Big Data im Jahr 2018
„Big Data“ wird 2018 aller Voraussicht nach ein fester Bestandteil der kartellrechtlichen Schlagzeilen. Hinter dem vielfach verwendeten Schlagwort verbirgt sich die Erhebung, Verarbeitung und Auswertung großer und komplexer Datenmengen aus unterschiedlichsten Quellen in möglichst hoher Geschwindigkeit (häufig zusammengefasst als die sog. 3Vs – Volume, Variety und Velocity) sowie die auf solchen Anwendungen basierenden Geschäftsmodelle.
Datenbasierte Geschäftsmodelle sind in vielen Industrien zu einem bedeutenden Erfolgsfaktor und Wettbewerbsparameter geworden. So nutzen in immer bedeutenderem Umfang auch Unternehmen der sog. „Old Economy“ Big Data-Anwendungen, um Geschäftsprozesse zu optimieren, Kosten für die Produktion und den Vertrieb zu senken und die Produktqualität zu verbessern.
Big Data im Fokus der europäischen Wettbewerbshüter
Die Europäische Kommission als auch viele Wettbewerbsbehörden der EU-Mitgliedstaaten beobachten aufmerksam die mit Big Data verbundene automatisierte Auswertung personenbezogener Daten und hinterfragen insbesondere die Transparenz der Datenerhebung wie auch ihrer Nutzung.
In Deutschland hat der Gesetzgeber mit der 9. GWB-Novelle, die am 9. Juni 2017 in Kraft getreten ist, die wachsende Bedeutung von Daten als Wettbewerbsparameter anerkannt und den bisherigen kartellrechtlichen Regelungsrahmen an die Herausforderungen von Big Data angepasst.
So wurde im Bereich der Missbrauchskontrolle ausdrücklich gesetzlich normiert, dass ein wettbewerbsrechtlich relevanter Markt auch bei unentgeltlichen Leistungsbeziehungen existieren kann, also auch dann, wenn Verbraucher ein kostenloses Online-Angebot nutzen. Daneben wurden die für die Bemessung von Marktmacht heranzuziehenden Kriterien um auf die Digitalwirtschaft zugeschnittene Kriterien erweitert. Eine herausgehobene Stellung erhalten insbesondere Netzwerkeffekte und der Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten.
Für das Jahr 2018 ist – auch vor dem Hintergrund des Inkrafttretens der europäischen Datenschutz-Grundverordnung – mit einer verstärkten Prüftätigkeit auf europäischer und nationaler Ebene zu den Wirkungen von Big Data im Wettbewerb, bspw. als Markteintrittsbarriere, zu rechnen. Die Einleitung diesbezüglicher Marktmissbrauchsverfahren wäre nicht überraschend. Dass der Zugang zu Daten gerade für kleinere oder neu gegründete Unternehmen ein signifikanter Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu bereits etablierten Unternehmen sein kann, war bereits Gegenstand des im Mai 2016 gemeinsam durch Bundeskartellamt und der französischen Wettbewerbsbehörde, der Autorité de la Concurrence, veröffentlichten Papiers „Competition Law and Data“. Auch die Wettbewerbskommissarin der Europäischen Union, Margrethe Vestager, hat mehrfach – zuletzt im Januar 2018 in einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ – angekündigt, in Zukunft verstärkt untersuchen zu lassen, ob und wie große Unternehmen Big Data dazu nutzen, Wettbewerber von einem Markt auszuschließen. Im Ergebnis eines solchen Verfahrens könnte letztlich sogar ein marktbeherrschendes Unternehmen dazu verpflichtet werden, Wettbewerbern Zugang zu den bei ihm vorhandenen Datenbeständen zu verschaffen.
Facebook-Verfahren des Bundeskartellamtes
Mit Spannung erwartet wird die für den Frühsommer 2018 angekündigte Entscheidung des Bundeskartellamtes im Missbrauchsverfahren gegen Facebook. Im März 2016 hatte das Bundeskartellamt ein Verfahren gegen Facebook wegen des Verdachts auf Marktmachtmissbrauch durch missbräuchliche Ausgestaltung seiner Nutzungsbedingungen eingeleitet.
Laut der im Dezember 2017 veröffentlichten vorläufigen Einschätzung bewertet das Bundeskartellamt Facebook als marktbeherrschendes Unternehmen auf dem Markt für soziale Netzwerke. Nach der vorläufigen Auffassung des Amtes handele Facebook missbräuchlich, indem es die Nutzung seines Netzwerkes davon abhängig mache, unbegrenzt jegliche Art von Nutzerdaten aus konzerneigenen und fremden Drittquellen – auf die Facebook über Schnittstellen zugreifen kann – zu sammeln und mit dem Facebook-Konto zusammenzuführen. Hierfür läge keine wirksame Einwilligung der Nutzer vor, was gegen zwingende datenschutzrechtliche Wertungen verstoße.
Vor der abschließenden Entscheidung hat Facebook nun zunächst die Möglichkeit, auf die Vorwürfe des Bundeskartellamtes zu reagieren. In Betracht kommt auch, dass Facebook das vom Bundeskartellamt angeprangerte Sammeln von Daten einstellt oder Verpflichtungszusagen unterbreitet, um eine für das Unternehmen negative Entscheidung zu verhindern.
Das Ergebnis des Verfahrens wird in vielerlei Hinsicht wegweisend sein. So könnte Facebook dazu gezwungen sein, seine Datenschutzbestimmungen an die wettbewerbsrechtlichen Vorgaben anzupassen. Schwerer wiegen dürfte allerding die mit der Feststellung einer Marktbeherrschung verbundene höheren Verhaltensanforderungen, die Ausgangspunkt zukünftiger Missbrauchsverfahren sein können.
Durchsetzung des Datenschutzrechts zukünftig (auch) durch die Kartellbehörden?
Das Facebook-Verfahren wird einen ersten Hinweis geben, inwiefern die Verletzung des Datenschutzrechts zugleich den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründen kann. Bislang haben sich die Europäische Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden für die Verfolgung rein datenschutzrechtlicher Verstöße als nicht zuständig erachtet. Konsequenz des Facebook-Verfahrens könnte nunmehr eine Doppelkontrolle durch Datenschutz- und Kartellbehörden sein. Dies wirft in erster Linie Kompetenzfragen auf. Noch bedeutender wird jedoch die Frage sein, ob ein Unternehmen für einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften dem Risiko eines doppelten Bußgeldes ausgesetzt sein wird.
Internationale Kooperation von Kartell- und Datenschutzbehörden?
Das Jahr 2018 wird eine weitere Entfaltung der Zusammenarbeit zwischen Kartell- und Datenschutzbehörden in Deutschland als – mit Inkrafttreten der Datenschutz-Grundverordnung – auch den Startschuss für eine stärkere Kooperation auf europäischer Ebene mit sich bringen. Mit der 9. GWB-Novelle wurde die Kooperation zwischen Datenschutz- und Kartellbehörden in Deutschland normiert. Für die Zusammenarbeit mit Datenschutzbehörden außerhalb Deutschlands fehlt es (noch) an einer ausdrücklichen Regelung.
Erste Anwendungsfälle für transaktionswertbezogene Aufgreifschwelle
Neben den Regelungen zur Missbrauchskontrolle wurden im Zuge der 9. GWB-Novelle auch die Vorschriften zur Fusionskontrolle an die Herausforderungen der digitalen Wirtschaft angepasst. Insbesondere wurde eine weitere Aufgreifschwelle eingeführt, die insbesondere auf den Wert der Transaktion abstellt, statt allein auf die Umsatzerlöse der beteiligten Unternehmen. Dadurch sollen u.a. auch Transaktionen in der Digitalwirtschaft erfasst werden, bei denen das Zielunternehmen (noch) keine signifikanten Umsätze erwirtschaftet, aber bspw. aufgrund seines Bestands an Nutzerdaten und eines innovativen Geschäftsmodells ein attraktives Ziel darstellt. Die neue Aufgreifschwelle wirft eine Vielzahl von Anwendungsfragen auf. Das Bundeskartellamt und die österreichische Bundeswettbewerbsbehörde haben angekündigt, in der ersten Hälfte des Jahres 2018 einen gemeinsamen Leitfaden zu veröffentlichen, der Hinweise für die Auslegung der Transaktionswert-Aufgreifschwelle geben soll.
Die Einführung einer transaktionswertbezogenen Aufgreifschwellen wird auch auf europäischer Ebene diskutiert. Das diesbezügliche Konsultationsverfahren wurde im Januar 2017 abgeschlossen, die Veröffentlichung eines darauf basierenden Aktionsplans steht noch aus.