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Beschlag­nahme von Unterlagen: Enttäuschend formale Betrachtungs­weise des BVerfG

10.07.2018

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat heute über die Verfassungsbeschwerden der Volkswagen AG, der Kanzlei Jones Day sowie von drei Rechtsanwälten von Jones Day gegen die Durchsuchung der Kanzleiräume und der Beschlagnahme von Unterlagen der für die Volkswagen AG durchgeführten Internal Investigation entschieden und diese überraschend abgewiesen, obgleich zuvor bereits zwei Mal einstweilige Anordnungen erlassen worden waren, die es der Staatsanwaltschaft München II untersagt haben, die beschlagnahmten Unterlagen auszuwerten. Dabei hat sich das BVerfG (Pressemitteilung) bedauerlicherweise auf eine sehr formale Betrachtung zurückgezogen.

Die Verfassungsbeschwerde von Jones Day und seiner dort tätigen Rechtsanwälte wurde bereits aus formalen Gründen abgewiesen, da Jones Day als Rechtsanwaltskanzlei mit hauptsächlichem Geschäftssitz in einem Nicht-EU-Staat nicht grundrechtsfähig sei. Individuelle Rechte der in Büros in Deutschland tätigen Rechtsanwälte von Jones Day seien ebenfalls nicht betroffen.

Aber auch die Verfassungsbeschwerde der Volkswagen AG wurde mit einer – im Ergebnis nicht überzeugenden Begründung – verworfen. Eine Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen aus Internal Investigations bestehe nur dann, wenn das Unternehmen Betroffene oder (Einziehungs-)Beteiligte eines Ermittlungsverfahrens sei oder wenn eine solche Stellung nach dem Stand des Ermittlungsverfahrens naheliege. Alleine die Befürchtung des Unternehmens, künftig von einem Ermittlungsverfahren betroffen zu sein, genüge hierfür noch nicht.

Das BVerfG räumt insoweit den Interessen an einer effektiven Strafverfolgung den Vorrang vor Verteidigungsinteressen des Unternehmens ein. Die behauptete Gefahr, Beweismittel könnten bewusst in die Sphäre des Rechtsanwalts verlagert werden, erscheint jedoch fernliegend, da Rechtsanwälte schon als Organe der Rechtspflege nicht an Handlungen mitwirken dürfen, die dem Zwecke der Strafvereitelung dienen. Zwar gab es zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bereits gegen die Volkswagen AG und deren Mitarbeiter eingeleitete Strafverfahren, jedoch sei die Beschlagnahme nicht in diesem Verfahren erfolgt, sondern in einem anderen Verfahren einer anderen Staatsanwaltschaft gegen die Audi AG. Diese sei auch nicht in den Schutzumfang des Mandats von Jones Day einbezogen gewesen. Mit dieser formalen Betrachtungsweise verkennt das BVerfG hingegen, dass auch außerhalb eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens eine enge Vertrauensbeziehung zwischen Unternehmen und Rechtsanwälten besteht, gerade bei der Beauftragung zur Durchführung einer Internal Investigation. Zudem bleibt auch unberücksichtigt, dass Unternehmen schon nach Maßgabe der Vorschriften des Gesellschaftsrechts bei Verdacht von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zur Durchführung einer Internal Investigation verpflichtet sind, gerade auch in Konzernkonstellationen.

Ungeachtet dieser Entscheidung sind Unternehmen bei Internal Investigations auch in Zukunft mit Blick auf Informationen, die in diesem Zusammenhang an Rechtsanwälte gelangen, nicht schutzlos. Vielmehr werden sich in vielen Fällen Strukturen schaffen lassen, die gute Aussichten auf die gerichtsfeste Anerkennung von Beschlagnahmefreiheit bieten. In Konzernen wird bei Internal Investigations in Beteiligungsunternehmen sichergestellt werden müssen, dass zumindest auch eine Mandatierung durch die jeweils zuständigen Organe des betroffenen Unternehmens erfolgt, flankiert durch eine Schweigepflichtsentbindung der mandatierten Rechtsanwälte gegenüber der Konzernmutter. Auch die zur Erlangung höherer Unabhängigkeit oftmals verfolgte Trennung der Funktionen zwischen Sachverhaltsermittlung durch eine mit der Internal Investigation beauftragte Anwaltskanzlei und der Verteidigung des Unternehmens auf Grundlage des so ermittelten Sachverhalts durch andere Verteidiger, wird auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Werden beide Funktionen in einer Kanzlei vereinigt, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Anerkennung von Beschlagnahmefreiheit.

Die Entscheidung des BVerfG dürfte schließlich nicht das letzte Wort bedeuten, wenn es um die Frage der Beschlagnahmefreiheit von Unterlagen bei Interal Investigations geht. Im Koalitionsvertrag wurde die Schaffung eines Gesetzeswerks angekündigt, das auch die Rechtsfragen von Internal Investigations, und insbesondere die Voraussetzungen der Beschlagnahme von hierbei erlangten Unterlagen, regeln soll. Dieser wird nunmit Spannung erwartet.