Wellenbrecher-Lockdown in Kraft
Die neuen Corona-Schutzmaßnahmen der Bundesregierung von 28.10.2020 zum sog. Wellenbrecher-Lockdown sind seit dem 02.11.2020 in Kraft. Allerdings ziehen Gerichte zunehmend die Tragfähigkeit der bestehenden Rechtsgrundlagen für die Maßnahmen in Zweifel. Die Bundesregierung hat unterdessen am heutigen 06.11.2020 eine neue gesetzliche Rechtsgrundlage für Corona-Schutzmaßnahmen in den Bundestag eingebracht.
Gegenstand der Regelungen
Die Corona-Schutzmaßnahmen beinhalten Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum und weitgehende Schließungen insbesondere der Gastronomie und touristischer Beherbergungen sowie von Freizeiteinrichtungen, Veranstaltungen und Sporteinrichtungen. Einzelhandel darf mit Beschränkungen der Anzahl von Kunden im Geschäft öffnen. Im Gegensatz zu den Betriebsschließungen zu Beginn der Pandemie sehen die Maßnahmen Finanzhilfen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro für Betriebe, Selbstständige und Vereine vor, die von den Regeln besonders betroffen sind. Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern werden 75% ihrer Umsätze des Vorjahresmonats erstattet, bei größeren Unternehmen werden die Erstattungsbeträge nach Maßgabe der Obergrenzen der einschlägigen beihilferechtlichen Vorgaben ermittelt.
Zunehmende Zweifel an der Tragfähigkeit der Verordnungsermächtigung
Nachdem Gerichte zu Beginn der Pandemie die Corona-Schutzmaßnahmen weit überwiegend als rechtmäßig eingestuft haben, haben sie zwischenzeitlich strengere Maßstäbe angelegt. Gerichte hielten es überwiegend für maßgeblich, ob die beschränkten Tätigkeiten nachweislich zum Infektionsgeschehen beitragen. Diesen Ansatz haben zuletzt mehrere Gerichte angesichts eines dynamischen und diffusen Infektionsgeschehens, bei dem sich Infektionswege und Infektionsorte nicht mehr nachvollziehen lassen, wieder aufgegeben (siehe unsere News vom 23.10.2020). Wie die Gerichte die aktuellen Maßnahmen beurteilen werden, ist offen.
Allerdings steigen die Zweifel an der Tragfähigkeit der Verordnungsermächtigung (§§ 28, 32 Infektionsschutzgesetz („IfSG“)), auf der die Corona-Schutzmaßnahmen beruhen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (29.10.2020, Az. 20 NE 20.2360) und das Verwaltungsgericht Mainz (01.11.2020, Az. 1 L 843/20.MZ) haben in zwei Eilentscheidungen aktuelle Corona-Schutzmaßnahmen zwar vorerst aufrechterhalten, allerdings ausdrücklich Zweifel geäußert, ob die Maßnahmen noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Verordnungsermächtigungen (Art. 80 Abs. 1 GG) genügen. Bisher hatten Gerichte angenommen, dass §§ 28, 32 IfSG diesen Anforderungen genügten (z.B.: VG Berlin, 15.10.2020, Az. 14 L 422/20; OVG Saarland, 03.06.2020, Az. 2 B 201/20).
Der Bayerische VGH und das VG Mainz betonen nun die Bedeutung der zeitlichen Komponente in diesem Zusammenhang. Der Bayerische VGH stellt fest, dass mit der lokalen Hotspotstrategie eine Regelung geschaffen wurde, die zeitlich nicht begrenzt sei. Das VG Mainz nimmt dagegen vornehmlich die Dauer der Pandemie selbst in den Blick und führt aus, dass sich mit der Dauer und der Intensität der Maßnahmen die Anforderungen des Parlamentsvorbehalts aus Art. 80 Abs. 1 GG verschärfen.
Neue gesetzliche Rechtsgrundlage für Corona-Schutzmaßnahmen im Bundestag
Auch als Reaktion auf die öffentliche Diskussion um eine stärkere Parlamentsbeteiligung hat die Bundesregierung am 06.11.2020 u.a. eine Novellierung des IfSG in den Bundestag eingebracht. Die Novelle sieht insbesondere die Schaffung eines neuen § 28a IfSG als Rechtsgrundlage für besondere Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus SARS-CoV-2 vor. § 28a IfSG konkretisiert § 28 IfSG und enthält einen detaillierten Katalog an Maßnahmen, die während einer durch den Bundestag festgestellten epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§ 5 Abs. 1 IfSG) ergriffen werden können. Dazu gehören u.a. Kontaktbeschränkungen, Verpflichtungen zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung, Betriebsschließungen, Anordnungen zur Verarbeitung von Kontaktdaten zur Nachverfolgung von Infektionsketten sowie Reisebeschränkungen. § 28a Abs. 2 IfSG sieht zudem vor, dass die Schutzmaßnahmen gebietsspezifisch auf Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte in Abhängigkeit vom lokalen Infektionsgeschehen ausgerichtet werden sollen. Mit einer solchen Regelung dürften die aufgekommenen Zweifel an der Verordnungsermächtigung ausgeräumt sein. Es ist von einer zügigen Verabschiedung des Gesetzes auszugehen.