BREXIT – Ablauf des Übergangszeitraums
Mit Ablauf des Brexit-Übergangszeitraums sind Unternehmen, die über den Ärmelkanal hinweg Handel treiben, ab dem 1. Januar 2021 gut beraten, die Einhaltung der Zollvorschriften, insbesondere im Bereich des Präferenzursprungs, sicherzustellen, um die Vorteile des kürzlich abgeschlossenen Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich in vollem Umfang nutzen zu können.
Hintergrund
An Heiligabend 2020 konnten sich die Europäische Kommission und das Vereinigte Königreich schließlich über die Bedingungen ihrer zukünftigen Zusammenarbeit einigen und schlossen das Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich. Diese Einigung in allerletzter Minute kam nach scheinbar endlosen Verhandlungen zustande, die permanent am Rande des Scheiterns zu stehen schienen und vor allem für Unternehmen nervenaufreibend waren, die ein vitales Interesse an den Einzelheiten der künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich haben.
Bis zum Inkrafttreten des Handelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, wozu insbesondere ein einstimmiger Beschluss des Europäischen Rates, die Zustimmung des Europäischen Parlaments sowie eine entsprechende Abstimmung des britischen Parlaments erforderlich sind, hat die Kommission vorgeschlagen, das Abkommen bis zum 28. Februar 2021 vorläufig anzuwenden. Wichtig ist, zu erwähnen, dass das Austrittsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich, das seit dem 1. Februar 2020 in Kraft ist, zusammen mit dem lange umstrittenen Protokoll zu Irland und Nordirland in Kraft bleibt.
Das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich deckt folgende Bereiche ab: Handel mit Waren und Dienstleistungen, digitaler Handel, geistiges Eigentum, öffentliches Auftragswesen, Luft- und Straßenverkehr, Energie, Fischerei, Koordinierung der sozialen Sicherheit, Strafverfolgung und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, Teilnahme an ausgewählten EU-Programmen sowie thematische Zusammenarbeit.
Trotz des breitgefächerten Geltungsbereichs des Handelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich wird es am 1. Januar 2021, d.h. mit Ablauf des Brexit-Übergangszeitraums, während dessen das EU-Recht noch weitgehend für das Vereinigte Königreich galt, obwohl es bereits 11 Monate als EU-Mitgliedsstaat ausgeschieden war, einschneidende Änderungen geben. Im Folgenden möchten wir die wichtigsten Auswirkungen aus zollrechtlicher Sicht näher betrachten.
Einschneidende Veränderungen ab dem 1. Januar 2021
Ab dem 1. Januar 2021 wird das Vereinigte Königreich den EU-Binnenmarkt und die Zollunion ebenso wie die meisten EU-Politiken und alle internationalen Abkommen mit Drittstaaten verlassen. Der freie Personen-, Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU wird damit prinzipiell beendet. Die EU und das Vereinigte Königreich werden fortan zwei unterschiedliche Regulierungs- und Rechtsräume und zwei unterschiedliche Märkte bilden, die durch mehr als nur den Ärmelkanal voneinander getrennt sind. Hierdurch werden für die grenzüberschreitende Mobilität zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sowie für den Handel mit Waren und Dienstleistungen Barrieren (wieder-)eingeführt, was für Unternehmen zu höheren Kosten führt und Anpassungen der integrierten Lieferketten zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich erfordert.
Zölle von null Prozent und keinerlei Quoten für sämtliche Waren vom ersten Tag an
Was die Liberalisierung des Warenhandels in beide Richtungen betrifft, sieht das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich die ehrgeizigsten Markzugangsverpflichtungen vor, die jemals in einem EU-Freihandelsabkommen vereinbart wurden: Zölle von null Prozent und keinerlei Quoten für alle Waren vom ersten Tag an, was für beide Seiten wesentlich vorteilhafter ist, als wenn der Warenhandel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU auf der Grundlage der grundlegenden Verpflichtungen der Welthandelsorganisation (WTO) hätte abgewickelt werden müssen, wonach zum Beispiel Importe von Kraftfahrzeugen mit Zöllen von 10 % belegt worden wären, während Einfuhren bestimmter Lebensmittel mit prohibitiv hohen Zöllen von über 50 % hätten belegt werden können.
Doch so ehrgeizig und wichtig die Abschaffung aller Zölle und Quoten im Warenhandel auch sein mag, das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ändert nichts an der Tatsache, dass der künftige Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich entscheidend hinter dem reibungslosen Handel zurückbleiben wird, den beide Parteien im Rahmen der Zollunion und des Binnenmarktes der EU genossen. Neben der Tatsache, dass sämtliche Importe in das Vereinigten Königreich künftig sämtliche EU-Standards erfüllen müssen und aus Sicherheits-, Gesundheits- und anderen politischen Gründen behördlichen Überprüfungen und Kontrollen unterworfen sein werden, ist dies vor allem aus den beiden nachstehend genannten zolltechnischen Gründen der Fall.
Neue Zollkontrollen und -formalitäten auf beiden Seiten
Wie bereits erwähnt, wird das Vereinigte Königreich ab dem 1. Januar 2021 nicht mehr der Zollunion der EU angehören. Dies bedeutet, dass ab diesem Datum alle Zollformalitäten, einschließlich der summarischen Eingangs- und Ausgangsanmeldungen sowie die nach EU-Recht erforderlichen Kontrollen (die hauptsächlich im EU-Zollkodex und den dazugehörigen Instrumenten zu finden sind) für alle Waren gelten, die aus dem Vereinigten Königreich in das Zollgebiet der EU gelangen, oder dieses Zollgebiet in Richtung des Vereinigten Königreichs verlassen. Dementsprechend wird ab dem 1. Januar 2021 im Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich die vollständige Einhaltung der Zollvorschriften, insbesondere mit Blick auf die Zollwertermittlung und die zolltarifliche Einstufung, erforderlich sein. In der Praxis werden viele Unternehmen, die im Handel zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich tätig sind, bereits mit den relevanten Zollvorschriften aus ihren früheren Handelsaktivitäten mit Drittländern außerhalb der EU vertraut sein. Für diese Unternehmen wird die größte Herausforderung darin bestehen, ihre internen Prozesse entsprechend zu aktualisieren, um sicherzustellen, dass sie dieses Regelwerk auch in Bezug auf all diejenigen Produkte, die in das Vereinigte Königreich exportiert oder von dort importiert werden, vollständig einhalten. Der Warenhandel zwischen der EU und Nordirland bleibt davon unberührt, da er durch das Protokoll zu Irland und Nordirland im Austrittsabkommen zwischen der EU und Großbritannien geregelt wird.
Das Handelsabkommen enthält eine Reihe von Bestimmungen, die darauf abzielen, zukünftig die Grundlagen für eine reibungslose Zusammenarbeit im Zollwesen zu schaffen, insbesondere über den Austausch zollrelevanter Informationen. Außerdem werden eine Reihe von Mechanismen bekräftigt, die bereits im Zollkodex der Union und in den Zollvorschriften des Vereinigten Königreichs vorgesehen sind, und darauf abzielen, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen und damit die Kosten des Handels zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu verringern. Wichtig ist, dass beide Seiten vereinbart haben, die Programme für „Zugelassene Wirtschaftsbeteiligte” der jeweils anderen Seite anzuerkennen, die dazu dienen, vertrauenswürdigen Wirtschaftsbeteiligten, denen dieser Status zuerkannt wurde, bestimmte Vereinfachungen und/oder Erleichterungen in Bezug auf die Sicherheit bei ihren Tätigkeiten mit den Zollbehörden der anderen Partei zu ermöglichen.
Das Handelsabkommen enthält außerdem ein kurzes Protokoll über die gegenseitige Amtshilfe in Zollangelegenheiten sowie ein sehr detailliertes und ehrgeiziges Protokoll über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und im Bereich der Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Wertschöpfung sowie über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf Steuern und Abgaben. Beide Protokolle, die dem übergreifenden Geist des Handelsabkommens treu bleiben, dienen dazu, den notwendigen Rahmen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Behörden auf beiden Seiten zu schaffen. Ihre praktische Relevanz wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen.
Ursprungsregeln für Waren für die Inanspruchnahme von präferenziellen Handelsregeln
In der Praxis wird die wichtigste Änderung darin bestehen, dass im Rahmen des Handelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich für Waren aus der EU und dem Vereinigten Königreich Ursprungsregeln gelten werden, die mit denen vergleichbar sind, die die EU und das Vereinigte Königreich bereits mit anderen Handelspartnern ausgehandelt haben. Viele international tätige Unternehmen werden bereits mit den entsprechenden Regeln und Verfahren vertraut sein, die sich in der Substanz nicht ändern werden. Was sich jedoch ändern wird, ist, dass Unternehmen ab dem 1. Januar 2021 diese Regeln auch im Rahmen ihrer grenzüberschreitenden Geschäfte zwischen der EU und Großbritannien beachten und einhalten müssen. Die Ursprungsregeln dienen dazu, den wirtschaftlichen Ursprung oder die „Nationalität“ von Produkten zu bestimmen, die unter Verwendung von Bauteilen aus mehr als einem Land hergestellt wurden.
Da die Lieferketten immer internationaler geworden sind und Vormaterialien, Bauteile und Endprodukte zunehmend im Ausland hergestellt werden, ist es in der Praxis ziemlich schwierig geworden, die Anforderungen dieser Regelungen zu erfüllen und die „Nationalität” zu erhalten, die erforderlich ist, damit die Waren vom Handelsabkommen zwischen der EU und Vereinigtem Königreich profitieren können. Da die Hersteller zudem jederzeit in der Lage sein müssen, den Ursprung der Vormaterialien nachzuweisen, wenn sie sich auf den Ursprung ihrer Endprodukte berufen wollen, ist der Verwaltungsaufwand für die betreffenden Unternehmen beträchtlich hoch – und damit auch das entsprechende Risiko im Hinblick auf die Einhaltung der Zollvorschriften. Tatsächlich wird das Risiko so hoch sein, dass sich eine Reihe von Unternehmen dazu entschließen könnte, die mit dem Präferenzursprung einhergehenden Vorteile gar nicht erst in Anspruch zu nehmen.
Das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich enthält spezifische Mechanismen, durch die die Anwendung der Ursprungsregeln erleichtert werden soll, insbesondere eine Bestimmung über die „volle Kumulierung“, die es den Händlern ermöglicht, nicht nur den Ursprung der verwendeten Materialien, sondern auch den Grad der Be- oder Verarbeitung der betreffenden Waren im Gebiet einer der Vertragsparteien zu berücksichtigen. Einerseits ermöglicht dieser Mechanismus eine weitestgehende Berücksichtigung der Wertschöpfung innerhalb der Freihandelszone und erhöht damit die Möglichkeiten für Unternehmen aus der EU bzw. aus dem Vereinigten Königreich, die Vorteile des Präferenzursprungs in Anspruch zu nehmen. Auf der anderen Seite fügt er aber auch eine zusätzliche Komplexitätsebene im System eines Unternehmens zur Ursprungsbestimmung hinzu. Außerdem ermöglicht das Handelsabkommen es den Exporteuren, den Ursprung ihrer Produkte selbst zu bescheinigen, wodurch sie im ersten Jahr von einer zusätzlichen Flexibilität bei der Sammlung von Belegen zum Nachweis der Herkunft profitieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Zollbehörden nicht kontrollieren werden, ob der Präferenzursprung korrekt deklariert wurde. Es muss damit gerechnet werden, dass die Zollbehörden Zölle, die wegen fehlerhafter Ursprungserklärungen nicht erhoben wurden, rückwirkend noch einfordern werden. Angesichts der Komplexität sowohl des faktischen Hintergrunds internationaler Lieferketten als auch der Regeln im Rahmen des Handelsabkommens zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich sind Unternehmen gut beraten, vom ersten Tag an die vollständige Einhaltung der Vorschriften im Bereich des Präferenzursprungs sicherzustellen, um in vollem Umfang vom Handelsabkommen zu profitieren und einen Wettbewerbsnachteil zu vermeiden.