitsrecht gewertet. Auf europäischer Ebene sind im Rahmen des sogenannten New Deal for Consumers eine Reihe von Regelungen zum Schutz vor gefälschten Verbraucherbewertungen beschlossen worden.