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Algorithmen 2018 verstärkt im Fokus der Kartell­behörden

07.03.2018

Die zunehmende Verwendung von Algorithmen zur quasi-selbständigen Preisanpassung (sog. dynamic pricing) in der Digitalwirtschaft wird im Jahr 2018 mehr denn je von den europäischen Kartellbehörden als eine Herausforderung für den funktionierenden Wettbewerb in den Fokus genommen werden. Das Thema fügt sich damit insgesamt in die verstärkte Beobachtung und Untersuchung von digitalen Geschäftsfeldern ein, wie die vor Kurzem vom Bundeskartellamt eingeleitete Sektoruntersuchung zu Vergleichsportalen zeigt, ebenso wie Kartellverfahren im Bereich eCommerce und Ankündigungen der Behörden, noch intensiver das Phänomen „Datenmacht“ (big data) zu untersuchen.

Zuletzt hatte unter anderem der Präsident des Bundeskartellamtes Andreas Mundt im Zusammenhang mit der Preisentwicklung auf dem deutschen Luftverkehrsmarkt im Dezember 2017 betont, dass Unternehmen sich im Hinblick auf ihre kartellrechtliche Verantwortung nicht hinter Algorithmen verstecken können, die sie zur Festlegung ihrer Preise einsetzen. Ähnlich hatte sich bereits im März 2017 EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager geäußert und klargestellt, dass Unternehmen für wettbewerbsschädliche Effekte der von ihnen eingesetzten Systeme zur automatischen Preisfestsetzung zur Verantwortung gezogen werden. Mit einem Blick über die Wettbewerbspolitik hinaus sieht die Kommissarin in der Verwendung von Algorithmen zur automatisierten Entscheidungsfindung sogar die Gefahr, dass die Demokratie „unterminiert“ werden könnte.

Inwieweit Kartellbehörden die Möglichkeit haben, mit dem existierenden kartellrechtlichen Instrumentarium gegen vermeintliche schädliche Auswirkungen des Einsatzes von (Preis-)algorithmen vorzugehen, ist jedoch nach wie vor unklar. Ebenso wird gerade intensiv diskutiert, wo die Grenzen der Verantwortlichkeit für Algorithmen und Künstliche Intelligenz (KI) insgesamt enden.

Ein Eingreifen der Kartellbehörden ist aber jedenfalls unstreitig dort möglich, wo Preisalgorithmen (quasi als „verlängerter Arm“) verwendet werden, um zuvor zwischen Menschen getroffene wettbewerbswidrige Absprachen (Verstoß gegen das Kartellverbot, Art. 101 Abs. 1 AEUV) oder ein von Menschen beschlossenes missbräuchliches Marktverhalten (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung, Art. 102 AEUV) umzusetzen. Kartellbehörden haben in der jüngeren Vergangenheit in derartigen Fällen – dies betraf sowohl Absprachen zwischen Wettbewerbern als auch Fälle der vertikalen Preisbindung – Bußgelder gegen Unternehmen verhängt; weitere Fälle befinden sich noch im Stadium des Ermittlungsverfahrens. Eine kartellrechtliche Haftung ist auch dort denkbar, wo mehrere Wettbewerber ihre Preissetzung auf einen identischen Dritten (den Algorithmus-Anbieter) übertragen haben und ihnen klar sein musste, dass dies zu einer Preisangleichung nach oben führen wird.

Rechtliche Schwierigkeiten ergeben sich hingegen dort, wo Preissetzungsalgorithmen potentiell wettbewerbsschädliche Auswirkungen von Verhaltensweisen verstärken, die in der Regel nicht gegen das Kartellrecht verstoßen. Dies gilt insbesondere für das sog. „bewusste Parallelverhalten“, bei dem Unternehmen ihre Preise einander anpassen, ohne dass dieser Anpassung eine Vereinbarung oder sonstige Abstimmung zugrunde liegt (z. B. wenn ein Unternehmen für sich entscheidet, Preiserhöhungen eines anderen Unternehmens stets zu folgen und den von ihm verwendeten Preisalgorithmus entsprechend programmiert). Ein solches Verhalten wäre auch in der „offline“-Welt nicht verboten, wirft aber natürlich durch die technische Komponente (Anpassungsschnelligkeit in Bruchteilen von Sekunden und Lückenlosigkeit bei der Beobachtung von Wettbewerberpreisen) und mögliche schädliche Auswirkungen auf die Märkte die Frage auf, ob dies auch im „online“-Bereich kartellrechtlich ohne Weiteres zulässig ist.

Tatsächliche Schwierigkeiten ergeben sich überdies, wenn der Algorithmus so komplex ist, dass der Nachweis kartellrechtswidrigen Verhaltens der betroffenen Unternehmen nur sehr schwer zu erbringen ist. Dies zeigt nicht zuletzt auch das Google-Verfahren, in dem die Europäische Kommission für die Überwachung der von Google gemachten Verpflichtungszusagen hinsichtlich seiner Algorithmen auf externe Hilfe angewiesen ist. Diese Nachweisschwierigkeiten werden weiter steigen, je weiter die verwendeten Preissetzungsmechanismen sich in Richtung „Deep Learning“ und KI weiterentwickeln. Als weitere Entwicklungsstufe sind insbesondere automatische Preissetzungssysteme denkbar, die ohne jeden menschlichen Input zu dem Ergebnis kommen, dass eine Kooperation bei der Preisfestsetzung wettbewerblichem Verhalten vorzuziehen ist (sog. Roboterkartelle).

Diskutiert wird deshalb, ob die dargestellten Entwicklungen mittelfristig auch regulatorische Eingriffen erforderlich machen könnten und es einer Gesetzesgrundlage bedarf. Denkbar wären zum einen eine Veränderung der Beweislast für das Vorliegen einer kartellrechtswidrigen Absprache zulasten von Unternehmen, die Algorithmen verwenden, oder eine „Gefährdungshaftung“ für antikompetitive Auswirkungen von Preisalgorithmen mit entsprechenden Überwachungspflichten. Möglich wären darüber hinaus auch Vorgaben für die Entwicklung von Preisalgorithmen, die antikompetitive Verhaltensweisen ausschließen und Preisentscheidungen für Kartellbehörden nachvollziehbar machen (sog. compliance by design).

Bereits jetzt sind Unternehmen gut beraten, wenn sie auch beim Einsatz von Preisalgorithmen und sonstigen digitalen Funktionen im Unternehmen Maßnahmen zur Einhaltung des Kartellrechts treffen und sich über die genaue Funktionsweise der verwendeten Systeme im Klaren sind, da Unkenntnis insoweit nicht vor kartellrechtlichen Sanktionen schützt. Dies hat Kommissarin Vestager bereits im März 2017 klargestellt: „Businesses … need to know that when they decide to use an automated system, they will be held responsible for what it does. So they had better know how that system works.”