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Zahlungsverbot für empfangene Vorleistungen ab Insolvenzreife

21.01.2021

BGH steckt Geschäftsführern erneut enge Grenzen bei Zahlungen nach Insolvenzreife – insbesondere dann, wenn der Vertragspartner zuvor (ungesichert) in Vorleistung getreten war

 

Mit Urteil vom 27.10.2020 – II ZR 355/18 hat sich der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) erneut zu einer zentralen Frage bei der Beurteilung einer persönlichen Haftung von Geschäftsführern gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F. (der nunmehr nahezu wortgleich in § 15b InsO übernommen wurde) wegen verbotswidrigen Zahlungen nach Insolvenzreife geäußert. Der BGH hatte zu entscheiden, ob und unter welchen Voraussetzungen Zahlungen auf vom Vertragspartner vorausgeleistete Waren und/oder Dienstleistungen zur persönlichen Haftung eines Geschäftsführers gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F. führen können. Für Geschäftsführungsorgane zahlungsunfähiger und/oder überschuldeter Unternehmen bedeutet die Entscheidung, dass vor der Bezahlung von Rechnungen eines Lieferanten oder Dienstleisters stets genau hingesehen werden muss, ob der Vertragspartner bereits (unter Eigentumsvorbehalt) geleistet hat oder nicht, um persönliche Haftungsrisiken zu minimieren. Für Vertragspartner in Krise geratener Unternehmen folgt hingegen aus dem Urteil, das grundsätzlich auf Vorkasse bestanden werden muss, um das Risiko eines Forderungsausfalls bestmöglich zu reduzieren.

I. Kontext der Entscheidung

1. Geschäftsführerhaftung wegen Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife einer GmbH

Gemäß der bisherigen Gesetzeslage bis zum 31.12.2020 war ein Geschäftsführer gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F. gegenüber der von ihm repräsentierten Gesellschaft grundsätzlich zum Ersatz solcher Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen verpflichtet, die er nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung (Insolvenzreife) der Gesellschaft noch veranlasst hat.

Der Begriff der Zahlung im Sinne des § 64 S.1 GmbHG a.F. war dabei weit auszulegen. Er umfasste alle Vermögensabflüsse der Gesellschaft. Erfasst waren daher grundsätzlich sowohl Auszahlungen von einem kreditorisch (im Guthaben/Plus) geführten Konto als auch Entgegennahmen von Zahlungen auf einem debitorisch (im Sollsaldo/Minus) geführten Bankkonto. In letztgenanntem Fall führt die Einziehung der Gelder auf dem debitorischen Bankkonto dazu, dass dadurch Verbindlichkeiten gegenüber der Bank getilgt werden, sodass diese Zahlungseingänge bei wirtschaftlicher Betrachtung wie Zahlungen an die Bank zu behandeln waren.

Eine Ausnahme von diesem Zahlungsverbot galt gemäß § 64 S. 2 GmbHG a.F. nur für solche Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Gemäß der Rechtsprechung des zweiten Zivilsenats des BGH traf dies nur auf einige wenige Zahlungen zu.

Parallelvorschriften zu § 64 S. 1 GmbHG a.F. galten auch für den Vorstand (und Aufsichtsrat) einer Aktiengesellschaft gemäß § 92 Abs. 2 AktG a.F. sowie für den Geschäftsführer einer GmbH & Co. KG gemäß § 130a HGB a.F.. Sowohl § 64 GmbHG a.F., als auch diese parallel gelagerten Haftungsnormen zur Aktiengesellschaft und zur GmbH & Co. KG sind kürzlich jedoch durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020, das in wesentlichen Teilen bereits zum 01.01.2021 in Kraft getreten ist, aufgehoben und durch eine neue Haftungsnorm in der Insolvenzordnung (§ 15b InsO) ersetzt worden. Der Gedanke der bisherigen gesellschaftsrechtlichen Haftungsnormen, die grundsätzlich eine Erstattungspflicht von Organen bei Veranlassung von Zahlungen nach Insolvenzreife vorsahen, ist in § 15b InsO beibehalten worden.

Auch wenn durch die Aufhebung der gesellschaftsrechtlichen Haftungsvorschriften und deren Ersetzung durch § 15b InsO die Zuständigkeit für entsprechende Haftungsklagen gegen Organe insolvenzschuldnerischer Gesellschaften vom II. Zivilsenat des BGH (zuständig für Gesellschaftsrecht) auf den IX. Zivilsenat des BGH (zuständig für Insolvenzrecht) übergegangen ist, steht – vorbehaltlich abweichender Anhaltspunkte – eher nicht zu erwarten, dass die bisherige Rechtsprechung des zweiten Zivilsenats des BGH an Relevanz verloren hat, sondern auch weiterhin eine wesentliche Orientierungshilfe bei der Frage sein wird, welche Zahlungen nach Insolvenzreife noch zulässig sind und welche nicht.

2. Bisherige Rechtsprechung des II. Zivilsenats des BGH zur (Un-)Zulässigkeit von Zahlungen nach Insolvenzreife

Der II. Zivilsenat des BGH hat in den vergangenen Jahren die Anforderungen an die Zulässigkeit von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife zunehmend erhöht, insbesondere seit seiner Entscheidung vom 04.07.2017 - II ZR 319/15. In dieser Entscheidung hatte der BGH entschieden, dass die insolvenzrechtlichen Wertungen des Bargeschäftsprivilegs gemäß § 142 InsO bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Zahlungen im Rahmen von § 64 S. 1 GmbH a.F. keine (auch keine analoge) Anwendung finden sollen. Aus diesem Grund unterliegt ein Geschäftsführer nach Eintritt der Insolvenzreife auch bei der Vornahme von Lohnzahlungen an die Mitarbeiter der Gesellschaft erhöhten Haftungsrisiken gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F., selbst wenn die hierfür im Gegenzug empfangenen Arbeitsleistungen erst kurze Zeit zurückliegen und noch in den dreimonatigen Bargeschäftszeitraum des § 142 Abs. 2 S. 2 InsO fallen, wie der BGH in seiner Entscheidung klargestellt hat. Trotz zahlreicher kritischer Literaturstimmen zu dieser Entscheidung (vgl. nur MüKo-GmbHG/Müller, 3. Auflage 2018, § 64 Rn. 149f m.w.N.) war zuletzt zu beobachten, dass der II. Zivilsenat des BGH an seiner strengen Linie bei der Beurteilung der Zulässigkeit von Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife festhalten will (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 24.09.2019 - II ZR 248/17).

II. Wesentlicher Inhalt der BGH-Entscheidung vom 27.10.2020

In diese Rechtsprechung fügt sich ein neues Urteil des BGH vom 27.10.2020 (Az. II ZR 355/18) ein. Darin hatte der BGH über einen Fall zu entscheiden, in dem ein Geschäftsführer nach Insolvenzreife der von ihm repräsentierten GmbH Zahlungen von kreditorisch (im Guthaben/Plus) geführten Bankkonten der GmbH an deren Gläubiger veranlasste, die gegenüber der GmbH zuvor in Vorleistung getreten waren, also ihre Waren schon an die GmbH geliefert bzw. ihre Dienstleistungen schon an die GmbH erbracht hatten.

Der BGH hat entschieden, dass die Vorleistung des Vertragspartners einer Gesellschaft grundsätzlich nicht geeignet sei, die Schmälerung des Gesellschaftsvermögens auszugleichen, die mit der zeitlich nachfolgenden Zahlung verbunden ist. Daher handelt es sich bei solchen Zahlungen nach Ansicht des BGH grundsätzlich um haftungsrelevante Zahlungen. In diesen Fällen liegt aus Sicht des BGH kein bloßer Tausch von Vermögensaktiva vor, der vermögensneutral ist, da die Gegenleistung vor der Zahlung bereits in das Vermögen der Gesellschaft gelangt ist (BGH aaO; Rz. 12). Zahlungen aus dem Vermögen einer insolvenzreifen Gesellschaft können nach Ansicht des BGH also grundsätzlich nicht durch Vorleistungen des Zahlungsempfängers (haftungsbefreiend) kompensiert werden (BGH aaO; Rz. 44).

Der BGH sieht somit die Reihenfolge von Leistung und Gegenleistung grundsätzlich als relevant für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Zahlung nach Insolvenzreife gemäß § 64 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO an. Nur wenn die insolvenzreife GmbH in Vorleistung tritt und die Gegenleistung des Vertragspartners in engem zeitlichen Zusammenhang nachfolgt, wird die zahlungsbedingte Schmälerung des Gesellschaftsvermögens nachträglich wieder vermögensmäßig (und haftungsbefreiend) ausgeglichen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Gegenleistung bei Zufluss in das Gesellschaftsvermögen mindestens den gleichen (Liquidations-)Wert hat, wie die Zahlung. Dann handelt sich um einen bloßen Aktiventausch, der für die Gesellschaft vermögensneutral und für den Geschäftsführer daher auch nicht haftungsrelevant gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F. bzw. § 15b InsO ist.

Sofern aber der Vertragspartner der GmbH in Vorleistung tritt, komme es hierdurch bereits zu einer Mehrung des Gesellschaftsvermögens. Die zeitlich nachfolgende Zahlung des Geschäftsführers der Gesellschaft auf diese Vorleistung bewirkt dann eine Schmälerung des Gesellschaftsvermögens, die nach Ansicht des BGH durch die bereits empfangene Vorleistung nicht mehr vermögensmäßig ausgeglichen werden kann. § 64 S. 1 GmbHG a.F. dient nach Ansicht des BGH jedoch gerade der Erhaltung bzw. der Wiederauffüllung des verteilungsfähigen Gesellschaftsvermögens. Ein Geschäftsführer müsse nach Eintritt der Insolvenzreife daher im Ergebnis grundsätzlich alle Zahlungen auf bereits durch Vorleistungen erhaltene Waren und Dienstleistungen vermeiden. Diese Waren/Dienstleistungen müsse ein Geschäftsführer also grundsätzlich unbezahlt lassen, um persönliche Haftungsrisiken gemäß § 64 S. 1 GmbHG a.F. zu vermeiden. Ausdrücklich offen ließ der BGH dabei allerdings die Frage, ob diese Beurteilung auch für den Fall eines Zug-um-Zug abgewickelten Leistungsaustauschs gelte, bei welchem der Geschäftsführer gerade nicht die Möglichkeit hat, die Leistung des Vertragspartners für die Masse zu sichern, ohne selbst die Leistung zu erbringen (BGH aaO, Rz. 47).

Der BGH macht von der grundsätzlichen Haftungsrelevanz von Zahlungen einer insolvenzreifen GmbH auf Vorleistungen jedoch dann eine Ausnahme, wenn die vorgeleisteten Waren unter Eigentumsvorbehalt geliefert wurden und die Zahlung daher lediglich dazu geführt hat, dass der Eigentumsvorbehalt des Vertragspartners zum Erlöschen gebracht wird und das Eigentum an den Waren auf die insolvenzreife Gesellschaft übergeht. In diesem Fall führe nämlich erst der durch die Zahlung bewirkte Eigentumsübergang zu einer Verwertbarkeit der empfangenen Waren und damit zum Vermögenszufluss bei der Gesellschaft (BGH aaO, Rz. 49 ff.).

III. Praktische Hinweise und Ausblick

Vorleistungen sollten nach Möglichkeit generell vermieden werden, um zu verhindern, dass man mit den eigenen Forderungen ausfällt, wenn der Vertragspartner insolvent ist oder wird und die Forderungen daher nicht mehr bezahlen kann. Durch vorbenannte Entscheidung des BGH vom 27.10.2020 – II ZR 355/18 wird dieser Grundsatz nur einmal mehr bestätigt.

Als Vertragspartner eines Unternehmens, das sich in einer wirtschaftlichen Krise befindet, ist man angesichts dieser Rechtsprechung nun aber in besonderem Maße gehalten, zunächst einen Vorschuss zu verlangen, bevor mit der Erbringung der Leistungen begonnen wird. Das gilt jedenfalls für Dienstleister und für Warenlieferanten, die nicht durch einen Eigentumsvorbehalt gesichert sind. Andernfalls ist das Risiko eines Forderungsausfalls besonders hoch, wenn der Vertragspartner die Leistungen in Empfang nimmt und  bereits zahlungsunfähig oder überschuldet ist oder später wird. Dem Geschäftsführer sind dann haftungsrechtlich „die Hände gebunden“, das heißt er darf auf die bereits empfangenen Dienstleistungen oder Waren in aller Regel keine Zahlungen mehr erbringen, um persönliche Haftungsrisiken zu vermeiden.

Etwas anderes gilt allenfalls für Lieferanten, die Waren unter Eigentumsvorbehalt liefern. Bei diesen Gläubigern ist das Risiko, dass dem Geschäftsführer ihres Vertragspartners eine Bezahlung der Waren aus haftungsrechtlichen Gründen verwehrt ist, wesentlich geringer. Das gilt jedenfalls dann, wenn die gelieferte Ware im Zeitpunkt der Leistung einen (Liquidations-)Wert hat, der dem Betrag der hierfür geschuldeten Zahlung zumindest wertmäßig entspricht. Falls hieran Zweifel bestehen sollten (etwa bei der Lieferung von Kunstgegenständen unter Eigentumsvorbehalt, der Lieferung von verderblichen Waren unter Eigentumsvorbehalt oder dergleichen), sollte lieferantenseitig auch dann nicht auf ein Vorschussverlangen verzichtet werden, wenn für die Warenlieferung ein Eigentumsvorbehalt vereinbart worden ist.

Durch das Urteil des BGH vom 27.10.2020 wird daher im Ergebnis einmal mehr betont, wie wichtig es aus insolvenzrechtlicher Sicht ist, einen Eigentumsvorbehalt bei der Lieferung von Waren zu vereinbaren und zunächst auf hinreichende Vorschusszahlungen vor der Erbringung eigener Leistungen zu bestehen.

Aus Sicht des Geschäftsführers eines Unternehmens, das sich in einer wirtschaftlichen Krise befindet, gilt es vor einer Bezahlung der Rechnungen von Vertragspartnern genau hinzusehen, ob die vom Vertragspartner geschuldete Gegenleistung bereits empfangen wurde. Sofern dies zu bejahen ist, wird eine Bezahlung dieser Rechnungen grundsätzlich allenfalls noch dann in Betracht kommen, wenn sich die Rechnungen auf Warenlieferungen unter Eigentumsvorbehalt beziehen oder wenn die Bezahlung der bereits empfangenen Leistungen ausnahmsweise zwingend zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs erforderlich ist, die maximal drei- bzw. sechswöchige Insolvenzantragsfrist gemäß § 15a Abs. 1 S. 2 InsO noch nicht abgelaufen ist, und parallel hierzu Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters verfolgt werden. Das Vorliegen all dieser Voraussetzungen sollte vom Geschäftsführer spätestens im Zeitpunkt der Vornahme der jeweiligen Zahlung nachvollziehbar dokumentiert werden, um persönliche Haftungsrisiken zu reduzieren, falls es später zu einem Insolvenzverfahren über das Vermögen der GmbH kommt.

Die jüngsten Änderungen des Gesetzgebers an den Haftungsnormen für verbotswidrige Zahlungen nach Insolvenzreife durch das SanInsFOG und der neu geschaffene Haftungstatbestand gemäß § 15b InsO haben an diesen Zusammenhängen nichts geändert.