Russland-Sanktionen: EuGH erlaubt die Einziehung von Erlösen aus Sanktionsverstößen
Mit Urteil vom 10. September 2024 (C-351/22) hat der Europäische Gerichtshof („EuGH“) entschieden, dass der Erlös aus einem sanktionsrechtswidrigen Vermittlungsgeschäft über Militärgüter vollständig eingezogen werden darf.
Im Ausgangsverfahren klagte ein als Gütervermittler in der Luftfahrtbranche tätiges Unternehmen aus Rumänien gegen einen behördlichen Bußgeldbescheid. Der Kläger hatte ein Geschäft über die Lieferung von Funkstationen zwischen einem ukrainischen und einem indischen Unternehmen vermittelt. Bei den Funkstationen handelte es sich um Militärgüter nach der Gemeinsamen Militärgüterliste der Europäischen Union. Im Januar 2019 organisierte der rumänische Vermittler die Lieferung von insgesamt 32 Funkstationen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten an den indischen Endkunden und erhielt dafür einen Betrag von umgerechnet knapp drei Mio. Euro. Die Funkstationen hatte der rumänische Vermittler zuvor von einem portugiesischen Händler erworben, 20 dieser Funkstationen waren in Russland hergestellt worden.
Die rumänischen Behörden bewerteten dieses Vermittlungsgeschäft als eine verbotene Erbringung von Vermittlungsdiensten für Personen im Russland im Zusammenhang mit Militärgütern. Deshalb ordneten sie gegenüber dem späteren Kläger neben einer Geldbuße von ca. 6.000 Euro auch die vollständige Einziehung des aus dem Vermittlungsgeschäft erlangten Erlöses an. Das rumänische Unternehmen klagte gegen den Bescheid und trug dabei vor, es liege schon kein Verstoß gegen das Vermittlungsverbot vor. Jedenfalls verstoße die Einziehung gegen ihre Eigentumsfreiheit.
Das Berufungsgericht wollte vom EuGH wissen, ob das Vermittlungsverbot auch dann anwendbar ist, wenn die vermittelten Güter niemals in das Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats eingeführt worden waren. Zudem fragte es danach, ob die Einziehung des erlangten Erlöses mit dem Unionsrecht vereinbar ist.
Zuständigkeit des EuGH auch bei versäumter Sanktionsumsetzung
Der EuGH musste zunächst seine Zuständigkeit rechtfertigen. Denn im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik ist der EuGH grundsätzlich unzuständig (Art. 275 AEU-Vertrag). Er bleibt allerdings zuständig für Nichtigkeitsklagen natürlicher und juristischer Personen im Zusammenhang mit vom Rat verhängten restriktiven Maßnahmen, sprich Sanktionen.
Hierbei ergab sich die Besonderheit, dass das Verbot von Vermittlungsdiensten für Personen im Russland im Zusammenhang mit Militärgütern zwar seit Langem im Beschluss über die Russland-Sanktionen vorgesehen war (Art. 2 Abs. 2 Buchst. a Beschluss (EU) 2014/512). Der Rat hat das Verbot jedoch erst am 23.06.2023 allgemeinverbindlich umgesetzt. Seither ist das Vermittlungsverbot für Militärgüter in Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Verordnung (EU) 833/2014 geregelt. Der EuGH ließ sich von der verzögerten Umsetzung indes nicht beirren. Seine Zuständigkeit könne nicht dadurch eingeschränkt werden, dass der Rat die erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen unterlässt. Bei der Umsetzung von Sanktionsbeschlüssen habe der Rat kein Ermessen. Hätte der Rat das Vermittlungsverbot für Militärgüter wie vorgeschrieben umgesetzt, wäre der EuGH im Zeitpunkt des vermeintlichen Verstoßes unzweifelhaft zuständig gewesen. Versäumnisse des Rates bei der Sanktionsumsetzung können die Zuständigkeit des EuGH demnach nicht einschränken.
Vermittlungsverbot setzt keine Einfuhr der Ware in das Unionsgebiet voraus
Die Frage, ob das Vermittlungsverbot auch dann anwendbar ist, wenn die vermittelten Militärgüter das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nie erreicht haben, bejahte der EuGH.
Die im Vermittlungsverbot verwendete Formulierung „unmittelbar oder mittelbar“ mache deutlich, dass das Verbot weit zu verstehen sei. Diese Argumentation ist aus der Rechtsprechung des EuGH zum sanktionsrechtlichen Bereitstellungsverbot bekannt (siehe etwa EuGH, Urt. v. 11.10.2007, C-117/06). Zudem sei weder dem Vermittlungsverbot noch einer anderen sanktionsrechtlichen Vorschrift die Voraussetzung zu entnehmen, dass die vermittelten Güter in das Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats eingeführt werden müssen. Auf ein solches Erfordernis zu verzichten, sei angesichts der Ziele der Russland-Sanktionen auch gerechtfertigt. Die von der EU verhängten Sanktionen zielten nämlich darauf ab, die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine möglichst effektiv zu schützen und eine friedliche Beilegung des Konflikts zu unterstützen. Das Vermittlungsverbot könne im Übrigen zu leicht umgangen werden, wenn es darauf ankäme, ob die vermittelten Militärgüter das Unionsgebiet durchquert haben.
Einziehung ist keine Enteignung
Im Mittelpunkt des EuGH-Urteils stand die Frage, ob die vollständige Einziehung des Erlöses aus dem verbotenen Vermittlungsgeschäft mit dem Eigentumsgrundrecht vereinbar war. Anknüpfend an die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die auch im Unionsrecht zu beachten ist (siehe Art. 52 Abs. 3 der EU-Grundrechtecharta), stellte der EuGH zunächst klar, dass es sich bei der Einziehung von Erträgen aus einer rechtswidrigen Handlung nicht um einen Eigentumsentzug, sondern bloß um eine Regelung zur Eigentumsnutzung handelt. Die Anforderungen für eine grundrechtliche Rechtfertigung der Einziehung sind damit deutlich geringer.
Nach Ansicht des EuGH ist die Einziehung der Erlöse aus einem sanktionsrechtswidrigen Vermittlungsgeschäft auch verhältnismäßig. Sie sei geeignet, um Wirtschaftsteilnehmer von der Durchführung solcher Geschäfte abzuhalten und zugleich dazu anzuhalten, das Vermittlungsverbot sowie behördliche Informationspflichten zur Kontrolle von Geschäften mit Militärgütern zu beachten. Angesichts des möglichen wirtschaftlichen Vorteils von knapp drei Mio. Euro sei zudem die Verhängung der Geldbuße in Höhe des gesetzlichen Höchstbetrags von ca. 6.000 Euro offensichtlich nicht ausreichend, um Wirtschaftsteilnehmer von zukünftigen Verstößen gegen das Vermittlungsverbot abzuhalten. Der EuGH betonte dabei erneut den mit den Sanktionen bezweckten Schutz der Ukraine, der sich in das übergeordnete Ziel von Frieden und internationaler Sicherheit einfüge (diese Ziele rechtfertigen auch das Einfrieren von Geldern sanktionierter Personen, siehe EuG, Urt. v. 11.09.2024, T‑494/22). Die Einziehung der Erlöse aus einem Sanktionsverstoß ist deshalb unionsrechtlich nicht zu beanstanden.
(Künftige) Strafbarkeit von Verstößen gegen das Vermittlungsverbot
In Deutschland sind Vermittlungsgeschäfte über die Lieferung von Rüstungsgüter unter den Voraussetzungen von § 46 Abs. 1 AWV generell genehmigungspflichtig. Die Vornahme eines solchen Vermittlungsgeschäfts ohne Genehmigung kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft werden (§ 18 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a AWG).
Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen das sanktionsrechtliche Verbot von Vermittlungsdiensten für Personen im Russland im Zusammenhang mit Militärgütern sind hingegen im deutschen Recht derzeit nicht eigenständig geregelt. Dies wird sich jedoch voraussichtlich bald ändern. Denn nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie (EU) 2024/1226 zur Definition von Straftatbeständen und Sanktionen bei Verstoß gegen restriktive Maßnahmen der Union (dazu bereits hier) zählt die vorsätzliche Erbringung von Vermittlungsdiensten unter Verstoß gegen ein sanktionsrechtliches Verbot zu den Handlungen, die die Mitgliedstaaten künftig mit den Mitteln des Strafrechts verfolgen müssen. Die Mitgliedstaaten müssen zudem gewährleisten, dass Erlöse aus einem Verstoß gegen das Vermittlungsverbot sichergestellt und eingezogen werden können (Art. 10 der Richtlinie (EU) 2024/1226). Die bereits in Kraft getretene Richtlinie ist von den Mitgliedstaaten bis zum 20.05.2025 in nationales Recht umzusetzen.
Der zur Umsetzung der Richtlinie vorgelegte Referentenentwurf des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (dazu hier) sieht insofern vor, dass die Strafbarkeit eines Verstoßes gegen ein sanktionsrechtliches Verbot der Erbringung von Vermittlungsdiensten zukünftig in § 18 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AWG geregelt wird. Eine Sondervorschrift für die Einziehung von Taterträgen ist im Referentenentwurf nicht vorgesehen. Denn die neu geregelte Strafbarkeit führt dazu, dass für Verstöße gegen das sanktionsrechtliche Vermittlungsverbot die allgemeinen Vorschriften über die Einziehung im Strafgesetzbuch gelten werden. Gemäß § 73 Abs. 1 StGB hat das Strafgericht zwingend die Einziehung dessen anzuordnen, was der Täter durch oder für die Straftat erlangt hat. Bei der Entscheidung über die Einziehung der Erträge aus einer Straftat steht dem Gericht also kein Ermessen zu. Strafbare Sanktionsverstöße sollen sich nicht lohnen. Nach Ansicht des EuGH gilt das für alle Sanktionsverstöße.